Die Interessenverbände haben sich den Staat unterworfen
Seite 3: Wer führt hier die Verbraucher in die Irre?
- Die Interessenverbände haben sich den Staat unterworfen
- Klientelpolitik um Wählerstimmen
- Wer führt hier die Verbraucher in die Irre?
- Die Asymmetrie bestehender Machtverhältnisse verfestigt sich
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Da passt es, dass der damalige FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler den Vizedirektor des Verbands der PKV, Christian Weber, zum beamteten Staatssekretär und Leiter der Grundsatzabteilung seines Ministeriums berief. Er sollte gesetzliche Krankenkassenwesen möglichst schnell zu einer privaten Krankenversicherungs-Organisation umwandeln.
Der PKV-Verband verlangte, dass die 2007 eingeführte "willkürliche Verdreifachung der Wartezeit" für Arbeitnehmer, die die Versicherungspflichtgrenze hinter sich gelassen haben, "zurückgenommen werde". Der Koalitionsvertrag dazu:
Ein Wechsel in die private Krankenversicherung wird zukünftig wieder nach einmaligem Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze möglich sein.
Die Forderung der Privaten ist damit voll erfüllt.
Schon der frühere Verteidigungsminister Helmut Schmidt verstärkte sein Ministerium um einen beamteten Staatssekretär, der zuvor bei einem Rüstungsunternehmen leitend tätig war und der sich mit einem Monatsgehalt von lediglich 1,00 DM besolden ließ, also nicht auf ein staatliches Einkommen verzichten durfte, weil Beamte auf Grund gesetzlicher Verpflichtung nicht auf eine Bezahlung verzichten können.
Der deutschen Lebensmittelindustrie ist die Idee einer Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln ein Ärgernis. Zu viel Fett oder Zucker in einem Produkt hätte eine rote Ampel auf der Packung zur Folge gehabt. Botschaft: lieber nicht kaufen. In anderen Ländern ist die Ampelkennzeichnung erfolgreich eingeführt.
Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde schrieb an seine Mitglieder, er wolle eine "Informationsinitiative Nährwertkennzeichnung starten" mit dem Ziel, "allen politischen Entscheidungsträgern auf Bundes-, Landes- und vor allem Europaebene deutlich zu machen, dass insbesondere die Ampelkennzeichnung keine Option einer seriösen Verbraucherschutzpolitik ist". Natürlich sollen auch die "wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Unternehmen deutlich gemacht werden".
Dazu der Koalitionsvertrag:
"Eine politische Steuerung des Konsums und Bevormundung der Verbraucher durch Werbeverbote und Strafsteuern für vermeintlich ungesunde Lebensmittel lehnen wir ab. Ein farblich unterlegtes Ampelsystem zur Nährwert-Kennzeichnung führt die Verbraucher in die Irre."
Im November 2001 kündigte der Energiekonzern Eon an, er wolle die Mehrheit an der Ruhrgas AG übernehmen. Schon im Vorfeld hat sich der Konzern bei einem vertraulichen Treffen im Kanzleramt der Unterstützung durch die Bundesregierung versichert. Im Januar 2002 untersagte das Bundeskartellamt die Übernahme, da die Ruhrgas AG bereits mehr als 60 Prozent des deutschen Gasmarkts beherrscht.
Eon beantragte daraufhin eine Ministererlaubnis. Bundeswirtschaftsminister Minister Werner Müller galt als Befürworter und als befangen, da er zuvor beim Eon-Vorgänger Veba tätig war. Also übertrug er die Entscheidung pro forma an seinen Staatssekretär Alfred Tacke. Der unterstand der Weisungsbefugnis des Ministers und erteilte erwartungsgemäß im Juli 2002 die Erlaubnis. Nach Einspruch und Neuverhandlung erhielt Eon im September 2002 endgültig die Übernahmeerlaubnis.
Wenige Monate später übernahm Müller den Vorstandsvorsitz der Ruhrkohle AG, des Unternehmens, das Eon seine Ruhrgas-Anteile verkauft hatte. Im Dezember 2004 wurde Alfred Tacke Vorstandmitglied der Steag AG, einer Beteiligung der von seinem ehemaligen Minister geleiteten Ruhrkohle und der RWE.
Am Ende der Amtsperiode des Bundeskanzlers Schröder erhielt der russische Gazprom-Konzern noch eine Milliardenbürgschaft und grünes Licht für den Bau seiner Ostsee-Pipeline. Nach seiner Amtszeit wechselte Schröder in den Aufsichtsrat der Gazprom-Pipelinetochter. Die Zahl der Beispiele ließe sich beliebig vermehren.
Niemand sollte sich darüber wundern, dass hier vorwiegend Beispiele aus der Zeit der kleinen CDU/CSU-FDP-Koalition angeführt werden. Die haben halt schon einige Zeit agieren können. Die jetzt regierende große Koalition steht erst am Anfang und hat vorerst alle Kräfte darauf konzentriert, die Abgeordnetendiäten zu erhöhen und sich nach Herzenslust zu blamieren, ist aber noch längst nicht fertig damit. Mit dem Blamieren, versteht sich.
Immerhin verfolgt sie unverdrossen weiter die Politik, alle Lasten der Energiewende auf die Verbraucher abzuwälzen und es den großen, Energie verbrauchenden Unternehmen zu ersparen, ihren eigenen Stromverbrauch zu bezahlen.
Die Kunst des Einknickens praktiziert auch die neue Regierung schon mit imponierender Virtuosität. So hatte das Bundeswirtschaftsministerium ursprünglich vorgesehen, auch die Deutsche Bahn etwas stärker beim Strom zur Kasse zu bitten. Doch ein schneller Warnschuss aus der Hüfte von Bahnchef Rüdiger Grube genügte, um den Superminister Sigmar Gabriel davon zu überzeugen, dass er den Schwanz einziehen sollte: Nach Protesten aus der Verkehrsbranche schont der Minister die Bahnen bei seiner Ökostrom-Reform. Höhere Abgaben für U- und Straßenbahnen sowie die Deutsche Bahn sind im jüngsten Gesetzentwurf für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht mehr vorgesehen.
In früheren Entwürfen war eine deutliche Mehrbelastung vorgesehen, die sich über die Jahre steigern sollte. Für 2018 war so die Zahlung von 30 Prozent der Umlage vorgeschrieben. Das hätte die Deutsche Bahn allein mit über 100 Millionen Euro getroffen. Stattdessen findet sich nun doch wieder die bisherige Regelung, von der vor allem die Deutsche Bahn profitierte, in dem Entwurf wieder. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht Rabatte für die Industrie im Wert von fünf Milliarden Euro jährlich vor. Zahlen müssen das die privaten Haushalte. Die Bundesregierung hält daran unvermindert fest, obwohl die EU-Kommission sie rechtlich für anfechtbar hält.
Wie das Tohuwabohu ausgehen wird, ist noch ungewiss. Gewiss aber ist eines: Wenn die Industrie auf Konfrontationskurs mit der Politik gehen sollte, dann kann man sich hundertprozentig darauf verlassen, dass die Industrie am Ende nicht einknicken wird. Doch die Regierung ist schon in vorauseilender Unterwerfung auf die Knie gegangen…
Dass aber die einfachen Verbraucher in den privaten Haushalten die Investitionen von Industrieunternehmen bezahlen müssen, scheint in der verkümmerten Demokratie unserer Tage niemanden mehr zu wundern. Die Welt der entwickelten Demokratien ist längst völlig aus den Fugen geraten.