Die Kurzsichtigkeit der CIA

Robert Littell, Autor des Geheimdienst-Wälzers "Die Company", über Sinn und Unsinn von Spionage vor und nach dem 11. September

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Als gebürtiger Brooklyner hätte der Newsweek-Reporter a.D. und Osteuropaspezialist Robert Littell (Jahrgang 1935) sicher auch eine authentische Mafia-Saga schreiben können. Doch nach 12 Romanen hat der inzwischen in Frankreich lebende Autor sein jetzt auf deutsch erschienenes Opus Magnum erneut in der Geheimdienst-Szene angesiedelt. Aber die ist ja auch oft recht "familiär". In den Jahren des Kalten Kriegs verfolgt er an einer Handvoll Agenten die Geschichte der Central Intelligence Agency (CIA), dem nach dem Mauerfall wohl mächtigsten Geheimdienst der Welt, der von Insidern nur als "die Company" bezeichnet wird. Von der "Berliner Basis" in den Fünfzigern über den Ungarn-Aufstand, das Fiasko in der kubanischen Schweinebucht, den sowjetischen Afghanistan-Krieg bis hin zum Putsch gegen Gorbatschow liefern sich die Spione ein Nerven aufreibendes Gefecht mit der russischen Gegenseite des KGB und "Maulwürfen" in den eigenen Reihen.

Im Interview mit Telepolis geht Littell, der in den USA seit dem Beginn seiner zweiten Karriere als Schriftsteller 1970 häufig mit Genre-Autoren wie John le Carré verglichen wird, auch auf aktuelle Fragen wie das Versagen der Geheimdienste vor einem Jahr am 11. September ein.

Leiden Sie an Paranoia? Die meisten Figuren ihrer Saga über die Umtriebe der Geheimdienste während des Kalten Kriegs sind ja ziemlich durchgeknallt.

Littell: Wie fast jeder auf dem Planeten Erde bin ich leicht paranoid, aber ich leide nicht darunter. Gemäß der alten Weisheit: "Auch Paranoide haben echte Feinde" würde ich vermutlich eher darunter leiden, nicht ein wenig paranoid zu sein.

Beim Lesen ihres Buchs erhält man den Eindruck, dass die Geheimdienste ihre Finger überall im Spiel haben. Sie geben hier ein paar Dollar und dort ein paar Mark aus, um auf die Weltpolitik während des Kalten Kriegs Einfluss zu nehmen. Ist das heute noch genauso?

Littell: Während des langen Kalten Kriegs haben die zwei wichtigsten Spionagedienste, die CIA und der KGB, sowie die kleineren Mitspieler wirklich überall mitgemischt. Besonders für die CIA galt, dass sie alles, was irgendwo passierte, in Bezug setzte zum Kalten Krieg und zur Sowjetunion. Dabei machten wir den enormen Fehler, dass jeder, der gegen die Russen war, unsere Hilfe bekam. Es war egal, ob es dabei um einen brutalen südamerikanischen Diktator oder um einen korrupten südvietnamesichen Diktator ging. Es war fast so, als ob die Amerikaner so besessen waren mit dem Gedanken an die Kommunisten, dass sie die langfristigen Nachteile durch die Unterstützung solcher Leute nicht sahen.

Brauchen wir überhaupt noch Geheimdienste nach dem Ende des Kalten Kriegs?

Littell: Definitiv. Nehmen Sie den 11. September. Wenn die CIA sauber gearbeitet hätte, wenn sie also Leute im Feld und Übersetzer gehabt hätte, die sich die abgehörten Mitschnitte der Taliban hätten vornehmen können, wäre vielleicht alles anders verlaufen. Ein anderes großes Wenn: der - nicht erfolgte - Austausch von Informationen mit dem FBI und anderen Regierungsbehörden. Das FBI hatte sich ja regelrecht geweigert, mit der CIA zusammenzuarbeiten.

Der Anschlag auf die USA hätte relativ einfach verhindert werden können?

Littell: Im Rückblick ist klar, dass genügend Informationen, genügend Stücke im Geheimdienstpuzzle vorhanden waren, die bei einigen Analysten eine einzige Frage hätten auslösen müssen: Warum sollten potenzielle Luftpiraten daran interessiert sein die entführten Flugzeuge selbst zu steuern, wo doch bereits ein qualifizierter Pilot an Bord ist? Wenn nur diese eine Frage gestellt worden wäre - nachdem das FBI mitbekommen hatte, dass einige islamistische Fundamentalisten Flugstunden in den USA nahmen, und das FBI den so genannten 20. Entführer unter dem Verdacht festgenommen hatte, dass er nur das Fliegen, aber nicht das Landen von Flugzeugen lernen wollte -, hätten wir den tragischen Angriff auf das World Trade Center wohl verhindern können.

Die CIA ist seitdem ins Schussfeuer der Kritik geraten. Wie konnte sie trotz ihrer immensen Ausstattung den 11. September verschlafen?

Littell: Mit der Auflösung der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Kriegs ging es bergab mit der CIA. Ohne einen Feind wurde sie zu einem Schiff ohne Steuer. Das Adrenalin schoss nicht mehr durch ihre Venen. Die CIA kam ganz raus aus dem Spionagegeschäft. Sie schickte Leute im Feld in den Ruhestand, schloss Büros in der ganzen Welt und begann, auf Nummer sicher zu spielen. Das heißt, sie verließ sich immer stärker auf SIGINT (Signal Intelligence), also auf meist von Satelliten abgehörte Nachrichten, statt auf das risikoreichere Geschäft mit der HUMINT, der menschlichen Aufklärungsarbeit. Sie hörte auf damit, den Zuständigen in Washington Dinge zu erzählen, die diese nicht hören wollten. Sie verwandelte sich in eine ängstliche, bürokratische Organisation.

Ist die CIA nach wie vor schlecht gerüstet für die neue Welt nach dem Kalten Krieg und dem 11. September?

Littell: Heute, nach dem Wachruf im Herbst und angesichts der terroristischen Bedrohung, versucht die CIA krampfhaft, wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Aber sie hatte unter anderem ihre Linguisten soweit entlassen, bis es keine Menschenseele mehr in der CIA gab, die den Paschtunen-Dialekt sprach. Deswegen mussten sie die abgehörte Taliban-Kommunikation just an den pakistanischen Geheimdienst "outsorcen". Darin steckt eine unglaubliche Ironie, da die Pakistaner die Taliban in erster Hand selbst geschaffen hatten, um einen strategischen Ring rund um Indien mit islamischen Staaten zu legen.

In ihrer Chronik berichten Sie über die Bewaffnung der afghanischen Rebellen in den 1980ern, um die vorrückenden Sowjettruppen zurückzuschlagen. Hat die CIA damit die späteren Attentäter auf ihr Heimatland selbst gezüchtet?

Littell: Insbesondere die CIA -- aber auch die USA im Allgemeinen -- war extrem kurzsichtig, als sie die islamischen Fundamentalisten bewaffnete und unterstützte. Die übliche Theorie lautete damals: der Feind meines Feindes ist mein Freund. Und die Mudschaheddin machten natürlich kein Aufsehen darüber, dass sie sich nach der "Zerschlagung" der Russen gegen den Westen wenden würden, gegen Amerika, den "Großen Satan".

In Ihrem Buch taucht eine bärtige Figur auf, die stark an Osama bin Laden erinnert.

Littell: Ja, ich habe ihn eingebaut. Aber ich hatte das Manuskript bereits ein Jahr und eine Woche vor dem 11. September eingereicht. Bin Laden war in Afghanistan und er fungierte dort genau in der Rolle, die er auch im Roman spielt: er war eine Art Bankier für die Fundamentalisten im Kampf gegen die Sowjets. Die CIA wusste, dass er dort war, hielt sich aber beide Augen zu.

Wiederholen die USA ihren historischen Fehler, sich zu stark auf ein Feindbild zu kaprizieren, jetzt mit der Kriegserklärung an die "Achse des Bösen" und den Irak?

Littell: Es sind nicht so sehr die Amerikaner, die hier nicht an langfristige Konsequenzen denken, sondern es ist der Präsident. George W. Bush hat kein gutes Gespür für internationale Beziehungen und den Rest der Welt. Er und seine Berater haben aber verstanden, dass ein Präsident "im Kriegszustand" ein populärer Präsident in diesen Zeiten sind. Bushs Gehabe nach dem 11. September, seine "Dead or Alive"-Rhetorik, seine "Achse des Bösen" und sein Gerede über den Angriff auf den Irak zielt darauf ab, die Republikaner bei den Wahlen im November zu stärken. Wenn er wirklich daran interessiert wäre, den islamistischen Terror zu bekämpfen, würde er zunächst Frieden im Nahen Osten stiften und Sharon bremsen. Aber so will er nur den Topf am Kochen halten bis zur nächsten Präsidentenwahl in 2004.

Glauben Sie an Verschwörungstheorien?

Littell: Es kommt auf die Geschichte an. Ich glaube nicht, dass es rund um die Ermordung von John F. Kennedy eine Verschwörung gab. Andererseits war der Schlag, den von Stauffenberg gegen Hitler startete, klar eine Verschwörung, eine große sogar.

Seit dem 11. September entfaltet sich eine Verschwörungstheorie, die ungefähr so geht: Al-Quaida-Terroristen hätten es niemals fertig gebracht, eine so große Attacke allein auszuführen. Und schon gar nicht, ohne auf den Radarschirmen der großen Geheimdienste aufzutauchen. Der Schlachtplan sei folglich von der CIA und anderen Diensten ausgeheckt worden, um ihre Budgets nach dem Fall der Berliner Mauer zu retten. In Deutschland gibt unter anderem der Geheimdienstexperte Andreas von Bülow oder das Buch "Der Angriff der Falken" aus der Feder des Journalisten Wolfgang Eggert dieser These Nahrung. Sehen Sie darin ein Fünkchen Wahrheit?

Littell: Es lohnt sich kaum, diese Frage zu beantworten. Das ist reiner Müll. Alle, die Verschwörungstheorien rund um Ereignisse in den USA konstruieren, vergessen zu schnell, dass es dort eine freie und investigative Presse gibt. Die deckt jede Verschwörung auf, wo immer sie nur kann. Derartig breite Verschwörungen, wie Sie sie andeuten, sind unmöglich. Sie kriegen keine 5000, 1000 oder 500 Leute dazu, ein solches Geheimnis zu bewahren.

Im Bundestag gibt es linke Stimmen, die sich für die Abschaffung der deutschen Geheimdienste stark machen. Das wäre vielleicht gar kein großer Verlust - immerhin tauchen deutsche Spione in ihrem Buch nirgends auf?

Littell: Alle Länder brauchen Geheimdienste, die potenzielle Bedrohungen identifizieren, einschätzen und letztlich ausschalten. Das gilt besonders für Deutschland, liegt es doch mitten in Europa und blickt auf all diese früheren Satellitenstaaten der Sowjets. Ein Land ohne Geheimdienst ist wie ein Ritter ohne Rüstung.

Es gibt den Trend, dass sich die Schlapphüte immer mehr auf neue Technologien verlassen. In ihrem Buch erwähnen Sie, wie ein neuer Univac-Computer 1951 in "der Company" installiert und als Beginn einer Revolution der Informationsbeschaffung gepriesen wird. Können immer stärkere Rechner und bessere Datamining-Software die Missstände der Dienste beseitigen?

Littell: Es gibt keinen Ersatz für die menschliche Aufklärung. Man braucht Agenten im Feld, die mit dem Terrain, mit dem Land, der Sprache und der Kultur vertraut sind. Man braucht Agenten, die ins Herz eines potenziellen Gegners vordringen und über seine Vorhaben und Fähigkeiten berichten können. Das kann man nicht durch das Einfangen von Stimmen über die Luft oder durch Satelliten-Fotos herauskriegen.

Politiker überall im Westen haben nach dem 11. September umfangreiche "Sicherheitsgesetze" durch die Parlamente gejagt. In Deutschland hat Bundesinnenminister Otto Schily ein Paket geschnürt, dank dem Geheimdienste nun auch direkt bei Firmen und Regierungsbehörden schnüffeln dürfen. Die Grenzen zwischen Spionage und Strafverfolgen verschwimmen dabei immer mehr. Müssen Demokratien die Bürgerrechte begraben, um den Terrorismus zu bekämpfen?

Littell: Keineswegs. Der internationale Terrorismus ist vielleicht die größte Bedrohung für unsere Gesellschaften und die Bürgerrechte, auf denen sie beruhen. Wenn wir diese beschneiden würden, hätten die Terroristen gewonnen. Die USA hat die Bürgerrechte im Kampf gegen den Kommunismus beschnitten, denken Sie an die McCarthy-Zeit. Heute wird das allgemein als großer Fehler bezeichnet. Wir dürfen das nicht wiederholen.

Was waren die größten Fehler in der Geschichte der US-Geheimdienste?

Littell: Die schlimmsten Aufklärungsfehler waren Pearl Harbor, die Sache mit der Schweinebucht und jetzt der 11. September. Interessanterweise gab es gut besetzte, unabhängige Kommissionen, die die ersten beiden Fiaskos analysierten. Bis heute gibt es nichts Vergleichbares für den 11. September. Nur die Untersuchungsausschüsse des Kongresses ermitteln. Aber die sind notwendigerweise politisch beeinflusst und daher nicht gut dafür gerüstet, die harten Wahrheiten ans Licht zu zerren.

In ihrem Buch geht es auch um die Moral der Geheimdienste. Viele der Mitglieder der Fußtruppen der großen Player etwa werden als reines Kanonenfutter dargestellt. Sie streifen auch die von der CIA in Auftrag gegebenen, aber gescheiterten Mordpläne an Fidel Castro und einem albanischen Ministerpräsidenten. Sehen Sie es als legitim und durchführbar an, führende Terroristen oder Diktatoren wie Saddam Hussein durch verdeckte Aktionen beiseite zu schaffen?

Littell: Das halte ich für falsch, aus dem einfachen Grund, dass man einen Terroristen oder einen Tyrannen zwar töten kann. Aber man kann sich nicht sicher sein, ob der Nachfolger nicht noch schlimmer ist. Es ist besser, die grundsätzlichen Probleme zu lösen: die Armut, die Abgeschlossenheit von Gesellschaften oder den Mangel an Bildung und Fortentwicklungsmöglichkeiten, die den Terrorismus gebären. Das ist die langfristige Lösung.

Wie sehen die komplexe Beziehung zwischen den Medien und den Geheimdiensten im Zeitalter von CNN und dem Internet?

Littell: Ganz einfach: die Medien müssen sich immer ihre Unabhängigkeit von der Spionage-Community bewahren. Sie dürfen sich nicht aufhalten lassen, müssen die Neuigkeiten akkurat und schnell berichten - mit der Überzeugung, das dies der Gesellschaft am meisten dient. Die Geheimdienst-Kulturen können sie in ihrem eigenen Saft schmoren lassen. Wenn die Medien das Vorhaben eines Geheimdienstes, beispielsweise diesen oder jenen Führer zu stürzen, spitz bekommen, müssen sie es aufdecken. Denn wenn sie davon erfahren haben, hat es der Feind sicher längst auch.

Von der "Staatsräson" darf sich ein Reporter nicht bremsen lassen?

Littell: Kennen Sie die Geschichte über JFK, die Schweinebucht und die New York Times? Die "alte Lady" hatte Wind von dem geplanten Komplott in Kuba bekommen und arbeitete an der Story. Kennedy rief persönlich den Herausgeber an und bat ihn, die Geschichte wegen Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht zu bringen. Die Times lenkte ein und stoppte die Story. Nach dem Fiasko auf der Insel soll Kennedy gesagt haben: "Wenn die Times doch nur die Geschichte gebracht hätte, dann wäre das alles nie passiert."

Robert Littell: "Die Company". Die weltumspannende, faszinierende Saga über die CIA. Bern 2002 (Scherz Verlag), 800 Seiten, 28 Euro.