Die Produktion von Nachrichten
Seite 4: Massiv und konsonant
Im vergangenen Jahr wurden die Ergebnisse von Uwe Krüger zur Einbindung der Chefredakteure und Herausgeber in die Netzwerke der außenpolitischen Entscheidungsträger breit diskutiert (Krüger 2013). Die oben genannten Faktoren können zwar helfen zu verstehen, wie innerhalb der Apparate der Medienproduktion, bestimmte inhaltliche Muster durchgesetzt werden. Aber das Phänomen der Konsonanz, also der gleichlautenden Darstellung über viele Einzelmedien hinweg, kann demzufolge eigentlich nur Auftreten, wenn innerhalb der Eliten ein Konsens zu diesem Thema herrscht. Auch in dieser Hinsicht hatte das Jahr 2014 einiges Neues zu bieten.
Bisher gehen die Medien- und Kommunikationswissenschaften davon aus, dass in pluralen Demokratien unterschiedliche Interessengruppen über einen privilegierten Zugang zur medialen Öffentlichkeit verfügen. Da zwischen verschiedenen Fraktionen der wirtschaftlichen und politischen Elite unterschiedliche Interessen, ja manifeste Zielkonflikte bestehen können, werden Argumente in der öffentlichen Arena ausgehandelt. Besonders in Kriegs- und außenpolitischen Konfliktfällen würden Journalisten jedoch eher der Regierungslinie folgen (u.a. Bennett 1990) "Demnach setzt eine kritische Berichterstattung über einen Konflikt erst dann ein, wenn sich auch kritische Stimmen in der politischen Elite erheben." (Pohr 2005)
Im vergangenen Jahr war dieser letzte Fall ausdrücklich gegeben, ohne dass sich dies in einer für das Publikum spürbaren öffentlichen Kontroverse niedergeschlagen hätte. Die Krise um die Ukraine hat die deutsche Öffentlichkeit zwar in bisher ungekannter Weise polarisiert. Allerdings standen sich nicht, wie in einem liberalen Schema von Öffentlichkeit vorgesehen, unterschiedliche Meinungen im Raum der medial abgebildeten Öffentlichkeit gegenüber. Die Gräben verliefen vielmehr zwischen großen Teilen des Publikums auf der einen und den professionellen Redaktionen auf der anderen Seite (vgl. Daniljuk 2014).
Relevante Fraktionen der deutschen Wirtschaft kritisierten die von den USA und Europa verhängten Sanktionen hingegen scharf. Im Jahresverlauf zeigte sich, dass alleine die Exporte aus dem deutschen Maschinenbau um 35 Prozent einbrachen. Der Branchenverband rechnete mit einem Minus von 5 Milliarden Euro. Bei den in Russland aktiven deutschen Autobauern sahen die Zahlen teilweise noch deutlich schlimmer aus.
Im Herbst veröffentlichten mehr als 60 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft einen Aufruf, in dem sie ein Ende der Eskalation und eine neue Entspannungspolitik für Europa forderten, darunter zahlreiche disponierte Außenpolitiker sowie ein ehemaliger Bundeskanzler (Teltschik 2014). Weder wurde der Aufruf selbst zu einem größeren Thema in den Redaktionen, noch führten die darin angeführten Argumente zu einer nennenswerten öffentlichen Debatte.
Aus medienwissenschaftlicher Perspektive stellt sich damit die grundsätzliche Frage, ob die innere Verfasstheit der maßgeblichen außenpolitischen Redaktionen den Kriterien einer pluralen Mediendemokratie überhaupt entspricht. Das Ausbleiben von polarisierten oder nur kontroversen Debatten nicht nur beim Thema Ukraine-Konflikt, sondern auch in der Berichterstattung über die europäische Griechenland-Politik, kann ein Hinweis darauf sein, dass die dafür notwendige Permeabilität für unterschiedliche Interessen gegenwärtig nicht gegeben ist.
Wenn das System Journalismus, als politisches Teilsystem, an diesem Themenbereich hermetisch den Interessen einer bestimmten politischen Tendenz folgt, ist seine Funktion im Sinne der Aushandlung und auch Integration gegensätzlicher Positionen nicht intakt.
Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck auf dem Band "ARD & Co. - Wie Medien manipulieren" aus dem Selbrund Verlag, der zur Buchmesse Frankfurt erscheint und im Oktober ausgeliefert wird.