"Die Arbeitsmärkte waren in Deutschland noch nie in einem so schlechten Zustand"

Seite 2: Die AfD steht wie die CDU für einen marktradikal-neoliberalen und asozialen Kurs

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Bei der Wahl zum Vorsitz der CDU am 7. Dezember gab es ein "Photofinish" (Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte) zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz, das "AKK" für sich entscheiden konnte. Zahlreiche Delegierte der Union freuten sich über ein großartiges Beispiel gelebter Demokratie und feierten das öffentlich. Zwischen was wurde da Ihrer Ansicht nach eigentlich demokratisch entschieden? Was bedeutet diese Wahl für die politische Landschaft in Deutschland und Europa, insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die AfD Herrn Merz eher fürchtete, Frau Kramp-Karrenbauer aber als Steilvorlage für sich sieht?

Heinz-Josef Bontrup: Das war eine reine CDU-interne Wahl. Merz steht für einen radikalen finanzmarktbetriebenen Kapitalismus. Wofür Kramp-Karrenbauer wirtschaftspolitisch steht, weiß sie wohl so richtig selber nicht. Ich sehe das Ganze mehr parteipolitisch und da beurteile ich die CDU holistisch, wobei ich nicht verhehlen will, dass der Vorsitz schon herausragend ist.

Die CDU war schon immer strukturkonservativ und marktgläubig. Unter Kohl und Merkel ist die Partei immer mehr einem Neoliberalismus aufgesessen, der einen Sozialstaat als Störenfried bei der kapitalistischen Ausbeutung von Unternehmern sieht. Hier sei nur noch einmal an die "marktkonforme Demokratie" von Merkel erinnert. Der Staat, die demokratisch gewählte Politik, soll sich also vor dem Markt bzw. der Wirtschaft verbeugen. Keynesianismus geht dann natürlich gar nicht und folgerichtig wird dieser auch von der CDU vehement abgelehnt. Man setzt dafür lieber auf eine volkswirtschaftlich kontraproduktiv wirkende Schuldenbremse bzw. eine "Schwarze Null" im Staatsbudget und in der EU auf einen Fiskalpakt.

Es erübrigt sich zu erwähnen, dass die CDU natürlich Steuererhöhungen für Einkommensstarke und Vermögende strikt ablehnt, dafür aber sofort in erster Reihe dabei ist, wenn es darum geht, Gewerkschaften zu schwächen und umzuverteilen: von den Arbeits- zu den Mehrwert- bzw. Kapitaleinkünften. Hier haben die abhängig Beschäftigten von 1991, seit der Wiedereinigung bis 2017, gut 1,7 Billionen Euro an Einkommen auf Basis der Lohnquote von 1993 verloren. Diese 1,7 Billionen sind mit stark negativen Folgen für die Gesamtwirtschaft bei den Unternehmer- und Vermögenseinkommen gelandet.

Im Übrigen steht auch die AfD genauso für diesen marktradikal-neoliberalen und asozialen Kurs. Das hat ihre Wählerschaft aber noch nicht verstanden, was überdeutlich macht, dass der gesellschaftliche Zuspruch für diese Deutsch-Nationale Partei fast ausschließlich einer Ausländerfeindlichkeit geschuldet ist. Dies verwundert mich aber nicht, weil erstens die meisten Menschen von Ökonomie nichts verstehen und zweitens natürlich immer die ökonomischen Verhältnisse, in denen sich die Menschen reproduzieren müssen, die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse determinieren. Über 40 Jahre Massenarbeitslosigkeit in Deutschland, 13,7 Millionen verarmte Bürger*innen, das sind über 16 Prozent der Bevölkerung, und jedes 5. Kind muss in Armut aufwachsen, sprechen hier eine überdeutliche Sprache. Auf der anderen Seite war Deutschland in Summe noch nie so reich wie heute und das Einkommen und Vermögen noch nie so ungleich verteilt.

Kommen wir nun zu allgemeineren Fragen: In Ihrem Werk "Arbeit, Kapital und Staat: Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft" diagnostizieren Sie eine strukturelle und funktionale Asymmetrie zwischen demokratischen Entscheidungen im politischen Raum, Personen- und Parteiwahlen sowie Programmentscheidungen einerseits und vorwiegend autokratisch getroffenen Entscheidungen im Wirtschaftsraum, in KMU sowie in Großunternehmen und international operierenden Konzernen andererseits. In der Folge entwickeln Sie ein Konzept für eine Wirtschaftsdemokratie.

Einmal abgesehen von den ggf. zu erwartenden positiven Auswirkungen jetzt demokratischer getroffener innerbetrieblicher Entscheidungen auf z.B. das Betriebsklima, inwieweit soll ein solcher demokratisch getroffener betriebswirtschaftlicher Kompromiss volkswirtschaftlich andere Auswirkungen haben, bzw. anders sein als der bislang dominierende gewinnorientierte Egoismus von Einzelpersonen in der Firmenleitung? Können Sie dies näher erläutern?

Heinz-Josef Bontrup: Zunächst einmal ist es auf gesellschaftlicher Ebene inakzeptabel, dass im Staatssektor eine parlamentarische Demokratie gegeben ist, und im Unterbau der Wirtschaft einseitig nur der Kapitaleigentümer das Sagen hat und hier autokratisch, nicht selten sogar feudalistisch, herrscht. Diese Dichotomie gilt es endlich durch eine Wirtschaftsdemokratie zu beenden. Ich will es mit dem langjährigen 1. Vorsitzenden der IG Metall, Otto Brenner, sagen, der schon 1961 schrieb:

"Der Gedanke der Mitbestimmung bedeutet im Grunde nichts anderes als eine Ausprägung der gewerkschaftlichen Idee der Freiheit. Freiheit ist für uns nicht nur ein politischer Begriff, sondern vor allem auch eine soziale Kategorie. Wir wissen, dass die Freiheit des Menschen außerhalb seines Arbeitslebens nicht vollständig und gesichert ist, solange der Mensch in seinem Arbeitsleben der Herrschaft anderer unterworfen bleibt. Die Demokratisierung des öffentlichen Lebens, das freie Wahl-, Versammlungs- Rede- und Presserecht bedarf der Ergänzung durch die Demokratisierung der Wirtschaft, durch Mitbestimmung der arbeitenden Menschen über die Verwendung ihrer Arbeitskraft und der von ihnen geschaffenen Werte.

Die Forderung nach Mitbestimmung der arbeitenden Menschen ist historisch entstanden in einer Wirtschaftsordnung, die auf dem privaten Besitz an Produktionsmitteln beruht, auf der Trennung des Arbeiters von den Produktionsmitteln und vom Produkt seiner Arbeit und auf der damit gegebenen Bevorzugung der Produktionsmittelbesitzer. Mit anderen Worten: Wir haben es mit einer Wirtschaftsordnung zu tun, in der es keine Freiheit im sozialen Bereich und keine Demokratie im Wirtschaftsleben gibt. Der Gedanke der Mitbestimmung bedeutet nichts anderes als einen Versuch, Freiheit und Demokratie auch im Bereich der Wirtschaft, auch für die Arbeitnehmer zu verwirklichen."

Natürlich wissen wir, dass Wirtschaftsdemokratie dabei mehr impliziert als nur die einzelwirtschaftliche, die unternehmerische Ebene. Auch darauf bin ich in meinem Buch ausführlich eingegangen. Die Wirtschaft muss natürlich auch auf der Markt- und gesamtwirtschaftlichen Ebene einer Demokratisierung unterzogen werden. Hier empfehle ich, mein Buch zu studieren.

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