Unentschieden
Die Nationale Wahlkommission in Mexiko muss Stimmzettel manuell auszählen, weil das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen zwischen dem linken und dem konservativen Kandidaten sehr knapp ausgefallen ist
Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Mexiko wird auf sich warten lassen. Die Nationale Wahlkommission (IFE) hat in der Nacht zum Montag (Ortszeit) mitgeteilt, frühestens ab Mittwoch werde ein definitives Ergebnis vorliegen. Zuvor müssen alle Stimmen per Hand ausgezählt werden. Das hinderte den linken Kandidaten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) nicht, sich zum Sieger zu erklären. Kurz darauf erklärte sich auch der Konservative Felipe Calderón Hinojosa zum Sieger. Zwar verlief der Urnengang weitgehend problemlos, doch könnte es nun zu Spannungen zwischen beiden Lagern kommen. Klar ist, dass die „Partei der Institutionalisierten Revolution“ (PRI), die 71 Jahre das Land regierte, weitere Bastionen verloren hat. Haftbefehl wurde am Freitag gegen einen ihrer Ex-Präsidenten erlassen, der für das Massaker an Studenten 1968 verantwortlich sein soll.
Der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Mexiko ist weiter offen. Der Präsident der Wahlkommission sah sich nach der Schnellauszählung von mehr als 95 % der Stimmen nicht in der Lage, einen klaren Sieger zu benennen. Die mögliche Fehlerquote lasse es nicht zu, „die Partei oder Koalition zu benennen, welche den höchsten Prozentsatz der abgegebenen Stimmen erreicht hat”, erklärte Luis Carlos Ugalde. Die größten Fernsehsender verzichteten darauf, die Ergebnisse ihrer Umfragen zu veröffentlichen. Nach der Schnellauszählung läge Calderóns konservative „Partei der Nationalen Aktion“ (PAN) mit 36,4 % leicht vor der Linkskoalition, die von der „Partei der Demokratischen Revolution“ (PRD) geführt wird. Auf den PRD-Politiker Obrador wären 35,4 % der Stimmen entfallen. PRI erhielte nur 21,5 %. Das ist hart für die ehemalige Staatspartei, die erst vor sechs Jahren, nach mehr als 70 Jahren Herrschaft, die Macht abgeben musste.
Bis zum Freitag, so schreibt es das Gesetz vor, muss das endgültige Ergebnis feststehen. Bis dahin müssen fast 40 Millionen Stimmen manuell gezählt werden. Ugalde wies die Parteien auf die „enorme Verantwortung für die Nation” hin, die wegen der Verzögerung auf ihnen laste. Von 71,3 Millionen Mexikanern, die zur Wahl aufgerufen waren, haben sich am Sonntag knapp 60 Prozent beteiligt. Erstmals durften auch Mexikaner teilnehmen, die im Ausland leben. Von den Millionen, die sich allein in den USA aufhalten, haben aber nur einige wenige gewählt.
Frühestens am Mittwoch (Ortszeit) will die Wahlkommission nun ein definitives Ergebnis bekannt geben. Doch schon in der Wahlnacht reklamierten sowohl die PRD als auch die PAN den Sieg jeweils für sich. Zuerst verkündete der Linke Obrador zunächst vor der Presse und kurz danach vor vielen Anhänger, die sich zum Feiern auf dem zentralen Platz der Hauptstadt versammelt hatten, seinen Sieg. Angesichts der ihm vorliegenden Daten liege AMLO, wie Obrador in Mexiko genannt wird, mit 500.000 Stimmen vor Calderón. „Ich fordere, ich bitte die Wahlgremien darum, dieses Ergebnis anzuerkennen”, das „irreversibel“ sei. Er dankte den „einfachen und armen Leuten“, welche vor allem die Bewegung getragen hätten, für den Einsatz. Der gemäßigte Linke, der eher einen Sozialismus nach Art der Chilenin Michelle Bachelet vertritt (Chilenische Kontinuitäten), als der Achse Kuba, Venezuela und Bolivien zu applaudieren ("Chavez-Plan" für Bolivien), betonte aber, in der PRD seien alle sozialen Schichten vertreten.
Nach Obrador war dann Felipe Calderón von der PAN an der Reihe, sich zum Sieger zu erklären. Er will die Nachfolge für den scheidenden Präsidenten Vicente Fox antreten, der nicht erneut zur Wahl antreten durfte. „Wir haben die Präsidentschaftswahlen in einem heißen Kampf gewonnen”, sagte Calderón. Durch den Verlauf der weiteren Auszählung fühlt er sich bestätigt, bot nun aber seinem Gegner an, eine gemeinsame Regierung der „nationalen Einheit“ zu bilden. Entweder will er das Land nicht in zwei Pole spalten oder er ist sich seines Sieges doch nicht gewiss. Die nächsten Tage werden auch das zeigen.
Klar ist jedenfalls, dass die PRD in der Hauptstadt Mexiko DF klar gewonnen hat, die mit mehr als 20 Millionen Einwohnern die große Wählermasse stellt. Der PRD-Politiker Marcelo Ebrard wird neuer Bürgermeister der Hauptstadt. Er kandidierte dort für die Koalition „Für das Wohl aller“. Mit 47 % der Stimmen liegt er gleich 19 % vor dem Kandidaten der PAN und löst damit Obrador als Bürgermeister ab. Die Koalition aus PRD, Partei der Arbeiter (PT) und Partei Konvergenz wird 13 der 16 Hauptstadtbezirke regieren, die PAN drei.
Klarer als bei der Wahl des Präsidenten scheinen die Ergebnisse der Parlamentswahl zu sein, die parallel stattfand. In beiden Kammern läge die PAN nach den vorläufigen Ergebnissen mit knapp 34 % vor der Linkskoalition, die hier jeweils auf gut 29 % kommen würde. Im Parlament hätte sich die PRI, im Vergleich zur Präsidentschaftswahl, mit gut 27 % etwas besser geschlagen. Allerdings mehren sich aus den Regionen, die bisher von der PRI regiert wurden, auch Klagen über Unregelmäßigkeiten. Hier sticht auch der südliche Bundesstaat Oaxaca hervor. Wähler seien behindert und Polizisten zur Fälschung von Wahlzetteln eingesetzt worden. In einigen Wahllokalen habe es an Wahlzetteln gemangelt und neun Wahllokale seien erst gar nicht geöffnet worden. Die Region ist seit einem Monat der Schauplatz eines Lehrerstreiks, den die PRI-Regionalregierung mit brutaler Gewalt nieder zu schlagen versuchte (Spannung steigt vor den mexikanischen Wahlen).
Erst am Freitag war ein Ex-Staatschef der PRI überraschend auf Anordnung des Richters José Angel Matta Oliva verhaftet worden. Die Sonderstaatsanwaltschaft für Soziale und Politische Bewegungen der Vergangenheit (FEMOSPP) wirft Luis Echeverría Alvarez Völkermord vor. Er soll als Innenminister die Hauptverantwortung für das Massaker von Tlatelolco am 2. Oktober 1968 in Mexiko DF tragen (Vergangenheitsbewältigung oder Standortpolitik?). Kurz vor der Olympiade, sollen dabei mehrere hundert protestierende Studenten ermordet worden sein. Genaue Zahlen gibt es bisher nicht.
Noch im letzten Jahr hatte eine Richterin einen Haftbefehl gegen Echeverría in einer anderen Sache abgelehnt. Dabei ging es um eine Aktion des „schmutzigen Kriegs“ im Jahr 1971, als er schon Präsident war (Mexikanischer Ex-Präsident geht straffrei aus). Zwischen 15 und 50 Tote soll es gegeben haben, als Paramilitärs gegen demonstrierende Studenten vorgingen. Zweimal hatten Richter die Ermittlungen wegen Völkermordes in diesem Fall abgelehnt, weil sich der Angriff nicht „gegen eine nationale Gruppe“ gerichtet habe. Ein Prozess oder eine Verurteilung wäre ein erster wirklicher Erfolg für den Sonderstaatsanwalt Ignacio Carillo Prieto. Nach seinem Wahlsieg hatte der noch amtierende Präsident Fox diese Sonderstaatsanwaltschaft gebildet, um die Verbrechen der PRI-Regierungen aufzuklären. Seit Freitag befindet sich 84-jährige Echeverría nun im Hausarrest. Haft sieht das mexikanische Gesetz für Menschen nicht vor, die älter als 70 Jahre sind.