Obrador gibt nicht auf

Der Linkskandidat in Mexiko fühlt sich um den Wahlsieg betrogen und mobilisiert seine Anhänger

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Mexiko rutscht nach dem Wahldebakel vom 2. Juli (Unentschieden) in die Krise. Der Kandidat der Linkskoalition Andrés Manuel López Obrador (AMLO) fühlt sich betrogen und mobilisiert seine Anhänger. Die machen sich aus allen Richtungen auf den Weg in die Hauptstadt, wo es am Sonntag eine Großdemonstration geben soll. Derweil wird die illegale Öffnung von Wahlakten beklagt und vermutet, die Konservativen könnten so die eine Annullierung der Präsidentschaftswahlen anstreben, falls das Wahlgericht die geforderte Nachzählung der Stimmen anordnet. Die USA, die dem Konservativen Felipe Calderón schon zum Wahlsieg gratuliert hatten, sind derweil zurückgerudert. Calderón erklärte sich auch ohne offizielle Entscheidung der Wahlkommission (IFE) zum Sieger und will als solcher eine Reise durchs Land starten.

Obrador auf der Protestveranstaltung auf dem Zocalo. Bild: PRN

Es ist eine der vielen Besonderheiten, die sich um den angeblichen „Wahlsieg“ von Calderón bei der Präsidentschaftswahl in Mexiko ranken, dass ihm sogar schon gratuliert wurde, bevor ein Endergebnis feststeht. Denn bisher hat der Wahlrat noch keine offizielle Entscheidung gefällt. Bis Ende August werden die zahllosen Einwände geprüft und erst bis zum 6. September muss ein Sieger benannt sein. Nur der Präsident der Wahlkommission war vorgeprescht. Luis Carlos Ugalde hatte Calderón sogar schon zum Sieger erklärt, bevor die Stimmauszählung beendet war (Der Tabasco-Effekt bei den Wahlen in Mexiko)

Dass US-Präsident George Bush seinem Kandidaten frühzeitig telefonisch gratulierte, verwundert weniger. Vielmehr staunt man darüber, dass auch der spanische Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero noch schneller als Bush zum Hörer griff und damit seinem Genossen Obrador in den Rücken fiel. Dabei wurde in Spanien lang und breit in den Medien der Millionenverlust an Stimmen (Millionen Stimmen verschwanden bei den Wahlen in Mexiko), der Fund von Wahlzetteln auf dem Müll und andere Anomalien diskutiert. Washington ist derweil zurück gerudert, Regierungssprecher Tony Snow bezeichnete das Vorgehen auf einer Pressekonferenz als „voreilig“.

In Madrid blieben die Sozialisten (PSOE) bisher still und die ihr nahe stehende El Pais macht derweil Interviews mit dem „Sieger Calderón“. Nur hinter vorgehaltener Hand wird Kritik geübt. Der Chef der Vereinten Linken (IU) dagegen, mit deren Hilfe die PSOE regiert, hat Zapatero scharf kritisiert. Gaspar Llamazares sagte: „Wir hoffen, das war nur das Resultat einer miserablen Beratung und nicht der überraschende Schlüssel zur strategischen Politik von Spanien für Lateinamerika”.

Llamazares hatte dabei im Hinterkopf, dass es 2002 Washington und Madrid waren, die sich hinter den Putsch gegen den Linken Chávez in Venezuela stellten (Chávez wieder an der Macht). Durch den Besuch ihrer Botschafter beim 48 Stunden Präsident Pedro Carmona und anderer Aktivitäten hatten Bush und sein Freund José María Aznar versucht, die Putschisten zu legitimieren. Zapatero hatte sich nach seinem Wahlsieg zunächst klar von Bush abgegrenzt und die spanischen Truppen aus dem Irak abgezogen. Die IU, die auch deshalb Zapatero stützt, stellte sich in einem Brief an Obrador hinter ihn. Sie schrieb, offenbar sei nach Mexiko „die schlimmste aller Erbschaften zurückgekehrt“, wo mit illegalen Mitteln und Betrug Wahlen gewonnen würden.

Felipe Calderon lässt sich als Sieger darstellen. Bild: PAN

Ob Zapatero nur schlecht beraten wurde, wird sich bald zeigen. Madrid könnte aber, nach den Entwicklungen in Bolivien, Angst um vitale ökonomische Interessen in Mexiko haben und deshalb, Wahltricks hin oder her, auf Calderón setzen. Dessen Parteikollege und Noch-Präsident Vicente Fox wird nächste Woche in Spanien beim König und bei Zapatero für seinen Nachfolger von der „Partei der Nationalen Aktion“ (PAN) werben. Fox weiß, wie wichtig die Position Spaniens in der EU ist, das als Brückenkopf nach Lateinamerika agiert.

Die Linkskoalition „Für das Wohl aller“, die von Obradors „Partei der Demokratischen Revolution" (PRD) geführt wird, macht dagegen mobil. Schon am vergangenen Samstag strömten Hunderttausende zu einer Kundgebung auf den Zócalo, den großen Platz vor der Kathedrale im Herzen der Hauptstadt. Dort kritisierte Obrador Fox scharf als „Verräter“, weil der Präsident gegen das Wahlgesetz für Calderón Wahlkampf gemacht hätte. Den nannte er eine „Marionette“ der Wirtschaft und erstmals sprach er klar von einem „Betrug“.

Darauf reagierte Calderón und kürte sich am Dienstag selber zum Sieger: „Wir haben die Wahl gewonnen, mit der friedlichen Beteiligung von Millionen Mexikanern", sagte er. Nun werde er, „in meiner Rolle als Wahlgewinner“, durch das Land reisen, um den armen Süden und den industriellen Norden zusammen zu bringen.

Protestveranstaltung von Obradors PRD auf dem Zocalo. Bild: PRD

Während Calderón behauptet: „Ich werde ein Klima der Versöhnung schaffen“, braut sich eine explosive Stimmung zusammen. Obrador bezeichnet die Selbstinthronisierung als „illegal“, weil sich Calderón über die demokratischen Institutionen hinweg setze. Er hat derweil eine 900 Seiten dicke Klage eingereicht, um die Neuauszählung der Stimmen in 50,000 von 130.000 Wahllokalen zu erreichen. Das sieht das Wahlgesetz vor, wenn es, wie in Tabasco 2000, den Verdacht für massive Betrügereien gibt. Seine Anhänger haben am Mittwoch mit „Märschen für die Demokratie“ auf die Hauptstadt begonnen. Zu Pferd, zu Fuß und mit LKWs seien in etwa 40 Zügen bisher ungefähr 50.000 Menschen unterwegs. Sie wollen am Sonntag in der Hauptstadt mit einer massiven Demonstration der Forderung nach Neuauszählung Nachdruck verleihen.

Calderón sei nun zu einer partiellen Neuauszählung bereit, berichten nun mexikanische Medien. Eine komplette Neuzählung sei aber „absurd und illegal“. Auffällig ist die Tatsache, dass sich Calderón zwar zum Sieger erklärte, aber selbst die Wahlen in 129 von 300 Bezirken anficht. Die Wahlkommission habe derweil sogar die Öffnung von Wahlakten angeordnet, wofür es keine legale Handhabe gäbe, was deshalb ebenfalls illegal sei, erklären die Kritiker. Sie vermuten, dass so eine Annullierung der gesamten Präsidentschaftswahlen vorbereitet wird, falls eine Neuzählung per Gerichtsbeschluss angeordnet wird. Deren Annullierung würde dann zu Neuwahlen, statt zum Antritt des tatsächlichen Wahlsiegers führen. Neues Spiel, neues Glück?