Spannung steigt vor den mexikanischen Wahlen
Massenstreiks werden erwartet, in Oaxaca ging die Polizei brutal gegen protestierende Lehrer vor, ein Sieg der linken Partei zeichnet sich ab
Am 2. Juli wird in Mexiko ein neuer Präsident gewählt. Die Spannung steigt deutlich an. Ende des Monats werden Massenstreiks erwartet, mehrere Millionen Arbeiter dürften gegen die Einmischung der Regierung in Gewerkschaftangelegenheiten protestieren. Derzeit kommt es zu Auseinandersetzungen im südlichen Bundesstaat Oaxaca, wo es viele Verletzte und sogar Tote gegeben haben soll, als die Polizei brutal gegen Proteste der Lehrergewerkschaft SNTE vorging, womit der Konflikt nur zugespitzt wurde. Nach neuen Umfragen hat der Linkskandidat seinen Vorsprung vor dem Nachfolger des konservativen Präsidenten Vicente Fox deutlich ausgebaut.
In Mexiko deutet sich bei den Wahlen im Juli erstmal ein Sieg der linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD) an. Nach einer neuen Umfrage der Zeitung Milenio hat der PRD-Präsidentschaftskandidat Andrés Manuel López Obrador seinen Vorsprung auf 35,4 % ausgebaut. Der Ex-Bürgermeister von Mexiko-Stadt liegt nun weit vor dem Konservativen Felipe Calderón. Der Kandidat der Partei der Nationalen Aktion (PAN) soll Präsident Vicente Fox ablösen, der nicht erneut zur Wahl antreten darf. Doch Calderón kommt gerade noch auf 30 % der Stimmen. Der Kandidat der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI), Roberto Madrazo, liegt abgeschlagen bei 29,6 %. Obrador hat seinen Vorsprung weiter ausgebaut. Calderón hat auch geschadet, dass Fox in der Frage der Legalisierung der Drogen zum Eigengebrauch vor den USA in die Knie gegangen ist (Update: Der mexikanische Präsident unterzeichnet das Drogengesetz doch nicht)
Nach nur vier Jahren dürfte das kurze Intermezzo der PAN in Mexiko schon wieder beendet sein. Die hatte bei den Wahlen 2002 der PRI die Macht abgenommen hatte. 70 Jahre hatte die Staatspartei zuvor mit eiserner Hand und viel Korruption Mexiko beherrscht (Mexikanischer Ex-Präsident geht straffrei aus). Das Massaker an protestierenden Studenten durch mexikanisches Militär kurz vor der Olympiade 1968 bildete wohl den traurigsten Höhepunkt der PRI-Ära (Mexikanischer Ex-Präsident geht straffrei aus).
Mit dem öffentlichen Auftauchen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) 1994 im südlichen Bundesstaat Chiapas kamen die Verhältnisse in Mexiko wieder in Bewegung. Die EZLN, deren bewaffneter Kampf sich auf wenige Januartage beschränkte, als Mexiko dem nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA beitrat, knüpft an die Forderungen der mexikanischen Revolution an, die über die Institutionalisierung durch die PRI abgewürgt wurde. Die EZLN setzte die Parole „Land und Freiheit“ wieder auf die Tagesordnung und machte deutlich, dass effektiver Widerstand gegen das PRI-Selbstbedienungssystem möglich ist. Sie verstieg sich nicht in einen langen, verlustreichen Guerillakampf, wie zuvor in Guatemala oder El Salvador, sondern setzte erfolgreich auf die politische Karte. Ihr Widerstand steht als Beispiel für viele Kämpfe, die seither überall im Land entwickelt haben.
Dass viele Bewegungen und die EZLN prinzipiell auf Gewaltlosigkeit setzen, hält die Staatsmacht nicht davon ab, mit äußerster Gewalt gegen alle die vorzugehen, die gegen die herrschende Ordnung aufbegehren. Darin unterscheiden sich die PRI und die PAN nur graduell. Nach den brutalen Vorgängen in der Kleinstadt Atenco, nahe Mexiko-Stadt (Kräftemessen zwischen sozialen Bewegungen und Polizei in Mexiko), ist gerade der Bundesstaat Oaxaca ein Konfliktherd. Vergangenen Mittwoch gingen dort 3.000 Polizisten auf Zehntausende streikende Lehrer los, die drei Wochen die Straßen und Plätze der gleichnamigen Stadt belagerten.
Das war die Antwort der Lehrer darauf, dass die von der PRI geführte Provinzregierung den Konflikt mit den Lehrern aussitzen wollte. Im Mai hatten sie ihre Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen gestellt, die versprochene Antwort vom Gouverneur Ulises Ruíz blieb aus. Die Lehrergewerkschaft SNTE rief schließlich zum Streik auf, um ihren Ansprüchen Nachdruck zu verleihen, wozu auch eine kostenlose Mahlzeit für die Schüler in der armen Region zählt. Tausende Schulen sind seit einem Monat geschlossen. Der Tourismus hatte in den vergangenen Jahren die Preise in der Region in die Höhe getrieben, die Gehälter hielten jedoch nicht mit. Während das Kolonialidyll Oaxaca herausgeputzt wurde, verfielen die Schulgebäude weiter.
Vor der brutalen Polizeiaktion gegen die Lehrer forderte Ruíz die Polizeileitung auf, „die Scheiße aus ihnen rauszuprügeln“. Es wurde aber nicht nur geprügelt, sondern, wie schon in Atenco zuvor, auch mit scharfer Munition geschossen. Fast 200 Menschen wurden dabei verletzt und eine unbekannte Zahl soll auch getötet worden sein, was offiziell nicht bestätigt ist. Auch Menschenrechtsorganisationen konnten die Todesfälle bisher nicht bestätigen, sie schließen aber Tote nicht aus. Auch im Fall Atenco dauerte es länger, bis die Ermordung von zwei Personen aufgeklärt war und feststand, dass die Schüsse aus Polizeiwaffen abgefeuert wurden.
Auf Indymedia Mexico wurde der Bericht eines Polizisten veröffentlicht, der den Tod eines Kindes bestätigt. Das Mädchen sei heimlich verscharrt worden und durch den heftigen Einsatz von Tränengas erstickt, das aus Hubschraubern in die Menge gefeuert wurde. Die Polizisten seien zum Schweigen verdonnert worden. Die Menschenrechtskommission, die schon im Fall Atenco massive Menschenrechtsverletzungen, wie Folter und Vergewaltigung an Gefangenen feststellte, hat eine Abordnung zur Untersuchung der Vorfälle nach Oaxaca geschickt.
Doch die Gewalt der Sicherheitskräfte hat nicht zur Demobilisierung geführt. Der Konflikt weitet sich aus. Am vergangenen Samstag solidarisierten sich mehr als 300.000 Menschen auf einem Marsch mit den Streikenden und forderten den Rücktritt des Gouverneurs. Noch am 7. Juni beteiligte sich nur die Hälfte an einem Protestmarsch. Die Streikenden drohen nun auch damit, die Wahlen zu boykottieren und machen damit das lokale zu einem landesweiten Problem. Dem PRI-Gouverneur heizt derweil die Lage über einen Unterstützungsmarsch an. Dabei kam es nach Presseberichten zum Teil zu gewalttätigen Konflikten mit Streikenden, die weiterhin Straßen blockieren. Bei der PRI ist man sehr nervös. Sie regiert zwar noch immer 17 von 32 Bundesstaaten, fürchtet aber einen weiteren Machtverlust bei den Wahlen.
Die Stimmung wird vor den Wahlen im Land immer rebellischer. Im Bundesstaat Puebla gibt es massive Mobilisierungen gegen den PRI-Gouverneur Mario Marín Torres, gegen den auch der Oberste Gerichtshof ermittelt. Diverse Gewerkschaften, darunter die der Bergarbeiter, der Universitätsbediensteten, Reinigungsarbeiter, Feuerwehr und der Arbeiter der Telefongesellschaften, haben für den 28. Juni zu einem landesweiten Streik aufgerufen. Millionen Arbeiter sollen vier Tage vor den Wahlen dagegen protestieren, dass sich die Zentralregierung immer stärker in Angelegenheiten der Gewerkschaften einmischt. Die Tatsache, dass die angekündigten Streiks von der Regierung als illegal bezeichnet werden, bestärken den Chef der Arbeiterunion (UNT/http://www.unt.org.mx) Francisco Hernández Juárez in der Streikabsicht.
Es ist absehbar, dass sich die Proteste gegenseitig miteinander solidarisieren. So fordern die Demonstranten in Oaxaca nicht nur die Freiheit der eigenen Gefangenen, sondern auch die der Protestler in Atenco. Der Widerstand der Bewohner Atencos gegen einen Großflughafen für die Hauptstadt hatte 2002 Fox eine erste herbe Niederlage beigefügt. Deshalb war der Überfall auf Atenco kürzlich nicht zufällig. Viele Bewohner dort beteiligen sich auch an der aktuellen „Anderen Kampagne“ der EZLN (Zapatisten legen Aktionsplan vor), die ein landesweites außerparlamentarischen Linksbündnis und eine antikapitalistische Verfassung anstrebt (Subcomandante Marcos startet Rundreise durch Mexiko).
Über die vielen Konflikte hat sich im Land die Geometrie ohnehin genauso verschoben, wie die auf dem gesamten Kontinent über den Wahlsieg von Evo Morales in Bolivien (Neoliberalismus abgewählt). Obrador wäre nach einem Sieg gezwungen sich zu entscheiden, ob er seiner linken Rhetorik auch Taten folgen lässt und sich „Bolivarischen Alternative für die Amerikas“ (ALBA) und dem daraus entstandenen „Handelsvertrag der Völker“ anschließt oder weiter auf die übermächtige USA im Norden setzt. Große Teile seiner Wähler werden sich für ALBA statt der von der USA bestimmten ALCA aussprechen. Passt Obrador sich der neuen Lage in Süd- und Mittelamerika an, dann sehen die Bedingungen der USA für den Kampf um den Hinterhof wieder ein Stück schlechter aus (Kampf um den Hinterhof).