"Die Arche" fischt im Trüben
Das bekannte Kinderhilfsprojekt "Die Arche" gehört der evangelischen Allianz an und praktiziert eine ganz eigene Art von Sozialarbeit
So viel Sintflut kann gar nicht sein, wie es Berichte über Die Arche gibt. Und mit der Spendenflut, welche die Journalisten generieren, kommt das „christliche Kinder- und Jugendwerk“ gut klar. Zudem sorgen die „Medienpartner“ für ruhiges Fahrwasser, indem sie Themen übergehen, die einigen Wind machen könnten wie der evangelikale Hintergrund der Einrichtung oder die zweifelhafte sozialpädagogische Praxis.
„Damals habe ich in Steine investiert“, sagt Showmaster Günter Jauch mit Blick auf seine Spenden für die Sanierung Potsdamer Schlösser, „heute investiere ich in Köpfe.“ Mit 250.000 Euro jährlich fördert er die neue Kinderbetreuungseinrichtung der Arche in Potsdam. Auch Henry Maske, Mario Barth, Marcell Jansen und Verona Pooth setzen sich für den Verein ein, und Unternehmen wie McDonald's, Unilever, die Deutsche Bahn und die Privatbank HSBC Trinkaus gehören zu den Unterstützern.
Diese Sozialpolitik à la Sloterdijk macht aus der Arche einen regelrechten Luxusdampfer. Die Wege dazu bahnt eine geschickte PR-Strategie, die dem Hilfswerk eine große Öffentlichkeit verschafft. Laut TAZ zählt Arche-Gründer Bernd Siggelkow Bild-Chefredakteur Kai Dieckmann und die RTL-Chefin Anke Schäferkordt zu seinen persönlichen Freunden, was Siggelkow aber bestreitet. Auch sonst fehlt es nicht an Medienpartnern. Der Burda-Verlag sammelt auf den Bambi-Verleihungen regelmäßig Geld für den Verein, und Stern und Spiegel geben ebenfalls gerne. Bei solch einer sorgsam gepflegten publizistischen Landschaft blüht der Arche natürlich kaum Ungemach.
Dabei wäre ein unbefangener Blick bitter nötig. Die Arche rechnet sich nämlich der evangelischen Freikirche zu (so wird sie bei der Evangelischen Allianz als "verbundenes Werk" aufgeführt) und gehört damit zur Glaubensrichtung der Evangelikalen. Frei oder amtskirchlich organisiert, kommen sie in der Bundesrepublik auf ca. 1,3 Millionen Schäfchen. Ob es zwischen ihnen und dem Fundamentalismus eine Grenze gibt, darüber streiten die Theologen. Klar ist jedoch, dass in den Arche-Einrichtungen noch einmal ein ganz anderer Wind weht als etwa in evangelischen Kindergärten.
„Lasset die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran - die Bibel“, prangt über dem Eingang zur Hellersdorfer Niederlassung. Die Bibel findet sich so prominent auf dem Banner wieder, weil die Evangelikalen sich zu den Bibeltreuen zählen und eine „Irrtumsfreiheit“ der Heiligen Schrift proklamiere (Bibeltreu, wissenschaftlich und streng gläubig).
Irren tun sich für die Freikirchler nur Homosexuelle, Frauen, die nicht dem traditionellen Rollenbild entsprechen - und natürlich Andersgläubige. So beten sie etwa „für unsere Regierung im Land bei der Beurteilung des Islam“. Und ihr Zentralverband, die Deutsche Evangelische Allianz, versucht eifrig, die „Verirrten“ zu bekehren: „Gott ruft Gläubige auf, das Evangelium in die Welt zu tragen. Jeder muss diese Botschaft hören - auch das jüdische Volk.“ Auch Vertreter der Evolutionslehre befinden sich für viele Evangelikale auf dem falschen Dampfer. "Wir bekennen uns", so wird die "Basis des Glaubens" vorgestellt, "zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung."
Amtskirche tut nichts
Mit Vorliebe versuchen die fundamentalistischen Christen, junge Seelen zu retten. Die Kinder- und Jugendarbeit stellt deshalb ein beliebtes Betätigungsfeld dar. Die Freikirchler bieten sich als Pflegefamilien an, engagieren sich ehrenamtlich in Kindertagesstätten und Schulen und streben in die pädagogischen Berufe. Kollegen und Erziehungsberechtigte haben mit ihnen nicht selten ihre liebe Mühe. „So hatte ich mehrfach Anrufe von Schulleitern oder Eltern, die mit Lehrern konfrontiert waren, die plötzlich anfingen, Spielkarten oder Bücher mit den Kindern zu verbrennen und Lernmaterialien auszuteilen, die aus fundamentalistischen Werkstätten kommen“, berichtet die Weltanschauungsbeauftragte der evangelischen Landeskirche in Württemberg, Annette Kick.
Konkrete Schritte gegen die Evangelikalen in den eigenen Reihen unternimmt die protestantische Amtskirche jedoch nicht. Sie hat zu ihnen ungefähr dasselbe Verhältnis wie der Papst zu den Pius-Brüdern. Der Einheit der Kirche zuliebe nahm der gerade abgelöste Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, die Eiferer stets vor dem Vorwurf in Schutz, Fundamentalisten zu sein. Wegen solcher „Verdienste“ schätzten auch freischwebende Evangelikale Huber.
Die Presseagentur Idea, die sich frei- und amtskirchlichen Bibeltreuen gleichermaßen verpflichtet fühlt und dessen Chefredakteur Helmut Matthies gute Kontakte zum Rechtsaußen-Blatt „Junge Freiheit“ hat, verlieh dem Oberprotestanten 2006 den Titel „Bischof des Jahres“. Sie gratulierte ihm ein Jahr später sogar artig zum 65. Geburtstag. „Einstige Symbolfigur der Linksprotestanten heute auch bei Evangelikalen geschätzt“, heißt es in dem Artikel, der den Kirchenmann besonders dafür rühmt, den „Schmusekurs gegenüber dem Islam“ beendet zu haben. Für ein vergiftetes Lob hielt die EKD das nicht: Sie publizierte das Ständchen auf ihrer Website.
„Jesus gibt Halt“
Dabei lassen die Evangelikalen im Allgemeinen und die Arche im Besonderen keinen Zweifel an ihrem Auftrag aufkommen. (Hier stand ein Zitat, das fälschlicherweise der Arche Hamburg zugeschrieben wurde. Wir bitten um Nachsicht – Red.) Zu diesem Behufe zieren Bibelsprüche wie „Jesus gibt Halt im Leben“ die Wände in Hellersdorf. Vor dem Essen wird gebetet, was Pressesprecher Wolfgang Büscher überhaupt nicht schlimm findet. „Wo ist da das Problem?“, antwortete er auf eine entsprechende Nachfrage. Einmal in der Woche gibt es dann die große Sause - den als „Kinderparty“ annoncierten Kindergottesdienst. Auch „geistlichen Ausdruckstanz“ können die Jung-Hellersdorfer lernen - bei der Tochter von Arche-Gründer Bernd Siggelkow. Zudem bringen Gesprächskreise den Kleinen die religiösen Texte näher, aber auf die sanfte Tour.
„Um diese für die Inhalte der Bibel empfänglich zu machen, muss man bei ihnen erst einen 'Kern' ansprechen, der durch tägliche Erlebnisse beziehungslos, kraftlos, kaputt gemacht oder gänzlich verschüttet wurde. Das Herz der Kinder und Jugendlichen muss mit viel Liebe 'repariert' werden. Ist dies erreicht, öffnen sich die Herzen und werden für Glaubensinhalte zugänglich“, so erläutert der Bochumer Soziologe Klaus M. Schmals in seiner Studie „Eine Arche für die armen Kinder von Hellersdorf“ die archaische PR-Strategie von Siggelkow.
Nach Schmals' Beobachtungen geht diese zwar noch nicht so ganz auf, aber: „Vereinzelt erfuhren wir, dass Glaube Werte und Orientierungswissen schuf und Kraft generierte. Wir erlebten - wie das Beispiel Cecil zeigt - dass Glaube auch eine 'Umkehr im Leben' bewirken kann“. Der aus einem atheistischen Ost-Haushalt stammende Junge hat in der Arche angeblich Stärke durch Glauben gewonnen und will später einmal sogar im Dienst der Kirche missionieren. Auch andere Kinder scheinen eine Überdosis Religion intus zu haben. Als die Taz-Reporterin Kathleen Fietz die Arche in Hellersdorf besuchte, beobachtete sie, wie ein Fotograf mit langen Haaren und Bart Erweckungserlebnisse auslöste. „Jesus ist auferstanden“, schreit ihm eine 15-Jährige entgegen und ein anderes Mädchen heftet sich mit den Worten „Jesus ist wiedergekommen“ an seine Fersen.
„Ein Rettungsanker in einer häufig aussichtslosen Situation“ - diese Rolle weist die Arche dem Gottessohn nach Auskunft der Webpage Christen im Beruf zu. Das bietet nicht gerade die beste Vorraussetzung dafür, Kinder mit türkischen Wurzeln oder andere Migrationshintergründler zu betreuen, die gerade in den „sozialen Brennpunkten“ oftmals in der Überzahl sind. In Hellersdorf sind sie das nicht, deshalb ist auch ihr Anteil unter den Besuchern des „Musterprojektes“ gering.
In Berlin-Mitte, am Wedding, in Potsdam, München und Hamburg aber stellen Migranten-Kinder in den Häusern die Mehrheit, wie Arche-Sprecher Wolfgang Büscher im Gespräch versichert. Und in Hamburg würden Kopftuchträgerinnen mit ihren Kindern sogar vor der Kirche Schlange stehen, wenn „Kinderparty“ bzw. Gottesdienst angesagt ist. Die Kinderarmutsstudie der Universität Bielefeld, die auf einer Ferienfreizeit von „Arche-Kindern“ entstanden ist, weist da niedrigere Zahlen aus. Von den 90 Hamburgern gaben 24,1 Prozent an, zu Hause neben Deutsch noch eine andere Sprache zu sprechen - genauer schlüsselt die Untersuchung die Herkunft der Teilnehmer leider nicht auf.
Schmals jedenfalls, der sich nur in Hellersdorf umgetan hat, sieht in puncto „Integrationspädagogik“ Handlungsbedarf. „Können sich die MitarbeiterInnen der Arche in gleicher Weise auch auf Kinder aus anderen Kulturkreisen einstellen?“ und „Wie begegnet man atheistisch geprägten Kindern?“ Auf diese Fragen hat die Arche seiner Meinung nach noch keine Antwort gefunden.
Keine Sozialarbeit
Der Soziologe charakterisiert das Konzept der Hilfseinrichtung in seiner 268-seitigen Studie als „sozial-diakonisch“ und grenzt es von der Sozialarbeit ab. Wenn der Soziologe die Arche-Sicht der Dinge umschreibt, hört sich das zunächst so an, als sei es ein Stück von linken Sozialpädagogik-Studenten: „Die Arche ist kein verlängerter Arm der gesetzes- und prozess-orientierten Sozialarbeit. Die akademisierte Sozialarbeit verfolgt ein paternalistisches, erziehendes und kontrollierendes - an Werten der Mittelschicht orientiertes - Integrationskonzept. Diese Sozialarbeit erweist sich als ein Herrschaftsinstrument.“ Da es aber ein Stück von Evangelikalen ist, machen einem diese Sätze eher Angst.
Eine berufliche Qualifizierung auf sozialem Gebiet hat Bernd Siggelkow dann auch nicht vorzuweisen. Er hat Kaufmann gelernt und genoss dann eine theologische Ausbildung bei der - selbstverständlich ebenfalls evangelikalen - Heilsarmee. Entsprechend hemdsärmelig kommt die ganze Arche-Pädagogik daher. „Die Betreuung der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen wird von den Mitarbeitern der Arche realitätsnah und bedürfnis-orientiert gestaltet“, schreibt Schmals. Also in etwa auf die Art, wie sie Laien gestalten würden. Entsprechend hoch ist deren Anteil am Personal. Ehrenämtler und Praktikanten machen rund ein Drittel der Belegschaft aus, und Angebote zur Weiterbildung oder zum Austausch über die Arbeit in Supervisionsgesprächen gibt es für sie so wenig wie für die ausgebildeten Kräfte. Aber sie haben ja alle den Glauben: „Unsere MitarbeiterInnen sind überzeugte Christen bzw. sie akzeptieren christliche Werte.“
Beschäftigte anderer Träger lehnen den Arche-Ansatz ab. Sie kritisieren etwa die Praxis, das Mittagessen umsonst auszugeben, weil sie nicht nur „realitätsnah und bedürfnis-orientiert“ die Not der Kinder in Augenschein nehmen, sondern perspektivisch arbeiten. Diese Sozialarbeiter wollen die Eltern einbinden und sie nicht ganz aus der Versorgungsverantwortung entlassen, um ihren Schutzbefohlenen die Armenspeisung irgendwann einmal wieder zu ersparen. Aber da blockt die Arche Schmals zufolge ab: „Uns geht es nicht darum, die Eltern zu erziehen.“
Keine Kooperation
Entsprechend schwierig entwickelt sich die Zusammenarbeit mit den anderen Einrichtungen. So nimmt die Arche nicht immer an Koordinierungsrunden teil, in denen die verschiedenen Akteure der Kinder- und Jugendhilfe eines Stadtteils zusammenkommen. Für die Evangelikalen ist das zu realitätsfern und bürokratisch. „Wir möchten die Not der Kinder lindern und nicht verwalten“, verkündigen sie und halten fest: „Wir sind nicht die Erfüllungsgehilfen der bezirklichen Sozialarbeit.“
In Hamburg hat sich der Verein ebenfalls nicht beliebt gemacht. Öffentlichkeitswirksam nach dem schlagzeilenträchtigen Hungertod der 7-jährigen Jessica nach Hamburg-Jenfeld gekommen, zogen sich die Bibeltreuen schon bald den Zorn der Sozialarbeiter vor Ort zu. „Sie sind in ein bestehendes Netzwerk in Jenfeld eingebrochen“, zürnte die Stadtteilkonferenz und beschuldigte die Archisten, alle bestehenden Einrichtungen „niedergemacht“ zu haben. Und den ganzen Stadtteil gleich mit. Je elender nämlich die Arche die Lage der Kinder und Jugendlichen im Quartier zeichnet, desto stattlicher fließen die Spenden. Das Projekt drücke dem Kiez das Stigma eines Problemviertels auf und instrumentalisiere ihn, lautet folglich der Vorwurf, wie er der Taz zufolge in ähnlicher Weise auch aus Hellersdorf zu hören ist. Dort operiere die Arche mit dem Klischee vom armen Plattenbau-Bezirk, um sich gütlich zu tun, kritisiert die „Jugendcontainer“-Sozialarbeiterin Janett Köber.
Und das Konzept der privatisierten, größtenteils spendenfinanzierten Wohlfahrtspflege geht auf. Das „christliche Kinder- und Jugendwerk“ expandiert immer weiter. Neben Berlin, wo es drei Häuser betreibt, gehören Potsdam, München, Hamburg und Düsseldorf zu den Standorten. Zudem will die Arche bald in Köln, Frankfurt, Memmingen und Leipzig anlanden. Rette sich, wer kann.
Anmerkung der Redaktion vom 18.11.2009: Zuerst wurde im Untertitel gesagt, die Arche gehöre einer Freikirche. Dagegen hat sich Arche-Sprecher Wolfgang Büscher verwahrt und erklärt: "Die Arche ist ein Verein, in dem so rund 25 Mitglieder sind, die allen christlichen Konfessionen angehören. Noch einmal und das ist belegbar: Die Arche ist ein christlicher Verein und keine Freikirche." Da wir bislang nicht definitiv klären konnten, in welchem Verhältnis die Arche zur Freikirche steht, haben wir den Untertitel korrigiert. – Die Red.).