Die Bundeswehr soll wegen der Auslandseinsätze größer werden

Bild: Ajepbah/CC-BY-SA-3.0

Aber die Personalstärke schrumpft, nun werden Frauen immer interessanter - und die überkommenen Fitnesskriterien sollen fallen

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Militärisch könnten schwierige Zeiten kommen. Nicht, weil die Konflikte zunehmen, sondern weil die Streitkräfte immer weniger Rekruten finden, die bereit sind, für ein Land zu kämpfen und ihr Leben zu opfern. Manche werden das als Zeichen der postheroischen Zeit sehen, aber es geht vermutlich auch schlicht um die wachsende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und überkommene Rekrutierungsanforderungen körperliche Fitness.

Selbst Staaten, die kein Berufsheer haben, haben es zunehmend schwer, weil die jungen Menschen körperlich zunehmend nicht den verlangten Fitnesskriterien von traditionellen Soldaten entsprechen. Aber nicht nur die körperliche Fitness ist ein Problem, sondern die wachsende Unlust der jungen Menschen, sich bei oft angesichts der Risiken mäßiger Bezahlung in ein überkommenes hierarchisches System einfügen zu wollen, in dem verordnete Disziplin alles ist. Und wenn dann noch die Wahrscheinlichkeit dazukommt, auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt zu werden, kann das zwar einige motivieren, aber eben auch abhalten, den Dienst an der Waffe ausüben zu wollen.

Für die Bundeswehr, die von der Bundesregierung und dem Parlament in immer mehr Auslandseinsätze geschickt wird, um "Verantwortung" zu übernehmen und Deutschland am Hindukusch, in Syrien oder in Mali und vielleicht demnächst in Libyen, wie von der Leyen immer wieder andeutet, zu verteidigen, stellt sich das Problem bereits jetzt. Auch mit schicken Slogan "Mach, was wirklich zählt", was unterstellt, dass letztlich militärische Gewalt(androhung) das Entscheidende ist, ging die Zahl der Rekruten für den freiwilligen Wehrdienst (max. 23 Monate) 2015 um 1200 gegenüber 2014 auf 9024 zurück, so das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) unter Berufung auf ein Schreiben des Bundesverteidigungsministeriums vom 20. November 2015 an den Wehrbeauftragten der Bundesregierung, Hans-Peter Bartels.

Während der Probezeit, also während der ersten sechs Monate, verließen die Bundeswehr 1918 junge Menschen, also ein Fünftel. Bartels sieht die Abbrecherquote vorwiegend durch Unterforderung bedingt. Am Ende des ersten Vierteljahres lag der Anteil der Frauen bei 19 Prozent. Offenbar wollen anteilsmäßig viele Abiturienten den freiwilligen Wehrdienst in einer Orientierungs- oder Übergangsphase nutzen. 48 Prozent haben Abitur, 29 Prozent einen Realschulabschluss. Wegen des Geldes dürfte kaum jemand den Wehrdienst bei einem Sold von 860 Euro im 3.-6. Monat und von 1.206 Euro im 19.-23. Monat.

Mit dem Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz hat Ministerin von der Leyen bereits versucht, durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Einführung einer Wochenarbeitszeit, Erhöhung des Solds und andere Regelungen die Bundeswehr als Arbeitgeber interessanter zu machen. Das scheint auch dringend notwendig zu sein, allein von November 2015 auf Dezember 2015 ist die Zahl der Soldaten von 178.198 auf 177.069 (168.277 Berufs- und Zeitsoldaten und 8.792 Freiwillig Wehrdienstleistende) gesunken, wie Thomas Wiegold auf seinem Blog berichtet. Im Januar 2015 waren es 181.755, im Januar 2013 sogar noch 191.838 aktive Soldaten. Die Sollstärke war allerdings im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr im Jahr 2012 auf 185.000 veranschlagt worden. Derzeit sind 2.750 Bundeswehrsoldaten im Ausland eingesetzt.

Ein Problem für die Rekrutierung neuer Soldaten dürfte die körperliche Fitness sein, die mit dem Basis-Fitness-Test (BFT) oder einfach Sporttest überprüft wird:

Der BFT beginnt mit einem Sprinttest über eine Gesamtstrecke von 110 Metern. Dabei geht es freilich nicht einfach nur geradeaus: Gestartet wird in Bauchlage von einer Turnmatte aus, danach spurten die Bewerber auf einem festgelegten Wegverlauf mehrere Male um die aufgestellten Hütchen herum. Wer hier gut abschneiden will, braucht vor allem Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit.

Als zweiter Programmpunkt folgt der Klimmhang, bei dem die reine Kraft - genauer gesagt: die Kraftausdauer - im Mittelpunkt steht. Die Arme gebeugt, umfasst man dabei eine Reckstange auf eine bestimmte Art und Weise und hält die eingenommene Position möglichst lange. Abgerundet wird der BFT durch die obligatorische Ausdauerprüfung, veranstaltet in Form eines 3.000-Meter-Belastungstests auf dem Fahrrad-Ergometer.

Wer höher hinaus will, beispielsweise einen Job als Offizier anstrebt, muss noch ein wenig mehr bieten und "Physikal Fitnesstest" (PFT) mit Pendellauf, Sit Ups, Standweitsprung, Liegestützen und Ergometertest bestehen. Von der Leyen hatte schon 2014 gegenüber der Rheinischen Post laut darüber nachgedacht, die Fintness-Maßgaben für die Einstellung zu senken: "Es stellt sich die Frage, ob jeder einzelne Soldat und jede einzelne Soldatin, gleich welche Aufgabe sie im Riesenkonzern Bundeswehr ausfüllt, tatsächlich einen langen Marsch mit schwerem Gepäck bewältigen können muss. Da müssen wir eher danach gehen, was eigentlich eine moderne, hochtechnisierte Armee braucht." Tatsächlich braucht ein Cyberwar-Soldat nicht im Gelände herumrobben.

Um die angestrebte Personalstärke zu erreichen, wurde schon einmal beschlossen die Zahl der Berufssoldaten um 5000 zu erhöhen. Es kommt immer auch mal der Ruf auf, doch wieder den Wehrdienst einzuführen. Überlegt wird auch, nicht nur Deutsche zu rekrutieren, sondern EU-weit Soldaten für die Bundeswehr anzuwerben: "Eine der untersuchten und grundsätzlich denkbaren Optionen ist, neben anderen, die einfachgesetzliche Änderung der rechtlichen Einstellungshindernisse für Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Staaten", sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums im November 205 gegenüber Pivot Area. Man müsste im Soldatengesetz nur die Formulierung bisherige Regelung "Deutscher im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes" durch "Unionsbürger im Sinne des Artikels 9 des EU-Vertrages" ersetzen, um dann in die Konkurrenz um Rekruten mit allen anderen Verteidigungsministerien einzutreten.

Nach einer Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr im letzten Herbst, die ersten Ergebnisse wurden im November 2015 veröffentlicht, haben 47 Prozent eine positive und 33 Prozent eine eher positive Einstellung zur Bundeswehr, die Menschen mit einer negativen Einstellung bilden also eine Minderheit von einem Fünftel. Dementsprechend sollen 51 Prozent der Meinung sein, dass die Verteidigungsausgaben erhöht werden sollen, ein Rekordwert seit 2000, als dies nur 20 Prozent sagten. Kurzfristig ging die Zustimmung nach 9/11 auf 40 Prozent hoch, um dann wieder abzufallen. 2014 wollten dann bereits wieder 32 Prozent eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Offenbar haben der Ukraine-Konflikt und der Krieg gegen den IS die Haltung beeinflusst.

Bundeskanzlerin Merkel hat vor wenigen Tagen dafür plädiert, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Der Druck wächst, so hatte Ex-Generalinspekteur Harald Kujat schon Ende Dezember wegen der zunehmenden Auslandseinsätze erklärt: "190.000 Soldaten sind das Minimum, 200.000 das Optimum." Der Vorsitzenden des Bundeswehrverbands, André Wüstner, forderte 5-10.000 Soldaten mehr und den Ausstieg aus der Flüchtlingshilfe: "Wir sind absolut im roten Bereich." Er ist trotz der nicht erreichten Personal-Sollstärke der Meinung, dass "im Bereich der Mannschaftsdienstgrade" sofort eingestellt werden könnte: "Da ist die Bewerberquote enorm." Eine YouGov-Umfrage lässt die Bereitschaft der Menschen zur Personalaufstockung ebenfalls erkennen, 56 Prozent sprachen sich dafür aus, gefragt wurde allerdings nicht, ob sie bereit wären, dafür Steuererhöhungen in Kauf zu nehmen, oder selbst zur Bundeswehr gehen wollen (Bundeswehr: Mehr Etat, mehr Soldaten?). Vor allem im IT-Bereich fehlen der Bundeswehr, also bei der vernetzten Kriegsführung oder für den Cyberwar, die notwendigen Fachkräfte, wie das auch in anderen Armeen der Fall ist.

Mehr Soldaten braucht auch das Pentagon

In seiner Antrittsrede im März 2015 hatte US-Verteidigungsminister Carter eigentlich nur über die Menschen in den Streitkräften und die Notwendigkeit gesprochen, dass sie die "Zukunft der nationalen Sicherheit" seien. Er pries die US-Streitkräfte als guter Arbeitgeber an, der Job sei aufregend, man komme voran, schließe Freundschaften, könne ein Familienleben führen, reise um die Welt und hantiere mit der besten und neuesten Technik.

Aber man müsse jedes Jahr 250.000 neue Menschen einstellen, um den Personalstand zu halten, was eben deswegen auch schwieriger werde, weil von den 21 Millionen 17-21-jährigen US-Amerikanern nur die Hälfte überhaupt noch imstande seien, die Aufnahmeprüfungen zu bestehen. Wenn man dazu noch die körperliche Fitness und die erforderlichen Charaktereigenschaften nehme, schrumpfe der Anteil auf gerade einmal ein Drittel. Ein Problem ist auch, wenn die Wirtschaft wächst und es mehr zivile Jobs gibt, weil es dann für das Militär schwieriger werde, "die Besten und Klügsten" anwerben zu können.

Und am schwierigsten sei es, Menschen für Aufgaben zu finden, die am meisten Ausbildung voraussetzen, beispielsweise Spezialisten für Cybersicherheit. Da müsse man noch viel "kreativer" werden, weil man in Zukunft immer mehr von diesen Spezialisten benötige, die man aber mit dem Lohn nicht locken kann, die körperlich nicht fit sind und zu individualistisch, um sich der traditionellen Disziplin des Heeres zu unterwerfen.

Ein Mittel, das viele Armeen gefunden haben, um fehlendes Personal aufzustocken, ist die Rekrutierung von Frauen. So erklärte Carter gegenüber Kritikern Anfang Dezember 2015, dass alle Posten im US-Militär ab nun Frauen offenstehen. Streitkräfte des 21. Jahrhunderts müssten möglichst alle Talente anwerben, was Frauen einschließe, man könne nicht die Hälfte der Bevölkerung ausschließen, auch nicht für den Dienst in Spezialeinheiten, was noch von 85 Prozent der Männer in den US-Spezialeinheiten abgelehnt wird. Das ist auch eine Art der Emanzipation von oben.

Militär braucht Nerds

Deutlicher sprach das Thema der finnische Verteidigungsminister Niinistö an. Nach ihm sollte es allen jungen Männern mit entsprechender Ausbildung möglich sein, Wehrdienst zu leisten. Dabei spricht er den Punkt an, der auch Carter und von der Leyen umtreibt, nämlich die fehlende Fitness von vielen Bewerbern.

Es müssten ja nicht alle im Feld dienen, wer keine so gute körperliche Fitness besitzt, könnte mit seinen Computererkenntnissen oder mit anderen Fähigkeiten mitwirken. Das Problem ist vermutlich hausgemacht, die alten Haudegen sind weiterhin der Überzeugung, dass körperliche Fitness, eine bestimmte Größe oder ein bestimmtes Gewicht wichtig seien, obgleich der im Fronteinsatz befindlichen Soldaten immer geringer wird und die Notwendigkeit von technischen Experten in allen Bereichen immer stärker wird. Gerade in Zeiten, in denen das Militär selbst den Übergang zu fernsteuerbaren und autonomen Kampfsystemen forciert, ist die körperliche Fitness für das Gros einer Armee vernachlässigenswert, ein nostalgischer Wert.

Viele Menschen haben andere Fähigkeiten, die von der Armee benutzt werden können", so Niinistö. "Beispielsweise im IT-Bereich wären so genannte Computer-Nerds wichtig für das Militär." Dabei gibt es in Finnland noch die Wehrpflicht und werden 70 Prozent derjenigen eingezogen, die eine Abschlussklasse besucht haben. In den 1980er Jahren waren es allerdings noch 80 Prozent. Der Rückgang müsse gestoppt werden.