Die Produktion von Nachrichten

Seite 3: Abnehmende Pluralität, zunehmende Kontrolle

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Sowohl die Ergebnisse zu den deutschen Fernsehnachrichten als auch internationale Vergleiche zeigen, dass die betriebliche Grundlage von Medien - öffentlich oder privatwirtschaftlich - den stärksten Einfluss auf Umfang und Qualität der politischen Berichterstattung ausübt. Der wirtschaftliche Druck, dem die traditionellen Privatmedien in den vergangenen Jahrzehnten ausgesetzt sind, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Vielfalt der politischen Kommunikation in der Öffentlichkeit.

In Deutschland erreichte etwa die Pressekonzentration im Jahr 2014 erneut Höchstwerte. Die verkaufte Auflage und darin hauptsächlich die Abonnentenzahl geht seit mindestens 15 Jahren zurück, die Werbeeinnahmen der Verlage haben sich in diesem Zeitraum halbiert.

In einem - vom Rundfunk abgesehen - unreglementierten Medienmarkt verstärken sich auch wegen der Einnahmenkrise Tendenzen in der Entwicklung von Anbieter- und Angebotsstrukturen, die dem grundgesetzlichen Auftrag an die Politik, für Vielfalt zu sorgen, konträr entgegenstehen.

Röper 2014

Auch[V5] wenn nur wenige Zeitungen ihr Erscheinen vollständig einstellten, führte die Übernahme durch wenige Verlage doch dazu, dass die Zahl der Vollredaktionen deutlich zurückging, da einzelne Redaktionen nunmehr alle Erzeugnisse der Verlagsgruppe mit einem Redaktionspool zentral beliefern.

Die Einsparungen betreffen auch und vor allem den kostenintensiven Bereich der Auslandsberichterstattung. So befand sich zu Beginn der Ukraine-Krise kein einziger deutscher Korrespondent im Land. Die größten Medien hatten ihre dauerhaften Niederlassungen ausschließlich in den Hauptstädten der Nachbarländer Polen und Russland. Dies führt zwangsläufig dazu, dass der Anteil von Agenturmaterial gerade bei der internationalen Berichterstattung besonders hoch ist.

"Der besonders seit 2001 steigende ökonomische Druck auf die Medienbranche und die finanziellen Einschränkungen, die daraus folgten, sorgten dafür, dass viele Medien die Anzahl ihrer Auslandsbüros und -korrespondenten reduzierten." (Hahn 2008) Dabei verstärkt der Abbau von Auslandsressourcen die ohnehin bestehenden Ungleichgewichte in der Nachrichtengeographie und folgt einer Informationsstrategie, welche eng mit den außenpolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik abgestimmt ist (u.a. Breckl 2006).

Wie dieser Aspekt des politisch abgestimmten Korrespondentennetzes in einer Konfliktregion aussehen kann, lässt sich am Nahen und Mittleren Osten beschreiben. In keinem Land der Region sind mehr deutsche Journalisten fest stationiert als in Israel. Allerdings spricht die absolut überwiegende Mehrheit von ihnen gar kein Arabisch. Von den dort befragten deutschen Journalisten lebt kein einziger in Palästina bzw. den besetzten Gebieten und zudem informieren sie sich hauptsächlich aus israelischen Zeitungen. Gleichzeitig vertreten alle befragten Korrespondenten jedoch einen sehr hohen Anspruch an ihre Neutralität im dortigen Konflikt (Levine 2014).

Schließlich übersetzt sich die Beschäftigungspolitik der Rundfunkmedien und Verlage unmittelbar in sozioökonomischen Druck auf die Journalisten. Grundsätzlich gilt, dass einer zunehmend kleineren Zahl an fest beschäftigten Journalisten immer mehr gut qualifizierte Interessenten an einem Medienberuf gegenüberstehen.

Wie stark die Disziplinierung in den Redaktionen schon seit den 1990er Jahren zugenommen hat, lässt sich unter anderem an den JouriD1- und JouriD2-Studien erkennen. So hatte sich die hierarchische Kontrolle in den Redaktionen zwischen 1993 und 2004 bereits annähernd verdoppelt. Bei der ersten Erhebung hatten 41 Prozent der befragten Journalisten angegeben, dass sie ihre Beiträge vor der Veröffentlichung dem unmittelbaren Vorgesetzten vorlegen, andere 21 ließen sie sogar vom Chefredakteur absegnen. Zehn Jahre später hatten sich diese Angaben auf 73 Prozent bzw. 41 Prozent erhöht (Weischenberg 2006). Hierarchische Kontrolle findet dabei vor allem in den Ressorts Politik und Wirtschaft statt.

Seitdem dürften sich diese Merkmale zumindest nicht reduziert haben. In einer Folgebefragung, die sich hauptsächlich auf Politikjournalisten konzentrierte, gaben "knapp über 70 Prozent der Befragten an, dass ihre Beiträge in der Redaktion immer oder oft gegengelesen bzw. abgenommen werden." (Lünenborg 2010)

Die inhaltliche Formierung im Redaktionsbetrieb ist sogar über den Tendenzschutz für Medienbetriebe rechtlich geschützt (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Ein Journalist, der gegen die werteorientierte Grundausrichtung des ihn beschäftigenden Unternehmens verstößt, genießt nur einen eingeschränkten arbeitsrechtlichen Schutz, d.h. die innere Meinungsfreiheit bzw. die so genannte Binnenpluralität innerhalb von Medienunternehmen ist in Deutschland gesetzgeberisch deutlich beschnitten. "Faktoren wie die redaktionelle Linie des Mediums und das 'Wertklima' in einer Redaktion können die Gestaltungsfreiheit der Korrespondenten genauso beschränken wie konkrete Zeit- und Zeilenvorgaben." (Nitz 2008)

Die Tatsache, dass in Deutschland abweichende Meinungen rechtlich nicht abgesichert sind, hat zur Folge, dass sich Journalisten mit nicht konformen Einstellungen lieber freiwillig von ihrem Arbeitgeber trennen. Ein bekannter Fall aus dem Bereich der Auslandskorrespondenz ist der vielfach preisgekrönten ZDF-Korrespondent Ulrich Tilgner, der im Jahr 2008 dem ZDF kündigte und mit folgender Begründung zum Schweizer Fernsehen wechselte:

Die Schweiz hat nicht den Formierungszwang eines Nato-Staates. Wenn die Nato-Staaten in Afghanistan kollektiv eingreifen, wollen sie ihr Auftreten dort in ein entsprechendes Licht stellen.

Ulrich Tilgner, in Prinzing 2008