Die Chatbot-Revolution könnte auch in Deutschland politische Folgen erzeugen

Chatbot wählt Chatbot

Die KI-Revolution erfasst Politik. Chatbots beeinflussen Wahlen und Meinungen oder treten als Kandidaten an. Wie wird sich das auf Deutschland auswirken?

Die Chatbot-Revolution ist in aller Munde. Sie ist Teil des seit Jahren mit Milliarden-schweren Investitionen zunehmenden KI-Hypes, der mit großer Geschwindigkeit unsere Gewohnheiten verändert, mit Information umzugehen. Aber damit nicht genug: die Chatbot-Revolution beginnt auch damit, die Politik umzuformen.

Chatbots revolutionieren den politischen Diskurs

So setzen im US-Präsidentschaftsrennen ausnahmslos alle Kandidaten KI-basierte Chatbots als eines der mittlerweile wichtigsten Mittel für Beeinflussung und Werbung ein. Innere und äußere Einflussnahmen kommen dabei zusammen.

Autoritäre Mächte wie der schiitische Iran versuchen, ChatGPT für die Einflussnahme auf die US-Wahl zu nutzen, um den Wählerwillen zu verzerren. Schon seit einiger Zeit bestehen Befürchtungen, dass ChatGPT und andere Chatbots, die heute der Reihe nach aus dem Boden sprießen und eine breite Chatbot-Landschaft aus hunderten, wenn nicht tausenden miteinander konkurrierenden Chatbots erschaffen werden, wahlrelevante Informationen breiter und schneller als alle bisherigen Kanäle verändern können.

Denn gemeinsam mit Auswahl-Algorithmen – die China seit Jahren nicht zufällig immer wieder neu und strenger gesetzlich reguliert – beeinflussen Chatbots Verhalten nicht mehr nur mittels Reichweiten der Informationsverteilung, sondern, indem sie die Information selbst verändern, die aufgefunden wird und als "richtig" gilt.

Das führt zu immer mehr politischen Einzelphänomenen, die noch in den Kinderschuhen stecken, aber auf einen Trend verweisen. So wird die Chatbot-KI "AI-braham Lincoln" (Abe 2.0) 2028 als eigener US-Präsidentschaftskandidat antreten. Damit reagieren einige einflussreiche Technikmacher auf die Verdrossenheit der Wähler mit menschlichen Kandidaten.

In Großbritannien trat bereits im Juli der Chatbot "Steve" als "Parteiunabhängiger" im Bezirk Brighton Pavillon bei den Parlamentswahlen an. Und in der Hauptstadt des US-Bundesstaates Wyoming, Cheyenne, ist zwar die Kandidatur von nicht-menschlichen Akteuren für politische Ämter verboten.

KI-Kandidaten: Wenn Algorithmen zur Wahl antreten

Dort dreht aber ein menschlicher Kandidat den Spieß um. Er will einen Chatbot unter seinem Namen und mit seiner Identität kandidieren lassen – und erklärt, dass, wenn gewählt, er als Mensch selbst nur das Werkzeug der KI "Virtueller Integrierter Bürger" (VIC) sein wolle. Der Chatbot solle unter seinem Namen die politische Arbeit machen und die Entscheidungen treffen, weil er bereits ausgewogener und intelligenter als jeder Mensch sei.

Das Ganze hat in westlichen Demokratien sowohl ironische wie realistische Untertöne. Zum Teil ist es noch Protest gegen die Unzulänglichkeiten bisheriger Politik, zum Teil versteht es sich aber auch bereits als progressive "Intelligenz-Modernisierung" von Demokratie mittels Technologie.

Bereits im November 2023 wurden von privaten Initiatoren mit "öffentlichem Aufklärungswillen" KI-gestützte Avatare von damals 17 US-Präsidentschaftskandidaten vorgestellt, die auf deren Daten trainiert waren und Aussagen zu den Kandidaten liefern sollten – was viele von diesen zurückwiesen.

Virtuelle Opposition: Chatbots als Stimme der Unterdrückten

Es gibt aber auch revolutionäre Gebrauchsformen in Autokratien, die einen verwandten, aber rein virtuellen Ansatz praktizieren – so etwa in Weißrussland. Dort hat die Opposition auf Basis von ChatGPT 4 den Fantasie-Chatbot "Yas Gaspadar" für die Parlamentswahlen aufgestellt – und erklärt, er sei realistischer und freier als die vom Regime des Diktators Lukaschenko kontrollierten Kandidaten der Scheinwahlen. Vor allem: der KI-Chatbot könne nicht verhaftet werden, wenn er gegen das Regime stimmt.

Manche sehen diese Beispiele als erste konkrete Ansätze einer kommenden Hybridisierung von Politik an – also des Wegs zu einer Mensch-Technik-Demokratie, die ab den 2030er-Jahren Schritt für Schritt Realität werden könnte.

Diese äußere Entwicklung ist aber bisher nicht alles – und vielleicht auch nicht das Wichtigste. KI-Chatbots verändern die Politik auch viel subtiler, nämlich kapillar von innen heraus. So haben Forschungen gezeigt, dass Chatbots mit ihren Informationen zunehmend in der Lage sind, Bürger von andersartigen Positionen auch zu ihnen wohlbekannten Sachfragen zu überzeugen und sie damit politisch zu beeinflussen.

Das hat auch mit dem Verfall der Papier- und Buchkultur zu tun: nämlich damit, dass Sachbücher kaum noch vollständig gelesen werden, weil es zu viele sind und man sie sich immer öfter von ChatGPT zusammenfassen lässt – sogar im hektischen Wissenschaftsbetrieb.

Links oder rechts? Die politische Schlagseite von Chatbots

Das gefährdet auch bisherige "Informationsordner" wie Wikipedia, die rasch ihren Status verlieren, weil Chatbots flexibler und umfassender informieren und Freiwillige abhandenkommen. Andererseits zeigen, wie das Magazin Der Spiegel berichtet, wissenschaftliche Erhebungen etwa der Hochschule Otago, dass KI im Schnitt selbst politische Schlagseite hat: Sie gibt öfter linke Antworten als konservative. Seit der Veröffentlichung dieses Trends wird die Grundfrage diskutiert: Bringen Chatbot-Technologien von sich aus einen politischen Links-Drall mit sich?

Diese Debatte wird kontrovers geführt, weil es Argumente dafür und dagegen gibt. Google und andere große Akteure im Chatbot-KI-Spiel wie Facebook haben seit Jahren entweder öffentlich zugegeben oder nicht bestritten, in ihre Auswahlalgorithmen eine dem Trend nach progressive Vorurteilsstruktur eingebaut zu haben – also eine Präferenz für progressive, liberale und linke Inhalte, die unter anderem im Präsidentschaftswahlkampf 2016 mehr als 2,6 Millionen Stimmen für die Demokratin Hillary Clinton gebracht haben sollen.

Der Mechanismus dabei: Wenn linksliberale Suchergebnisse immer wieder ganz vorn aufscheinen und also vermehrt aufgerufen werden, lernt die KI, dass sie die beliebtesten sind, wodurch sie sie weiter verstärkt und nach oben reiht – ein hermeneutischer Zirkel der Selbstaffirmation, der sich ohne äußeren Eingriff tendenziell ständig weiter am Leben erhält.

Bestimmten ideologischen Inhalten wäre die Vorherrschaft damit auf unabsehbare Zeit sicher. Wie die jüngst erschienenen Memoiren eines der einflussreichsten Links-Soziologen, Zygmunt Baumans (1925–2017), "Fragmente meines Lebens" (2024) zeigen, wäre das trotz vieler Errungenschaften nicht immer und selbstverständlich eine gemeinschaftlich gute Sache.

Doch KI ist an sich nicht links oder progressiv, ganz im Gegenteil. Sie ist in Mechanismen und Verfahrensweisen nicht pluralistisch, offen oder demokratisch, sondern tendiert zur beinharten Wahrscheinlichkeitsberechnung von Entscheidungen nach Erfolgs-Prozenten, nicht zum Dialog von Meinungen.

Das rückt sie in ihrer Grundcharakteristik eher in die nicht-demokratische, autoritäre Ecke – was etwa autokratische Regime wie China genau so sehen. Chinas Präsidentschaftskanzlei soll laut gut informierten Insidern wiederholt erklärt haben, China sei politisch gerade im aktuellen Technikzeitalter "der Berg, der sich nicht bewegt". Denn China müsse nur warten, bis sich KI-Chatbots in den demokratischen Politiksystemen des Westens ausbreiten.

Dann sei es mit der bisherigen Demokratie dort bald vorbei – und das eigene, nicht-demokratische Gesellschaftsmodell auf dem Weg zur natürlichen globalen Vorherrschaft.

Obwohl die Behauptung einer autoritären Neigung von KI eine gewisse Plausibilität hat, ist es jedoch nicht die ganze Wahrheit. Denn Chatbots sind zwar autoritär in ihrer streng mathematisch geprägten Entscheidungsfindung, andererseits ihrer Natur nach aber auch notgedrungen kooperativ. Denn sie sind auf meta-individuelle Information angewiesen und müssen deshalb kollektivistisch, transnational und globalistisch: also im Prinzip doch links agieren.

Die Frage lautet zudem, ob die Tendenz von Chatbots zu "links-progressiv" nur in Demokratien gilt, also wenn ein Chatbot dort angefragt wird – in Autokratien aber möglicherweise ganz andere Antworten kommen, die eher dem dortigen autokratischen Regimestandard entsprechen.

Wie werden sich diese teilweise widersprüchlichen Verhältnisse zwischen öffnenden und abschließenden Tendenzen der Chatbot-Technologie in den kommenden Jahren entwickeln?