Die Lage in Mexiko eskaliert
Barrikaden im Bundesstaat Oaxaca nach dem erneuten Tod eines Demonstranten. Betrugsvorwürfe gibt es nun auch bei den Gouverneurswahlen in Chiapas
Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Mexiko vom 2. Juli steht noch immer aus, weil das Wahlgericht weiter die zweite Kontrollzählung prüft. Die skandalgebeutelte Nationale Wahlkommission (IFE) hat nun das Ergebnis zu den Parlamentswahlen bekannt gegeben, die gleichzeitig zelebriert wurden. Danach sei die konservative „Partei der Nationalen Aktion“ (PAN) stärkste Fraktion geworden. Noch-Präsident Vicente Fox (PAN) erklärte derweil voreilig den Kandidaten seiner PAN zum Sieger. Ein Unternehmer spricht aber von einer Konspiration gegen den Linkskandidaten, in die er und die Regierung Fox verwickelt seien. Auch bei den Gouverneurswahlen im Bundesstaat Chiapas am vergangenen Sonntag gab es Vorwürfe von Wahlbetrug. Diesmal kommen sie aber von der Rechten, weil die Linke gewonnen haben soll. Diese will aber eine vollständige Neuzählung erlauben, um den Sieg zu bestätigen. Die Lage in Oaxaca spitzt sich nach einem weiteren toten Demonstranten zu.
Die Wahlkommission hat nach zwei Monaten nun ein Ergebnis der Parlamentswahlen vorgelegt, die ebenfalls am 2. Juli stattfanden. Demnach wäre die Partei Calderóns stärkste Fraktion im Parlament. Die konservative PAN soll 206 Sitze (41,2%) erhalten haben und 52 von 128 Senatoren (40,6%) stellen. Die "Partei der Demokratischen Revolution" (PRD), von Andres Manuel López Obrador (AMLO), wäre mit 125 Sitzen (25%) und 29 Senatoren (22,5%) die zweitstärkste Fraktion. Die Partei der Institutionellen Revolution (PRI), die das Land Jahrzehnte beherrschte, wäre auf Platz drei abgesackt und erhielte nur noch 105 Sitze (21%) und 33 Senatoren (25,7%). Der Rest der insgesamt 500 Sitze verteilt sich auf fünf weitere Parteien, wovon zwei Teil der Linkskoalition "Für das Wohl aller" sind.
Obwohl das Wahlgericht nach fast zweiwöchiger Prüfung der Kontrollzählung von 9 % der Wahlurnen noch kein Ergebnis für die Präsidentschaftswahlen nennen kann, ist für den Noch-Präsidenten Fox die Wahl entschieden. “Es gab einen klaren Sieger, Herr Felipe Calderón'', sagte Fox. Damit setzt er sich über die Verfassung und geltende Gesetze hinweg. Das Gericht hat Probleme, weil auch bei der Kontrollzählung erhebliche Anomalien zu Tage getreten sind. Von klar kann ohnehin keine Rede sein, denn angeblich liegt Calderón nur mit etwa 250.000 Stimmen (0,58 %) vor Obrador. Bei der Kontrollzählung von nur 9 % seien allein schon so viele falsche Stimmen gefunden worden, um den knappen Abstand wett zu machen, sagen die Anhänger Obradors.
Sollte man nun Fox bei seiner Einschätzung zu Gute halten, dass er das Ergebnis der Parlamentswahl hochrechnet? Nein, denn als er vor sechs Jahren zum Präsident wurde, ist die Ex-Staatspartei (PRI) stärkste Fraktion geworden und nicht seine PAN. Möglich wäre deshalb auch, dass diesmal der Kandidat der Linkskoalition zum Präsident gewählt wurde und die PAN zur stärksten Fraktion. Denn die Linke hat auch klar die Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt gewonnen, in der fast ein Viertel aller Mexikaner leben. Das Verhalten von Fox und seinen Mannen hat Methode. Schon im Wahlkampf verstieß er ständig gegen das Wahlgesetz und machte Werbung für seinen Kandidaten Calderón. Auch der Präsident der von der PAN beherrschten Wahlkommission hatte Calderón schon zum Sieger erklärt, schon bevor die Auszählung der Stimmen beendet war.
Fox qualifizierte auch den Protest von Millionen Mexikanern ab, die seit Wochen auf die Straße gehen, um eine komplette Überprüfung der Wahlen “Stimme für Stimme, Urne für Urne“ zu erreichen. Der Konflikt reduziere sich “auf eine Straße des Landes, das ist alles“, sagte Fox und meinte damit eines der 47 Widerstandscamps. Das zentrale Lager befindet sich auf dem Zócalo, dem politischen Zentrum der Hauptstadt. Die 47 Camps repräsentieren die 31 Bundesstaaten und die 16 Wahlbezirke der Hauptstadt. Die friedlichen Proteste beeinträchtigen das Leben in der ganzen Hauptstadt stark. Fox nimmt nicht nur den Richterspruch vorweg, er verspricht auch, mit Blick auf internationale Investoren, baldige Normalität. Im Gespräch mit deutschsprachigen Kommunikationsmedien erklärte er, das gesamte Land werde nach der Bekanntgabe des Ergebnisses zur „Ruhe“ zurückkehren und sich entwickeln.
Wahlsieg der Linken in Chiapas
Der Kandidat der Linkskoalition Andrés Manuel López Obrador sieht das anders. Weitere Mobilisierungen sind angekündigt. In einem Interview mit der liberalen französischen Tageszeitung "Le Monde" drohte er nun sogar an, sich zur Not von seinen Anhängern zum Präsidenten ausrufen zu lassen. Wie kaum eine europäische Zeitung lehnt sich Le Monde diplomatique zum “Wahlbetrug“ in Mexiko aus dem Fenster. Deren Chef Ignacio Ramonet schrieb: “Das war massiver Wahlbetrug.“ Die NGO Reporter ohne Grenzen hätten ohnehin darauf hingewiesen, dass dieser Wahl Jahre einer kontinuierlichen Verschlechterung der Situation der Presse vorausgegangen seien. “Nimmt die Welt endlich zur Kenntnis, was sich bei den jüngsten Wahlen in Mexiko abgespielt hat?“ Der angesehene Journalist zögert nicht, von einem „Staatsstreich per Wahl zu sprechen, der sich unter unseren Augen in Mexiko abgespielt hat“. Die internationale Gemeinschaft bleibe dagegen so stumm, wie die Organisationen, die sich immer so eifrig zu Wort melden, wenn es um manipulierte Wahlen in Serbien, Georgien, der Ukraine und zuletzt in Weißrussland gehe.
Obrador fühlte sich durch das Ergebnis der Gouverneurswahlen vom vergangenen Sonntag im südlichen Chiapas bestätigt. Dort habe sich gezeigt, dass man "diesen Rechten, diesen Reaktionären, dieser Bande von Gaunern" etwas entgegensetzen könne. Nach Angaben der Wahlkommission liegt diesmal dort der Linkskandidat knapp mit 4000 Stimmen vorne. Juan Sabines (PRD) liegt mit etwa 0,3 % knapp vor José Antonio Aguilar Bodegas (PRI). Beide haben etwa 48 % erhalten. Calderóns PAN spielt keine Rolle bei den Wahlen im ärmsten Bundesstaat. Noch ist die Auszählung nicht vollständig beendet, aber die PRD will eine komplette Neusauszählung "Stimme für Stimme, Wahllokal für Wahllokal" zulassen, um ihren Sieg zu bestätigen. "Wer sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, muss nichts fürchten", erklärt sie mit Blick auf ihre Forderung die gesamten Wahlen vom Juli neu auszählen zu lassen.
Dass die PAN von Fox und Calderón etwas zu fürchten hat, darauf wurde sie auch durch ein Video hingewiesen. Darin erklärt der argentinische Unternehmer Carlos Ahumada, der in Mexiko derzeit inhaftiert ist, dass er unter anderem mit dem Senator Diego Fernández de Cevallos (PAN) und dem Ex-Präsidenten Carlos Salinas (PRI) eine Kampagne gestartet habe, um das Bild von Obrador zu schädigen. Dabei sei es um angebliche Korruptionsfälle in der Hauptstadt gegangen, die in die Regierungszeit von Obrador als Bürgermeister fallen. Er geht davon aus, dass Fox den Vorgang kannte, denn höchste Regierungsmitglieder, wie der Ex-Staatssekretär Rafael Macedo de la Concha, seien direkt darin verwickelt.
Unruhen in Oaxaca
Dass Mexiko alles andere als der von Fox vorausgesagten Ruhe entgegen strebt, dafür stehen erneut die heftigen Auseinandersetzungen im Bundesstaat Oaxaca. Der Konflikt hat inzwischen drei Todesopfer gefordert. Die Situation eskaliert zunehmend. Die Streikbewegung der Lehrer, die seit Monaten bessere Bedingungen fordern, hat sich mit dem Protest gegen den Wahlbetrug vermischt.
Eine Gruppe von 15 maskierten Männern erschoss am Dienstag einen 52jährigen Architekten Lorenzo Pablo. Die Angreifer sollen Schutzschilde der lokalen Polizei mit sich geführt haben. Pablo hatte sich an der Besetzung eines Radiosenders beteiligt. Kurze Zeit später wurde dort auch ein Pressefotograf beschossen, der Journalist blieb aber unverletzt. Als Reaktion bauten die Demonstranten Barrikaden im Zentrum der ganzen Stadt, um den Angreifern die Mobilität zu nehmen. Die Besetzung von Radio- und Fernsehstationen war eine Reaktion auf die Angriffe auf unabhängige Medien. Zunächst war das freie Radio „Caracol“ zerstört worden. Vergangene Woche wurde dann eine Gruppe von Menschen brutal angegriffen, welche die Sendeanlagen des Radio- und Fernsehkanals "Canal 9" auf dem Hügel "Cerro de Fortín" bewachten.
Die Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca (Volksversammlung von Oaxaca) erklärte, die Angreifer hätten mit AK-47 Sturmgewehren auf die Bewacher geschossen und die Sendeanlagen zerstört. Bei dem Angriff wurde eine Person schwer verletzt. Mehr als 300 Patronenhülsen wurden später aufgesammelt. Vermutet wird, dass es sich auch bei diesen Angreifern um Polizisten handelte. Wenig später konnten Polizeiwagen identifiziert werden, aus denen besetzte Sender angegriffen wurden. Dabei gab es erneut Schussverletzte auf Seiten der Demonstranten.bDie Angriffe auf die Demonstranten und die Sendeanlagen schreibt die Volksversammlung einer Terrorwelle zu, für die sie den Gouverneur von Oaxaca, Ulises Ruiz Ortiz verantwortlich macht. Dessen Absetzung wird seit Wochen gefordert, nachdem er im Juni ein Protestcamp von streikenden Lehrern brutal auflösen ließ. Vor der Aktion hatte er die Polizeileitung aufgefordert, "die Scheiße aus ihnen rauszuprügeln". Auch hier wurde mit scharfer Munition geschossen und ein Demonstrant verlor das Leben.
Der Gouverneur hat die Zentralregierung aufgefordert, die Bundespolizei in die Stadt zu schicken, um „die Ordnung“ wiederherzustellen. Vordergründig signalisierte die Regierung Fox, sie wolle auf die Verhandlungsbereitschaft der Volksversammlung eingehen. Allerdings machte der Europaparlamentarier Tobias Pflüger darauf aufmerksam, dass das Verteidigungsministerium Truppen des 36. Infanteriebataillons nach Oaxaca verlegen lasse. Er warnt, es könne eine “gewaltsame Vertreibung der Demonstrierenden“ angestrebt werden. Das brächte die Lage dann in Mexiko zum Eskalieren. Wie der Le Monde Chef erklärt auch Pflüger, Europa schaue bei massiven Menschenrechtsverletzungen weg: “Die EU ist eher an Freihandel interessiert als an Menschenrechten.“ Die EU-Politik der doppelten Standards auch bei Wahlen und Menschenrechten muss beendet werden, fordert der Parlamentarier der Linkspartei.