Kampf um den Hinterhof

In Südamerika bilden sich politische und wirtschaftliche Allianzen neu

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Verlieren die USA die Kontrolle über ihren Hinterhof? Diesen Eindruck könnte man derzeit in Lateinamerika gewinnen. Immer mehr Staaten werden von erklärten linken oder Mitte-Links-Kräften regiert. Im Zentrum der neuen Emanzipation (vgl. Kalter Krieg am Karibikstrand?) steht das Trio Kuba, Venezuela und Bolivien. Deren Staatschefs Fidel Castro, Hugo Chávez und Evo Morales drängen zunehmend auf neue regionale Bündnisse, um den politischen Wandel in ihrem Sinne zu festigen. Ob diese Politik nachhaltige Folgen haben wird, bleibt jedoch noch offen.

Hugo Chávez macht aus seiner Ablehnung bestehender Allianzen zumindest keinen Hehl. Bereits im April kündigte der venezolanische Präsident den Rückzug seines Landes aus der Andengemeinschaft (CAN) an. Nur wenige Wochen später gab Caracas zudem den Austritt aus der G-3 bekannt, einem Wirtschaftsbündnis zwischen Kolumbien, Mexiko und Venezuela.

Chávez begründete die Abkehr in beiden Fällen mit der Bündnispolitik der Partnerstaaten in CAN und G-3. Diese hätten eigenmächtig neoliberale Freihandelsverträge mit den USA abgeschlossen – und den Gedanken der regionalen Integration damit verraten.

Negative Folgen der bilateralen Verhandlungen Washingtons

Diese Begründung wurde kaum gehört. Statt dessen erhoben Kolumbien und Peru Vorwürfe gegen Venezuela, das sie einer destruktiven Politik bezichtigten. Bolivien und Ecuador, die übrigen beiden CAN-Mitglieder, hielten sich hingegen auffällig zurück. Ihnen war offenbar klar, dass die Gründe für die Erosion des andinen Bündnisses keineswegs in Caracas, sondern vielmehr in Washington zu suchen sind.

Seit 1991 der damalige US-Präsident George Bush, der Vater des Amtsinhabers, das Projekt einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (ALCA) ins Leben rief, stehen die regionalen Bündnisse südlich des Rio Bravo im Visier Washingtons. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Konzepte der regionalen Integration und des neoliberalen Freihandels der USA stehen einander bislang diametral entgegen.

So bedeutete die Ausweitung des “Zentralamerikanischen Freihandelsabkommens” (CAFTA-DR) zugleich das faktische Ende des Regionalverbandes SICA, das 1991 in Tegucigalpa (Honduras) gegründet wurde. Der ebenfalls 1991 geschaffene “Gemeinsame Markt des Südens” (MERCOSUR) hat sich in den letzten Jahren ganz unabhängig von Venezuela unter der Führung der beiden Mitglieder Brasilien und Argentinien zum Bollwerk gegen das ALCA entwickelt – ohne dass das Kräftemessen bislang entschieden werden konnte. Und der Andengemeinschaft wurden die bilateralen Verhandlungen von Kolumbien und Peru mit den USA um Freihandelsabkommen zum Verhängnis.

Denn werden diese beiden Verträge erst einmal ratifiziert, würden automatisch auch die Märkte der übrigen CAN-Mitglieder mit billigen Industrieprodukten aus den USA überschwemmt – zum Schaden der einheimischen Industrie. Als 2004 bei einem Gipfeltreffen der CAN in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito bilaterale Verhandlungen auf Druck von Kolumbien grundsätzlich zugelassen wurden, bestanden die übrigen Mitglieder daher auf einen Passus, mit dem bestimmt wurde, dass “die Werte der andinen Gemeinschaft beachtet und gemeinsam verhandelt” werden müsse. Eben das ist nicht geschehen.

Venezuela lanciert neue politische Projekte

Venezuela hat sich daher nicht nur aus der Andengemeinschaft zurückgezogen. Präsident Chávez hat in den vergangenen Wochen zugleich eine Serie alternativer Integrationsprojekte vorgestellt. Die “Bolivarischen Alternative für die Amerikas” (ALBA) und der aus ihr entstandene "Handelsvertrag der Völker" umfasst bislang zwar nur den harten Kern der Linksallianz: Venezuela, Kuba und Bolivien. Doch zugleich geht Chávez in Südamerika mit Konzepten der Energiekooperation auf die anderen Staaten der Region zu.

Ende April luden Hugo Chávez, der argentinische Präsident Néstor Kirchner und sein brasilianischer Amtskollege Luiz Inácio “Lula” da Silva die übrigen Staatschefs Südamerikas ein, um gemeinsam das von Venezuela vorgestellte Projekt einer "Gaspipeline des Südens" zu beraten. Diese Gasleitung soll von der venezolanischen Hafenstadt Puerto Ordáz bis nach Buenos Aires verlaufen. Hugo Chávez versicherte, dass die Pipeline “der Antrieb für einen neuen Prozess der Integration sein wird”. Dessen Ziel sein es, Armut und Ausgrenzung zu beseitigen.

Ob diese positive Einschätzung zutrifft, muss sich freilich erst noch zeigen. Schon jetzt lassen sich aber zwei Aspekte der neuen venezolanischen Außenpolitik feststellen. Zum einen verwendet Caracas seine Öl- und Gasressoucen explizit zur Finanzierung der Sozialpolitik – und widerspricht damit dem neoliberalen Dogma. Zum zweiten greift das Pipelineprojekt die Handelspolitik der USA in Südamerika an einem neuralgischen Punkt an: der Energiepolitik.

An der gleichen Stelle setzt ein Vorstoß Caracas' zur Entwicklung einer gemeinsamen Energiepolitik Lateinamerikas an. Deren Ziel ist es, die Energieversorgung der gesamten Region langfristig zu sichern. Die USA sind dabei ausgenommen.

Unklarheit über künftige Allianzen

Konkrete Auswirkungen haben die stark politisch motivierten Initiativen Venezuelas bislang jedoch nicht – zumindest nicht in der regionalen Bündnispolitik. Durch das Ausscheiden des Erdölstaates aus der Andengemeinschaft wurde zwar der MERCOSUR sichtlich gestärkt. Doch bislang hat dieses Bündnis gegen die Dominanz des US-Marktes auf dem Doppelkontinent eine bestenfalls defensive Position eingenommen.

Zudem standen in den vergangenen Monaten die Streitigkeiten zwischen den großen Mitgliedsstaaten Argentinien und Brasilien und den Juniorpartnern Uruguay und Paraguay im Vordergrund. Das kommende Ministertreffen des MERCOSUR am 20. und 21. Juli in Argentinien wird zeigen, ob die internen Probleme überwunden werden können. Dies wäre zwingende Voraussetzung für ein starkes Bündnis, dass die regionalen Interessen gegen die des US-Marktes effektiv vertreten kann.

Das Interesse daran ist groß. Bis zum Jahr 2013 will mit Venezuela die drittgrößte Volkswirtschaft Südamerikas in den MERCOSUR eintreten. Dass vor dem Ministertreffen im Juli auch Mexiko und Peru Interesse an Beitrittsverhandlungen angemeldet haben, zeigt, dass sich selbst die US-nahen Regierungen in Südamerika nach Handelsalternativen umsehen. Zugleich wird gerade das die Konflikte schüren. Denn Brasilien wird als Regionalmacht durch das neue Interesse am MERCOSUR politisch aufgewertet. Brasilias Interessen laufen aber nicht in jedem Fall mit denen von Caracas, Havanna und La Paz konform.

Es wäre daher voreilig, die Stärkung des MERCOSUR partout als Rückschlag für die wirtschaftlichen Expansionspläne der USA zu interpretieren. Es ist bislang vielmehr offen, ob es Washington nicht doch noch gelingt, über den Abschluss bilateraler Freihandelsverträge das Fernziel zu erreichen, wie es 1991 von George Bush formuliert wurde: Eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland. Unter der Ägide Washingtons, versteht sich.