Die Wiederkehr alter Feindbilder
Mit der geplanten Errichtung des US-Raketenabwehrsystems in Ostmitteleuropa verschlechterten sich nicht nur die Beziehungen zwischen Russland und den USA. Auch die russische Kritik an Polen und der Tschechischen Republik wird schärfer
Vor allem Polen muss sich aus Russland heftige und aggressive Vorwürfe anhören. Mittlerweile scheut sich die russische Presse auch nicht, alte Feindbilder und Stereotypen wiederaufleben zu lassen und die polnischen Nachbarn zu beschimpfen. Als Reaktion darauf werden in den polnischen Regierungskreisen Überlegungen angestellt, sich militärisch noch mehr an die USA zu binden.
Wahre Freunde waren Polen und Russland noch nie. Dafür ist die gemeinsame, Jahrhunderte alte Nachbarschaft zwischen den beiden Staaten zu sehr von Misstrauen, Enttäuschung und Feindschaft geprägt. Es ist einfach zu viel vorgefallen zwischen den beiden Nationen. Egal ob es die Teilungen Polens im 18. Jahrhundert waren, die Unterdrückung der polnischen Nation durch das Zarenreich, der polnisch-sowjetische Krieg von 1920, der Hitler-Stalin Pakt oder die Westverschiebung Polens 1945, auf beiden Seiten haben diese historischen Ereignisse zeitweise tiefsten Hass geschürt.
Und selbst als die zwei Nationen Brudervölker waren, verbunden durch das Band des Sozialismus, herrschte zwischen den beiden Völkern alles andere als Vertrauen. Die in diesen Jahren vielbeschworene Freundschaft war oft nicht mehr als ein Potemkinsches Dorf. Die Polen empfanden den Sozialismus als ein ihnen aufgesetztes Joch, als eine sowjetische Okkupation, die der der Deutschen folgte. Den Sowjets wiederum mangelte es an Vertrauen zu ihren polnischen Genossen. 1956 drohte Chruschtschow dem polnischen Generalsekretär Gomulka mit dem Einsatz von Panzern und in den 80er Jahren waren die Polen aus der Sicht des Kremls mehr mit Streiks beschäftigt, als mit dem Aufbau des Sozialismus.
Selbst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der darauffolgenden Auflösung der Sowjetunion blieben die alten Stereotypen in den Köpfen der Menschen haften. Als die russische Armee 1993 aus Polen abzog, empfanden das viele als den endgültigen Beweis für ihre neugewonnene Freiheit und Souveränität. Die Russen dagegen beobachteten missmutig das Streben Polens in die NATO, den sie als Verrat und einen Eingriff in ihren Hegemonialbereich empfanden. Doch offiziell pflegten die beiden Seiten ihre Kontakte. Gegenseitige Besuche, Konsultationen und wirtschaftliche Beziehungen schufen so etwas wie Normalität.
Alte Ängste evouieren Vergleiche zwischen Ostsee-Pipeline und dem Hitler-Stalin-Pakt
Mit dem Wahlsieg der Kaczynski-Zwillinge im Herbst 2005 verschlechterten sich jedoch die polnisch-russischen Beziehungen. Schon die Tatsache, dass sich die beiden Staatsoberhäupter bis heute nicht auf einen offiziellen Staatsbesuch einigen konnten, ist ein Beweis für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Erst im Januar, als die Kanzleien der beiden Präsidenten bereits über ein Treffen verhandelten, wurde dieses mal wieder kurzfristig abgesagt. Wenn sich Lech Kaczynski und Wladimir Putin bisher trafen und miteinander sprachen, dann nur im Rahmen von Gipfeltreffen und im Beisein anderer Regierungschefs.
Bei den Zwillingsbrüdern an der polnischen Staatsspitze ist es nicht verwunderlich. In ihren Köpfen geistern immer noch die gleichen Stereotypen und Feindbilder herum, die sie seit ihrer Kindheit haben und bis heute nicht ablegen konnten. Sie sind nicht nur deutschfeindlich, sondern genauso russophob – wie ein Teil ihrer Generation. Dafür spricht schon die Energiepolitik der jetzigen polnischen Regierung, die sich um alternative Gasexporteure bemüht, um Polen nicht zu sehr von Gasprom und Russland abhängig zu machen. Energiepolitisch ist diese Argumentation durchaus verständlich, da Polen 60 Prozent seines Gases aus Russland bezieht, während Deutschland nur 36 Prozent seines Bedarfs mit russischem Gas abdeckt. Genährt wird die polnische Politik jedoch von uralten Ängsten. Nicht ohne Grund verglich der vor einigen Wochen zurückgetretene Verteidigungsminister Sikorski die geplante Ostsee-Pipeline mit dem Hitler-Stalin Pakt.
Auch Moskau hat einiges zur Verschlechterung der gegenseitigen Beziehungen beigetragen. Vor einem Jahr verhängte Russland ein Embargo für aus Polen importiertes Fleisch. Angeblich war die polnische Ware von minderer Qualität. Seitdem verhandeln die beiden Seiten über die Aufhebung des Embargos – ohne jegliches Ergebnis. Dafür boykottiert Polen mit seinem Vetorecht innerhalb der Europäischen Union ein geplantes Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland.
Mit der geplanten Errichtung des amerikanischen Raketenabwehrsystems und der Bereitschaft Polens und der Tschechischen Republik, mit den USA zu kooperieren, ist nun ein weiterer Stolperstein in die Beziehungen zwischen Polen und Russland hinzugekommen. Bei dem Treffen des polnischen Ministerpräsidenten Kaczynski mit seinem tschechischen Kollegen Topolanek am 19. Februar, betonte Jaroslaw Kaczynski zwar, dass sich das in ihren Ländern aufgestellte Raketenabwehrsystem nicht gegen „normale Staaten“ wie Russland richtet, sondern gegen „Schurkenstaaten“. Doch die Bedenken auf russischer Seite konnte der polnische Premier damit nicht wegfegen.
"Hass gegen Russland"
Schon im Vorfeld der Münchener Sicherheitskonferenz wurde klar, dass Russland die Errichtung des Raketenabwehrsystems auf dem Territorium Polens und Tschechiens als einen Affront gegen sich betrachtet und nicht als Schutz gegen Staaten wie Nordkorea oder den Iran. In seinem Beitrag für die SZ bezeichnete der damalige Verteidigungsminister und jetzt zum stellvertretenden Premierminister und Nachfolgefavoriten Putins aufgestiegene Sergej Iwanow die Errichtung des Raketenabwehrsystems als „ein unfreundliches Signal“ und warnte auch Polen vor einer Verschlechterung der Beziehungen.
Doch während die Topriege der Kreml-Nomenklatura ihre Kritik noch diplomatisch verpackt, werden in Moskau auch aggressive Töne gegen Polen und Tschechien laut. „Ehemalige Brüder aus dem sozialistischen Lager lehren Europa Hass gegen Russland“, titelte die Komsomolskaja Prawda Ende Februar. Nach Meinung der dem Kreml nahestehenden Tageszeitung, war die Reaktion Polens und Tschechiens auf die Münchener Rede Putins heftiger, als die der Amerikaner. „Polen und Tschechien gaben sich heiliger wie der Papst“, heißt es in der Komsomolskaja Prawda. Für den im Artikel zitierten Michail Mirgalow, Vorsitzender der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten im Russischen Föderationsrat, beruht die Bereitschaft Tschechiens und Polens mit den USA zu kooperieren, „in ihrer Furcht vor der Sowjetunion, die nicht mehr als eine psychische Krankheit ist“. Nach Meinung Mirgalows kann diese „Krankheit“ nur durch eine konsequente und scharfe Reaktion Russlands „geheilt“ werden, die, wie der Senator sagt, „schmerzhafter wäre als jeder Eingriff eines Neurochirurgen“.
Besonders heftiger Kritik ist Polen in dem schon erwähnten Artikel ausgesetzt. Dabei scheut sich die Tageszeitung auch nicht, alte Stereotypen und Schimpfwörter zu verwenden. So wird die polnische Regierung als „Panowie“ bezeichnet, was sich aus der polnischen Anrede „Pan“ (Herr) ableitet und in der alten Sowjetunion ein geläufiges Schimpfwort für den westlichen Nachbar war. Für die Komsomolskaja Prawda ist Polen der „Hauptspezialist darin, der russisch-europäischen Zusammenarbeit Stöcke zwischen die Beine zu werfen“.
Die Zeitung erinnert auch daran, dass allein Polen mit seinem Vetorecht ein Abkommen über eine Zusammenarbeit zwischen Russland und der Europäischen Union verhindert. „Weil die Polen wegen dem von Russland verhängten Embargo für ihr schlechtes Fleisch beleidigt sind“, schreibt die Zeitung. Dass das Abkommen aber auch noch nicht unterschriftsreif ist, weil sich Brüssel und Moskau nicht auf alle Punkte einigen konnten, verschweigt die Komsomolskaja Prawda. Dafür wirft die Zeitung Polen vor, ein Lakai der USA zu sein, „der sich immer erst eine Erlaubnis in Washington abholt, wenn es einer Entscheidung in der EU zustimmt“.
In Polen registriert man die russische Kritik. Die Komsomolskaja Prawda hat bis jetzt zwar die aggressivsten Worte von sich gegeben, aber auch über die Artikel anderer Zeitungen und Aussagen russischer Politiker berichtet die polnische Presse – größtenteils ohne eine verbale Retourkutsche. Was daran liegt, dass in Polen das Raketenabwehrsystem selber umstritten ist.
Auch in polnischen Regierungskreisen nimmt man die Aussagen aus Russland wahr, ebenfalls ohne darauf zu antworten. Einerseits ist die Meinung zu dem Raketenabwehrsystem quer durch alle Parteien gespalten, anderseits möchte Warschau Moskau nicht unnötig provozieren und die polnisch-russischen Beziehungen somit noch mehr belasten. Erst kürzlich äußerten manche Politiker die Befürchtung, Russland könnte sein Embargo auf weitere polnische Produkte erweitern.
Diese Befürchtung erklärt auch die Reaktion des polnischen Vize-Premiers und Landwirtschaftsministers Andrzej Lepper, der sich gegen die Errichtung des Raketenabwehrsystems in Polen ausgesprochen hat. Vielmehr plädiert Lepper für eine Volksabstimmung, die über diese Frage entscheiden soll. Die russische Presse feierte Lepper wegen seiner Aussagen, genauso wie alle anderen polnischen Politiker, die das Raketenabwehrsystem verurteilten. In Polen jedoch nimmt man seine Äußerungen verhalten auf, denn hinter Leppers Worten versteckt sich innenpolitisches Kalkül. Leppers Ansehen, sowie das seiner Partei, ist durch einen Sexskandal (Alles nur wegen Sex) und seine widersprüchliche Haltung innerhalb der Regierungskoalition, ziemlich gesunken. Selbst unter der traditionellen Wählerschaft der Samoobrona, den polnischen Bauern, finden Leppers markige Worte nicht mehr die Beachtung wie einst. Nach neuesten Umfragen, würde die Bauernpartei nicht mehr den Wiedereinzug ins Parlament schaffen.
Georgien will zur Nato, Polen sucht eher die Nähe zu den USA
Hinter den polnischen Befürchtungen wegen einer möglichen Ausweitung des Embargos, verstecken sich aber auch Befürchtungen, die genährt werden durch den im Herbst stattgefundenen Streit zwischen Russland und Georgien (Kalter Krieg auf postsowjetisch). Von der Rhetorik erinnert jedenfalls manches daran. Ende September wurden in Tiflis vier russische Offiziere verhaftet, wegen angeblicher Spionagetätigkeit. Als Reaktion scheute sich der Kreml nicht, alte Ressentiments gegen Georgien zu schüren und Staatsangehörige des kaukasischen Staates aus Russland auszuweisen, obwohl viele von denen schon seit Jahren in Russland lebten. Hinzu verhängte Russland eine Verkehrs-, Flug- und Postblockade gegen Georgien, sowie den Stop von privaten Geldtransfers.
Das größte Problem für Russland in dem Streit war jedoch nicht die Ausweisung der russischen Militärs, sondern das Streben Georgiens in die NATO. Für die russische Regierung würde ein Beitritt Georgiens in das nordatlantische Bündnis nicht nur die Sicherheit in der Region gefährden, sondern auch die eigene. Dies stellte Sergej Iwanow auch in seinem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung klar und warnte deshalb vor einer Aufnahme des kaukasischen Staates in die NATO. Die Sorge Russlands ist verständlich, da in diesem Falle NATO-Truppen direkt an der eigenen Grenze stehen würden. Gleichzeitig müsste Russland befürchten, dass auch im Kaukasus die USA ihr Raketenabwehrsystem errichten könnten. Russland soll deshalb angeblich schon Georgien, Armenien und Aserbeidschan gewarnt. Die scharfe Rhetorik und die Warnungen Russlands treiben Georgien jedoch noch mehr in die NATO. Diese Woche hat sich das georgische Parlament für eine engere Zusammenarbeit mit dem Militärbündnis ausgesprochen.
Ähnliches ist nun auch in Polen zu beobachten. Obwohl Jaroslaw Kaczynski betont hat, dass sich das Raketenabwehrsystem gegen „Schurkenstaaten“ richtet, möchte sich die polnische Regierung militärisch noch fester an die USA binden, da es sich von Russland bedroht fühlt. Die polnische Wochenzeitung Rzeczpospolita berichtete letzte Woche, viele polnische Diplomaten seien der Ansicht, Polen müsse neue Sicherheitsgarantien suchen, weil die atlantische Allianz ihre alte Kraft verloren habe. „Die NATO ist nicht das Bündnis unserer Träume“, wird dazu der polnische Vize-Außenminister Witold Waszczykowski zitiert. Grundlage dieses neuen bilateralen Bündnisses, wie es sich Warschau wünscht, soll die Zusammenarbeit beim Bau des Raketenabwehrsystems bilden.
Damit widerstrebt Polen auch den neuesten Überlegungen der NATO, welches das ganze Bündnis in das geplante Raketenabwehrsystem einbeziehen möchte. Dadurch wäre auch Russland indirekt an dem Raketenabwehrsystem beteiligt, mit der Hoffnung, die Befürchtungen des Kremls damit zu beheben.
Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, ob die Angst der Russen vor dem amerikanischen Raketenabwehrsystem wirklich so groß ist, oder ob sie nur mit den Ländern, in denen es errichtet werden soll, Probleme haben. Nach Meinung der russischen Wissenschaftlerin Irina Kobrinska vom Moskauer Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, die sie Ende Februar in der Washington Post tätigte, könnten sich die russischen Militärs durchaus mit einem amerikanischen Raketenabwehrsystem abfinden, jedoch nur auf dem Boden Bulgariens, Rumäniens und der Türkei.