Die Anatomie eines Konflikts
Napsters Zukunft: Zwei Musikformate, drei Preisstufen, viele Probleme
Noch immer ist ungewiss, wann Napster seinen Betrieb wieder aufnimmt. Aus aktuellen Äußerungen des neuen Napster-Chefs Konrad Hilbers und weiteren Indizien lässt sich aber bereits ein recht detailliertes Bild des kommenden Angebots zeichnen. Die Probleme der Tauschbörse zeigen dabei, womit der gesamte Online-Musikmarkt in den nächsten Monaten zu kämpfen haben wird.
Die Zukunft des digitalen Entertainments liege in den Abo-Angeboten, erklärte Konrad Hilbers vor einigen Tagen auf dem "Aspen Summit" der Progress and Freedom Foundation. Für den ehemaligen BMG-Manager war die Konferenz des US-amerikanischen Think Tanks der erste öffentliche Auftritt als neuer Napster-Chef. Ganz in der Tradition eines Thomas Middelhoff nutzte er diesen gleich für ein paar bedeutungsschwere Ankündigungen, ohne sich auf definitive Daten und Zahlen zur Zukunft seines Unternehmens festzulegen. So erklärte Hilbers, man wolle Napster in der Tradition Shawn Fannings fortführen. Dazu gehört nach seinen Worten auch der Tausch kostenloser Musik. Nur dürfe diese eben nicht Copyright-geschützt sein. Beispiele dafür seien etwa die von seiner Tochter gesungenen Weihnachtslieder oder die Songs einer unbekannten Garagenband, die ihre Musik auf diese Weise promoten wolle, so Hilbers.
Dem Stern gegenüber hatte Hilbers bereits vor einigen Wochen angekündigt, mit einem Kampfpreis von fünf Dollar pro Monat starten zu wollen. In Aspen schwieg er sich zu diesem Detail aus, erklärte aber, das eigene Preismodell werde die Musikindustrie aufrütteln. Derzeit deutet alles auf ein preislich gestaffeltes Angebot hin: Ein weitestgehend beschränkter Zugang bleibt umsonst, ein Basis-Abo wird etwa fünf Dollar, und ein Komplettpaket inklusive Major-Label-Inhalten vermutlich zehn Dollar oder mehr kosten.
Ein Client, zwei Systeme, drei Varianten
Die kostenlose Minimalvariante wird lediglich Zugang zu Chat- und Community-Features und sowie den Austausch einiger weniger Copyright-freier Songs ermöglichen. Dazu gibt es im kostenpflichtigen Angebot erweiterte Tauschmöglichkeiten für die Musik verschiedener Indie-Labels. Schließlich werden die Inhalte der drei Major-Labels BMG, AOL Time Warner und EMI in einer vom Peer-to-Peer-System strikt abgegrenzten Umgebung angeboten, die auf der Musicnet-Technologie aufbaut.
Das Peer-to-Peer-Modul setzt dabei weitestgehend auf die bisher bereits von Napster bekannten Möglichkeiten, wobei diese um das Wiederaufnehmen abgebrochener Downloads und ähnliche Funktionen erweitert werden. Geschützt wird dies durch eine starke, asymetrische Verschlüsselung, die auf Standard-Sicherheitskomponenten setzt und deren Aufbau in etwa mit dem PGP-System vergleichbar ist. Grob vereinfacht wird man sich einen Dateitransfer in dieser Umgebung so vorstellen können: Nutzer A sucht den Song "Sing it back" von Moloko und wird von Napster zu Nutzer B verwiesen. Nachdem Nutzer A Nutzer B seinen Public Key geschickt hat, verschlüsselt dieser damit den betreffenden Song. Aus moloko_sing_it_back.mp3 wird so moloko_sing_it_back.nap. Der verschlüsselte Song wird übertragen und auf dem Computer des Nutzers A lediglich zum Abspielen sowie für weitere Tausch-Transaktionen temporär entschlüsselt.
Musicnet setzt für den Katalog der drei beteiligten Majors dagegen auf eine zentrale Struktur. Die Songs werden auf Real Networks-Servern als Streams und Downloads zur Verfügung gestellt. Dabei setzt man auf Reals Media Commerce Suite, die auf einem symmetrischen Verschlüsselungsmodell aufbaut. Läd ein Nutzer beispielsweise Didos Hit "Thank you" über den Napster-Client auf seinen Rechner, bekommt er eine zentral verschlüsselte Datei. Das Recht zum Abspielen muss der in seinen Napster-Client eingebaute Real Player nun über Reals License Server klären. Ein Procedere, dass sich alle 30 Tage wiederholt, denn die Downloads sind nur zeitlich begrenzt abspielbar. Eine echte Peer-to-Peer-Komponente ist vorerst nicht vorgesehen, wahrscheinlich wird man aber früher oder später mit anderen Napster-Nutzern Playlists austauschen können.
Das Verbinden zweier Welten
Das Problem für Napster ist nun, diese beiden eigentlich völlig getrennten Welten möglichst weit miteinander zu verbinden. Schon aufgrund der verschiedenen Verschlüsselungsansätze und DRM-Lösungen wird es nicht möglich sein, die Musik der Indies und der Majors mit dem gleichen Player wiederzugeben. Denkbar ist aber, dass sich beide Player hinter einer gemeinsamen Oberfläche verstecken. Auch das Anlegen gemeinsamer Playlists wird wohl nur beschränkt möglich sein.
Außerdem wird es natürlich Möglichkeiten geben, beide Sicherheitssysteme auszutricksen. Napsters NAP-Format scheint hier aufgrund der asymetrischen, starken Verschlüsselung deutlich sicherer. Doch letztendlich müssen die Inhalte spätestens zur Wiedergabe entschlüsselt werden. Ein Abgreifen und Umleiten der Audio-Streams sollte dabei kein großes Problem darstellen. Beide Systeme verzichten zudem auf den Einsatz von Wasserzeichen. Offenbar hat man hier seine Lektion aus dem SDMI-Hack gelernt (siehe auch: Zwischen den Zeilen).
Doch weitaus wichtiger als solche möglichen Sicherheitslücken ist für Napster das Erkennen und Filtern der einzelnen Songs. Während des Verfahrens gegen Napster schlug die zuständige Richterin Marilyn Hall Patel einmal vor, die Tauschbörse solle doch statt eines Opt-Out-Modells auf ein Opt-In-Modell setzen: Statt also mittels einer langen Liste Copyright-geschützte Inhalte auszufiltern, sollte Napster nur den Tausch jener Songs ermöglichen, für die es eine explizite Erlaubnis dazu besitzt. Doch Konrad Hilbers Tochter wird auch in Zukunft nicht erst ihre Unterschrift an Napster faxen müssen, bevor Papa ihre Weihnachtslieder zum Tausch anbieten darf. Napster hat sich offenbar entschlossen, weiter den Weg des Ausfilterns zu gehen.
Napsters Zukunft steht und fällt mit den Filtern
In Zusammenarbeit mit der Firma Relatable wird ein komplexes Filtersystem entwickelt, das auf so genannten akustischen Fingerabdrücken basiert. Relatable analysiert dafür die klanglichen Eigenschaften der einzelnen Songs und gleicht diese mit der Musicbrainz-Datenbank ab. Die Inhalte der großen Labels und aller anderen nicht mit Napster zusammenarbeitenden Plattenfirmen müssen dabei komplett herausgefiltert und ausgesperrt werden.
Passieren dürfen die Filter dagegen alle Inhalte der Indie-Labels, die bereits mit Napster Verträge abgeschlossen haben. Tom Jones, Tricky und Moloko werden so ihren Weg in das kostenpflichtige Peer-to-Peer-Angebot finden. Schließlich gibt es noch all jene Songs, die ganz durch die Filter fallen und damit kostenlos zum Tausch zur Verfügung stehen. Die Weihnachtslieder von Konrad Hilbers Tochter, beispielsweise. Fast zwangsläufig dürfte auch der ein oder andere Copyright-geschützte Song durch diese Maschen schlüpfen. Napsters Zukunft hängt nun davon ab, wie gut dieser Mechanismus funktionieren wird.
Dies dürfte auch erklären, warum die Tauschbörse derzeit immer noch offline ist. Anfang Juli versuchte man, die gerichtlich erzwungenen Filterungen auf die Relatable-Technologie umzustellen. Angeblich führten Schwierigkeiten mit der Datenbank dazu, dass nach wenigen Tagen der Stecker gezogen und alle Dateitransfers temporär unterbunden wurden. Doch nach fast zwei Monaten klingt diese Begründung nicht mehr glaubwürdig.
Das Unmögliche möglich machen
Napster kämpft derzeit eher damit, die Plattenfirmen von der Effektivität der eigenen Filterungen zu überzeugen. Ein Vorpreschen könnte für die Tauschbörse deshalb jetzt tödlich sein. Sollten die neuen Filter vor Gericht keinen Bestand haben, wäre damit auch dem Abo-Modell die Grundlage entzogen. Deshalb wird der Betrieb wohl erst mit dem lang erwarteten Beta-Test des neuen Clients wieder aufgenommen werden. Wann dieser startet, ist derzeit noch völlig unklar. Nicht nur, dass es offenbar noch Unstimmigkeiten über das Filter-Modell gibt. Auch die Abhängigkeit vom Start der Musicnet-Plattform scheint Napster weiter zu bremsen.
Napsters Probleme beim Aufbau des neuen Angebots zeigen bereits, womit die gesamte Branche in Zukunft zu kämpfen haben wird. Wer die Musik der Majors online vertreiben will, wird dazu ihre Konditionen und ihre konkurrierenden Formate akzeptieren müssen. Diese miteinander zu verbinden und dabei auch noch die Peer-to-Peer-Idee zu pflegen, heißt für die Napster-Programmierer derzeit, das Unmögliche möglich zu machen. Die meisten Anbieter werden sich diesen Entwicklungsaufwand jedoch nicht leisten können und deshalb über kurz oder lang als Weiterverkäufer einer Major-Plattform enden. Konkurrierende Inhalte-Anbieter wie etwa Indie-Labels werden dabei das Nachsehen haben. Napsters kommender Client ist so etwas wie ein in Code gegossener Vorbote dieses Konflikts.