Die Privatisierung des globalen Krieges?

Kriegserklärungen und Todesurteile von privaten Interessengruppen

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Nach ihrer eigenen Mythologie sind demokratische Gesellschaft friedensliebend und beteiligen sich nicht an eroberungskriegen. Jüngste Entwicklungen der "Zivilgesellschaft" zeigen jedoch, daß der Gegenteil der Fall sein könnte. Zunehmend übernehmen private Interessengruppen die traditionelle Macht des Staates, um Krieg zu erklären, den Sturz ausländischer Regierungen zu betreiben und Menschen zum Tode zu verurteilen. Die letzten Beispiele dafür sind die Kriegserklärung einer Hackergruppe an den Irak und eine private Interessengruppe in Holland zur Festnahme von Milosevic.

In den USA sprechen die meisten Menschen nur Englisch und kennen keine anderen Werte als die des Liberalismus und des Christentums. Nach diesen Maßstäben ist der Rest der Welt tatsächlich voller Mängel. Aktive Bürger können Druck ausüben, um anderen Ländern nationale Überzeugungen aufzuzwingen. Je aktiver die Bürger sind, desto wahrscheinlicher wird ein Krieg. Mit einer plötzlichen militärischen Überlegenheit kann die Zivilgesellschaft die westlichen Staaten möglicherweise in 10 bis 15 Jahren zu einem Angriffskrieg einer globalen Eroberung treiben.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg schlugen einige US-Bürger eine Union der Demokratien vor: eine ideologische Allianz auf der Grundlage anglo-amerikanischer Werte. Die Bewegung scheiterte, aber sie beeinflußte die Bildung der NATO. Die Idee einer demokratischen Expansionspolitik wurde nach 1989 wieder lebendig, als es so schien, als würde sie wirklich werden. Wieder trat dies nicht ein, aber daraus wuchs die Rechtfertigung eines aggressiveren westlichen Interventionismus. Vielleicht steht die langfristige Wirkung der demokratischen Expansionspolitik gerade erst an ihrem Anfang. Die "Zivilgesellschaft" war jedenfalls aktiv, um die NATO in Bosnien in ihren ersten wirklichen Krieg zu bringen.

Neue Berichte über die Intervention, besonders in Bosnien, lassen einen neuen Konsens innerhalb der Elite der internationalen Beziehungen sehen. Es gibt jetzt eine einflußreiche Interessengruppe für die westliche Intervention: nicht nur bei extremen Fällen, sondern auch unter Bedingungen, die für die meisten Länder in Osteuropa, im Mittleren Osten oder in Afrika zutreffen. Die Interessengruppen für eine Intervention haben normalerweise ihre Grundlage in bestimmten universellen Werten. Das ist an sich nichts Neues, denn die meisten Gesellschaften halten sich selbst für überlegen. Neu aber ist die Herausbildung von politischen Strukturen, die diese Werte in einen Druck auf militärische Aktion übersetzen: Menschenrechtsgruppen, Hilfsorganisationen, kulturell-nationalistische Unterstützergruppen wie die Gesellschaft für bedrohte Völker und jetzt auch militaristische Hacker. Die europäischen Friedensbewegungen haben sich allgemein in pro-interventionistische Bewegungen verwandelt, was sich besonders deutlich bei den deutschen Grünen sehen läßt.

'Hello I am so in favor of just killing them all. Why waste time on watching out for civilians. If they are part of the country then that is just to bad. I know that if the Iraqi's had a choice of whether or not to bomb the U.S. they would not even think twice about it. I say take a whole crap load of weapons and just bomb them until there is absolutely nothing left.

Bombardiert den Irak

Bislang haben die Staaten nichts zu dessen Beendigung unternommen, auch wenn es deren Privilegien untergräbt. Ein Symptom dafür ist die wachsende Zahl von Tötungsvorschlägen etwa für Saddam, Khaddafi oder Milosevic. In der Vergangenheit war dies keine normale Form des politischen Diskurses, sondern solche Absichten wurden nur in vielen Geheimdiensten der Regierungen diskutiert. Natürlich stellt diese Entwicklung ein zweischneidiges Schwert dar: Wenn westliche Regierungen solche Interessengruppen zur Ermordung mißliebiger ausländischer Politiker legitim finden, ist es dann noch gerecht, ein Fatwa gegen Rushdie zu verurteilen? Oder auch gegen Clinton?

Ich glaube allerdings nicht, daß sich eine Art freier Markt für Kriegserklärungen und Todesurteilen entwickeln wird. Der Strom an Erklärungen geht nämlich vor allem eine Richtung: gegen die Feinde besonders der USA. Es gibt keine Interessengruppe für eine amerikanische Invasion in Dänemark, und auch keine für eine dänische Invasion in die Vereinigten Staaten. Die "Zivilgesellschaft", die Gesamtheit an Bürgergruppen, -interessenverbänden und - bewegungen, verstärkt die Kultur einer Gesellschaft: sie ist kein Produzent von Vielfalt.

Kriegserklärungen, Aufforderungen zu Sanktionen und Interventionen und Vorschläge für Tribunale werden gegen die Opponenten der amerikanischen geopolitischen Macht, nicht-liberale Werte und Überzeugungen und Staaten gerichtet, die keine nationalen Demokratien des freien Marktes sind. Es ist vermutlich unmöglich, sich dem durch Gegenerklärungen entgegenzusetzen. Unlängst schlug ich die Exekution von Pinochet und ein Tribunal für Thatcher vor. Auch wenn es überrascht, daß ich das ohne rechtliche Folgen machen kann, war die Wirkung der Vorschläge gleich Null. Sie sind konträr zu den Werten der westlichen Gesellschaften, während dies die Bombardierung Bagdads nicht ist.

Ich würde daher einen zunehmenden Druck auf die westlichen Regierungen erwarten, gegen genau jene Staaten, Bewegungen und Individuen vorzugehen, gegen die sie bereits sind. Die Möglichkeit eines Feedbacks liegt auf der Hand, besonders wenn Regierungen auch wieder mit einer interventionistischen Rhetorik antworten. Eine Regierung, Medien und Bürgergruppen können in den Kreislauf eines Kriegsfiebers geraten. Dafür gibt es Beispiele in demokratischen Gesellschaften, vor allem Großbritannien im Jahr 1914. Bislang waren die US-ideologischen Interventionen notorische Fehlschläge: US-Truppen schafften es nicht, Haiti oder Somalia in Modelldemokratien zu verwandeln.

Technologische Neuerungen könnten jedoch für die westlichen Mächten eine überwältigende militärische Überlegenheit herstellen. Koalitionen von Interessensgruppen, die zur Intervention aufrufen, könnten einen Krieg verlangen, der die demokratische Expansionspolitik ein für alle Mal verwirklicht, um das Scheitern von "1989" gut zu machen. Das US-Militär geht davon aus, daß es in einigen Jahren einen Erstschlag auf 1500 Ziele mit konventionellen Waffen ausführen kann. Wenn die Zahl der Ziele ansteigt, nehmen auch die potentiellen Vorteile für die USA zu, bis schließlich die Illusion herrschen könnte, daß der Westen "die Welt an einem Tag erobern", oder, weniger euphorisch, die Weltordnung durchsetzen könnte, von der George Bush und Francis Fukuyama 1990 geträumt haben. (Die Rolle Europas in diesem Krieg bestünde in der Bereitstellung von Truppen, im Applaudieren und wahrscheinlich in der Selbstbeschränkung, seine Zukunft als Themenpark zu beschließen.)

Ich denke realistischerweise nicht, daß ein solcher Krieg wahrscheinlich wäre, vor allem weil er die bestehende internationale Ordnung zerstören würde, die den USA bereits zugutekommt. Und es gibt keine Einigung über die Einzelheiten der neuen Weltordnung. In Bosnien liegen Modelle eines möglichen Bosnien miteinander im Wettstreit um eine Unterstützung durch die USA. Doch solange es keine wirkliche Opposition gegen das Konzept der Zivilgesellschaft gibt, die in Wirklichkeit eine Elite von Interessengruppen ist, können Kriegsbewegungen so vertraut werden, wie dies die Friedensbewegungen einst waren.