Die Gefahren des neuen globalen Zeitalters

Die US-Sicherheitsstrategie für das nächste Jahrhundert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das National Security Comitee des Weißen Hauses hat ein umfangreiches Dokument veröffentlicht, in der die seit längerem bereits praktizierte und geplante nationale Sicherheitsstrategie für das kommende Jahrhundert dargelegt wird (A National Security Strategy for a New Century). Neues wird man darin kaum finden, wohl aber eine Zusammenfassung der wichtigen Orientierungslinien und Schwerpunkte für die Supermacht, die dies auch gerne bleiben möchte - und die erneute Beschwörung der neuen Gefahren für die Infrastruktur des Landes durch die Globalisierung und die Computernetze. Florian Rötzer zu einigen Themen der Sicherheitsstrategie.

Wer gegenüber der USA kritisch eingestellt ist, kann hier angesichts der ziemlich unverblümt vorgetragenen Hegemonialansprüche viel Futter finden. Zwar wird gegenüber der ablehnenden Haltung der Republikaner auch für internationale Kooperation und die Bezahlung der ausstehenden Schulden an die UN geworben. Schließlich soll die USA als führende Weltmacht und als Gewinner des Kalten Krieges ein gutes Beispiel für die Verhinderung von Konflikten, die Durchsetzung von Demokratie und die Beendung von Krankheiten und Hunger geben. Jeder Dollar, den man hier investiere, käme dann doch letztendlich der Sicherheit und dem Wohlstand des eigenen Landes wieder zugute.

Überhaupt ist das die Linie die Argumentation, denn die amerikanische Legierung von freiem Markt und Demokratie verspricht, daß die USA militärisch, ökonomisch, politisch und technisch ihre führende Position sichern kann, die ihr in eigenen Selbstverständnis offenbar zusteht. Strategisch müsse man erkennen, daß man auch im Ausland führend sein muß, um sicher Zuhause sein zu können, weswegen man "alle angemessenen Instrumente der nationalen Macht" einsetzen müsse, um die Handlungen der anderen Staaten und der nicht-staatlichen Akteure zu beeinflussen. Deutlich wird auch gesagt, daß die USA darauf eingestellt sein müsse, allein zu handeln, wenn das für das Land am besten sei. Keiner "feindlichen Macht" dürfe zugestanden werden, "eine Region zu beherrschen, die für unsere Interessen von vitaler Bedeutung ist." Und man sei auch gewillt, Terroristen und alle, die sie finanzieren und unterstützen, weiterhin in jedem Land - nach der Devise: "Keinen sicheren Hafen für Terroristen" - auch ohne Zustimmung von dessen Regierung oder internationaler Organisationen zu jagen und zu bombardieren. Die Raketenangriffe auf Afghanistan und den Sudan werden noch einmal als notwendige und angemessene Reaktion legitimiert.

Im globalen Zeitalter lösen sich die Grenzen auf

Im Kern der nationalen Sicherheitsstrategie für das nächste Jahrhundert steht die folgenschwere Behauptung, daß die "Grenze zwischen der Innen - und Außenpolitik zunehmend verschwimmt" - weswegen die einst getrennten Aufgabenbereiche des Militärs, der Geheimdienste, der Polizei und der Wirtschaftspolitik unter dem Oberbegriff der Sicherheit miteinander verknüpft werden müssen. Betont wird, daß gerade der Schutz der Infrastruktur "neue Partnerschaften zwischen Regierung und Industrie" erfordere, was vor allem die Computerindustrie und den Export von Technologien, beispielsweise von Kryptoprogrammen und Supercomputern, betrifft. Die Behauptung wird überdies verbunden mit der Gefahr, die gerade von der militärischen und ökonomischen Macht der USA ausgeht, denn mögliche feindliche Aktionen werden dann nicht mehr militärisch im traditionellen Sinne ausgeführt werden, sondern etwa in Form eines Cyberkrieges als Sabotage der Infrastruktur.

Im Cyberzeitalter sind mit den globalen Vernetzungen der Informationsströme die territorialen Grenzen nicht mehr ausschließlich die Grenzen einer Nation. Weil die USA aber in ihrer wirtschaftlichen und militärischen Macht von der globalen Ökonomie und den globalen Netzen abhängen, können die Cybergrenzen nicht dicht gemacht werden, sondern müssen sie auf andere Weise gesichert werden.

"Globalisierung - der Prozeß der sich beschleunigenden ökonomischen, technischen, kulturellen und politischen Integration - bedeutet, daß wir als Nation mehr und mehr von Ereignissen jenseits unserer Grenzen betroffen werden. Gesetzlose Staaten und ethnische Konflikte bedrohen unsere regionale Stabilität und unseren wirtschaftlichen Fortschritt in wichtigen Teilen der Welt. Massenvernichtungswaffen, Terrorismus, Drogenhandel und organisiertes Verbrechen sind globale Probleme, die nationale Grenzen überschreiten."

Während man jedoch wirtschaftlich auf den freien Markt und die Öffnung der Grenzen setzt, erfordern die "transnationalen Gefahren", wozu auch neben Umweltschäden auch "unkontrollierte Flüchtlingsströme" oder illegaler Waffenhandel gehören, eine bessere Sicherung der nationalen Grenzen an Häfen, Flugplätzen und Landesgrenzen. Man will zwar die Verbreitung gefährlicher Technologien und Waffen verhindern und kündigt an, wie wichtig etwa die Abkommen zum Verbot der Herstellung von chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen seien, die bislang aber von den USA nicht unterzeichnet wurden. Auch bei den Nuklearwaffen, deren Einsatz sich die USA weiter vorbehalten, wird deutlich, daß die nationale Sicherheitsstrategie mit Abkommen zur Waffenreduzierung vor allem die militärische Überlegenheit zu wahren sucht.

Geheimdienste haben höchste Priorität

Auch die Gegenspionage werde in den Zeiten der Netze immer wichtiger. Herkömmliche und neue feindliche Geheimdienste nutzen zunehmend neue Technologien und innovative Methoden, sprich Computernetze, um amerikanische militärische, diplomatische, technologische und wirtschaftliche Geheiminformationen auszuspähen und zu sammeln. Doch im Zentrum des Strategieberichts stehen zweifellos die neuen Feinde und die neuen Methoden, die Anschläge auf die Infrastruktur beabsichtigen.

"Potentielle Feinde, gleich ob dies Nationen, Terroristengruppen oder kriminelle Organisationen sind, werden mit steigender Wahrscheinlichkeit das Territorium der USA und die amerikanischen Bürger auf unkonventionelle Weise angreifen. Feinde werden versucht sein, unsere tragende Infrastruktur zu stören, die Kontinuität der Regierungstätigkeiten zu verhindern, Massenvernichtungswaffen gegen die Zivilisten in unseren Städten einzusetzen, uns anzugreifen, wenn wir uns zu besonderen Ereignissen versammeln, und unsere Bürger im Ausland zu verfolgen."

Um diese beschworenen Gefahren abzuwehren, müssen die Sicherheitsstrategien auch ins Ausland erweitert werden. Gerade High-Tech-Kriminalität spiele sich in besonderem Maße auf den globalen Netzwerken ab. Hacker und Cyberkriminelle werden durch keine territorialen Grenzen mehr gehindert. Und immer wieder wird betont, daß die Gefährdung der Infrastruktur eine Verbindung des zivilen und militärischen Sektors erzwingt.

Weil man mit derart unkonventionellen Bedrohungen der eigenen Infrastruktur rechne, ist die Aufrüstung im eigenen Land wichtig. So wird durch das Domestic Terrorism Programm wiederum eine Integration aller möglichen staatlichen Behörden, darunter auch mit dem Pentagon, geschaffen, um mögliche Anschläge, beispielsweise mit biologischen Waffen, abzuwehren oder deren Schaden zu begrenzen. Vor allem die großen Städte sollen genügend geschultes Personal haben, um im Notfall entsprechend schnell reagieren zu können. Die flächendeckende Schulung will man auch über das Internet, mit Videos und CD-ROMS realisieren. In Arbeit befindet sich etwa eine realistische Version von Sim City, um damit Katastropheneinsätze zu üben.

Probleme aber stelle geschultes Personal, das es mit den neuen transnationalen High-Tech-Gefährdungen der nationalen Sicherheit aufnehmen könne. Es muß in vielen, hoch spezialisierten Bereichen kompetent sein. Aber solche Menschen gibt es nicht in der Privatwirtschaft oder werden von dieser dringend benötigt, was heißt, daß sie einfach zu teuer sind. Man suche daher nach "innovativen Ansätzen", um die Regierung mit entsprechendem Personal ausstatten zu können.

"The economic prosperity that our nation enjoys today is largely founded in the Information Age and in our global leadership in information technology. Our continued leadership and prosperity in the global economy may well hinge on our national commitment to act as leaders in bringing integrity and responsibility -- information assurance -- to the global information environment we have helped to create. The administration has sent a clear message via PDD-63 that the time to act is now, and the NSA is well-positioned and ready to support the charge with our technical know-how. Information superiority in the Information Age is a clear national imperative." DEFENDING THE NATION AGAINST CYBER ATTACK - INFORMATION ASSURANCE IN THE GLOBAL ENVIRONMENT. By Lieutenant General Kenneth A. Minihan, Director, National Security Agency

Besonders hervorgehoben - höchste Priorität - wird für alle Bereiche die Bedeutung der Geheimdienste: der "intelligence, surveillance, and reconnaissance capabilities (ISR). ISR Tätigkeiten würden heute ein weitaus größeres Spektrum als jemals zuvor umfassen, wozu natürlich der Infowar und die Wirtschafts- und Industriespionage gehören, aber auch die Unterstützung humanitärer Projekte und sogar der Schutz der Umwelt. Folglich dehnt sich der Einfluß der Geheimdienste auf alles aus, was auch explizit gesagt wird: "Zu den ISR-Aufgaben gehört die weltweite Sammlung von Nachrichten und Sendungen, Berichte von Informanten, die in der Nähe von wichtigen Ereignissen im Ausland sind, die Sammlung von Bildern und Signalen mit Satelliten und Flugzeugen, und die integrierte umfassende Analyse aller dieser Quellen durch bestens ausgebildete Spezialisten." Gerade durch den großen technischen Vorsprung in der kontinuierlichen satellitenbasierten Bildüberwachung und Informationsverarbeitung könne die USA beweisen, daß sie ein schrecklicher Feind oder ein unschätzbarer Freund sei. Und weil auch hier militärische und ökonomische Ziele Hand in Hand gehen, sei eine enge Kooperation bei ISR-Aktvitäten zwischen der Regierung und der Privatwirtschaft nötig. Ein Problem ist auch hier wieder der Mangel an Spezialisten für die Geheimdienstarbeit.

Sicherung des Weltraums als ausgelagerte US-Infrastruktur

Die Washington Post hatte am 4.11. berichtet - eine seltsame Koinzidenz -, daß die chinesische Befreiungsarmee sich nicht nur für den Cyberwar rüste, was man schon früher vom Verteidigungsministerium hörte, sondern unter anderem Laserwaffen zur Zerstörung von US-Satelliten baue. Eine Bericht des Pentagon spreche davon, daß diese Anti-Satelliten-Waffen (Asats) die Sensoren der Überwachungssysteme auf den Satelliten zerstören sollen. Besonders gefährdet seien die Satelliten des National Reconnaissance Office und der NSA, die ja auch das ECHELON-System betreiben soll. Die Laserwaffen, eine chinesische Version des Star-War-Projekts von Reagan, würden auch das Global Positioning System gefährden, wodurch wiederum die Infrastruktur und kommerzielle Anwendungen in Gefahr stehen. Angeblich verfügen die USA über keine Asats.

Diese Meldung jedenfalls kam im richtigen Augenblick, um die Gefahren für die nationale Sicherheit der USA im Weltraum zu unterstreichen. Da nämlich will die US-Regierung auch die Führerschaft gewahrt wissen. Ein ungehinderter Zugang zum Weltraum sei für die nationale Sicherheit, aber auch für die Förderung des Wohlstands in zahllosen Weisen unabdingbar. Der Weltraum wurde, so der Bericht, zu einer globalen Informationsstruktur für viele Belange. Immer mehr Informationstechnologien wie Telekommunikation, Telemedizin, internationale Finanztransaktionen, globale Unterhaltung, Nachrichten, Ausbildung, Wetter- und Navigationsdiente wandern in den Weltraum aus. Sie stärken die US-Wirtschaft und sind abhängig von Satelliten. Immerhin seien 1996 bereits Einkünfte von 77 Milliarden Dollar durch weltraumgestützte Systeme erzielt worden. Für das Jahr 2000 erwartet man an die 122 Milliarden. Und 500 US-Unternehmen seien mit der Weltraumindustrie verbunden.

"Wir werden Bedrohungen unserer Interessen im Weltraum abschrecken und, falls die Abschreckung scheitert, feindliche Aktivitäten gegen den Zugang und den Gebrauch des Weltraums seitens der USA bekämpfen."

Man wolle auch die Mittel haben, militärisch gegen Weltraumsysteme vorzugehen, die die nationale Sicherheit bedrohen. Satellitenbilder würden streng kontrolliert, damit über die Kommerzialisierung nicht wichtige Informationen in die falschen Hände geraten. Und natürlich geht es auch hier wieder um eine neue Kooperation zwischen Privatwirtschaft und Militär sowie Geheimdiensten, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Wachsam sei man auch, um sicherzustellen, daß "wir nicht unsere technologische Überlegenheit kompromittieren, während wir Partnerschaften im Weltraum fördern." Das ist ein Hieb auch gegen die Internationale Weltraumstation (siehe auch: Wem gehört der Weltraum?).

Mit dem Konzept des Schutzes der nationalen Infrastruktur, die dank der Kommunikations- und Transportsysteme sich nicht mehr auf das nationale Territorium erstreckt, sondern auf die ganze Welt, auf den Cyberspace und den Weltraum, leiten die USA eine neue globale Innen- und Außenpolitik ein, die gefährliche Züge hat und den Widerstand gegen die Supermacht erst recht schüren mag. Nach dem Kalten Krieg machen sich Militär und Geheimdienste wieder mit der Beschwörung potentieller Gefährdungen im nächsten Jahrhunderten stark, und die Regierung sucht über den Schutz der nationalen Infrastruktur offenbar wieder mehr Macht über die Wirtschaft zu erlangen, wobei allerdings die angeblich nationalen Unternehmen schon lange nicht mehr US-amerikanische Unternehmen sind. Doch auch für die Bürger ist diese Verschmelzung der militärischen, geheimdienstlichen und wirtschaftlichen Bereiche im Dienste der nationalen Sicherheit eine mögliche Gefahr. Darauf hat unlängst ein Bericht der EPIC hingewiesen.