Die Bush-Regierung und al-Qaida

Hat der amerikanische Krieg gegen den Terrorismus versagt oder diesen gar gefördert?

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Wahrscheinlich zeigten die vier Selbstmordanschläge in Riad die Handschrift von al-Qaida, wie US-Außenminister Powell versicherte. Doch neben der Frage, wer diese koordinierte Anschlagswelle in der autoritären Monarchie hat durchführen können, geht es vor allem darum, wie dieses Ereignis interpretiert, in welchen Kontext es gestellt wird. Die US-Regierung, die gerade noch beteuert hat, al-Qaida auch durch den Irak-Krieg schwer getroffen und weltweit für mehr Sicherheit gesorgt zu haben, sieht trotzdem ihre Politik bestätigt.

Noch vor wenigen Tagen sonnte sich die US-Regierung, allen voran Präsident Bush, nach dem Sieg über den Irak zumindest öffentlich in Wohlgefallen. Zwar herrscht im Irak Chaos und ist die politische Zukunft des Landes ungewiss, zwar hat man noch immer keine Massenvernichtungswaffen gefunden und keine direkte Verbindung zwischen dem Hussein-Regime und Bin Ladin nachgewiesen, aber der Irak sei von einer schrecklichen Diktatur befreit worden. Damit kehre Stabilität in die Region ein und sei eine wichtige Quelle des Terrorismus trocken gelegt worden, während man im Krieg gegen den Terrorismus al-Qaida weitgehend lahm gelegt habe. Man werde den Krieg gegen den Terrorismus gewinnen, der Höhepunkt des Kriegs sei bereits überschritten, die Welt und vor allem die USA sicherer geworden.

"America is a strong and confident nation. And those qualities are seeing us through some challenging times. For nearly 20 months we have waged a relentless campaign against global terror. For 20 months, we have done what the American people expect, and that is to hunt down the killers, one at time, so that America is more secure. We are winning the war on terror. And as a part of the war against terror, we removed Saddam Hussein from power in Iraq. Thanks to the skill and courage of our military and other coalition forces, America is more secure, the world is more peaceful, and the Iraqi people are now free." - US-Präsident Bush am 6. Mai

Tatsächlich ist nach dem jährlich vom US-Außenministerium veröffentlichten Terrorismus-Bericht bislang trotz des Anschlags vom 11.9. ein Rückgang der Anschläge zu konstatieren, die aber schon vor dem "Krieg gegen den Terrorismus" der Bush-Regierung eingesetzt hat. Außenminister Powell betonte bei der Vorstellung des Berichts zu Beginn des Monats, dass man sehr erfolgreich gewesen sei. Tausende von Terroristen seien verhaftet oder getötet worden: "Terroristenzellen wurden zerstört, Netzwerke gestört und Anschlagspläne vereitelt." Wer von den al-Qaida-Terroristen noch frei sei, für den sei es sehr viel schwieriger geworden, sich verstecken zu können. Erstaunlicherweise sind auch anlässlich des Irak-Krieges keine Terroranschläge von al-Qaida-Mitglieder ausgeführt worden. Auch das schien dafür zu sprechen, dass das Terrornetzwerk empfindlich getroffen worden ist.

Die Anschläge richteten sich gegen die Ausländer und gegen das saudische Regime

Es gab offenbar schon des längeren Warnungen vor neuen Terroranschlägen. Im März kam man durch eine Explosion, bei dem ein Mann getötet wurde, auf die Spur einer Terrorzelle. Letzte Woche wurden große Mengen an Waffen gefunden, als man die Terroristengruppe ausheben wollte. Doch die Terroristen konnten beim folgenden Schusswechsel entkommen. Die Polizei veröffentlichte anschließen deren Fotos, rief die Bevölkerung zur Mitarbeit auf und setzte eine Belohnung für Hinweise aus, die zur ihrer Ergreifung führen können. Saudische Geistliche hingegen, was die Stimmung im Land illustriert, forderten die Saudis im Gegensatz dazu auf, nicht mit den Behören zusammen zu arbeiten und die "Mudschaheddins" nicht gegen Geld zu verraten..

Nach der arabischen Zeitung Al-Majallah habe letzte Woche ein angeblich neu ernannter al-Qaida-Sprecher namens Thabet ibn Qais in einer Email einen Anschlag gegen die Amerikaner angekündigt. Nur der 3 der 19 untergetauchten Terroristen seien mit al-Qaida verbunden, die übrigen hätten aber in Afghanistan gekämpft.

Die Gruppe habe ihre Führungsmannschaft ausgetauscht und diejenigen inaktiviert, die für die Anschläge vom 11.9. verantwortlich gewesen sind. Die künftigen Missionen, die in der gesamten Golfregion gegen Kriegsschiffe, Militärstützpunkte und Flughäfen gerichtet werden, seien einer neuen Gruppe übergeben worden, die gegen die Überwachung durch US-Geheimdienste gut geschützt seien. Man bereite sich auf intensive Schläge gegen die "Kreuzfahrer" vor und werde den Irak befreien. Die Kämpfer und die Waffen seien bereits vor Ort. Er kündigte auch einen "Beweis", der bald erfolgen soll. Dabei könnte es sich um die Anschläge vom Montag handeln.

Dass der wohl logistisch aufwändig vorbereitete Anschlag ausgerechnet in der gut gesicherten saudischen Hauptstadt "erfolgreich" ausgeführt werden konnte, mag auf al-Qaida hinweisen. Möglicherweise hatten die Attentäter den Zeitpunkt zwischen dem Ende des Irak-Kriegs, dem Nahost-Plan, dem angekündigten Abzug des US-Militärs und dem Besuch Powells bewusst gewählt. Durch das lange "Schweigen" von al-Qaida über den Irak-Krieg hinaus setzte man vielleicht auf eine nachlassende Aufmerksamkeit, während man gleichzeitig wegen des Endes des Kriegs auf eine erhöhte Medienaufmerksamkeit für den raffiniert vorbereiteten Anschlag und damit als Demonstration für die Stärke der Terrorgruppe zählen konnte.

Auch wenn wie üblich für al-Qaida zugeschriebene Anschläge keine Begründungen mitgeliefert werden und die dafür verantwortliche Organisation sich nicht ausdrücklich dazu bekennt, so scheint die Zielrichtung klar zu sein: die Anschläge zielten auf Ausländer und waren wohl vermutlich vor allem gegen die Amerikaner gerichtet, mit dem Anschlag auf das Gebäude von Vinnell Corp., bei dem die sieben Amerikaner getötet wurden, wird aber auch die saudische Regierung mit gemeint sein. Hier werden Mitglieder der saudischen Nationalgarde militärisch von amerikanischen Ausbildern geschult.

Eigentlich hätte man annehmen sollen, dass der von der US-Regierung angekündigte Abzug der Truppen und die brüchiger gewordenen Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien als Sieg für bin Ladin und seine Anhänger sein könnte. Der Anschlag könnte nun gerade wieder zu einem erneuten Zusammenrücken und zu einer stärkeren Zusammenarbeit der beiden Regierungen gegen die Terroristen führen. Diese Folge aber kann durchaus erwünscht sein, weil der Kampf gegen die Monarchie und gegen die USA als Stellvertreter der westlichen Welt geführt wird. Allerdings könnte es auch sein, dass der Anschlag bei der saudischen Bevölkerung zur Abkehr von der bislang weitverbreiteten klammheimlichen oder offenen Sympathie mit den Terroristen führt. Sollte allerdings die saudische Regierung nun schärfer gegen die Terroristen vorgehen, so dürfte es auch mit den zögerlich begonnenen Liberalisierungen vorerst wieder vorbei sein.

Der Krieg gegen Afghanistan könnte das Terrornetzwerk noch gefährlicher gemacht haben

Bekannt ist, dass Bin Ladin erst nach Desert Storm zum Kampf gegen die Amerikaner aufgerufen hat, als diese mit der Erlaubnis des Königs militärische Stützpunkte in dem Land einrichteten, in dem sich zwei der wichtigsten muslimischen Heiligtümer befinden. Zumindest forderte er den Abzug der Amerikaner aus allen muslimischen Ländern, wollte aber auch die korrupten Regime wie das in Saudi-Arabien stürzen, um so etwas wie einen panarabischen Gottesstaat aufzubauen.

Seitdem verbindet sich mit Bin Ladin ein diffuser, dafür aber wohl desto attraktiverer Befreiungskampf, der die Ungläubigen und deren Kultur aus muslimischen Ländern vertreiben und die mit den Amerikanern kooperierenden Regime stürzen will. Zwar mag Saudi-Arabien einige Bedeutung zukommen, schließlich stammt Bin Ladin aus diesem Land und kamen auch die Mehrzahl der Attentäter vom 11.9. daher, aber der Kampf kann in allen Teilen der von Muslimen bewohnten Welt stattfinden und sich mit vielen regionalen Konflikten (Kaschmir, Tschetschenien, Palästina, Philippinen etc.) verbinden, was den Terroristen eine große Beweglichkeit ermöglicht

Die Zerschlagung des Taliban-Regimes und damit die geografische Konzentration sowie der Tod bzw. die Gefangennahme einiger führender Mitglieder haben vermutlich die weltweite Vernetzung und Zerstreuung noch gefördert. Weil die USA auch hinter Israel stehen, ist mit dem Befreiungskampf der Nahost-Konflikt unzertrennlich verknüpft. So wird der muslimische Terrorismus von vielen Motiven und Konflikten getragen, weswegen die Bekämpfung von "al-Qaida" auch entsprechend schwer ist und bin Ladin für viele Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen unzufrieden sind, zu einem bewunderten Vorbild werden konnte.

Die Anschläge in Riad, sollten sie denn von al-Qaida durchgeführt worden sein, beweisen natürlich noch keineswegs das Gegenteil der amerikanischen Erfolgsmeldungen. Vielleicht handelt es sich nur um eine verzweifelte Demonstration, dass man noch handlungsfähig ist, ohne dass in Folge mit weiteren großen Anschlägen gerechnet werden müsste. Jonathan Stevenson, der Autor des gerade vom International Institute for Strategic Studies veröffentlichten Jahresberichts, ist allerdings der Meinung, dass die Anschläge in Riad ein erstes Zeichen dafür sein können, "dass der Regimewechsel im Irak kurzfristig zu terroristischen Gegenschlägen führen und eine Anregung für Terroristen sein kann". Insgesamt sei das virtuelle globale Netzwerk, auch wenn ein Teil der Führungsmannschaft und viele Mitglieder gefangen oder getötet worden sind, noch stark. Es könne eine Generation dauern, die Organisation, die über 18.000 in Afghanistan geschulte Anhänger in 90 Ländern verfügen könne, zu zerschlagen. Im Augenblick sei al-Qaida noch genauso gefährlich wie vor dem 11.9. Die Trainingslager in Afghanistan oder eine Zentralisierung sei für die Organisation nicht mehr notwendig:

"Die einzige materielle Infrastruktur, die al-Qaida benötigt, sind sichere Häuser, um Bomben zu bauen und Waffenlager anzulegen. Notebooks, Verschlüsselung, das Internet, viele Pässe und die Möglichkeiten der globalen Verkehrswege haben es al-Qaida erlaubt, als 'virtuelle' Organisation zu arbeiten, die lokale Ressourcen - und folglich lokales Wissen - zum eigenen Vorteil nutzen kann, um Angriffe auf vielen 'Feldern des Dschihad" zu koordinieren."

"Sie werden zuschlagen und davonlaufen, und sie werden versuchen, sich zu verstecken. Wir werden sie kriegen."

Der Krieg gegen den Terrorismus und gegen Terroristen unterstützende Staaten, den die US-Regierung nach dem 11.9. auch aus anderen geostrategischen Gesichtspunkten heraus begonnen hat, erweist sich, wie viele befürchtet haben, eher als kontraproduktiv. Da nicht die Ursachen bekämpft, sondern nur, wie Präsident Bush wiederholt sagte, einer nach dem anderen gejagt und der "amerikanischen Gerechtigkeit" tot oder lebendig übergeben wird, führen Erfolge möglicherweise eher zu einer erhöhten Bereitschaft, sich der Terrorgruppe anzuschließen oder diese nachzuahmen. Irgendwie vom Himmel geflogener "Hass" alleine kann, wie dies Bush und Co. suggerieren, wohl kein ausreichendes Motiv für die Terrorgruppe oder überhaupt für muslimische Terroristen sein.

"Man braucht nicht viel Geld, um eine Autobombe herzustellen. Man braucht Hass. Man braucht Hass im Herzen. Man braucht eine absolute Missachtung für unschuldiges Leben. Und das ist das Wesen von al-Qaida." - US-Präsident am 13. Mai

Auch nach den Anschlägen von Riad scheint die Reaktion in der US-Regierung vor allem aus Rache und den immer gleichen Rezepten zu bestehen, die systematisch einen Blick in die Ursachen verweigern und bestenfalls als Symptombekämpfung zu bezeichnen sind. Auch Colin Powell bezeichnete den Anschlag wieder als Angriff auf die gesamte "zivilisierte Welt". Und Vizepräsident Cheney sieht darin nur eine Bestätigung für die Position der US-Regierung, nämlich dass "die einzige Möglichkeit, diese Bedrohung zu bekämpfen, letztlich darin besteht, sie zu zerstören".

"Bis al-Qaida vollständig zur Rechenschaft gezogen worden ist, werden sie Amerikaner und unsere Freunde und Alliierten angreifen. Und daher werden wir alles tun, was wir können, um unsere Heimat zu schützen, und wir werden so gut wie möglich sicher stellen, dass keine Leute in unser Land kommen und uns angreifen können. Doch der beste Weg, unsere Heimat zu schützen, ist, diese Killer, einen nach dem anderen, zu jagen und sie zur Rechenschaft zu ziehen, was die Politik der Bush-Administration ist und - hoffentlich für eine lange Zeit bleiben wird. Ich weiß, dass wir mit diesen Leuten zu tun haben werden, so lange ich Präsident bin. Das ist die einzige Möglichkeit, das Land zu schützen. ... Sie werden zuschlagen und davonlaufen, und sie werden versuchen, sich zu verstecken. Wir werden sie kriegen." - US-Präsident Bush am 13.5.

Der Terroranschlag hat demonstriert, dass die muslimischen Terroristen, wie immer eng oder entfernt sie mit al-Qaida zusammen hängen mögen, noch handlungsfähig sind. Man hat sich gewissermaßen in die Aufmerksamkeit zurück gebombt und könnte damit durchaus neue Sympathien bei denen erwerben, die den schnellen Sieg im Irak-Krieg für die arabische Welt als Demütigung empfanden.

Aber auch für die Bush-Regierung kommt der Anschlag sicherlich nicht ganz ungelegen. Schließlich hat man unermüdlich beteuert, dass der Krieg gegen den Terrorismus noch lange weiter gehen müsse, und baut die nationale Sicherheit zum Thema der nächsten Präsidentschaftswahlen auf. Hätte al-Qaida weiter geschwiegen und wäre die Organisation tatsächlich handlungsunfähig gemacht oder gar weitgehend zerschlagen worden, dann wäre damit auch die politische Strategie der Bush-Regierung gefährdet gewesen. Jetzt lässt sich der Bedrohungsgrad wieder berechtigt auf der eingeführten Skala als "erhöht" bezeichnen und kann Präsident Bush wieder mit Überzeugung sagen, dass der Krieg weiter gehen muss: "Today's attacks in Saudi Arabia, the ruthless murder of American citizens and other citizens, remind us that the war on terror continues."