Die Bertelsmann-GLS-Bank-Connection

Seite 2: Das humanistische Bildungsideal zweckentfremdet

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Die Selbstdarstellungstexte auf der Internetseite der Hochschule lesen sich in etwa so: "Wir sind der Universitätsidee Humboldts verpflichtet und denken sie gleichzeitig neu." Oder: "In der Fortführung des Humboldtschen Bildungsideals verstehen wir uns als eine unternehmerische Universität."

Die missbräuchliche Verwendung Wilhelm von Humboldts Namen ist bei neoliberalen Organisationen Standardprogramm, wie auch an der Leuphana Universität in Lüneburg. Das humanistische Bildungsideal wird auch hier zweckentfremdet, worauf ich bereits 2015 hingewiesen habe.

Was eine "Fortführung" sein soll, bleibt ein wenig schleierhaft. Da könnte man polemisch auch sagen: "Wir sehen den Drohnenkrieg in Pakistan und Afghanistan als Fortführung des Lebenswerkes Mahatma Gandhis." Die Verwendung des Begriffs des humanistischen Bildungsideals ist offenbar kühl kalkulierte PR-Strategie, denn man beruft sich auf Wilhelm von Humboldt, den heute beliebten Bildungsreformer im Preußen des 19. Jahrhunderts.

Dieser würde sich im Grab umdrehen, wüsste er von dieser nachträglichen "Ehrung" einer neoliberalen Kaderschmiede zur Ökonomisierung der Bildung. Es handelt sich ganz klar um eine Umdeutung des humboldtschen/humanistischen Bildungsideals, denn Humboldt selber betonte, der gesellschaftliche Ansatz, primär "Wohlstand und Ruhe" schaffen zu wollen, sei letztendlich inhuman. Er warf den Vertretern dieses Bildungsverständnisses vor, dass man "aus Menschen Maschinen machen will".

Und etwas anderes ist es auch nicht, wenn Bildung von privaten Universitäten zu einer handelbaren Ware wird, mit einem Preisschild auf jedem einzelnen Studiengang, je nach ökonomischer Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt und entsprechend der Ideologie des Humankapitals, wie sie von der Universität Witten-Herdecke zelebriert wird.

Humboldt kritisierte zudem, die "Freiheitsbeschränkungen", die entstünden, wenn es eher darum ginge, "was der Mensch besitzt, als auf das, was er ist". Es sei wünschenswert, dass "jeder einzelne der ungebundensten Freiheit genießt, sich aus sich selbst in seiner Eigentümlichkeit zu entwickeln", und zwar "jeder einzelne nach dem Maße seines Bedürfnisses und seiner Neigung". Und das ist nicht möglich, wenn Studierende für jeden einzelnen Studientag einen Haufen Geld auf den Tisch legen müssen.

Die Ökonomisierung des Studiums

Denn die Ökonomisierung des Studiums führt zwangsläufig dazu, dass sich Studierende ganz genau ausrechnen (müssen), mit welchen Studiengängen sie Profit machen und mit welchen eher nicht. Die Rhetorik von der freien Entfaltung der Persönlichkeit ("Ort des kritisch-wachen Beobachtens [...] aufgeklärten Analysierens [...] Entwicklungsraum für Veränderung") ist insofern unglaubwürdig, da die private Finanzierung des Studiums gegenteilige Lenkungseffekte hat.

Humboldt hin oder her. Es geht der Uni Witten-Herdecke ums Geschäft und darum, neoliberale Ideologie weiter zu verbreiten. Man formuliert daher widersprüchlich und in professionellster PR-Manier, weil man um die Deutungshoheit des sozialen Begriffes in Deutschland weiß.

Man tut dies etwa auch durch die gleichzeitige Nennung des Sozialen und des Wirtschaftlichen in einem Atemzug ("gemeinnützig und unternehmerisch") oder durch das Nebeneinanderstellen von "#dieweltverändern" und "#unternehmergeist". Zugleich lässt man aber schon ehrlicher die Katze aus dem Sack, wenn man schreibt:

Ein wichtiges Ziel der Uni Witten/Herdecke ist die Förderung unternehmerischer Persönlichkeiten. [...] Wittener Studierende gestalten von Anfang an ihr Studium unternehmerisch."

Aus der Selbstdarstellung, Uni Witten-Herdecke

Angeblich will man die Studierenden "zur Freiheit ermutigen" und damit sie "nach Wahrheit streben" und "soziale Verantwortung fördern". Dann kommen aber wieder seltsam neoliberal anmutende Formulierungen wie: "Die eigene, persönliche Wirksamkeit (Selbstführung)" in bester Optimierungsrhetorik. Und dann wird wieder die Möglichkeit hervorgehoben, "sich in über 60 bestehenden studentischen Initiativen zu engagieren". Oder aber in einem "Gründungszentrum für Start-ups" gefördert zu werden.

Die Initiativen scheinen dabei von oben vorgegeben zu sein. Von wegen also "Freiheit": Und unter den Gelisteten finden sich wenig verwunderlich überhaupt keine gegen die Ökonomisierung der Bildung, gegen die Einflussnahme von Privatunternehmen auf die Universitäten und das Bildungssystem, gegen Bertelsmann oder andere Wirtschaftslobbys, wie das an großstädtischen, staatlichen Universitäten in Deutschland vielfach der Fall ist.

Das höchste der Gefühle studentischer Widerstandspotentiale an der Uni Witten-Herdecke gegen das bestehende Bertelsmann-System lautet da "Debating society".