Die Raketen sind angekommen
Der Konflikt in Georgien hat das Zustandekommen des Vertrags über die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems beschleunigt
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Vor einigen Wochen hat es noch nicht so ausgesehen, als ob Polen und die USA sich in der Frage des amerikanischen Raketenabwehrsystems schnell einigen würden. Während die USA und Tschechien bereits Anfang Juli einen Vertrag über die Stationierung eines dazugehörenden Radarsystems auf tschechischen Territorium unterzeichneten (Russland droht mit militärischen Reaktionen), verhandelten Washington und Warschau noch über die Bedingungen für die Stationierung amerikanischer Raketen in Polen, ohne eine Einigung erzielen zu können. Doch nun haben sich die beiden Seiten überraschend schnell geeinigt. Am Donnerstagabend verkündete der polnische Premierminister Donald Tusk, dass die USA nun bereit seien die polnischen Forderungen zu erfüllen. Eine nicht unbedeutende Rolle bei der nun erzielten Einigung sollen die Ereignisse in Georgien gespielt haben.
Offiziell hatte die Polenreise des amerikanischen Diplomaten Daniel Fried am 21. Juli einen traurigen Hintergrund. Als Vertreter der US-Regierung wohnte er der Beerdigung des ehemaligen polnischen Außenministers Bronislaw Geremek bei, der am 13. Juli bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Doch Fried, der im State Department zufälligerweise für die Verhandlungen mit Polen um die Stationierung des amerikanischen Raketenabwehrsystems verantwortlich ist, nutzte gleich die Gelegenheit, um bei einem Gespräch mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski die ins Stocken geratenen Verhandlungen aufzufrischen.
„Dies war ein gutes Gespräch, bei dem sich Polen und die USA in ihren Standpunkten angenähert haben“, sagte der polnische Außenminister in der darauf folgenden Pressekonferenz. Die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita will bereits damals von einem Mitarbeiter des polnischen Außenministeriums erfahren haben, dass die USA schon zu dem Zeitpunkt bereit gewesen seien, Patriot-Abfangraketen auf Dauer in Polen stationieren zu lassen, und nicht wie ursprünglich von Washington offeriert, alle drei Monate. Wie die Rzeczpospolita weiter berichtete, konnten sich beide Verhandlungspartner nur nicht auf eine gemeinsame Vertragsklausel einigen können. Die USA fürchteten angeblich eine zu deutliche Zusage, da das Pentagon die Patriot-Raketen aus einem verabschiedeten Haushalt hätte finanzieren müssen, Polen dagegen soll auf eine Garantie gedrängt haben, welche die USA an die Einhaltung seiner Zusagen bindet.
Inwieweit die Informationen der Rzeczpospolita stimmen, lässt sich nicht nachprüfen. Einiges spricht jedoch dafür, dass die Weichen für eine Einigung zwar bei dem im Juli stattgefundenen Gespräch zwischen Sikorski und Fried gelegt worden sind, der endgültige Durchbruch aber erst in den letzten Tagen erzielt worden ist. Die innenpolitische Situation in Polen erschwerte die Verhandlungen zwischen Washington und Warschau, da wegen des amerikanischen Raketenabwehrsystems ein erneuter offener Machtkampf zwischen dem Präsidenten Lech Kaczynski und der Regierung von Donald Tusk ausbrach. Ein Konflikt, der in der Veröffentlichung eines durch die Präsidialkanzlei aufgenommenen Gesprächs zwischen Radoslaw Sikorski und Lech Kaczynski seinen Höhepunkt fand.
Mit einem Staatstribunal drohte der Präsident, der sich eigentlich über die Gründe für das Scheitern der Gespräche Anfang Juli informieren wollte, dem Außenminister bei einem Abbruch der polnisch-amerikanischen Verhandlungen. Als Reaktion darauf entließ die polnische Regierung am 11. August Witold Waszczykowski, den Chefunterhändler bei den Verhandlungen um das amerikanische Raketenabwehrsystem und aufgrund seiner früheren Tätigkeit für die PiS-Regierung seines Zwillingsbruders Jaroslaw Vertrauter des Präsidenten Lech Kaczynski.
Trotz aller innenpolitischen Schwierigkeiten haben die USA und Polen nun doch eine gemeinsame Sprache gefunden. Am letzten Donnerstagabend verkündete der polnische Premierminister Donald Tusk eine Einigung bei den amerikanisch-polnischen Verhandlungen. „Es müssen nur noch technische Fragen geklärt werden“, sagte der Premier, der sichtlich zufrieden sein kann, im polnischen Fernsehen.
Die USA sind nun bereit, ab 2009 Patriot-Raketen in Polen dauerhaft stationieren zu lassen und in den darauf folgenden Jahren weitere Raketenbatterien an die Polen zu verkaufen. Hinzu wird die militärische und politische Zusammenarbeit zwischen den USA und Polen verstärkt, was sowohl eine Modernisierung der polnischen Streitkräfte als auch eine besondere Sicherheitsgarantie der USA für Polen beinhaltet. Alles Forderungen, welche die USA bisher nicht bereit waren zu erfüllen.
In Polen wurde die Vereinbarung mit den USA begrüßt
Als „die heftigste Reaktion auf den russischen Militäreinsatz in Georgien“ bezeichnete die New York Times die plötzliche Einigung zwischen Polen und den USA. Nicht anders sieht es der polnische Journalist Marcin Bosacki. Auch er sieht die Gründe für den schnellen Vertragsabschluss in dem aktuellen Kaukasuskonflikt und erkennt in diesem auch einen Vorteil für Polen. „Die Verhandlungen zwischen Warschau und Washington waren lang und schwer, beide Seiten haben viele Fehler gemacht. Aber das Ergebnis ist nicht schlecht. Vor allem jetzt, in so unsicheren Zeiten“, kommentiert der USA-Korrespondent der liberalen Gazeta Wyborcza, die sich bisher eher kritisch zu dem amerikanischen Raketenabwehrsystem äußerte, zufrieden.
Es sind Töne, die auch in anderen polnischen Medien und Parteien zu hören sind. Lediglich die linke SLD, die 2003 noch polnische Soldaten in den Irak-Krieg entsandte, lehnt den Raketenschutzschild ab und warnt vor einer Verschlechterung der schon so angespannten polnisch-russischen Beziehungen. Überdies bezweifelt sie, ob das System wirklich die Sicherheit des Landes erhöht.
Solche Zweifel sind jedoch selten. Über fast alle Parteigrenzen hinweg begrüßte man am Freitag die Einigung mit den USA. Und selbst der polnische Präsident Lech Kaczynski zeigte sich zufrieden und vergaß für einen Augenblick gar die Querelen mit der Regierung. „Soll doch dieser Abschluss ein Erfolg für die Regierung sein“, sagte das Staatsoberhaupt am Donnerstagabend im polnischen Fernsehen.
Gleichzeitig verriet Lech Kaczynski, weshalb es so schnell zu einer Einigung gekommen ist. „Ich denke, dass die Ereignisse in Georgien, aber auch die Geschehnisse wenige Tage vor dem Krieg in Georgien, die Regierung erkennen ließen, dass Schwarz schwarz und Weiß weiß ist“, sagte der Präsident und bestätigte die Meinung der internationalen und polnischen Presse. Offiziell wird die Einigung zwischen Polen und den USA aber nicht mit dem Krieg im Kaukasus begründet. Sowohl in Washington als auch in Warschau wird betont, der aktuelle Kaukasus-Konflikt habe nichts mit der plötzlichen Einigung zu tun.
Wer aber zumindest in Warschau genau hinhört, wird erkennen, dass dem nicht so ist. Bereits einen Tag vor der Einigung mit Washington, erklärte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski auf einer Pressekonferenz in Brüssel, dass die aktuelle Situation im Kaukasus die polnischen Forderungen gegenüber den USA nur bekräftigt. Und auch der polnische Verteidigungsminister Bogdan Klich macht keinen Hehl daraus, dass der Krieg in Georgien mitentscheidend war. „Wie es scheint, haben die Amerikaner vor allem wegen der Situation im Kaukasus ihre Meinung geändert. Aus der Sicht Washingtons, hat dieser Konflikt bewiesen, dass Russland kein zuverlässiger Partner für die Vereinigten Staaten ist und seine Nachbarn weiterhin in seinen Einflussbereich zählt“, sagte Klich in einem am Donnerstag erschienen Interview in der Tageszeitung Dziennik.
Bei all diesen Äußerungen aus den polnischen Regierungskreisen ist es nicht verwunderlich, dass Staatspräsident Lech Kaczynski, trotz aller gegenteiliger Beteuerungen noch am Freitag betonte, wie wichtig die aktuellen Ereignisse im Kaukasus bei der Einigung zwischen Washington und Warschau waren. „Die letzten Tage haben erneut bewiesen, wie wichtig die nationale Sicherheit ist, dass die Unabhängigkeit, welche wir vor nicht ganz 20 Jahren erkämpft haben, nicht für die Ewigkeit gegeben worden ist. Mann muss sie achten, man muss um sie kämpfen“, sagte Kaczynski am Feiertag der polnischen Armee.
Es ist ein Feiertag, der seinen Ursprung im polnisch-sowjetischen Krieg von 1920 hat. Am 16. August vor 88 Jahren startete die Armee von Marschall Jozef Pilsudski vor den Toren Warschaus eine erfolgreiche Offensive gegen die vorrückenden Truppen der Bolschewiki. Als das "Wunder an der Weichsel" ist dieses Datum in die Geschichte eingegangen, welches seit 1992 auch wieder feierlich begangen wird. Seit 2007 findet an diesem Tag, so wie im Vorkriegspolen, in Warschau auch wieder eine große Militärparade statt. Doch während sich in der polnischen Hauptstadt Armee und Staatsführung selbst feierten, reagierte Moskau scharf auf die Einigung zwischen Polen und den USA. „Polen werde automatisch zum ersten Angriffsziel bei einem militärischen Konflikt“, erklärte Wjatscheslaw Popow, Mitglied des Föderationsrates und ehemaliger Kommandeur der Nordflotte in einem Gespräch der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti. Zudem droht das russische Militär offenbar damit, in Reaktion auf die Installation des Raketenabwehrschilds in Polen und der Tschechischen Republik die baltische Flotte wieder mit Nuklearsprengköpfen auszustatten.