Die Konstruktion der Zukunft

Prominent besetzte Kommissionen als Inszenierung von Politik und Sachverstand

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Sogar die Zukunft war früher besser, soll der Münchner Komiker Karl Valentin moniert haben. Wie heute die Zukunft aussehen soll, damit beschäftigen sich in der Bundesrepublik derzeit wieder diverse „Zukunftskommissionen“. Das Land Nordrhein-Westfalen hat gerade den Abschlussbericht seiner Zukunftskommission vorgestellt („Nordrhein-Westfalen 2025)“, während der Freistaat Bayern gerade seine Kommission „Zukunft soziale Marktwirtschaft“ ins Leben gerufen hat. „Die Rennaissance der sozialen Marktwirtschaft wird von München ausgehen“, ist dabei der nicht unbescheidene Ausgangspunkt von Ministerpräsident Horst Seehofer. Doch derlei „Zukunftskommissionen“ sind vor allem eins: Die Inszenierung von angeblichen Sachverstand und die Fortsetzung der Politik mit den Mitteln der Talk-Show.

Gerade mal zwei Monate Zeit haben die zehn Mitglieder der bayerischen Kommission, um Antworten auf doch sehr grundlegende Fragen zu finden. „Wir wissen, dass der Spekulationskapitalismus genau so gescheitert ist, wie die sozialistische Planwirtschaft“, gibt Seehofer die aktuelle gesellschaftliche Bilanz vor. Wie aber nun „unsere Finanz- und Wirtschaftsordnung künftig wetterfest“ gemacht werden soll, dazu soll die weißblaue Kommission in fünf Sitzungen bis Ende Juni einen Bericht abgeben – wohlweißlich noch vor der Bundestagswahl im Herbst. Grund genug für die SPD-Opposition in Bayern, von einer „Schaufensterveranstaltung“ zu sprechen.

Um innerhalb von zwei Monaten geistig die „Renaissance der sozialen Marktwirtschaft“ zu stemmen, dazu braucht es wahrlich eine Erleuchtung. Zuständig hierfür könnte das Kommissionsmitglied Reinhard Marx, seines Zeichens Münchner Erzbischof und Vertreter der katholischen Soziallehre sein. Er präsentiert in der Kommission sozusagen die weichen Standortfaktoren, für die harten sind Unternehmensvorstände (Wacker Chemie, Roche, Loewe AG) und der Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn zuständig. Als Vertreter der Arbeitnehmerseite könnte man das Kommissionsmitglied Manfred Schorch, Gesamtbetriebsrat von BMW, bezeichnen. Ihn beschrieb die „Süddeutsche“ als jemand, der „nie am Band stand“, aber schon mit Schlips und Kragen durch das Unternehmen lief, als „die Betriebsräte anderswo ihre proletarische Herkunft noch an der Kleidung erkennen ließen“. Vertreter der Gewerkschaft, von Verbraucherschützern oder gar der Globalisierungsgegner Attac sucht man in der Kommission vergebens.

Nun ist es so, dass bei derlei Zukunftskommissionen an Zukunft hinten rauskommt, was man vorne reingibt. Steckt man also vorne einen bekannten Vertreter der neoliberalen Ideologie hinein, die Mitschuld an der Finanz- und Wirtschaftskrise hat, so darf man sich nicht wundern, wenn hinten ein neoliberaler Zukunftswurf herauskommt. Man kann eben aus Schweineohren keine Seidentäschchen machen. Besichtigen kann man diesen Prozess an den Ergebnissen der Zukunftskommission von Nordrhein-Westfalen. Da hat man vorne den CDU-Politiker Friedrich Merz („Rettet den Kapitalismus“) eingegeben und hinten heraus kam neben Binsenweisheiten und Plattitüden die altbekannte neoliberale Leier.

Zwar wächst der Niedriglohnsektor in Deutschland in beängstigendem Maße, doch laut dem Beschäftigungs-Bericht der Kommission „sorgt eine falsche Anreizstruktur“ noch immer dafür, dass „gegebene Möglichkeiten“ ungenutzt bleiben und stattdessen auf „das vergleichsweise hohe Niveau der staatlichen Transferleistungen vertraut wird“. Gemeint ist damit das Armutsniveau von Hartz IV. Damit man es sich in dieser sozialen Hängematte nicht allzu bequem macht, sollen künftig diese Leistungen nicht mehr „kostenlos“, sondern nur gegen Arbeit gewährt werden. Zwar kommt der Bericht nicht umhin, von „einem unbestreitbaren Marktversagen“ zu schreiben und davon, dass unternehmerische Risiken zunehmend „auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden“, doch als Antwort bietet der Beschäftigungs-Bericht der Kommission nur das neoliberale „Weiter-So“: Mit den bisherigen Reformen, zu denen ja auch die Deregulierung der Finanzmärkte gehörte, habe Deutschland den Anschluss an „positive internationale Entwicklungen gefunden“.

Die Sprache dieses Berichts („Verbesserung der Humankapitalbasis“, „Tradeoff“) ist dabei so wirtschaftsorientiert wie die Ratschläge platt. Dass Bildung der Schlüssel zur Lösung von Problemen der Arbeitslosigkeit sei, ist eine Forderung, die nun schon seit Jahrzehnten wiedergekaut wird und dabei in einem grotesken Gegensatz zur aktuellen Bildungspolitik steht, die gerade mit Studiengebühren und Bachelor-Studiengängen neue soziale Bildungshürden errichtet hat.

Wie die Zukunft aussehen soll, die eine Zukunftskommission zusammenzimmert, lässt sich also einfach über die personelle Besetzung steuern, es handelt sich um eine Inszenierung. „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, kommentierte auch der Bonner Generalanzeiger den Bericht der NRW-Kommission. Und es ist ein merkwürdiges Ding, dass die Politik ihren vom Wähler erhaltenen Auftrag an derartige Gremien weiterreicht. Denn an Sachverstand mangelt es weder in der Ministerialbürokratie noch in den Universitäten und Hochschulen, die Gutachten für die Politik liefern. Vielmehr werden diese Gremien mit bekannten Persönlichkeiten besetzt, um so mediale Aufmerksamkeit zu erreichen – die Talk-Show aus dem Fernsehen lässt grüßen. Dabei unterscheiden sich die „Experten“ dieser Runde kaum vom Politiker selbst – Personen, die mit gesunden Menschenverstand und möglichst beruflicher Erfahrung Dinge beurteilen sollen. Das aber ist genau der Job eines Politikers und es gibt keinen Grund, diesen medienwirksam an eine Prominentenrunde weiterzugeben.

In Bayern sind die Rezepte der von München ausgehenden „Renaissance der sozialen Marktwirtschaft“ übrigens so geheim, dass die Kommissionsmitglieder nicht über ihre Gespräche Auskunft geben dürfen. Das ist nur der Bayerischen Staatskanzlei vorbehalten.