Die Bertelsmann-GLS-Bank-Connection
Seite 5: "Umgekehrter Generationenvertrag"
Was dabei herauskommt, wenn eine Elite-Uni mit starkem Bertelsmann-Einfluss Studierende und Absolventen hervorbringt, zeigt ganz deutlich das Beispiel eines Artikels in der Mitglieder- und Kundenzeitschrift der GLS-Bank "Bankenspiegel" ("Wir denken Bildungsfinanzierung solidarisch"). Es handelt sich um ein Interview mit zwei ehemaligen Studenten der Universität, die eine Ausgründung im Gründerzentrum der Uni Witten-Herdecke gestartet haben - und einem GLS-Bank-Mitarbeiter, der das Ganze betreut hat:
[...] Willkommen bei 'Chancen eG'. Die Vorstände Florian Kollewijn und Olaf Lampson planen gerade gemeinsam mit Karsten Kührlings von der GLS Bank die Ansprache weiterer Investoren; sie sollen gewonnen werden für den "UGV", den "Umgekehrten Generationenvertrag". [...]
FLORIAN KOLLEWIJN: Der Umgekehrte Generationenvertrag ist ein Akt der Solidarität. Er entstand in den Neunzigerjahren, als die Uni hier Studienbeiträge einführte. Die Studierenden gründeten eine Gesellschaft mit dem Ziel: erst studieren, später zahlen. Die Geförderten zahlen nach ihrem Studium einen Anteil ihres Einkommens wieder zurück. Es gibt keine fixe Schuldenlast: Wer viel verdient, zahlt mehr, wer weniger verdient, zahlt weniger zurück." [...]
Bankenspiegel
Schon gleich der Name des Startups "Chancen eG" transportiert im Lichte des Geschäftszwecks das neoliberale Mantra der Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen in einer Gesellschaft, in der jeder für sich kämpft. Hier klingt die Melodie US-amerikanischer Aufstiegsrhetorik mit. Dann folgen wichtig klingende, aber hohle Worte - wie eben "Umgekehrter Generationenvertrag".
Zumindest Teile einer stromlinienförmigen Generation von Absolventen tun hier offenbar genau das, was von ihr verlangt wird. Sie hat sich aus der Uni ausgegründet. Man versteht sich als Sozialunternehmer, ohne einen Widerspruch zu dem zu bemerken, was man da eigentlich betreibt.
Massive Zusatzbelastung
Mag sein, wer später im Beruf etwas weniger verdient, zahlt am Ende mit diesem Modell etwas weniger zurück, aber dennoch natürlich sehr viel mehr, als wenn man an einer staatlichen Universität studiert hat. Zu den Studiengebühren kommen ja dann auch noch Lebenshaltungskosten für deren Deckung viele Studierende ohnehin schon Bafög beziehen und sich verschulden müssen (wenngleich dort nur die Hälfte der Leistungen zurückgezahlt werden müssen).
Die Studiengebühren sind also eine massive Zusatzbelastung, ob sie nun direkt oder nach dem Studium gezahlt werden müssen, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Fakt ist, dass die Kosten für das Studium, das eigentlich allen Menschen in der Gesellschaft unentgeltlich zustehen sollte, hier privat finanziert werden müssen.
KARSTEN KÜHRLINGS: Zusammen mit der GLS Treuhand haben wir diese Schritte von Anfang an mit begleitet und bis 2014 die Beiträge durch Darlehen vorfinanziert. [...] Wir haben die Studierenden dann 2014 bei der Platzierung einer Unternehmensanleihe — der "StudierendenAnleihe" — begleitet. Das Geld war übrigens sehr schnell zusammen. Bei den vielen Gesprächen in Bochum und in Witten kam uns dann die Idee: Das macht bundesweit Sinn.
Warum?
OLAF LAMPSON: Studiengebühren gibt es auch bei anderen privaten Hochschulen. Damit das Studium dort nicht vom finanziellen Hintergrund abhängt, braucht es sozialverträgliche und chancengerechte Finanzierungen. Darüber hinaus stellt die Finanzierung der Lebenshaltungskosten während des Studiums für viele Abiturienten ein Hindernis dar. Auch dafür wollen wir Lösungen anbieten. Insgesamt bauen wir finanzielle Bildungshürden ab. Außerdem werden die Schuldenbremse und der demografische Wandel dafür sorgen, dass Bildung neu finanziert werden muss — da könnten Beiträge auch bei staatlichen Hochschulen wieder ein Thema werden. Wichtig sind dann solidarische Lösungen. [...]
Bankenspiegel
Das Projekt wurde also von der GLS Treuhand "von Anfang an mit begleitet" und vorfinanziert. Die GLS-Bank hat die Unterstützung der Studiengebühren damit bewusst gefördert und es ist unwahrscheinlich, dass man sich bei der Bank der politischen Implikationen nicht bewusst ist.
Man übernimmt gezielt einzelne Wortfragmente linker Protest- und Alternativbewegungen - im vollen Bewusstsein, das man sie gegen die Ziele derjenigen verwendet, die soziale Kämpfe ausfechten - etwa gegen Studiengebühren. Auch nachgelagerte Studiengebühren sind Studiengebühren und eine Genossenschaft mit einem solchen Geschäftsmodell ist nicht sozial und erst recht nicht solidarisch.
Der demographische Wandel als Argument
Es folgt ein Standard-Argument wie aus der Fibel neoliberaler Rhetorik: Der demographische Wandel zwinge die Gesellschaft, den Gürtel enger zu schnallen. Mit derartigen Argumentationsketten wurden schon andere neoliberale Hervorbringungen wie Hartz IV durchgesetzt.
Mit dem Argument ignoriert Lampson aber die fortwährenden Produktivitätssteigerungen unserer Gesellschaft, die den demographischen Wandel mehr als ausgleichen. Das Problem ist ja nicht, dass die Steuereinnahmen sinken würden, sie steigen weiterhin. Das Problem ist, dass der größte Teil des erwirtschafteten Wohlstands in den Taschen einiger weniger Milliardäre und Millionäre verschwindet.
Der Startup-Mensch argumentiert hier entweder, ohne das Gesamtsystem auch nur ansatzweise verstanden zu haben, oder er argumentiert ganz bewusst in bewährter Bertelsmann-Manier und dehnt die Begrifflichkeiten so, wie das für den eigenen Konzern bzw. in diesem Fall für die Geschäftsinteressen der Chancen eG nützlich sind.
Warum gehen die Studenten nicht an staatliche Unis?
KOLLEWIJN: Eine berechtigte Frage, auf die es gute Antworten gibt: Zum einen decken die über 160 privaten Hochschulen einige Nischen ab [...] Oder sie bieten Studienplätze an, von denen es an staatlichen Hochschulen schlicht nicht genug gibt, zum Beispiel in der Humanmedizin und der Psychologie — weil der Zugang zu diesen Fächern durch einen hohen Numerus clausus beschränkt ist. [...]. Ich will nicht wissen, wie vielen möglichen fähigen Ärzten jedes Jahr der Berufsweg verbaut wird. Und dies zum Schaden der Gesellschaft.
KÜHRLINGS: Übrigens zeigen Studien, dass nichtstaatliche Hochschulen eine Innovationskraft und Dynamik aufweisen, von der sich viele staatliche Hochschulen inspirieren lassen, sie werden flexibler und studentenbezogener.
Bankenspiegel
Dass private Hochschulen Nischen abdecken würden bleibt eine Behauptung. In jedem Studiengang bestehen ja viele Spezialisierungsmöglichkeiten. Im recht allgemein klingenden Studienfach Geographie etwa kann man sich auf Migration oder Globalisierung, regionale Wirtschaftsförderung oder auf Desertifikation und viele andere Themen spezialisieren.
Die privaten Universitäten nutzen aber offenbar PR-Strategien, um mit aktuellen Schlagworten gespickte Studiengänge zu promoten. Hauptfächer heißen dann auf einmal "Major" und Nebenfächer "Minor". Ist das die Innovation, auf die die Bundesrepublik gewartet hat? Oder die Studiengänge legen eine Zwangsspezialisierung im Vorwege fest und nutzen kreative Spielräume im Wording. Sie heißen dann aufgejazzt:
- Uni W-H: "Doing Culture. Bildung und Reflexion kultureller Prozesse" (also Kulturwissenschaften)
- Uni W-H: "Multiprofessionelle Versorgung von Menschen mit Demenz und chronischen Einschränkungen" (also Medizin)
- Leuphana-Universität: "Environmental and Sustainability Studies" (also Umweltwissenschaften)
- Leuphana-Universität: International Business Administration & Entrepreneurship (also BWL)
Dass weniger Ärzte ausgebildet werden, wenn es keine privaten Hochschulen gibt, mag sein. Aber das ist auch nicht die Frage. In einer Gesellschaft, in der man sich einig ist, dass Bildung unentgeltlich sein muss, müssen eben über Steuergelder entsprechend ausreichend Studienplätze bereitgestellt werden. Dafür bedarf es keiner privaten Universitäten.
Interessant wäre zu wissen, was Kühlrings von der GLS-Bank mit seiner Aussage nach der höheren "Innovationskraft und Dynamik" privater Hochschulen gegenüber staatlichen Universitäten meint. Vermutlich eben die Geschwindigkeit des Umbaus und der Entkernung der "alten" Universität, die primär der Wissenschaft und Erkenntnis und nicht der Wirtschaft und der Verwertung verpflichtet ist.
Sollte Bildung nicht kostenlos für alle sein?
LAMPSON: Bildung ist nicht kostenlos. Die große Frage ist, wer es bezahlt. Zum Beispiel finanzieren der Maurermeister und die Krankenschwester über ihre Steuern die Hochschulbildung — obwohl sie ihre Ausbildung und Meisterprüfung teils privat bezahlen mussten. Wir wollen Solidarität bewusst machen. [...]
Bankenspiegel
Wirklich solidarisch ist eine Finanzierung des Studiums über das Steuersystem, denn die progressiven Steuersätze in diesem Land sorgen ja schon dafür, dass die Reicheren mehr Steuern zahlen, als die Ärmeren. Bildung ist einer der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben, wenn nicht sogar die wichtigste.
Wenn überhaupt Steuergelder ausgegeben werden sollen, dann doch bitte als aller erstes für die Bildung - vom Kindergarten bis zur Uni und zwar für so viele Menschen wie möglich! Unsolidarisch ist es, mittellose Menschen in die Verschuldung zu zwingen.