Misstöne zwischen Verbündeten
Während die tschechische Regierung dem Bau einer Radarbasis für das US-Raketenabwehrsystem zugestimmt hat, stößt der Raketenstützpunkt in Polen auf Ablehnung
Am gestrigen Dienstag unterzeichnete die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice in Prag den Hauptvertrag, der die Stationierung einer amerikanischen Radarbasis auf tschechischem Territorium regelt. Damit haben die USA einen ersten Teilerfolg bei ihrer Errichtung des Raketenabwehrsystems in Osteuropa erzielt. Vom geplanten Bau einer dazu gehörenden Raketenbasis in Polen, dem zweiten Kernstück des amerikanischen Raketenschutzschildes, ist die US-Regierung momentan jedoch weit entfernt. Warschau ist unzufrieden mit den amerikanischen Gegenleistungen und stellt deshalb die Errichtung der amerikanischen Raketenbasis in der Nähe der nordpolnischen Ortschaft Redzikowo in Frage.
Bei dem Thema NATO-Osterweiterung konnte die amerikanische Regierung auf dem NATO-Gipfel in Bukarest keinen Erfolg erzielen. Die europäischen Verbündeten, allen voran Deutschland und Frankreich, sprachen sich gegen eine baldige Aufnahme Georgiens und der Ukraine in das transatlantische Verteidigungsbündnis aus und verschoben deshalb die Aufnahme der beiden ehemaligen Sowjetrepubliken in den Membership Action Plan auf einen späteren Zeitpunkt.
Dafür konnte die US-Delegation bei dem Anfang April stattgefundenen Treffen andere Erfolge feiern. Nach langem Zögern und teilweise heftigen Diskussionen in der Vergangenheit, unterstützen jetzt alle 26 Mitgliedsländer das amerikanische Raketenschutzschild, welches in ein künftiges Abwehrsystem der NATO eingebunden werden soll. Dies entspricht zwar nicht ganz den Vorstellungen der USA, die immer noch ein eigenes Abwehrsystem favorisieren, doch die Unterstützung der Verbündeten ist ihnen mittlerweile sicher.
Den NATO-Partnern der USA blieb in der rumänischen Hauptstadt aber auch keine andere Möglichkeit, als sich für das Raketenabwehrsystem auszusprechen. Am Rande des Bukarester Gipfels stellten Condoleezza Rice und ihr tschechischer Amtskollege Karel Schwarzenberg ihre Bündnispartner vor vollendete Tatsachen, indem sie verkündeten, eine Einigung über die Stationierung des amerikanischen Radarsystems erzielt zu haben. Wie sie damals bekannt gaben, sollte bereits Anfang Mai der Vertrag unterzeichnet werden.
Aus dem ursprünglichen Unterzeichnungsdatum ist jedoch nichts geworden. Erst am gestrigen Dienstag unterzeichnete die amerikanische Außenministerin Condoleeza Rice in der tschechischen Hauptstadt den Hauptvertrag über die Stationierung des US-Radarsystems in der Tschechischen Republik. Damit haben die Amerikaner endgültig einen ersten Teilerfolg bei der Errichtung ihres Raketenschutzschildes auf osteuropäischen Boden erzielt.
Polen zieht nicht mit
Weniger erfreulich wäre für die amerikanische Außenministerin dagegen ihre Visite in Warschau ausgefallen, wo sie ebenfalls diese Woche erwartet wurde. Doch diese Reise wurde am Montag endgültig abgesagt. Denn ausgerechnet Polen, welches in Europa eher als ein treuer Verbündeter der USA verschrien ist, scheint momentan alles andere als erpicht zu sein, amerikanische Raketen bei sich stationieren zu lassen.
Dabei sah dies vor einem Jahr noch ganz anders aus. „Ihr könnt euch sicher sein, dass unsere Kräfte dort wirken werden, wo es nötig ist“, sagte Staatspräsident Lech Kaczynski während seiner offiziellen USA-Reise im Sommer 2007 und bekräftigte den polnischen Willen, die US-Regierung in ihrem "Krieg gegen den Terror" zu unterstützen. Diese Unterstützung sah unter anderem vor, dass bereits im Februar dieses Jahres mit den Bauarbeiten an der Raketenbasis in der Nähe der nordpolnischen Ortschaft Redzikowo beginnen werden sollte – trotz Widerstände in der polnischen Bevölkerung und der Opposition im polnischen Parlament ("Eine beschlossene Sache").
Und vielleicht würde man schon tatsächlich an der Errichtung der amerikanischen Raketenbasis auf polnischem Territorium arbeiten, wenn sich die politischen Verhältnisse in Warschau nicht verändert hätten. Denn als Lech Kaczynski in Washington seine Treueschwüre verkündete, war eine vorgezogene Parlamentswahl, die seinem Zwillingsbruder Jaroslaw das Amt des Premierministers kostete, noch gar nicht vorgesehen. Heute regiert mit Donald Tusk ein Politiker das Land, der schon in der Opposition der Kaczynski-Regierung vorwarf, von den USA nicht genügend Gegenleistungen für Polen abverlangt zu haben.
Dementsprechend trat der neue Premierminister auch gegenüber den amerikanischen Verbündeten auf. Bereits mit dem im letzten Dezember beschlossenen Abzug polnischer Soldaten aus dem Irak löste Donald Tusk nicht nur ein Wahlversprechen ein, sondern zeigte auch, dass seine Außenpolitik sich von der seines Vorgängers unterscheidet. Während Kaczynski eine noch engere Bindung Polens an die USA forcierte und dadurch die Beziehungen Polens zu der Europäischen Union und Russland belastete, bemüht sich Tusk um ein besseres Verhältnis zur EU und Moskau.
Die USA reagierten ziemlich schnell auf die Veränderungen in Warschau. Bereits am 1. Februar dieses Jahres unterbreitete die Bush-Administration der polnischen Regierung ein besseres Angebot, in dem sie sich bereit erklärte, die polnische Luftwaffe zu modernisieren. Ein Angebot, welches den damals kurz bevorstehenden Moskau-Besuch von Donald Tusk belastete, die polnische Regierung jedoch nicht ganz zufrieden stellte. „Man befinde sich erst auf der Hälfte des Weges“, kommentierte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski die Gespräche mit seiner amerikanischen Amtskollegin und teilte seine Hoffnung mit, bei dem einen Monat später folgendem Antrittsbesuch von Donald Tusk in Washington eine Einigung erzielen zu können.
Doch auch bei dem im März stattgefundenen Washington-Besuch Tusks konnte keine Einigung erzielt werden. Die US-Regierung weigerte sich, Polen besondere Sicherheitsgarantien zu geben. „Das Land ist schon durch die NATO abgesichert“, war aus Washington zu hören. Die Verhandlungen nicht gerade erleichtert hat auch die Entscheidung des amerikanischen Kongresses, Polen die Fördergelder, mit denen die polnische Regierung teilweise die Modernisierung der eigenen Streitkräfte finanzierte, zu kürzen.
Und so kam es, dass Polen und die USA seit Monaten miteinander verhandeln, ohne einen gemeinsamen Nenner zu finden. In der Zwischenzeit zeigte sich sogar die Tschechische Republik mit dem Stand der Verhandlungen zwischen Warschau und Washington unzufrieden und kritisierte die hohen Forderungen Polens. Eine Kritik, die Polen nicht lange auf sich sitzen ließ. „Eine Raketenbasis ist ein wahrscheinlicheres Angriffsziel als eine Radarstation“, konterte Warschau.
Polnischer Präsident mit Regierung im Zwist
Mittlerweile scheint aber auch die US-Regierung genug von den polnischen Forderungen zu haben. Der Sprecher des US-Außenministeriums Sean McCormack betonte zwar noch am 3. Juli, man bemühe sich um einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit Polen, doch einiges deutet daraufhin, dass sich die USA nach einem alternativen Standort für ihre Raketenbasis umschauen. So wurde die Tschechische Republik nicht nur als Standort für die Radarstation, sondern auch für die Raketenbasis gehandelt. Noch größere Chancen werden aber Litauen zugeschrieben. Die USA sollen bereits vor einigen Wochen die ersten Gespräche mit der Regierung des baltischen Staates geführt haben, ohne dies bisher offiziell zu bestätigen.
Im Belvedere, dem Amtssitz des polnischen Präsidenten, sorgten die Nachrichten von den angeblichen amerikanisch-litauischen Gesprächen für Beunruhigung. Für Lech Kaczynski, der sich immer für ein enges Verhältnis zwischen Polen und den USA engagiert hat, wäre ein Abbruch der Verhandlungen auch eine schwere innenpolitische Niederlage. Aus diesem Grund schickte er seine Kanzleiministerin Anna Fotyga, die trotz Ministerstatus nicht dem Premierminister untersteht, vor zwei Wochen in die USA. Laut polnischer Nachrichtenagenturen führte sie dort "Geheimgespräche", die vor allem das amerikanische Raketenabwehrsystem zum Thema hatten.
Als die Nachricht von Fotygas USA-Reise in Warschau bekannt wurde, zeigte sich die polnische Regierung empört. „Dies war nicht mit uns abgesprochen“, echauffierte sich beispielsweise Premierminister Tusk. Doch wie es sich am vergangenen Freitag zeigte, kam die Geheimreise der ehemaligen Außenministerin der Regierung von Donald Tusk alles andere als ungelegen.
Schon vor einigen Wochen spekulierte die polnische Presse darüber, ob Tusk tatsächlich für die Errichtung einer amerikanischen Raketenbasis auf polnischem Territorium ist. Einiges sprach dafür, dass er eher ein Gegner dieses Projekts ist. Deshalb war es für die polnische Öffentlichkeit nicht besonders verwunderlich, als Donald Tusk letzten Freitag bekannt gab, dass die Verhandlungen mit den USA nicht zufrieden stellend verlaufen. „Wir haben keine ausreichende Sicherheitsgarantien bekommen“, sagte Tusk nach einem nächtlichen Telefongespräch mit Dick Cheney, einem Treffen mit dem amerikanischen Botschafter in Polen, Victor Ash, und einer Krisensitzung der Regierung mit dem Staatspräsidenten Lech Kaczynski, der polnischen Presse. Wie bekannt wurde, wollen die USA nur quartalsweise Patriot-Raketen und das Thaad-Abwehrsystem in Polen stationieren, während Polen auf eine dauerhafte Präsenz der Verteidigungssysteme beharrt.
Die Schuldige für diese ergebnislosen Gespräche wurde auch schnell gefunden: Anna Fotyga. Doch ein Scheitern der Verhandlungen wollte keine der beiden Seiten eingestehen. „Wir verhandeln noch“, hieß es sowohl in Warschau als auch in Washington, obwohl bereits am 10. Juli der erste Vertrag unterzeichnet werden sollte. Aus diesem Grund – um vielleicht noch zu retten, was zu retten ist, oder vielleicht doch nur des Anscheins wegen –, reiste am Sonntag der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski noch einmal nach Washington, um mit seiner amerikanischen Amtskollegin über die Raketenbasis zu verhandeln. Wie am Montagabend bekannt wurde, endete auch dieses Gespräch ergebnislos.
Die Polen dürften jedenfalls nichts gegen ein Scheitern der Verhandlungen mit den USA haben. Wie eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita ergab, eine Zeitung, die sich eher für das Raketenabwehrsystem stark macht, sprechen sich lediglich 36 Prozent der Polen für die Errichtung einer amerikanischen Raketenbasis auf polnischem Territorium aus.