"Die Arbeitsmärkte waren in Deutschland noch nie in einem so schlechten Zustand"

Seite 3: Bedingungsloses Grundeinkommen: Luftschlossforderung von naiven Sozialromantikern

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Sie sind erklärtermaßen kein Freund des sogenannten bedingungslosen Grundeinkommens BGE, das nach Ansicht seiner Befürworter u.a. einen Ausweg für unsere Sozialsysteme aus der digitalen Technologiefalle bieten soll. Der zurzeit wohl prominenteste Vertreter eines BGE in Deutschland ist der Philosoph Richard David Precht. In seinem Buch, das in Anlehnung an Marx mit "Jäger, Hirten, Kritiker - Eine Utopie für die digitale Gesellschaft" betitelt ist, schlägt er eine Finanzierung des BGE aus einer Finanztransaktionssteuer FTS vor. Neu ist diese Idee zwar nicht, sie wurde bereits Jahre zuvor von Christian Felber sowie in engagierten Debatten innerhalb der Piratenpartei thematisiert.

Was spricht Ihrer Ansicht nach dagegen? Und was spricht - jenseits aller Finanzierungsfragen - grundsätzlich gegen ein BGE? Wie bewerten Sie den Umstand, dass sich Befürworter eines BGE sowohl im linken als auch im rechten und neoliberalen Lager bis hin zu den Libertären (Peter Thiel) finden lassen?

Heinz-Josef Bontrup: Das waren jetzt gleich mehrere Fragen. Lassen Sie mich mit der letzten beginnen. Diese parteiübergreifenden Befürworter haben sämtlich, das gilt aber auch für alle anderen BGE-Befürworter, entweder nur ganz wenig ökonomischen Sachverstand und/oder wollen wie die professionellen Ökonomen Milton Friedman, James Tobin und Thomas Straubhaar auf Basis einer "negativen Einkommensteuer" mit einer neoliberalen politischen Intention den Sozialstaat abschaffen. Abgesehen von der Finanzierungsfrage ist ein BGE, wie es Christoph Butterwegge formulierte, "Kommunismus im Kapitalismus", also ein nicht mehr zu überbietender Widerspruch. Was spricht ökonomisch grundsätzlich dagegen?

Hier wollen die Befürworter, dass Menschen für andere Menschen arbeiten. Hier reichen mir schon die Kapitaleinkommensbezieher. Denn die immer nur zu verteilende Wertschöpfung, bestehend aus Löhnen, Zinsen, Mieten/Pachten und dem Unternehmerprofit, muss ja durch erwerbsmäßige Arbeit zuvor geschaffen worden sein. Und nur bepreiste Arbeit und nicht ehrenamtliche Arbeit oder irgendeine Hausarbeit, die alle keine Preise haben, schafft ein verteilbares Einkommen.

Und wenn immer wieder die Befürworter des BGE damit argumentieren, sie würden ja solche nicht bepreiste Arbeit altruistisch für die Gesellschaft verrichten, dann kann man auch an den Weihnachtsmann glauben. Richtig ist dagegen, dass die bepreiste Schwarzarbeit noch massiv zulegen würde. Und noch abschließend ein Wort zur Finanzierung, dann ist zu den dem absurden BGE auch alles gesagt.

In Deutschland lag 2017 das gesamte Volkseinkommen bei 2.434,8 Mrd. Euro. Davon entfielen auf das Arbeitnehmerentgelt 1.668,5 Mrd. Euro. Darin enthalten waren die "Sozialbeiträge der Unternehmer" in Höhe von 299,7 Milliarden Euro. Rechnet man diese heraus, so bleibt eine Bruttolohn- und Gehaltsumme für alle abhängig Beschäftigten, die dafür hart gearbeitet haben, von 1.368,8 Milliarden Euro übrig. Zieht man davon die Sozialbeiträge (238,1 Milliarden Euro) und die Steuern (225,8 Milliarden Euro) ab, ergibt sich die Summe der Nettolöhne und -gehälter mit 904,9 Milliarden Euro. Das Arbeitnehmerentgelt pro Kopf und Monat betrug dabei 3.488 Euro, das Bruttoentgelt 2.861 Euro und das Nettoentgelt 1.892 Euro.

Wie absurd vor diesem realwirtschaftlichen Hintergrund BGE-Forderungen von 1.000 Euro netto pro Kopf sind, muss wohl nicht weiter kommentiert werden. Ich kann hier nur von einer Luftschlossforderung von naiven Sozialromantiker*innen sprechen und als Ökonom den Kopf schütteln.

Die Vermögenden müssen endlich adäquat besteuert werden

Eine andere Idee hat der ehemalige griechische Finanzminister und Begründer von DiEM25 ( (Democracy in Europe Movement 2025), Yanis Varoufakis, in die Debatten gebracht, die er ausdrücklich nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu den Sozialsystemen betrachtet. Sie bezieht sich auf den sogenannten Plattformkapitalismus und geht davon aus, dass es global operierende Konzerne gibt, die ganze Marktplätze kontrollieren und deren Kapital durch die Nutzer generiert wird.

Jedes Mal, wenn Nutzer z.B. über Google suchen oder etwas vom Übersetzungsalgorithmus Googles von einer in eine andere Sprache übersetzen lassen, werden die KI-Systeme von Google trainiert. Nutzeraktionen tragen also etwas zum Kapital von Google bei. Die Gesellschaft profitiert allerdings nicht aus diesen Gewinnen, lediglich die Stakeholder von Google. Varoufakis schlägt nun vor, dass ein Teil der Aktien solcher Konzerne beschlagnahmt und in einen Treuhandfonds für die Gesellschaft überführt werden sollen. Die dort erzielten Dividenden wären also Dividenden für die Gesellschaft. Einmal abgesehen von ihren praktischen Durchsetzungsmöglichkeiten im ganz zwangsläufig internationalen Raum, was ist von einer solchen Idee zu halten?

Heinz-Josef Bontrup: Es steht außer Frage, dass man die Internet-Konzerne einer besonderen Besteuerung oder auch einer Beschlagnahmung eines Aktienteils dieser Konzerne unterziehen muss. Hier bin ich ganz bei Varoufakis. Der ehemalige Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland und International, Thilo Bode, spricht hier von einer "Diktatur der Digitalkonzerne", die schnellstens zu beseitigen ist. Auch dem würde ich mich anschließen. Aber hier versagt leider die herrschende Politik auf ganzer Linie.

Nur durch eine international abgestimmte und herbeigeführte politische Aktion ist noch diesen Digitalkonzernen, deren Marktkapitalisierung bei weit über 3 Billionen Euro liegt, beizukommen. Will das aber die mit den Konzernen verbandelte herrschende Politik? Ich fürchte nein.

Sie kritisieren seit Jahren und schon vor Thomas Piketty das immer weiter zunehmende Ungleichgewicht in der Entwicklung von Einkommen und Vermögen und in diesem Zusammenhang auch die galoppierende Zersetzung des Zusammenhalts in unseren Gesellschaften. Unabhängig von einem BGE oder anderen Ideen, was wäre Ihr Vorschlag für ein in Zeiten der Digitalisierung zukunftsfähiges Renten- und Sozialsystem?

Heinz-Josef Bontrup: Das Renten- und Sozialsystem hängt wie alles andere von der Arbeit von Menschen und der Verteilung der Arbeitserträge ab. Auch die Digitalisierung resultiert aus menschlicher Arbeit. Entscheidend ist, wie schon ausgeführt, immer die Verteilung. Hier ist nicht nur in Deutschland unter dem neoliberalen Paradigma einiges völlig aus dem Ruder gelaufen.

Ich will hier nicht die vielen empirischen Studien, dazu gehört auch die herausragende Arbeit von Piketty, für die Verteilungsschieflage beim Einkommen und Vermögen zitieren, diese sind hinlänglich bekannt - offensichtlich bei vielen Politiker*innen aber immer noch nicht. Aber denen ist dann auch nicht mehr zu helfen, wir müssen sie nur abwählen, diese Versager am Volk.

Wenn wir aber die Verteilungsschieflage beenden und die gesellschaftlich zustande gekommenen Produktivitäten auch in der Gesellschaft gerecht verteilen und endlich die Vermögenden adäquat besteuern, Piketty schlägt hier eine jährlich erhobene progressive Kapitalbesteuerung vor, dann müssten wir uns auch keine Sorgen machen. Auch im Hinblick auf unser Renten- und Sozialsystem nicht.

Wie bewerten Sie den Umstand, dass der wirtschaftliche Aufschwung Portugals, das sich erklärtermaßen von den Vorhaben der resteuropäischen Austeritätspolitik losgesagt hat, trotz Heraufstufungen namhafter Ratingagenturen in den bundesdeutschen Mainstreammedien weitgehend totgeschwiegen wird? Vermute ich richtig, passiert dort etwas, das nicht sein darf?

Heinz-Josef Bontrup: Ja, so ist es. Hier kann man den berühmten Schriftsteller und Dichter Christian Morgenstern zitieren: "Weil nicht sein kann, was nicht sein darf." Die herrschende neoliberale Elite in der EU lässt es natürlich nicht zu, dass ein "kleines" Land wie Portugal zeigt, dass es, anders als in Griechenland, wo man mit Austerität eine Elendsökonomie errichtet hat, auch ohne neoliberale Kürzungsorgien beim Staat geht und eine vielmehr expansive Wirtschaftspolitik zu einem Erfolg führt.

Wobei wir aber auch den "Erfolg" in Portugal nicht überbewerten wollen. Auch hier fährt die Links-Regierung eine ausgleichende staatliche Budgetpolitik und der öffentliche Sektor, nicht nur im Gesundheitswesen, ist nach wie vor stark unterinvestiert. Mit einer wirklich links-keynesianischen Wirtschaftspolitik, mit einer drastischen Umverteilung von oben nach unten, wäre man noch viel mehr auf eine Erfolgsspur gekommen. Aber die hat auch hier in Portugal leider nicht stattgefunden.

Herr Prof. Bontrup, ich bedanke mich für das Interview.

Prof. Dr. rer. pol. Heinz-Josef Bontrup, Dipl.-Ökonom, Dipl.-Betriebswirt, lehrt seit 1996 an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen am Campus Recklinghausen im Fachbereich Wirtschaftsrecht Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt Arbeitsökonomie und wird im kommenden Jahr emeritiert. Er ist auch Gast-Professor an der Universität Siegen im Studiengang Plurale Ökonomie und Lehrbeauftragter an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, Bodensee. Des Weiteren ist er Direktor am Westfälischen Energieinstitut in der Westfälischen Hochschule. Vor seiner Berufung an die Hochschule war er u.a. Arbeitsdirektor in der Stahlindustrie. Er ist Mitverfasser und Herausgeber der jährlichen Memoranden der seit 1975 existierenden Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sowie einer deren Sprecher. Im März 2018 wurde ihm vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz am Bande für seine ökonomische Aufklärungsarbeit gegen den neoliberalen Mainstream verliehen.

Das Interview wurde für Telepolis von Dr. Joachim Paul geführt. In der 16. Legislaturperiode von 2012 bis 2017 war er Abgeordneter der Piratenfraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Neben anderen Aufgaben wie etwa dem Fraktionsvorsitz fungierte Paul auf Beschluss seiner Fraktion als Sprecher der Fraktion in der von der CDU-Fraktion beantragten Enquete-Kommission zur Bewertung der Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte in Nordrhein-Westfalen unter den Bedingungen der Schuldenbremse und des demografischen Wandels in der Dekade 2020 bis 2030" (Enquetekommission III).

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