Die ICANN liegt fest an der Hundeleine der US-Regierung

Andy Müller-Maguhn im Literarischen Salon Hannover

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Es gibt Karrieren, die gibt es nur rund ums Internet. Noch vor Jahren galt der Hamburger Andy Müller-Maguhn als ach so gefährlicher Hacker des Chaos Computer Clubs, und heute ist der 29-Jährige Direktor bei der "Internet Corporation for Assigned Names and Numbers" (ICANN), die bekanntlich für die Verwaltung und Vergabe der so genannten Top-Level-Domains im Internet zuständig ist. Doch hinter dieser schnöden Verwaltungsarbeit steckt mehr als man glaubt.

Es geht, wie Müller-Maguhn bei einer Veranstaltung des Literarischen Salons der Universität Hannover deutlich machte, um Geld, Macht und Einfluss im und über das Computernetz. Und die zentrale Rolle spielt bei alledem die US-Wirtschaft und die ihr in eiserner Treue fest verbundene Regierung.

Dass Müller-Maguhn nun als einer von 19 Direktoren ausgerechnet einer Firma dient, die nicht nur nach kalifonischem Recht gegründet wurde, sondern die, wie er sagt, "fest an der Hundeleine der US-Regierung liegt" - damit kann er durchaus leben. Als Aushängeschild fühlt er sich jedenfalls keineswegs missbraucht. "Dazu sind immer zwei nötig, einer, der missbraucht, und ein anderer, der sich missbrauchen lässt." Was er dort als (übrigens ehrenamtlicher) Direktor versucht oder besser versuchen möchte, sei, eine andere Sichtweise einzubringen, die Transparenz zu fördern, und dass bei den anfallenden Entscheidungen, "auch mal die Interessen der Netznutzer mit berücksichtigt werden".

Doch da sei die US-Wirtschaft vor. Sie dominiert, wie Müller-Maguhn sagt, über das US-Handelsministerium weiterhin die ICANN und versucht bisher erfolgreich das US-Namensrecht bei der Vergabe von Netzadressen durchzuboxen. Das heißt, dass beispielsweise der von Gewerkschaften angedachte Plan über eine neue Domain wie coca-cola.workers kritische Informationen über die Arbeitsbedingungen in dem Unternehmen zu veröffentlichen, nicht möglich ist, weil der Firmennamen eben weltweit via ICANN geschützt ist.

Und auch das US-Verteidigungsministerium hat ein waches Auge auf die Arbeit der ICANN. Da die Zentrale (genau wie die zentralen Netzserver) in den USA liegt, wäre es angesichts eines kriegerischen Konfliktes durchaus möglich, die zweistellige Länderendung eines Gegners kurzerhand zu löschen. Dann hingen die Computer in China, Irak oder in einem anderen Reich des Bösen zwar immer noch am Netz, aber erreichen könnte sie keiner mehr.

Keine schönen Aussichten. Gleichwohl denkt und arbeitet Müller-Maguhn weiterhin nach dem Prinzip Hoffnung. Für ihn ist das Internet halt nicht nur die von den Konzernen erhoffte zusätzliche Geldmaschine, sondern ein globaler Kulturraum, in dem jeder - mit ein wenig Know-how - sogar zum Sender werden kann. Und zudem kann das Netz ja genutzt werden, um Informationen zu verbreiten, die in den herkömmlichen Medien bewusst oder unbewusst unterschlagen werden.

Dass das Internet auch von Kriminellen benutzt wird, die beispielsweise dort mit Kinderpornos handeln, weiß natürlich auch der ICANN-Direktor. Dennoch tritt er entschieden gegen Software-Filter und andere Zensurmaßnahmen ein. "Gesellschaftliche Probleme lassen sich nicht technisch lösen", betont er. Und Neonazis würden nicht verschwinden, wenn man sie im Netz unsichtbar mache. Vielmehr sollte man stattdessen "genau das sichtbar machen, was ist". Das sei zwar eine bittere Medizin, aber immer noch besser, als wenn den Leuten durch ein sauberes und politisch-korrektes Netz eine heile Welt vorgetäuscht würde. "Dann gehen die mal vor die Tür und sind überrascht, dass sie draußen von einem Neonazi einen übergezogen bekommen."

Und außerdem hält es Müller-Maguhn in diesem Zusammenhang für völlig absurd, in einem globalen Netz auf die national unterschiedlichen Empfindlichkeiten Rücksicht zunehmen. Dann dürfte sich nämlich auch keiner mehr wundern, wenn ein Werbemanager, der in ein arabisches Land reist, dort ein paar Gliedmaße verliert. Nur weil er auf einer Netzseite nackte Frauen zu Werbezwecken eingesetzt hat - was nach arabischem Recht eben streng und schmerzhaft bestraft wird.