"Die Große Koalition blockiert die Aufklärung wesentlich"

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele zum NSA-Skandal, zur Politik der Geheimdienste und den Möglichkeiten des Parlaments

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Hans-Christian Ströbele ist Mitglied der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Bundestag. Der Jurist gehört dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) zur Kontrolle der Geheimdienste an. Ein Video des Interviews erschien bei dem Portal weltnetz.tv.

Herr Ströbele, Sie sind - was den ganzen BND-NSA-Komplex angeht - ja eine recht exponierte Person. Fühlen Sie sich eigentlich noch sicher beim E-Mail schreiben und telefonieren?

Hans-Christian Ströbele: Natürlich nicht. Aber bei mir ist das schon altgewohnt. Ich bin seit mindestens dem Jahr 1969 im Fokus verschiedener Behörden und Dienste und kenne das. Auch das Gefühl, dass man am Telefon abgehört wird. Übrigens gerade dann nicht - was die meisten Leute denken -, wenn es knackt. Wenn das gemacht wird, dann ist das ganz, ganz sauber, da merkt man nichts, jedenfalls heute nicht mehr.

Hans-Christian Ströbele. Bild: Weltnetz.tv

Aber heute wird ja viel über Geheimdienste gesprochen. Was sagt das denn über die Geheimdienste aus? Sind die Attacken wirklich mehr geworden oder hat nur die mediale Aufmerksamkeit zugenommen?

Hans-Christian Ströbele: Also erstens ist es natürlich so, dass die Überwachung gerade der elektronischen Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger sehr viel intensiver ist, als das früher überhaupt sein konnte. Für viele Menschen ist das ja eines der zentralen, wenn nicht das wichtigste Kommunikationsmittel. Wenn man das dann voll abgreift, dann weiß man sehr viel mehr über Personen, als wenn man, wie in früheren Zeiten, Leute hinterherschickt oder mal ein Telefongespräch abhört. Zweitens sind die Nachrichtendienste in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, sehr viel transparenter geworden. Als ich in den achtziger Jahren im Bundestag angefangen habe, da wusste man kaum, wer der Chef beim BND oder beim Bundesamt für Verfassungsschutz war. Die Gesichter kannte man eigentlich nicht. Es spielte sich alles völlig im Geheimen ab.

Als ich in Berlin erstmals mit der parlamentarischen Kontrolle befasst war, 1998, da durfte ich nicht einmal sagen, wo ich hingehe, wenn ich zu Sitzungen des Kontrollgremiums gegangen bin. Niemand durfte wissen, wo das ist. Das war völlig geheim. Das ist heute anders. Heute reden die Präsidenten auf Pressekonferenzen und Veranstaltungen und die Nachrichtendienste haben Abteillungen für Öffentlichkeitsarbeit, über die sie mehr Akzeptanz zu bekommen versuchen.

Aber ist das nicht eine Scheintransparenz? Denn in den NSA-Skandalen hat die Bundesregierung das Parlament in der Aufklärung ja mutmaßlich belogen und sie verschleppt die Aufklärung. Was können Sie als Mitglied des Bundestags und als Vertreter der Opposition denn überhaupt machen?

Hans-Christian Ströbele: Leider sehr wenig, da haben Sie völlig recht mit Ihrer Frage. Es ist auch so, dass die Opposition, selbst wenn die beiden Oppositionsfraktionen sich zusammentun, die Rechte im Parlamentarischen Kontrollgremium oder im Untersuchungsausschuss, die das Parlament eigentlich haben sollte, nicht ausschöpft. Und es ist leider so, dass die Große Koalition mit ihren zahlreichen Abgeordneten in diesen Gremien ihre Aufgabe überwiegend darin sieht, sich vor die Bundesregierung, deren Tun und das Tun der Geheimdienste zu stellen. Also, diese völlig unabhängige Kontrolle der Regierung und der Nachrichtendienste durch das Parlament, das findet eigentlich sehr wenig statt. Wenn wir nicht eine aufmerksame Presse hätten, wenn wir nicht Journalisten hätten, die auch uns immer wieder neue Fakten zu Verfügung stellen, die nachfragen und beharren, dann würde das noch viel schlechter aussehen.

Sprechen wir über die Position der Bundesregierung: Ist es nicht ziemlich skurril, wenn die Bundesregierung sagt, man müsse zu der Selektorenliste der NSA, zu den Suchbegriffen, mit denen gearbeitet wurde, erst die Antwort aus den USA abwarten, bevor man selber Schritte unternimmt?

Hans-Christian Ströbele: Ja, das ist ein kleinmütiges Vorgehen. Man traut sich nicht, gegenüber der NSA oder auch den USA entschieden aufzutreten und die eigene Position klarzumachen. Wir dürfen ja nicht vergessen: Hier handelt es sich auch nach Meinung des Bundesnachrichtendienstes und der Bundesregierung um unerlaubte, um illegale Selektoren, die die NSA vertragswidrig, vereinbarungswidrig in den vom BND überwachten deutschen Datenverkehr eingegeben hat. Und da wird ja jetzt gesagt: Ihr macht zwar etwas Illegales, aber ob wir das auch unserem Parlament mitteilen und die Selektoren vorlegen dürfen, das fragen wir Euch und das tun wir nur, wenn Ihr zustimmt. Das macht jeden Willen zur Aufklärung völlig unglaubwürdig.