Die Polizei, Dein Freund und Feind
Seite 3: "Kultur der Ungleichbehandlung"
Wenn doch nach den Ursachen gefragt wird, steht meist der Vorwurf des Rassismus im Raum. Die Beispiele hier auch nur ansatzweise vollständig aufzuführen, muss angesichts der großen Anzahl über einen ziemlich langen Zeitraum scheitern. Eine aktuelle Übersicht in der Frankfurter Rundschau listet zwölf besonders eklatante Fälle auf.
Ein Muster ist bei aller Verschiedenheit der Vorgänge zu erkennen: Nicht-Deutschen, ob tatsächlich oder nur augenscheinlich, begegnen Polizisten mit gehörigem Misstrauen, Geringschätzung und Ablehnung. Entsprechend unfreundlich bis schikanös gehen sie mit den Verdächtigen um. Polizei-Forscher Rafael Behr erklärt das so:
In der Polizeiarbeit drückt sich eben auch aus, was eine Gesellschaft für normal hält und was nicht. Wer gehört dazu? Wer nicht? Und all jene, die diesem Ordnungsbild nicht entsprechen, haben es gegenüber der Polizei oft schwer: Schwarze, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Linke oder schlicht Freiheitsliebende. Es gibt da eine tiefsitzende Kultur der Ungleichbehandlung.
Rafael Behr, Zeit online
Wer nicht zu "uns" gehört, ist verdächtig
Was Rafael Behr als "Kultur" bezeichnet, ist der ganz normale Rassismus von Bürgern. Die sortieren sehr genau, wer zu "uns", also in diesem Fall Deutschland, gehört und wer nicht. Und der Staat gibt dieses Sortieren schließlich vor, Stichwort Ausländer- und Asylpolitik. Insofern agieren die Polizisten auf Basis eines ziemlich verbreiteten Nationalismus.
Warum also dann ein Vorwurf, wenn sie in ihrer Arbeit denken wie gute Deutsche? Zumal sie noch ein weiteres Argument auf ihrer Seite haben: "Wenn ich immer im gleichen Milieu arbeite, zum Beispiel immer Drogeneinsätze, verengt das meinen Blick auf die Welt. Migranten sind dann nur Dealer, Diebe und Schläger", sagt Experte Behr an anderer Stelle.2
Daher auch der Ansatz des "racial profiling". Die Polizei sucht in ihren Ermittlungen nach Mustern, die zu den Tätern führen. Und ein Muster ist der "Nicht-Deutsche". Der ist grundsätzlich verdächtig. Zynischerweise hat dies sogar einen wahren Kern: Die Notlagen vieler Ausländer lassen einige von ihnen auf "dumme Gedanken" kommen. Weil sie in Deutschland kaum Chancen haben, halbwegs erträgliche und einträgliche Jobs zu bekommen geschweige denn Karriere zu machen, wählen sie illegale Wege. Man treibt Leute in eine verzweifelte Lage und wundert sich dann, dass sie da raus wollen, am Ende egal wie. Was wiederum die Einschätzung bestätigt: Die machen nur Ärger und sollten abgeschoben werden!
Kritik am "racial profiling": falscher Weg zum richtigen Ziel
Trotzdem stößt "racial profiling" auf starke öffentliche Kritik:
Anlasslose Personenkontrollen allein aufgrund eines phänotypischen Erscheinungsbildes verstoßen gegen das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 3 GG.), das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention und das in der internationalen Anti-Rassismus-Konvention angelegte Verbot der rassistischen Diskriminierung.
Vanessa Eileen Thompson, Racial Profiling, institutioneller Rassismus und Interventionsmöglichkeiten
Ganz offiziell und regelmäßig verwahren sich daher die Polizeichefs und deren Vorgesetzte in den Innenministerien der Bundesländer gegen den Vorwurf, Personen vorzusortieren. Sie verweisen aber auch auf die Ermittler-Wirklichkeit, im Einklang mit Polizeiforscher Behr: "Im Hotspot Bahnhofsviertel sind wir für die Bekämpfung von Kriminalität zuständig. Zum Beispiel gegen den Handel von Drogen. Momentan sind 74 Prozent der Dealer im Viertel Drittstaatler, also Nicht-Europäer. Von den übrigen Dealern kommen weit über 90 Prozent aus dem europäischen Ausland", erklärt Gerhard Bereswil, Frankfurts Polizeipräsident.
Kritiker bestreiten dies nicht, weisen jedoch auf einen anderen ihrer Ansicht nach bedenklichen Zusammenhang hin:
Während deutsche weiße Jugendliche 'wirklich laut und aggressiv' sein müssten, damit die Polizei sie kontrolliert, reiche bei anderen der Bart oder ein Kopftuch, ist sich Saba-Nur Cheema, Leiterin der Pädagogischen Abteilung der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, sicher (...) Allerdings betonte sie auch, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handle, das nicht nur die Polizei betreffe.
Frankfurter Neue Presse online
Andere Kritiker monieren, dass "racial profiling" nicht zu den gewünschten Ergebnissen führt; in der Terrorbekämpfung gerade die Gemeinschaften ausgrenzt, auf deren Mitarbeit die Polizei angewiesen sei; und auf Verstöße zielt, die Deutsche gar nicht begehen könnten (illegaler Aufenthalt oder Arbeitsverbot).
Die Kritik am "racial profiling" kürzt sich zusammen auf das Ideal: Die Polizei soll ihrer Arbeit bitteschön ohne - buchstäblich - Ansehen der Personen nachgehen, mit denen sie es zu tun hat. Das ist ein bisschen viel verlangt angesichts der Erfahrungen im Ermittlungs-Alltag und der Einstellung der Polizisten als deutsche Bürger gegenüber Nicht-Deutschen.
Das prinzipielle Misstrauen, was der Staat gegenüber Leuten hegt, die nicht ihm unterstehen, sondern einer fremden Macht, kennen auch sie und teilen es. Da ist es zwar ärgerlich, wenn sich im Nachhinein herausstellt: Die Person sieht nur wie ein Nicht-Deutscher aus, hat aber einen ordentlichen hiesigen Personalausweis und sich nichts zuschulden kommen lassen.
Aber Ausnahmen bestätigen nur die Regel, sprich das Muster. Das "racial profiling" gilt zwar offiziell als verboten. Und es wird wohl auch nicht mehr zu solchen Abfragen nach Migrationshintergründen wie in Stuttgart kommen. Doch in den Köpfen vieler Polizisten wird es weiterarbeiten (siehe auch Arian Schiffer-Nasserie: Polizei und Rassismus. Über einen unschönen, aber unvermeidlichen Zusammenhang).