Die Pflanze wächst nicht mehr online
Bestsellerautor Stephen King stoppt sein interessantes Experiment und will oder darf darüber nicht wirklich öffentlich nachdenken
Eigentlich war der Einfall ja interessant. Bestsellerautor Stephen King, mit dem es keinen Armen trifft, hatte im Juli angekündigt, seinen Roman The Plant Kapitel für Kapitel im Internet auf seiner Homepage zu veröffentlichen. Bedingung für die Veröffentlichung des jeweils nächsten Kapitels war, dass ihm mindestens 75 Prozent der Leser für das zuvor heruntergeladene 1 Dollar gezahlt haben. Ende November ließ King dann verlauten, dass es mit dem sechsten Kapitel Schluss sei.
Schon Anfang des Jahres waren King und sein Verlag Simon & Schuster mit dem Buch "Riding the Bullet" vorangeprescht und hatten es unter anderem bei Glassbook gegen einen Preis von 2,50 US-Dollar für die 16000 Worte angeboten. Zuerst hatte Mac-Benutzer King Probleme, denn er konnte sein eigenes Buch nicht aus dem Internet holen. Kaum war das Buch online angeboten, hatten schon Cracker den 40 Bit Verschlüsselungscode von Glassbook geknackt und die Story kostenlos angeboten.
Gleichwohl hatte King mit The Plant, einem liegen gebliebenen Projekt aus den 80er Jahren, noch einen Versuch gemacht, der den Verlagen sicher noch mehr Angst eingejagt hatte. Ohne Vermittlung eines Verlages nämlich hatte King im Juli angekündigt, Kapitel für Kapitel des neuen Buches ins Netz zu stellen. Die Hoffnung war, dass die Fans dem Star nicht nur Aufmerksamkeit schenken, sondern auch bereit waren, freiwillig etwas zu zahlen. Im Grunde also ging es nicht nur um eine neue Vermarktungsweise unter Umgehung der traditionellen Vermittler, sondern auch um einen Vertrauenstest: King hoffte darauf, dass genügend Leser auch wirklich zahlen, hatte aber schon eine kleine Sicherung eingebaut und gedroht, die Geschichte nicht weiter zum Herunterladen anzubieten, wenn weniger als 75 Prozent von allen Lesern für das letzte Kapitel einen Dollar bezahlt haben ("Depends on What? In the words of The Turtles, "You, baby, nobody but you." If you pay, the story rolls. If you don't, the story folds.")
Die Leser mussten allerdings noch ein größeres Vertrauen aufbringen, denn es hing ja auch von der Zahlungsmoral der anderen Leser ab, ob man selbst nicht nur der Dumme war, aber die Fortsetzung hing ebenso von der Selbstverpflichtung des Bestsellerautors ab, sein Versprechen einzulösen und die Option auf die Zukunft, denn das war der Preis, zu erfüllen.
Ihr versprecht für jedes Runterladen einen Dollar zu zahlen und keine Kopien an eure Freunde zu verkaufen. Versprecht es, denn es wäre unfair, anders zu handeln. Mein Copyright ist das einzige, was ich habe.
Stephen King
Offenbar hat sich das Vertrauen auf beiden Seiten nicht eingestellt. Nach anfänglichen Erfolgen - das erste Kapitel bezahlten noch um die 120000 Leser - sank die Zahl der Leser, die sich das fünfte Kapitel heruntergeladen hatten, auf 40000, wovon weniger als Hälfte noch die geforderte Summe zahlten. Davor war schon eine für viele ärgerliche Entscheidung des Autors gekommen, den Preis pro Kapitel auf zwei Dollar anzuheben. Für die fünf bislang erschienenen Kapitel mussten die ehrlichen Leser 6 Dollar zahlen (an sich hatte King versprochen, dass das gesamte Buch nicht mehr als 13 Dollar kosten werde).
Angeblich habe King die Entscheidung, The Plant mit dem 6. Kapitel, das noch diesen Monat ins Netz gestellt werden soll, die Geschichte zu beenden, schon getroffen, bevor er die schwindenden Zahlen für das vierte Kapitel erhalten hat. Vielleicht ist es ja auch egal, ob die Einkünfte nicht mehr stimmen oder ob man daran erinnert wird, dass die Menschen nicht auf Dauer die Aufmerksamkeit halten, selbst wenn man ein verwöhnter Beststellerstar ist. Gleichwohl haben ihm die Kapitel insgesamt 600000 Dollar eingebracht, was ja nicht gerade wenig ist, aber vielleicht für einen erfolgsverwöhnten Schriftsteller doch Peanuts darstellen. Auf seiner Website gab er zunächst nur bekannt, dass er sich anderen Dingen zuwenden müsse, weswegen die Weiterarbeit an The Plant erst einmal eingestellt werde. Auch in anderen Ländern werde die Geschichte online Kapitel für Kapitel erscheinen - und irgendwann, verspricht er den Lesern, werde es auch mit diesem Experiment weitergehen.
Das sechste Kapitel, so die Begründung, schließe den ersten Teil des Buches ganz natürlich ab. Da müssen doch alle zufrieden sein, denn es gibt eine Art Höhepunkt und eine Auflösung, auch wenn noch nicht alle Fragen beantwortet seien. Um die ehrlichen Fans nicht zu sehr zu enttäuschen, wird das sechste Kapitel frei ins Netz gestellt, aber wer dann noch schnell alles haben will, wird enttäuscht, denn das erste Kapitel ist bereits entfernt worden, weswegen man es sich - oder gleich alle Kapitel - von einem Freund geben lassen muss. Zunächst scheint er also mal sicher gehen zu wollen (oder drängt der Verlag oder der Agent??) und lässt Philtrum Press unter dem Titel "The Plant, Book 1: The Rise of Zenith" die online veröffentlichten Kapitel für sieben US-Dollar als elektronisches Buch auf den Markt bringen: "Und dafür, mein Freund, wirst du deine Kreditkarte brauchen."
her sich selbst scheint er damit zu trösten, wenn er sagt, ihm sei nicht nachvollziehbar, warum die Zahl der Leser, die zahlen, unter 50 Prozent gefallen sei. Vielleicht weil sie wissen oder geahnt haben, so fährt er fort, dass es vorerst über 6 Kapitel nicht hinausgeht, weswegen es sich nicht lohne, weiter zu zahlen? In der Time hatte King noch gemeint, dass es ihm weniger um das Geld ging, sondern um das Experiment, etwas Neues auszuprobieren - und verglich The Plant mit Napster. Er habe viel Spaß gehabt und rechne damit, dass er nach der endgültigen Abrechnung wahrscheinlich eine Million Dollar daran verdient habe (und muss hinzufügen, dass das für ein Buch keine gewaltige Summe sei). Das Einspielergebnis, das man im Januar veröffentlichen werde, sollen die Leser doch dann als Kapitel 7 verstehen, meint King. Hunderttausende hätten die Kapitel heruntergeladen, Kosten seien für ihn praktisch keine entstanden - "und die Profitmöglichkeiten sind unbegrenzt".
So ganz aufgelöst ist der Rückzug vom Experiment angesichts dieser Gewinnmöglichkeiten und des behaupteten Erfolgs also nicht, das King ja weiterhin als erfolgreich verteidigt. Die New York Times sieht in dem Experiment eine Bestätigung dafür, dass die Menschen im Internet nichts bezahlen wollen (da steht womöglich eigene Erfahrung dahinter). Überdies sei jeder im Web wie in einem dichten Wald, in dem alle Bäume gleich hoch sind - und ein bestimmter einzelner Baum daher nur schwer auszumachen sei. Das Experiment habe noch nicht demonstriert, dass Bezahlung keinesfalls im Netz nicht funktionieren könne, aber es habe eine falsche Voraussetzung gehabt. Und diese Kritik richtet sich direkt an King und die häppchenweise Veröffentlichung. Das habe man früher so machen können, aber die Geschichten von King lese man in einem einzigen Zug. Die Spannung könne man nicht über Monate aufrecht erhalten. Der Autor habe, so die Zeitung, seine eigenen Leser falsch eingeschätzt. Die würden nämlich seine Geschichten ähnlich wie eine Tüte Popcorn in einem Satz verschlingen wollen - ohne fremdgesteuerten Suspense.
Das konnte King - in dem Sinn wirklich ein King - nicht auf sich sitzen lassen und musste gleich eine Entgegnung schreiben, die, so der Starautor ein wenig beleidigt, nicht in der New York Times veröffentlicht wurde - dafür aber weitgehend in der Time, weswegen man die Times da auch verstehen kann. Natürlich kenne er die Leser, und die hätten begierig die sechs Folgen seines Buches "The Green Mile" nacheinander gekauft. Auf der Bestsellerliste für Taschenbücher der Times seien alle sechs Folgen gleichzeitig vertreten gewesen. Spannende Geschichten seien überdies als Serie geradezu angelegt, rechtfertigt sich King weiter. Allerdings sei es unvorhersehbar, wie etwas, was in anderen Medien Erfolg hat, im Netz ankomme. Man könne nichts weiter machen, als Neues ausprobieren.
Schwierig sei, dass die Internetnutzer die "Aufmerksamkeitsspanne von Heuschrecken" hätten. Überdies hätten sie die Erwartung ausgebildet, dass alles, was im Netz ist, kostenlos sein müsse. Und dann würden sie eben elektronische Bücher nicht als Bücher ansehen. Das betrifft die, für die The Plant im Internet uninteressant gewesen sei (wodurch sich also der nicht sooo große Erfolg erklärt): "Dutzende Menschen sagten zu mir, sie könnten nicht erwarten, die Geschichte zu lesen ... wenn sie in Buchform erscheint. Sie gehen entweder nicht ins Web, machen dort nichts anderes als Email oder denken einfach nicht daran, online zu lesen, selbst wenn sie die Lektüre in der Privatheit ihrer Heime als wirklich Gedrucktes ausgedruckt haben."
Daher habe The Plant nur den Erfolg als Buch angekratzt, ist sich King sicher. Online-Veröffentlichungen und Bücher seien zwei Märkte, die sich kaum überschneiden. King vergleicht die Online-Publikation mit Vorabdrucken von Büchern in der Presse - das wahrscheinlich zur Beruhigung seiner Verleger -, auch wenn die Einkünfte bereits ein Vielfaches erzielen würden. Und überhaupt: "Es geht um den Spaß. Die Hauptsache ist weder die Summe der Gewinne noch die Zukunft des Publizierens. Die Hauptsache ist, etwas Neues zu machen, ein paar neue Knöpfe zu drücken und zu schauen, was geschieht."
Das könnte sich King eigentlich auch leisten, aber ein großer Teil seines Spaßes scheint doch das Geld zu sein, um das sich seine Gedanken immer wieder auch bei der Rechtfertigung drehen. Und das wahrscheinlich auch im Hintergrund der Entscheidung stand, erst einmal die Online-Publikation auf eigene Faust einzustellen. Würden sich nämlich die Bestsellerautoren, die Geldkühe der Verlage, verselbständigen und den Vertrieb ihrer Werke online in die eigene Hand nehmen, hätten die Verlage das Nachsehen. Und da werden sie erst einmal Druck gemacht haben. Insofern könnte es durchaus auch stimmen, dass Verträge mit den Verlagen ein Grund für das Einstellen der Serie waren - worüber man dann aber in der Öffentlichkeit nicht so gerne spricht. Eigentlich hatte King ja angekündigt, zum "schlimmsten Albtraum der Verleger" zu werden. Daran wird er nun wohl nicht gerne erinnert werden.