Die Nato macht uns nicht sicherer, sondern unsicherer
Seite 2: USA: Die Angst vor der europäischen Neutralität
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Vor allem wollte Washington ein unabhängiges, neutrales Europa verhindern – egal, was das für die Sicherheit der Europäer bedeutete.
Fakt ist: Die Nato war eine Reaktion auf die "gefährlichen Angebote" Russlands, Europas Sicherheit unabhängig von den USA zu gestalten.
Der US-Außenminister Dean Acheson selbst stellte damals fest, dass die Gründung des Bündnisses weniger dadurch motiviert sei, dass man erwartete, dass Stalins Truppen möglicherweise Westeuropa angreifen würden, sondern aus Angst vor einem neutralen Europa, einer "dritten Kraft", eine "suizidale Abkürzung", so Acheson.
Außenpolitik-Analyst Melvyn Leffler stellt in einer wissenschaftlichen Untersuchung fest, dass die US-Planer damals davon "überzeugt waren, dass die Sowjets tatsächlich interessiert daran waren, einen Deal hinzubekommen, Deutschland wiederzuvereinigen und die Spaltung Europas zu überwinden."
Davor hatten die USA die größte Angst. Die Zerstörung von europäischer Neutralität war der Motor, der die Nato vorantrieb.
Nato und die globale Machtstellung der USA
Nach dem Ende des Kalten Kriegs hätte man, wenn man an die Kalte-Kriegs-Erzählung glaubte, die Nato sei dafür da, die "russischen Horden" von Westeuropa fernzuhalten, die Nato eigentlich auflösen müssen. Die Sowjetunion war zusammengebrochen. Keine russischen Horden mehr.
Das Gegenteil geschah. Die Nato wurde gegen Versprechen, die man Gorbatschow machte, weiter nach Osten ausgedehnt. Die westliche Militärallianz rückte immer näher an die russischen Grenzen, während Moskau warnte und deutlich signalisierte, dass Georgien und die Ukraine rote Linien seien für ihre eigenen Sicherheitsbedürfnisse.
Die Ausrichtung der Nato wurde auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weiter von Washington vorgegeben. In einem geleakten Pentagon-Papier von 1992 zur US-Verteidigungsstrategie wird die "globale Machtstellung" der USA reklamiert. Es dürfe kein unabhängiges europäisches Sicherheitssystem geben.
Vielmehr muss die von den USA dominierte Nato das "Hauptinstrument der westlichen Verteidigung und Sicherheit sowie das Instrument für den Einfluss der USA und ihre Beteiligung an europäischen Sicherheitsangelegenheiten" bleiben.
"Humanitäre Interventionen"
Zugleich wurde offen eingestanden, dass die Nato eine Interventionsarmee ist. Es fanden nun "Out-of-Area"-Einsätze oder "humanitäre Interventionen" zum Beispiel im Kosovo oder in Afghanistan statt.
Der damalige Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer teilte auf einer Nato-Tagung im Juni 2007 mit, dass "die Nato-Truppen Pipelines bewachen müssen, die Öl und Gas transportieren, das für den Westen bestimmt ist". Sie sollen insgesamt die von Tankern genutzten Seewege und andere "entscheidende Infrastrukturen" des Energiesystems schützen.
Ein Jahr später, auf der Nato-Tagung 2008, unterstrichen die USA ihr Bestreben, die Ukraine wie Georgien in die Nato aufzunehmen – um Russland einzudämmen. Vor allem Frankreich und Deutschland sperrten sich.
Daher wurde vorerst keine offizielle Einladung ausgesprochen. Doch die USA drängten weiter, was die Spannungen mit Moskau erhöhte.
Seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise 2014 und dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 beherrscht in westlichen Ländern das Narrativ vom "unprovozierten Krieg" den Diskurs. Doch jeder kann wissen, dass er nicht unprovoziert gewesen ist (wenn auch kriminell und illegitim).
Ein zentrales, wenn auch nicht das einzige Element der Provokation war, die Ukraine enger an die USA und die Nato anzuschließen.
Ukraine-Krieg als Geschenk für die USA
Der Angriff von Putin war schließlich ein Geschenk für die US-Außenpolitik-Planer. Europa wandte sich von Russland ab und den USA zu.
Es folgten Aufrüstung, weitere Nato-Mitglieder (Finnland, Schweden), das vorläufige Ende der Idee europäischer Neutralität und eines unabhängigen Wegs, Sicherheit auf dem Kontinent zu garantieren.
Das Ergebnis: Europa ist heute unsicherer als viele Jahrzehnte zuvor, nicht trotz, sondern wegen der Nato, die Europa zunehmend von Russland abtrennte und Spaltprozesse in Gang setzte.
Die Ukraine erhielt beim Nato-Gipfel im letzten Jahr dann nur Sicherheitszusagen, weiter keine formelle Einladung. Für die Ukraine sieht es im Moment schlecht aus, weil das Land für die USA und Nato nicht von genuinem, sondern lediglich strategischem Interesse ist.
Diejenigen, die immer gesagt haben, dass man Russland nicht trauen darf, dass Moskau expansionistisch ausgerichtet ist und Europa, wenn der Zeitpunkt günstig erscheint, überfallen wird, scheinen nun in der veröffentlichten Debatte recht zu haben.
Moskau ist nicht irrational und suizidal
Wer jedoch Moskau unterstellt, Pläne zu hegen, EU-Länder zu attackieren, muss der russischen Führung Irrationalität und Suizidalität unterstellen. Machtambition (einmal unterstellt) reicht eben nicht, entscheidend ist Machtreichweite, die Putin wie jeder andere russische Präsident sicherlich einzuschätzen weiß. Und die reicht nicht mal bis Kiew.
Am Ende ist es so: Die Nato ist der falsche Weg, war es immer, um Sicherheit für die Bürger:innen in Europa herzustellen. Sie ist dafür nicht gegründet worden, ihre Organisation und ihre Ausrichtung dienen diesem Ziel nicht. Im Gegenteil. Das Militärbündnis ist ein stetiger Quell der Destabilisierung und Polarisierung.
Denn die Nato ist ein Militärbündnis der Starken, betrieben von den USA, mit imperialen Motiven, nicht derjenigen, die sich schützen müssten im Verbund.
Europa wird mit Russland leben müssen, das Land wird nicht einfach verschwinden. Es braucht daher eine pan-europäische Lösung, die wechselseitig Sicherheit garantiert.
Vielleicht sollten die Europäer Trumps Äußerungen zum Anlass nehmen, einen unabhängigen, neutralen Weg erneut ins Auge zu fassen.
Aber klar ist auch: Im Moment ist das ein bloßer Wunschtraum.