Ende des Tauwetters zwischen Moskau und Warschau

Die polnische Regierung will nun offenbar doch das US-Raketenabwehrsystem errichten lassen

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Am Freitag reist der neue polnische Premierminister Donald Tusk nach Moskau. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen Polen und Russland, die unter der Herrschaft der Kaczynski-Zwillinge enorm gelitten haben, sollte dieser Besuch ursprünglich symbolisieren. Doch daraus dürfte nichts werden. Aufgrund der plötzlichen Fortschritte zwischen Polen und den USA, welche die Errichtung des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Ostmitteleuropa immer wahrscheinlicher machen, und der polnischen Unterstützung für den NATO-Beitritt der Ukraine, scheint das Tauwetter zwischen Warschau und Moskau schon nach wenigen Wochen beendet zu sein. Die aktuellen russischen Töne sprechen zumindest dafür.

An die Drohgebärden aus Moskau scheint sich die Welt gewöhnt zu haben. So wirkt es jedenfalls, wenn man sich die Reaktionen auf die Ankündigung des russischen Generalstabschefs Jurij Balujewski vom 19. Januar anschaut, im Falle einer Bedrohung Russlands und seiner Verbündeten auch vor einem atomaren Präventivschlag nicht zurückschrecken zu wollen. Während vor einigen Monaten die westlichen Medien und Politiker bei ähnlichen Drohgebärden noch einen neuen Kalten Krieg heraufbeschworen (Mit Symbolpolitik in einen neuen kalten Krieg?), ist die Reaktion diesmal zurückhaltender ausgefallen. Lediglich von „Säbelrasseln“ ist die Rede, das man sich mit dem geplanten amerikanischen Raketenabwehrsystem in Osteuropa und dem Wahlkampf um das russische Präsidentenamt erklärt.

Mit der letzten Erklärung macht man es sich jedoch etwas einfach. Militärische Großmachtgebärden mögen beim russischen Wähler sicherlich gut ankommen, doch diese allein dürften für den Kreml kein Garant für einen Wahlerfolg sein. Auch Dimitrij Medwedew, der wahrscheinliche Sieger der Wahlen vom 2. März, kann nur durch innenpolitische Themen seine Wahl zu dem grandiosen Erfolg machen, der Putin und seiner Kamarilla vorschwebt.

Viel logischer ist es dagegen, die Gründe für diese Äußerungen in dem amerikanischen Raketenabwehrsystem in Osteuropa zu suchen. Dieses belastet schon seit langem die Beziehungen zwischen Russland, den USA und seinen Verbündeten, obwohl es von beiden Seiten immer wieder Gesprächsangebote und Gegenvorschläge gab – ohne jeden Erfolg.

Besonderen Schaden in dem Streit um das Raketenabwehrsystem haben die Beziehungen zwischen Russland und Polen genommen, wo zehn amerikanische Abfangraketen gegen Interkontinental- und größere Mittelstreckenraketen stationiert werden sollen. Moskau hielt sein Embargo für polnisches Fleisch aufrecht und griff Polen immer wieder verbal an, während Warschau wiederum mit seinem Vetorecht ein Partnerschaftsabkommen zwischen Russland und der Europäischen Union blockierte (Die Wiederkehr alter Feindbilder).

Kurze Entspannung

Doch mit dem Regierungswechsel in Warschau schien sich einiges getan zu haben in den polnisch-russischen Beziehungen. Schon während des Wahlkampfs kündigte der Vorsitzende der Bürgerplattform und jetzige Premierminister Donald Tusk Veränderungen in der polnischen Außenpolitik an, die er nach seiner Amtsübernahme auch prompt in die Tat umsetzte (Holpriger Kurswechsel). Sowohl an die europäischen Nachbarn als auch nach Moskau sandte er Signale des Dialogs, was sein Vorgänger Jaroslaw Kaczynski nie tat. Dies zeigte sich nirgendwo so deutlich wie in dessen Russlandpolitik. In den zwei Jahren der Zwillingsherrschaft stattete kein einziges polnisches Regierungsmitglied Moskau einen offiziellen Besuch ab, und umgekehrt ebenso.

Der Kreml honorierte die außenpolitische Umorientierung in Warschau und hob nach zwei Jahren das Fleischembargo auf. Eine Geste des guten Willens, die wahrscheinlich auch deshalb erfolgte, weil die neue polnische Regierung Bedenken gegenüber dem amerikanischen Raketenabwehrsystem äußerte. „Wir haben noch keine Entscheidung getroffen“, sagte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski noch Anfang Januar in einem Interview für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza und begründete die Bedenken gegenüber dem Raketenabwehrsystem mit einem simplen Satz: „Der Nachbar ist nah, der Verbündete weit entfernt.“

Stattdessen bekräftigte Sikorski noch einmal den Willen der polnischen Regierung zu einem Dialog mit Russland und machte gleichzeitig auch klar, dass die USA Polen schon mit einem besseren Angebot kommen müssen, wenn sie auf polnischem Territorium ein Raketensystem errichten wollen. Ein Satz, den Sikorski auch an die Vorgängerregierung adressierte. Schon vor Monaten warf die Equipe um Donald Tusk Jaroslaw Kaczynski vor, nicht genügend Gegenleistungen von den Amerikanern verlangt zu haben.

In Moskau vernahm man diese Worte. Bereits kurz nach dem Interview reiste der stellvertretende russische Außenminister Sergej Kisljak nach Warschau, um dort über das Raketenabwehrsystem „ganz aufrichtig zu verhandeln“, wie der zweitwichtigste russische Diplomat betonte. Am 21. Januar, zwei Tage nach der Präventivschlagdrohung Balujewskis, traf sich wiederum Radoslaw Sikorski mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau, um dort nicht nur den Russland-Besuch von Donald Tusk vorzubereiten und die Verbesserung der polnisch-russischen Beziehungen zu betonen, sondern auch um über das umstrittene Raketenabwehrsystem zu sprechen.

Auch bei diesem Treffen schien man aufrichtig zueinander zu sein. Sikorski informierte die russische Seite über sein bevorstehendes Treffen mit US-Außenministerin Condoleezza Rice und stellte dabei noch einmal klar, dass die polnische Regierung bisher keine Entscheidung zur Raketenabwehr auf polnischem Territorium getroffen habe. Sergej Lawrow wiederum versprach, keinen Druck auf Polen ausüben zu wollen und drückte stattdessen seine Hoffnung auf weitere Konsultationen aus, damit das Verständnis für die russische Position größer wird .

Auf die neue polnisch-amerikanische Einigung reagiert Russland wieder mit Drohungen

Doch zu weiteren Konsultationen zum dem Thema dürfte es zwischen Russland und Polen nicht mehr kommen. Nach seiner Rückkehr aus Moskau stellte Sikorski zwar seinen Besuch als einen Erfolg dar, der eine Verbesserung der polnisch-russischen Beziehungen mit sich brachte, gleichzeitig sprach er sich auch für eine rasche Einigung zwischen den USA und Polen aus, die jedoch „von dem Entgegenkommen der USA abhängig ist“, wie Sikorski in einem Radiointerview sagte.

Und diese polnisch-amerikanische Einigung scheint immer näher zu rücken. Am 1. Februar, ausgerechnet eine Woche vor Tusks Visite in Moskau, erhielt Radoslaw Sikorski in Washington fast all jene Zugeständnisse, welche die Tusk-Regierung von den USA verlangte. Condoleezza Rice erklärte sich gegenüber ihrem polnischen Amtskollegen bereit, Polen bei der Modernisierung seiner Streitkräfte zu helfen. Diese Hilfe würde auch die Lieferung von Patriot 3-Abfangraketen beinhalten, wogegen sich die USA bisher gesträubt haben, auf die aber die neue polnische Regierung bestand, um sich gegen eventuelle Luftangriffe aus Russland und Weißrussland zu schützen.

Wie Sikorski bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Rice betonte, ist dies aber noch nicht die endgültige Einigung. Man befinde „sich erst auf der Hälfte des Weges“, sagte der polnische Außenminister gegenüber den Journalisten, da Washington sich immer noch weigert, Polen besondere Sicherheitsgarantien zu geben, auf die Warschau jedoch besteht. Doch Sikorski äußerte die Hoffnung, dass es bei dem für Anfang März angesetzten Treffen zwischen Tusk und Bush zu diesen Sichergarantien kommen wird, und somit zur endgültigen Entscheidung.

Die Reaktionen aus Moskau ließen nicht lange auf sich warten. Der russische NATO-Botschafter Dimitrij Rogosin erinnerte die polnischen Politiker an die jüngere Geschichte Polens. „Immer, wenn Polen konfliktbereit war, endete es in einer Tragödie“, sagte der als Hardliner bekannte Diplomat und erinnerte an die unzähligen zivilen Opfer, die Polen im II. Weltkrieg zu beklagen hatte. „Ich habe eine durchdachte Entscheidung der Regierung Tusk erwartet.“

Ebenso deutlich wie Rogosin äußerte sich der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Konstantin Kossatschow. „Wenn die Führung von Polen und die Führung von Tschechien eine solche Entscheidung treffen, so treffen sie eine strategische Wahl, die unter anderem auch die Sicherheit dieser Länder tangieren wird. Denn die entsprechenden amerikanischen Basen werden ein Gegenstand der Kontrolle und wahrscheinlich im schlimmsten Fall auch ein Ziel der entsprechenden russischen Verteidigungssysteme werden", sagte er zu russischen Journalisten.

Es sind Töne, die in Polen für Unruhe sorgen, gleichzeitig aber auch die Moskau-Visite von Donald Tusk belasten. Dabei sollte der am Freitag stattfindende Besuch das Tauwetter zwischen den einstigen Bruderstaaten symbolisieren. Doch anstatt Höflichkeitsfloskeln dürften auf den neuen polnischen Premier heftige Diskussionen hinter den Kremmauern warten, denn nicht nur das amerikanische Raketenabwehrsystem belastet erneut das Verhältnis zwischen Moskau und Warschau, sondern auch die Rolle Polens beim NATO-Beitritt der Ukraine.

Am 11.Januar unterzeichneten der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko, die Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und der Präsident des ukrainischen Parlaments, Arsenij Jazenjuk, einen Brief an den NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, in dem sie den Nordatlantikpakt um den Anwärterstatus auf eine Mitgliedschaft baten. Innerhalb der ukrainischen Bevölkerung ist der NATO-Beitritt zwar umstritten, und die Helden der Orangenen Revolutionäre sind sich uneinig, ob ein Referendum oder die Werchowna Rada darüber entscheiden soll – doch in einem Interview für das ukrainische Wochenblatt Zerkalo Nedeli gab der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski bereits bekannt, die Ukraine bei ihren NATO-Ambitionen zu unterstützen. Eine Aussage, die in Moskau als zusätzliche Provokation verstanden wird und auf die der Kreml mit weiteren Drohgebärden reagieren dürfte. Vielleicht sogar schon während des Besuchs von Donald Tusk in Moskau.