Die Produktion von Nachrichten
Seite 2: Top-Thema 2014: Ukraine-Konflikt und die USA
- Die Produktion von Nachrichten
- Top-Thema 2014: Ukraine-Konflikt und die USA
- Abnehmende Pluralität, zunehmende Kontrolle
- Massiv und konsonant
- Literatur:
- Auf einer Seite lesen
Das Top-Thema des Jahres war mit 4693 Minuten (78 Stunden) Sendezeit der Ukraine-Konflikt. Er wurde mehr als doppelt so lange thematisiert wie das zweitwichtigste Thema, der Terror der Organisation "Islamischer Staat".1 Dieser Konflikt begann im Sommer 2014 jedoch langsam die Ukraine von 1. Platz zu verdrängen.
Umso erstaunlicher ist es, dass das Land, das am häufigsten erwähnt wurde, auch im vergangenen Jahr 2014 - wie seit Beginn der Aufzeichnungen - wieder die USA war. Deutlich weniger, aber immer noch öfter als die Ukraine, wurde Russland genannt. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass die Redakteure den Konflikt stark als eine Auseinandersetzung zwischen USA und Russland behandelten. Mindestens genauso bemerkenswert ist, dass nur ein Politiker annähernd so häufig erwähnt wurde wie Angela Merkel (1403 Mal): der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin (1026 Erwähnungen). Die nächsten Plätze nahmen weit abgeschlagen Barack Obama (725) und der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein (677).
Da bisher keine wissenschaftlichen Inhaltsanalysen öffentlich vorliegen, bleiben Meinungen und Wertungen zur Ukraine-Berichterstattung notwendigerweise subjektive Eindrücke. Zwei Elemente der Berichterstattung lassen sich jedoch an der quantitativen Aufstellung des IFEM deutlich erkennen. Erstens personalisierten die TV-Nachrichten die Darstellung des Konfliktes aggressiv und zweitens spielten die inneren Verhältnisse in der Ukraine für sie eine untergeordnete Rolle. Dies lässt sich nicht nur daran erkennen, dass das Land Ukraine nicht annähernd so häufig erwähnt wurde wie die imperialen Mächte USA und Russland.
Auch auf der Ebene der erwähnten Politiker verteilen sich die eigentlichen Protagonisten, die ukrainischen Politiker, erst auf die Plätze 3 bis 20. Kumuliert man zudem die Auftritte der Vertreter der vormaligen Opposition, so tauchten sie in den wichtigsten deutschen TV-Nachrichten 969 Mal auf - gegenüber dem scheinbar einzigen Vertreter der gewählten Regierung, Präsident Janukowitsch mit 273 Erwähnungen. Diese Zahl liegt zusammengenommen etwa bei der Medienpräsenz, die der russische Präsident Wladimir Putin alleine aufwies.
Zudem handelt es sich dabei um einen klaren Hinweis, dass die erdrückende Präsenz des pro-westlichen Blocks gegenüber der Darstellung der damaligen Regierung mit einem Verhältnis von fast 4:1 einer sehr deutlichen politischen Positionierung der zuständigen Redaktionen entspricht.
Verschärfend kommt hinzu, dass der am 21. Februar 2014 gestürzte Präsident Janukowitsch zumeist nur genannt wurde, während die Vertreter des Oppositionslagers überwiegend in Bild und Film gezeigt wurden, sowie eigene O-Töne in den deutschen Nachrichten unterbringen konnten. Anders als Wiktor Janukowitsch, der nur bei einem Drittel der Erwähnungen selbst auftrat, konnten die Vertreter der pro-westlichen Opposition sich in den allermeisten Fällen selber darstellen. (alle Daten: Krüger 2015)
Dass diese hier angeführten Beispiele die Auslandsberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen betreffen, sollte jedoch keinesfalls zu der Annahme führen, privatwirtschaftlich betriebene Verlage und Sendeanstalten seien von der Kritik ausgenommen. Im Gegenteil zeigt sich, dass - hier zumindest das Fernsehen betreffend - die Nachrichten der privaten Sender ihrem Informationsauftrag ohnehin nur in extrem eingeschränkten Umfang nachkommen. Die Verpflichtung der Sender zur Information ist im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt und eine Voraussetzung für die Zulassung der Kanäle. Laut IFEM-Daten widmeten sie der internationalen Politik in den vergangenen 10 Jahren durchschnittlich nur 10 Prozent ihres insgesamt sehr viel geringeren Zeitumfangs. In diesem winzigen Informationssegment dominieren inhaltlich zudem die Themenbereiche Katastrophen, Human Interest Stories und Sport (vgl. Krüger 2004-2014). Damit erweist sich das Mediensystem bereits als einer der wichtigsten Faktoren mit Einfluss auf die Politikberichterstattung.
Öffentlich-rechtliches Fernsehen bieten mehr Hard News
Dieser Befund bestätigt sich auch im internationalen Vergleich immer wieder. So untersuchte ein internationales Forscherteam die internationale Berichterstattung in vier Ländern mit unterschiedlichen Mediensystemen sowie die Informiertheit des Publikums (Curran, Iyengar 2009). Ihr Ergebnis lautete eindeutig, dass öffentlich-rechtliches2Fernsehen3 den internationalen Nachrichten weitaus größere Aufmerksamkeit schenkt und höheres Wissen in diesen Bereichen fördert als das privatwirtschaftliche Modell.
Ihre Inhaltsanalyse ergab große quantitative und qualitative Unterschiede bei den verbreiteten Nachrichten in den untersuchten Ländern. Die öffentlich-rechtlichen Mediensysteme informierten nicht nur insgesamt häufiger über internationale Angelegenheiten, sondern brachten auch deutlich höhere Anteile von Hard News.
Zudem zeigten sich bei der Verteilung des Wissens über Hard News innerhalb der Gesellschaft (Knowledge Gap) drastische Unterschiede. Während die Gruppen mit niedrigen Einkommen und Bildungsabschlüssen in den Ländern mit starken öffentlich-rechtlichen Mediensystemen teilweise besser informiert waren als die Eliten, betrug die sozio-kulturell bedingte Wissenslücke etwa in den USA mehr als 50 Prozent. Dabei zeigten sich als wesentliche Einflussfaktoren die Höhe der Einkommen, die Bildungsabschlüsse und die ethnische Herkunft.