"Die Große Transformation hat gerade erst angefangen"

Seite 3: Das Verrückte ist, dass man diese Maschinerie nicht stoppen oder drosseln kann

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Sehen Sie auch eine Wechselwirkung zwischen diesen inneren und äußeren Schranken des Kapitals? Verhält es sich nicht gerade so, dass die steigende Produktivität der "Megamaschine" die Ressourcenverschwendung befeuert, da ja die Verwertung des Werts den irrationalen Selbstzweck dieser amoklaufenden Monstermaschine bildet?

Fabian Scheidler: Ja, die endlose Produktivitätssteigerung als Selbstzweck, um aus Geld mehr Geld zu machen, treibt uns an die ökologischen und stofflichen Grenzen und untergräbt zugleich die ökonomische Basis, weil sie Menschen überflüssig macht. Das Verrückte ist ja, dass man diese Maschinerie nicht stoppen oder drosseln kann. Wer die Produktivität drosselt, der wird von den Märkten bestraft und fällt zurück. In diesem Hamsterrad sind alle gefangen, und deswegen treiben alle das Rad weiter an, obwohl es uns gegen die Wand fährt.

Sie haben den Ausstieg aus der Megamaschine ein ganzes Kapitel ihres Buches gewidmet. Wie könnte so ein transformatorischer Prozess sich abspielen?

Fabian Scheidler: Die Transformation wird auf jeden Fall geschehen, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist nur, wie sie aussieht und wohin sie führt. Es ist durchaus möglich, dass das, was kommt, noch schlimmer ist, als das, was wir jetzt haben.

In der EU zeichnet sich etwa eine neue Form von autoritärem Regime ab, eine Diktatur der Gläubiger in Verbindung mit einer Plünderungsökonomie. Zugleich sehen wir von Zentralafrika bis zum Mittleren Osten einen Korridor von gescheiterten Staaten: vom Kongo über Somalia, Libyen, Syrien und den Irak bis nach Afghanistan. Dort regieren die Warlords und Mafias. Das gilt auch für die Ukraine. Oder für Mexiko, das nach den neoliberalen Rosskuren längst Beute rivalisierender Gangsterbanden ist.

Wohin die Reise geht, hängt ganz wesentlich von uns allen ab, davon, ob wir in der Lage sind, neue Formen des Wirtschaftens und des Zusammenlebens aufzubauen und zugleich erfolgreich Widerstand gegen Repression, Enteignung und Ausbeutung zu leisten. In meinem Buch zeige ich eine Reihe von vielversprechende Ansätzen, kleinen wie großen, zum Beispiel den Aufbau von großen Netzwerken solidarischer Ökonomie, wie man sie etwa in Brasilien sehen kann; oder die bemerkenswerte Welle von Genossenschaftsgründungen im Energiesektor. Entscheidend ist es dabei, die Versorgung mit den lebensnotwendigen Gütern wie Wohnen, Essen, Gesundheit, Wasser, Bildung, Energie, Kommunikation, Kultur langfristig aus der Profitlogik und dem Markt herauszulösen und neu zu organisieren.

Damit solche Formen der Selbstorganisation tatsächlich in der Breite Fuß fassen können und nicht vom Strudel der Krisenereignisse weggespült werden, braucht es auch neue Formen der politischen Organisation, um dort, wo Risse im System auftauchen, politische Räume besetzen zu können und Rahmenbedingungen für eine andere Wirtschaft zu schaffen. Davon sind wir aber noch ziemlich weit entfernt. Das Weltsozialforum etwa ist so ein Versuch, aber es hat in den letzten Jahren etwas an Dynamik verloren.

Ich denke aber, dass es neue Versuche geben wird, die verschiedenen Bewegungen für einen Ausstieg aus der Megamaschine enger miteinander zu verknüpfen. Die große Transformation hat ja gerade erst angefangen, und zu ihren Eigenheiten gehört es, dass man nichts vorhersagen kann.

Fabian Scheidler und Daniela Dahn im Roten Salon der Volksbühne, 29. Mai 2015.

Der Niedergang des mächtigsten und auch gefährlichsten Systems, das die Weltgeschichte je erlebt hat

Dieser "Transformationskampf" hat ja offensichtlich in der kollabierenden Peripherie des kapitalistischen Weltsystems schon mit unglaublicher Brutalität eingesetzt. Glauben Sie, dass man in den Zentren und in der Peripherie diesen Absturz in Barbarei wird verhindern können? Können wir einen demokratischen und zivilisierten Transformationsprozess organisieren? Oder, anders gefragt: Der real existierende Sozialismus ist ja relativ friedlich implodiert, ohne die Welt in ein Flammenmeer zu tauchen - kann dies der real existierende Kapitalismus ebenfalls leisten?

Fabian Scheidler: Man kann den Untergang des Realsozialismus nicht mit dem Niedergang des kapitalistischen Weltsystems vergleichen. Denn der Ostblock war ja - zumindest in den letzten Jahrzehnten seiner Existenz - in mancher Hinsicht Teil dieses Systems, auch wenn viele das bis heute nicht wahrhaben wollen. Und er ist einigermaßen kontrolliert abgewickelt worden, mithilfe der Leute auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, die auf diese Gelegenheit nur gewartet haben. Es gab ja ein funktionierendes größeres System, das den Osten einfach schlucken konnte.

Was wir jetzt vor uns haben, ist von ganz anderen Dimensionen, es ist der Niedergang des mächtigsten und auch gefährlichsten Systems, das die Weltgeschichte je erlebt hat. Es ist weltumspannend. Und es gibt kein Ersatzsystem. Ich glaube nicht, dass ein gelenkter, geplanter, kontrollierter Übergang zu etwas anderem möglich ist. Wer sollte das steuern? Und wohin? Ohne größere Brüche und ohne chaotische Phasen wird es nicht gehen.

Die Frage ist, wer in diesem Chaos die Oberhand gewinnt. Die jetzigen Eliten werden mit allen Mitteln dafür kämpfen, ihre Privilegien und ihre Macht zu erhalten. Sie werden langfristig auch nicht davor zurückschrecken, mit ultrarechten Kräften zusammenzuarbeiten, das tun sie ja teilweise schon heute. Wenn wir passiv bleiben und einfach abwarten, was kommt, werden sie leichtes Spiel haben. Aber wenn eine kritische Menge von Menschen beginnt, sich einzumischen und sich für eine gerechtere, menschenwürdigere Welt zu organisieren, dann haben wir eine Chance.

Das Problem ist, dass wir die Selbstorganisation großenteils verlernt haben. Wir erwarten, dass der Strom aus der Steckdose kommt, dass uns irgendjemand einen Job gibt, dass Politiker unsere Interessen vertreten, wenn wir alle vier Jahre ein Kreuzchen machen - eigentlich eine sehr merkwürdige Vorstellung. Aber damit werden wir auf Dauer nicht weiter kommen. Wir müssen unser Leben wieder selbst in die Hand nehmen, und das kann eben auch anstrengend sein.

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