Die Polizei, Dein Freund und Feind

Seite 2: Kapitel II: Der Feind

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"Polizeigewalt" ist streng genommen ein "weißer Schimmel". Die Polizei ist nun einmal die Gewalt, mit der ein Staat seine Gesetze gegen Widerstände in seinem Volk durchsetzt. Und damit diese Gewalt immer übermächtig und damit siegreich ist, besitzt nach innen nur die Polizei das Recht auf Gewaltausübung.

Abgesehen davon, dass, wie in Kapitel Eins beschrieben, die Bürger ihren konfliktreichen Alltag gefälligst hinzunehmen haben, ohne für sie negative Konsequenzen mit Gewalt korrigieren zu wollen. Gewalt untereinander wird dann mit der Gewalt über ihnen unterbunden beziehungsweise geahndet. Was mit "Polizeigewalt" eigentlich gemeint ist: ein Zuviel an Übergriffen, über ein gewisses Maß hinaus. Das eröffnet ein weites Feld für Diskussionen. Dazu später mehr.

Grundrechte einschränken? Logisch, sonst kann die Polizei nicht arbeiten

Die Gewalt der Polizei bekommen eine Menge Leute zu spüren, aus sehr verschiedenen Gründen. Zuallererst die im "Freund"-Kapitel beschriebenen Rechtsbrecher - aber auch als potenzielle Terroristen oder "Gefährder" eingestufte Personen. Im Klartext: Wer nach staatlicher Einschätzung Gesetze zu brechen droht, wird vorsorglich eingesperrt. Damit ergibt sich für die Staatsgewalt ein großer Handlungsspielraum. Und das ist genau so gewollt.

Wenn die Polizei gegen Bürger vorgeht, werden zwingend einige ihrer Grundrechte verletzt:

§ 7 Einschränkung von Grundrechten.

Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte auf

informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes),
Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes),
Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes),
Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes),
Fernmeldegeheimnis (Artikel 10 Absatz 1 des Grundgesetzes),
Freizügigkeit (Artikel 11 des Grundgesetzes) und
Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes)
eingeschränkt. (Polizeigesetz NRW)

Kurz gesagt: Die ganze Palette der Freiheit des Bürgers in der Demokratie kann von der Polizei über den Haufen geworfen werden. Regelverletzungen duldet der Staat nicht.

Dafür setzt er, ohne mit der Wimper zu zucken, die so unveräußerlichen Grundrechte außer Kraft. Aber gesetzlich wohlbegründet, richterlich geprüft: Schließlich soll das die Ausnahme bleiben - denn die meisten Bürger sollten nicht mit polizeilicher Gewalt an die Kandare genommen werden müssen. Sondern mit der Gewalt der ökonomischen Umstände, die zwischen Besitzlosen und Besitzern von Produktionsmitteln unterscheiden.

Was auch zu bemerken ist: In der Erlaubnis zur Freiheit durch die Grundrechte ist auch deren Entzug enthalten. Logisch, weil wer erlaubt kann auch verbieten. Gar nicht logisch allerdings in Bezug auf die Freiheit - warum braucht es eine Gewalt, die "Leben und körperliche Unversehrtheit" gewährt? Man darf leben? Klingt lächerlich, genau besehen aber sehr bedrohlich.

Damit behält der Staat sich nämlich vor, eben mit diesem Leben nach seinem Gutdünken umzuspringen.

Alles Tun und Wollen seiner Bürger bezieht der Staat auf sich und formuliert dafür seine Vorschriften. Die vielbeschworene Freiheit durch die demokratischen Grundrechte hat schon der ehrwürdige französische Staatstheoretiker Montesquieu Mitte des 18. Jahrhunderts auf den Punkt gebracht:1

"In einem Staate, das heißt in einer Gesellschaft, wo es Gesetze gibt, kann die Freiheit nur darin bestehen, tun zu können, was man wollen darf..."

Über den jeweiligen Umfang des Wollen-Dürfens befindet der Gesetzgeber. Und das durchzusetzen überlässt er seiner Polizei.

Vorsorgliche Festnahme für zwei Wochen

Je nach politischer Konjunktur können Einschränkungen der Grundrechte noch weiter gefasst werden. Ende 2018 wurde beispielsweise das NRW-Polizeigesetz um den "Unterbindungsgewahrsam" ergänzt:

§ 35 Gewahrsam

(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn (...)
2. das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern (…)
Gemünzt ist dies auf Terroristen und sogenannte "Gefährder", bei denen der Staat von einer bevorstehenden Straftat ausgeht. Wer zu diesen Personengruppen zählt, bleibt der Einschätzung des Richters überlassen, auf Basis der polizeilichen Darstellung. Auf jeden Fall können solche Bürger nicht mehr für maximal 48 Stunden festgehalten werden, ohne dass Ihnen eine Tat zur Last gelegt wird, sondern nun für 14 Tage (§ 38 Polizeigesetz NRW), mit einer Option auf Verlängerung um weitere zwei Wochen. Fast einen ganzen Monat kann man nun also in Haft genommen werden, wenn man als "Gefährder" eingestuft wird.

Eine erste Bilanz liest sich so:

"Mit dem Unterbindungsgewahrsam und Polizeigewahrsam sollten Terrorverdächtige und Gefährder länger dingfest gemacht werden, bevor sie eine Straftat begehen können. Die bis dato möglichen 48 Stunden wurden auf zweimal 14 Tage ausgedehnt. Dies wurde bis Ende Oktober 29 Mal gerichtlich angeordnet. In 15 Fällen ging es aber nicht um Terrorismus, sondern um häusliche Gewalt. Drei Fälle hatten tatsächlich einen terroristischen Hintergrund. In vier Fällen ging es um die Besetzung eines Braunkohlebaggers. Die Besetzer weigerten sich, ihre Identität preiszugeben." (WDR, 12.12.2019).

Der Vollständigkeit halber sind noch weitere Polizeigesetz-Neuerungen zu erwähnen: Abhören von "Gefährdern", anlasslose Überwachung und Kontrolle bestimmter Szenen, Ausbau von Videoüberwachung und "Staatstrojaner" für Online-Durchsuchungen.

Man kann also durchaus auch zwei Wochen weggesperrt werden, weil man seinen Personalausweis nicht zeigt. Das kommt bei den Betroffenen eher nicht gut an. Die Polizei zieht damit deren Feindschaft auf sich. Ähnliche Fälle gibt es viele: Hausbesetzer, die von der Ordnungsmacht zwangsgeräumt werden; Demonstranten, die an ihrem Weg gehindert werden oder wegen unerlaubter Vermummung festgenommen; Personen, die bevorzugt und ganz besonders streng kontrolliert werden, weil sie der Polizei grundsätzlich verdächtig vorkommen; Mitglieder von "Szenen", die als irgendwie gefährlich eingeschätzt werden - das reicht dann von politischen Gruppen bis zu dubiosen Familienclans; und seit einigen Jahren vermehrt Menschen auf der Flucht, die wieder in die Hölle, aus der sie kamen, zurückgeschickt werden.

Der feine Unterschied zwischen Kopf und Hals

Regelmäßig erntet die Polizei Kritik, wenn sie diese Aufgaben "überzogen" erledigt. Dann ist die Rede von "Polizeigewalt". Beispielsweise weil die Ordnungsmacht vermeintlich wahllos Demonstranten einkesselt, auf sie einschlägt, eine Blockade mit Knüppeln auflöst, oder, wie jüngst in Düsseldorf, ein Beamter sein Knie auf die Halsregion des Festzunehmenden drückt - und dies so aussieht wie der Mord an George Floyd in den USA kurz zuvor.

Bei Letzterem, erläutern dann Experten, handelt es sich um eine gelehrte und bewährte Technik: Sie soll den Festzunehmenden fixieren, auch damit er sich nicht selbst verletzt, "etwa um später behaupten zu können, die Polizei habe (ihn) verletzt", erklärt Polizei-Forscher Rafael Behr:

Die Frage, die jetzt im Raum steht, lautet: Hat der Polizist sein Knie nur auf den Kopf oder auch in den Hals gedrückt, was wegen der Verletzungsgefahr nicht mehr ausbildungskonform wäre.

Rafael Behr, Zeit online

Beruhigend zu wissen, dass die betreffende Person dann doch nicht das Schicksal des Amerikaners teilen musste. Damit geht dann diese Gewalt in Ordnung.

Das ist überhaupt bei der "Polizeigewalt" die in der Öffentlichkeit immer wieder neu gewälzte Frage: War die angewandte Gewalt angemessen? Musste noch auf den am Boden liegenden Tatverdächtigen eingetreten werden? Waren Schüsse auf einen Steinewerfer nicht übertrieben? Solche Debatten kreisen um die Verhältnismäßigkeit der Mittel, beschäftigen sich nicht mit den Gründen der Polizei-Aktionen. Diese sind als im Prinzip rechtmäßig unterstellt.