Die Computerfigur - Dignitas virtualis?

Objekt oder Subjekt?

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Die vollständig computererzeugte Animation einer Figur im Computerspiel ist bis ins kleinste Detail als aufwendiger Rechenprozess zu verstehen. Gelingt es nun Computerspezialisten, Designern und Künstlern, die Computerfigur durch Spezialeffekte in einer beispielsweise "real" erscheinenden Umgebung zu "beleben", bleibt dieses Szenario dennoch verhaftet in den eingeschränkten Möglichkeiten heutiger Illusionstechnologie.

Dem ersten Anschein nach könnte man behaupten, so "menschlich" manche Computerfigur auch erscheinen mag, erlangt sie als Kunstobjekt (Artefakt) höchstens Kultstatus, aber keinen Personen- oder Subjektstatus. Sie ist und bleibt als Objekt gebunden an den Ort ihrer Entstehung: eine von Menschen synthetisch erzeugte Figur in einer virtuellen Welt. Diese Figur besitzt zwar keine Gegenständlichkeit und lässt auch keine Rückbindung an eine leibliche Existenz zu, ist aber als etwas "Gedachtes" und "Gemachtes" der Kraft und Möglichkeit nach dennoch vorhanden. Aber als "was" begegnet uns die Figur? Ist die Figur eine virtuelle Existenz mit latenter Wirkmöglichkeit? Steht das Virtuelle tatsächlich dem Wirklichen, Materialen gegenüber oder ist es ein mögliches Ereignis besonderer Art? 1

Als virtuelles Objekt ist die Figur nicht Illusion oder Einbildung, sondern wird in ihrer Erscheinungsform wahrgenommen. Sie besitzt eine Art "intersubjektive Objektivität", auch wenn es sich dabei nicht um ein "wirkliches" Objekt handelt: Die virtuelle Computerfigur steht als Figur für sich selbst, ist paradoxerweise zugleich existent und doch nicht "real" greifbar.2

Betrachten wir in diesem Zusammenhang Menschen als "reale Figuren", so können wir bislang behaupten, dass diese in der Lage sind, sich in virtuellen Welten bewegen zu können, während virtuelle Objekte wie Computerfiguren höchstens in reale, materiale Welten projiziert werden können.3 Diesbezüglich drängen sich zwangsläufig Fragen auf wie jene, ob ein vollsynthetischer Avatar nun ein Objekt, ein Ding, eine Sache, eine latente Identität oder ein künstlicher Gegenstand ist.

Um dies zu klären, ist eine umfangreiche und systematische Untersuchung unerlässlich. Ob hingegen eine real existierende, eingescannte Person, die nun als Computerfigur animiert, kontrolliert und manipuliert wird, einen anderen Status einnimmt oder eventuell als Person zur ethischen Problemstellung wird, ist bislang ungeklärt. Es ist keinesfalls unerheblich, ob einer Computerfigur zukünftig Objekt- oder Subjektstatus zugesprochen wird. Vielleicht gehören Computerfiguren auch einem "Zwischenreich" an, welches jenseits der Aufspaltung der Welt von Subjekt- oder Objektdifferenzierung existiert.

Die Zurechnung zu diesem Bereich könnte beispielsweise maschinelle Systeme umfassen, die sich mittels Selbstbezug reproduzieren können. Der Erkenntnisgegenstand ‚Computerfigur’, betrachtet als historisches, kulturelles und gesellschaftliches Phänomen, mit der Möglichkeit, sich zu sich selbst verhalten zu können, wäre somit nicht eindeutig der faktischen oder virtuellen "Wirklichkeit" zuzuordnen.4

Allgemein versteht man im heutigen Sinne unter einem Subjekt das sich selbst gewisse und sich selbst bestimmende Ich-Bewußtsein, d. h. das erkennende, mit Bewusstsein ausgestattete und handelnde Ich eines Menschen, welches auch gleichzeitig Träger von Zuständen, Wirkungen und intentionalen Akten ist.5

Zudem wird Subjektivität durch eine besondere Struktur der Zeit und des "Zeitempfindens" konstituiert, denn das Bewusstsein von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind wesentliche Elemente von Subjektivität. Das Wissen um diese Zeitstrukturen kann als Bestandteil des menschlichen Weltbildes verstanden werden.6 Das Objekt hingegen steht als Sache, Ding oder Gegenstand dem Subjekt als realer Teil der Außenwelt gegenüber.7 So verstanden begreift der Mensch (als Subjekt) seine bislang von ihm zum Objekt gemachte und als solche behandelte Welt und Natur als "Um- und Mitwelt".8

Elektronisch dargestellte Menschen und so genannte menschenähnliche Wesen werden vom Deutschen Bundestag im Strafgesetz in den Schutzbereich des §131 Gewaltdarstellung (StGB) aufgenommen, womit sie dem Anschein nach Personenstatus genießen. Hätte die Computerfigur hingegen Objektstatus, wäre sie vom Tatbestand nicht erfasst, weil es sich dann lediglich um Gewalttätigkeiten gegen Sachen handeln würde.9

Sind Computerfiguren (inzwischen) "menschenähnliche" Wesen oder handelt es sich bei der "Menschenähnlichkeit" mancher Computerfigur doch nur um eine technokratische Instrumentalisierung einer Fiktion vom Menschen? Ist die Computerfigur kreatives Produkt ausgeübter Kunstfreiheit oder erwirbt sie sich durch zunehmende Menschenähnlichkeit auch "Rechte"?

Ein "menschenähnliches Wesen" im Strafgesetz

Geht es speziell um gewalthaltige Handlungen und Inhalte im Verlauf eines Computerspiels, so gehen die Meinungen und Forschungsberichte bezüglich tatsächlicher oder vermuteter Konsequenzen für den jeweiligen Nutzer nach wie vor weit auseinander und unterliegen unterschiedlichen Bewertungskriterien. Bislang konnten in Politik, Wissenschaft und den Medien weder verbindliche, noch eindeutige Ergebnisse geliefert werden.

Für zusätzliche Verwirrung bezüglich dieser Thematik hat die Änderung des Strafgesetzbuches vom Dezember 2003 gesorgt: Der Bundestag hat beschlossen, den §131 Gewaltdarstellungen (StGB) zu ändern und in Absatz 1 nach den Wörtern "gegen Menschen" die Wörter "oder menschenähnliche Wesen" einzufügen. Dies bedeutet vorerst, dass "menschenähnliche Wesen" - wer oder was auch immer das sein mag - in einem Gesetzbuch aufgenommen wurden. Damit wird sowohl die Definition "Mensch", als auch der Begriff der "Menschenähnlichkeit" zu einer erneuten interpretationsbedürftigen Kategorie. Der Bundesrat hat bereits im September 2003 seine Kritik an der vorgesehenen tatbestandlichen Einbeziehung "menschenähnlicher Wesen" im Strafgesetzbuch gegenüber der Bundesregierung formuliert.

Grundsätzlich teilt der Bundesrat zwar das Anliegen der Regierung, Gewaltexzesse in Medienprodukten durch das Gesetz möglichst einzudämmen, jedoch ist der Begriff "menschenähnliche Wesen" von erheblicher Unbestimmtheit geprägt und wird mit großer Wahrscheinlichkeit in der Praxis zu unüberwindlichen Interpretationsproblemen führen. Zudem gehen aus dem Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages keine näheren Erläuterungen zur Merkmalsbestimmung "Menschenähnlichkeit" hervor, um ein Wesen als "menschenähnlich" einstufen zu können. Letztendlich würden unter die breite Auslegung der "Menschenähnlichkeit" nicht nur Kunstfiguren wie ‚Dracula’ und ‚Frankenstein’ fallen, sondern auch Figuren in Computerspielen, Zeichentrickfilmen und Comics.10

In dem Begründungsversuch zur Erweiterung des §131 StGB heißt es:

[…] weil es nicht darauf ankommen kann, ob die Opfer der wiedergegebenen Gewalttätigkeiten als "Androide", "künstliche Menschen", "Außerirdische", "Untote", als Verkörperung übersinnlicher Wesen oder ähnliche Wesen dargestellt werden. Entscheidend ist vielmehr, ob sie nach objektiven Maßstäben ihrer äußeren Gestalt nach Ähnlichkeit mit dem Menschen aufweisen. Die Ergänzung stellt zudem klar, dass auch gezeichnete Menschen oder in Form elektronischer Spezialeffekte dargestellte Menschen vom Tatbestand erfasst werden. […]

Die Definition verweist darauf, dass die Tatbestandsmerkmale in diesem Paragraphen nicht nur für "echte" Menschen, das heißt, für "real" existierende Menschen gelten. Bislang ging unser Strafrecht von einem bestimmten Menschen(-bild) aus, betrachtete diesen als "unvollkommenes Wesen" und rechnete damit, dass der einzelne Mensch straffällig werden kann und insoweit grundsätzlich Misstrauen verdient.11 Der Begriff der Gewalttätigkeit impliziert mittelbar oder unmittelbar "real" ausgeübte Einwirkung auf einen menschlichen Körper.

Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die "Menschenwürde verletzende Weise" einer Darstellung, zumal der Fundamentalsatz der Menschenwürde den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Menschen schützen soll. Alle juristischen Disziplinen setzen bislang den Menschen als "anthropologische Prämisse" und ohne Zweifel auf das (menschliche) Individuum als Subjekt: sozusagen den Menschen als ersten und letzten Wert. Verantwortung, Verantwortlichkeit und Verantwortbarkeit liegen in der Subjektstellung des Individuums als solchem.

An diesem Bild vom Menschen wurde festgehalten, weil transsubjektive Menschenbilder verschiedener Kunstrichtungen und diversen Bereichen aus Wissenschaft und Technik befürchten lassen, zu totalitären Systemen zu mutieren. Der Verfassungsstaat möchte als Ordnungsinstanz Menschenwürde und Freiheit effektiv garantieren und sieht in der Relativierung des "Menschenbildes" oder der Hybris eines "neuen Menschenbildes" eine ernsthafte Bedrohung. Deshalb schreibt er Elemente eines bestimmten Bildes vom Menschen rechtlich vor und fest, um Bedingungen für menschliche Individualität und Identität wahren und schützen zu können.12

Dieses Anliegen scheint jedoch im Widerspruch zu stehen mit der Einbeziehung menschenähnlicher Wesen im Strafrecht. Im Sinne der Vorschrift des §131 StGB hat das Bundesverfassungsgericht aber Raum geschaffen, fiktiv verfremdete "menschliche Wesen" wie beispielsweise "Zombies" als Menschen anzuerkennen. Für die vom Menschen bislang beanspruchte Subjektperspektive bedeutet dies wahrscheinlich eine radikale Veränderung seines Selbst- und Weltverhältnisses, was nicht ohne Folgen in Politik, Ethik, Recht und anderen Disziplinen bleiben wird.

Neuartige Subjektivierungen, die "neben" dem Menschen auch Unterhaltungs- und Selbstentfaltungstechniken zugesprochen werden, gehören nicht nur in den Kontext der Technikfolgenabschätzung, sondern werden alle bisher "vertrauten" Lebensbereiche und Situationen des Menschen flankieren. Das technisch Machbare offenbart sich nicht mehr nur in den Möglichkeiten des Subjekts, sondern "Menschenähnlichkeit" wird zur technischen Zielbestimmung. Entkopplung und Entsubjektivierung der menschlichen Lebensform verläuft demzufolge parallel zur Subjektivierung elektronischer, künstlicher Intelligenz von Computerfiguren.

Bereiche des bislang "Menschlichen" würden somit mit dem Fortschritt technischer Möglichkeiten zusammenfallen und die Frage aufwerfen, wie und ob eine Differenzierung zwischen Mensch und Maschine noch sinnvoll gezogen werden kann und welchen Status denn beispielsweise die Computerfigur genießt, wenn sie sich als Subjekt artikulieren darf!?13 Indem der Gesetzgeber "menschenähnliche Wesen" in die Gesetzgebung einbezieht, potenzieren sich nicht nur die bestehenden Probleme der Auslegung und Interpretation, sondern die Strafjustiz selbst produziert eigene Straftatbestände durch Phantasie- und Kunstwesen.14

Bei gemeinsamen Dispositionen von Computerfigur und Mensch im organischen wie im virtuellen Zusammenspiel, müsste diesen im Strafrecht ein besonderer Platz zugewiesen werden. Die menschliche Produktivkraft, die einstmals diese technischen Artefakte überhaupt erst hervorbrachte, würde so verstanden nicht nur mit allen erdenklichen Eigenschaften unter diese subsumiert werden, sondern sich gewissermaßen in ihnen auflösen.15

Reale contra fiktive Gewalt

Unserem höchsten deutschen Gericht zufolge fällt Gewalt nur in den Anwendungsbereich des §131 StGB, wenn Gewalt von Menschen an Menschen verübt wird. Wird Gewalt als "unmenschliche" Handlungsweise definiert, so fällt die Möglichkeit un-menschlich zu handeln auch nicht Fabelwesen oder Zombies zu, da sie grundsätzlich der Eigenschaft "menschlich" entbehren.16 Der Begriff Gewalt, beziehungsweise Ausübung von Gewalt, impliziert in der Regel Vorstellungen seelisch-geistig-körperlichen Leids gegenüber einem Menschen, welcher dadurch zum Opfer wird.

Tritt das Opfer als Einzelperson oder auch als Gruppe sichtbar in Erscheinung, bedeutet dies auch die öffentliche Anerkennung der erlebten und erlittenen Gewalt und deren Auswirkungen. Die Präsenz des betroffenen Menschen als persönlichem Subjekt sensibilisiert in diesen Momenten gegenüber Problemen des sozialen Miteinander, des Funktionierens in einer Gemeinschaft und verweist ebenso auf Gefahren der Entsubjektivierung durch Gewalteinwirkungen.17 Vom Standpunkt des Geschädigten, - des Opfers - wird sowohl die psychische als auch die physische Beeinträchtigung seiner Integrität und die Zerstörung seiner nicht mehr unversehrten subjektiven Bezugspunkte zu einer Neustrukturierung des Welt- und Menschenbildes führen: Die Gewalterfahrungen müssen in die Umstrukturierung des eigenen "neuen" Lebens integriert werden.18

Auch werden die Grenzen zwischen privatem Lebensbereich des Opfers und dem der Öffentlichkeit und Gesellschaft verwischt, denn die Gewalt setzt einerseits das Opfer als Subjekt herab, zeichnet es aber gleichzeitig vor anderen aus. Das Subjekt tritt sozusagen als Geschädigter aus seiner Privatsphäre heraus, indem es sich als Opfer zu erkennen gibt, als Teil der Gesellschaft äußert und sich in dieser veröffentlicht.

Dies bleibt auch für Justiz und Politik nicht ohne Folgen.19 Von diesem Blickwinkel her betrachtet, lässt sich sehr wohl eine Differenzierung von Gewalt gegen Menschen und Gewalt gegenüber Computerfiguren (als menschenähnliche Wesen) argumentativ vertreten und spricht gegen eine Nivellierung. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, wie der Gesetzgeber den ohnehin schwer zu definierenden Begriff der Menschenwürde im §131 StGB versteht. Es bleibt offen und erklärungsbedürftig, wessen Würde überhaupt geschützt werden soll.

Soll die Computerfigur vor den Gewalthandlungen des jeweiligen menschlichen Spielers geschützt werden oder umgekehrt? Sind fiktive Figuren in synthetischen Räumen virtueller Umgebungen auch Träger von Grundrechten wie diese in Artikel 1 des Grundgesetzes formuliert werden?20 Ist es der Computerfigur, als zahlencodiertem Datensatz, welche im elektronischen Trägermedium "beheimatet" ist, nicht eher völlig gleichgültig, ob und wie ihre Information als Ton, Text oder Bild wiedergegeben wird!?21 Bislang bleiben viele Fragen diesbezüglich unbeantwortet.

Die Computerfigur mit virtuellem Charakter scheint etwas wie "Dignitas virtualis" zu besitzen und genießt einen gewissen Schutz durch §131 StGB. Betrachtet man bereits den Personalcomputer als technisch-fortschrittliche Prothese menschlicher Existenz, so stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Computerfigur als menschliche "Selbsterweiterung mit latenter Identität" nicht doch Personenstatus genießt und auch ein moralisches Recht auf einen "Personalausweis" hat.22

Bislang lässt sich jedenfalls nichts Verbindliches über eine Leidensfähigkeit "geistbegabter" Maschinen und "intelligenter" Programmierungen konstatieren. Philosophie, Rechtswissenschaft und auch Justiz stehen bei Problemkomplexen dieser Art vor einer neuen Herausforderung bezüglich der Erklärung und Definition von verantwortungsvollem Handeln.23

Besonders schützenswert ist aber nicht nur die Computerfigur, sondern auch der jeweilige Nutzer eines Computerspiels muss durch diesen Paragraphen vor schwerwiegender Selbstschädigung bewahrt werden. Wie der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 2007 erklärt, soll auch der Einzelne vor einer aggressionsbedingten Fehlentwicklung bewahrt werden, wie sie etwa durch Aktivierung oder Verstärkung vorhandener Labilitäten oder Anlagemomente im Sinne einer Stimulierung oder Abstumpfung und Verrohung eintreten kann.24

Es fällt nicht schwer, den Inhalt dieser richterlichen Besorgnis als paternalistische Bevormundung zu interpretieren: Rechtspaternalismus als spezifische Form der Freiheitsbeschränkung kann als Ergebnis einer Zwecksetzung verstanden werden. Der Zweck besteht darin, einem Individuum Schutz aufzuzwingen, unabhängig davon, ob dieser Schutz erwünscht ist oder nicht. Dieser "Schutz" in Form der Freiheitsbeschränkung dient nicht dem Schutz berechtigter freiheitlicher Interessen Anderer oder der Allgemeinheit: Einziger Grund für diese Bevormundung ist, den Einzelnen vor sich selbst und seiner angeblich nicht sinnvoll genutzten Handlungsfreiheit zu schützen.

Dieses Einschreiten des Staates wird oftmals damit begründet, dass ein vermeintlich "höheres" Ziel der moralischen Besserung der Bürger angestrebt wird, ebenso wie die Verhinderung von "Schlimmerem".25 Angeblich wird im Eigeninteresse des Einzelnen gehandelt und weder ein Dritter, noch die Gesellschaft als Ganzes profitieren von paternalistischen Maßnahmen.

Der legitime Gesetzeszweck basiert sozusagen auf selbstloser "Nächstenliebe", denn die angestrebte Erziehungsmaßnahme erwachsener, mündiger Bürger soll schließlich deren "seelisch-geistige" Gesundheit bewahren.26

Anspruch auf "Würde"?

Im Strafgesetzbuch, Besonderer Teil (§§80-358), 7. Abschnitt- Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (§§123-145d), ist der §131 Gewaltdarstellungen in folgendem Wortlaut formuliert:

(1) Wer Schriften (§11 Abs. 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt […] wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft […]<

Dies kann folgendermaßen verstanden werden:

Unmenschliche und grausame Darstellungen von Gewalthandlungen gegen menschenähnliche Wesen sind ein die Menschenwürde verletzender Vorgang und somit strafbar. An dieser Stelle verlangt es nach näheren Erläuterungen zur Definition der Menschenwürde. Obwohl der Begriff Menschenwürde schwer zu definieren ist, stellt er den höchsten Rechtswert unserer Verfassung dar. Als oberster Wert der Rechtsordnung gilt die Menschenwürde als absoluter Orientierungspunkt eines jeden grundrechtlichen Wertesystems.27

Verstanden als ideeller Wert, beziehen sich Deutungsversuche des Würdebegriffs allgemein auf die menschliche Person oder das Individuum, soweit ihm - qua Fähigkeit zur Selbstbestimmung - Persönlichkeitsstatus zugesprochen wird. Eine andere Möglichkeit, den Begriff der Menschenwürde zu definieren, zielt nicht auf die individuelle Fähigkeit zur menschlichen Selbstbestimmung, sondern betrachtet die Menschheit im Allgemeinen als biologische Gattung.28 Würde scheint prinzipiell nur Menschen zukommen zu können,29 da sich die Texte im internationalen Vergleich grundsätzlich an den Menschen richten.

Mithin impliziert die Menschenwürdeklausel als Werturteil eine Behauptung, von der angenommen wird, dass sie grundsätzlich jeder Mensch für sich getroffen hat.30 Jeder Einzelne hat demnach einen rechtlich zu schützenden Anspruch auf Achtung von seinen Mitmenschen und der Staatsgewalt, unabhängig seiner persönlichen Schwächen oder Stärken. Der Staat hat deshalb die Aufgabe, Schutz und Achtung der Würde zu gewährleisten. So verstanden bezeichnet Menschenwürde ein abstraktes Wesensmerkmal, wonach dem Einzelnen aufgrund seines Menschseins und unabhängig von seinem Verhalten oder den persönlichen Lebensverhältnissen, ein absoluter, ideeller Wert zukommt.

Betrachten wir Würde aber nicht ausschließlich als angeborene menschliche Eigenschaft, sondern (auch) als Ergebnis eines gesellschaftlich-kulturellen Prozesses, so beinhaltet der Begriff der Menschenwürde auch einen konkreten Gestaltungsauftrag. Demzufolge kann der einzelne Mensch maßgeblich durch seine Lebensweise und Umgangsformen zu einem würdigen Miteinander beitragen.31 Als soziale Konstruktionsleistung ist Würde dann kein vorhandenes Faktum, sondern ein erst herbeizuführendes Verhältnis der Menschen untereinander.32 Aus der Anerkennung der Menschenwürde durch die juristische Rechtsordnung folgt, dass aus der Würde gleichermaßen Rechte und Pflichten hervorgehen.

Jeder Träger von Menschenrechten ist zugleich ein juristisches Rechtssubjekt und hat gewissermaßen ein "Recht auf Rechte". Träger von Menschenrechten sind somit auch der Kontrolle dessen unterworfen, was unter die Verletzung der Menschenrechte und Menschenpflichten fällt.

Daraus folgt, dass Menschenrechte nur an Subjekte verliehen werden können, die zu solcher Kontrolle auch fähig sind.33 Nur dem lebenden Menschen als Person, dem Subjekt von Rechten und Pflichten, kann in juristischer Hinsicht Menschenwürde zuerkannt werden. Damit gewährleistet die Würde-Formel die Unverwechselbarkeit von Person und Sache.34 Menschenwürde ist im Kontext der intersubjektiv geteilten Lebenswelt sprach- und handlungsorientierter Subjekte verhaftet und ihr Geltungsanspruch besteht deshalb auch nur für den Menschen mit seinem Subjektstatus.35 Das menschliche Individuum wird unabhängig der idealtypischen Vorstellungen eines Menschenbildes als Person verstanden, und von unserem höchsten Gericht wird der Mensch als geistig-sittliche Person mit "Eigenwert" dargestellt, welche sich in der "Freiheit" und "Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung" äußert.36

Wie verhält es sich aber mit der Computerfigur? Kommt ihr Würde oder eher Wertigkeit zu? Betrachtet man sie als Gegenstand oder Objekt, bedeutet dies zumindest, ihr einen gewissen Wert zuzuerkennen. Wertigkeit kann jedem beliebigen Gegenstand, einer Sache, einem Ding, einem Zustand, einem Menschen oder einem Gedanken zukommen. Würde hingegen kann nur in einem abgeleiteten metaphorischen Sinne Gegenständen zukommen - Würde ist, wie bislang dargelegt, gebunden an das menschliche Individuum.37

Auch wenn im Gesetz inzwischen nicht-menschliche Lebewesen wie Tiere berücksichtigt werden, so kommt dem Menschen nach wie vor eine herausragende Stellung zu. Aber auch diese "Sonderstellung" wurde im Laufe der Entwicklung und der letzten Jahrhunderte des Öfteren von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen in Frage gestellt.

Wenn der Status des Menschen vielleicht gar nichts so "besonderes" ist, weil menschliche Eigenschaften, welche wir uns bislang als hohe und unverwechselbare Einzigartigkeit zugeschrieben haben und wir diese mit anderen Systemen, Tieren oder Computern teilen, so nagt dies gewaltig am menschlichen Selbstbild.

So betrachtet sind die Entwicklung der Computerfigur und verschiedene Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften vielleicht als weitere "narzisstische Kränkung" zu verstehen: aufgrund einer Kränkung sind wir genötigt, unser Selbstbild neu zu definieren, unseren eigenen Status eventuell zu modifizieren und unsere exponierte Sonderstellung einem bescheideneren Platz zu opfern, als den, welchen wir bisher für unsere menschliche Spezies beansprucht haben.38

Welche Rechte die Computerfigur als menschenähnliches Wesen erhält, ist dann danach zu bemessen, welchen Status sie letztendlich einnimmt. Bislang liegt dem Deutschen Strafrecht ein Menschenbild zugrunde, das von der grundsätzlichen Freiheit und Schuldfähigkeit des "real existierenden" Menschen ausgeht.39

Die erforderlichen Versuche, "Menschenähnlichkeit" zu definieren, sollten jedenfalls nicht ausschließlich der Rechtsprechung und Gesetzgebung überlassen werden, auch wenn diese bereits menschenähnliche Wesen in die Neufassung des §131 StGB integriert haben. Die Verwendung des Begriffs "Menschenähnlichkeit" setzt in jedem Fall eine definitorische Auslegung, Deutung und Interpretation voraus, auch wenn dieser Begriff in seiner Bedeutung ein gewisses Maß an Unbestimmtheit und Vagheit behält.

Literaturnachweis/Internet-Recherche