Die Rechte der Sims
Artenschutz für digitales Leben?
Sind die Sims aus Die Sims 2 von Electronic Arts Lebewesen? Verbirgt sich in diesem Computerspiel eine künstliche Intelligenz, die Leben nicht nur simuliert, sondern gar selbst auf irgendeine Weise lebt? Müssen Sims vor sadistischen Experimenten der Menschen geschützt werden? Kann man mit der Aufnahmefunktion von Sims 2 die ersten Dokumentarfilme über künstliches Leben drehen (Father and Sin: Machinima-Doku, gefilmt in Die Sims 2)?
Beim Versuch, eine gängige Definition von Leben zu finden, musste ich feststellen, dass es keine gibt. In den meisten Enzyklopädien findet man nur biologische Definitionen. Da die Biologie aber vor allem von der Beobachtung des Vorhandenen ausgeht, sind diese Definitionen wenig offen für noch unbekanntes Leben. Viele Definitionen des Lebens beschränken sich deshalb auf funktionale Eigenschaften.
Oft genannt werden die Fähigkeit zur Reaktion, Beweglichkeit, begrenzte Lebensdauer, Vererbung von Eigenschaften, Fortpflanzung, Wachstum und Differenzierung, Individualität und Evolution durch Mutation und Selektion. Kompakter definierte es der Neuroinformatiker Daniel Polani. Glaubt man ihm, ist Leben eine "Strukturerhaltung über längere Zeitskalen, obwohl die zugrundeliegende Dynamik wesentlich kurzlebiger ist". Der Mensch beispielsweise erhalte die Struktur seines Körpers über viele Jahrzehnte, obwohl die Materie in Intervallen von wenigen Jahren komplett ausgetauscht werde, so Polani.
Was aber, wenn die Strukturerhaltung überhaupt keine materielle Basis benötigt, sondern nur auf Informationen beruht? Was, wenn künstliches Leben auf den PCs der Millionen Spieler von Die Sims 2 heute schon Realität ist?
Ende im Feuer
Ich starte folgendes Experiment: Ich lade das Spiel und baue mir eine Testreihe auf. Meine acht Test-Sims lasse ich mir vom Zufallsgenerator erstellen. Dabei achte ich darauf, dass es vier Männer und vier Frauen im Erwachsenenalter sind, die keine verwandtschaftliche Beziehung zueinander haben. Dann schaffe ich eine Umgebung, in der sie alles finden, was sie zum Leben brauchen: Nahrungsquelle (Herd und Kühlschrank), ein Bett zum Schlafen für jeden, ein Klo für die Notdurft und ein abgetrenntes Zimmer für - nun ja - die Fortpflanzung. Außerdem bietet der Garten genug Raum für virtuelle Bewegung und eine Sitzgruppe dient als sozialer Treffpunkt.
Meine Überlegung: Wenn es die Sims schaffen, zu überleben und sich ein über paar Generationen fortpflanzen, ohne dass ich eingreifen muss, könnte es sich tatsächlich um Leben handeln.
Ich lasse die Sims einziehen und benutze die Maus nur noch zur Überwachung der Vitalfunktionen. Es scheint zu klappen. Die Sims schauen sich interessiert um, nehmen ihre Umwelt in Besitz und beginnen zu interagieren. Es gibt oft Staus vor dem Klo und die Laune sinkt schnell in den roten Bereich. Außerdem scheuen sie sich das Doppelbett mit einem Sim des anderen Geschlechts zu teilen. Ich bleibe hart und greife nicht ein.
Im Großen und Ganzen funktioniert es. Die Test-Sims fangen an Beziehungen zueinander aufzubauen und ihre Umwelt zu verändern. Ich beobachte, wie einige die Ordnung im Haus und im Garten aufrecht halten, während andere besonders gerne kochen. Nach einer Woche gibt es plötzlich ein Feuer. Der Herd brennt und alle rennen schreiend in die Küche um das Unglück aus nächster Nähe zu betrachten. Auf die Idee die Feuerwehr zu rufen, kommt aber keiner. Nach und nach sehe ich wie Einrichtung und Sims verbrennen. Der animierte Tod holt auch den letzen meiner Sims ab: Er benutzt skurriler Weise noch einmal die Toilette und verschwindet dann ebenfalls. Es ist furchtbar.
Meine Testbedingungen waren nicht optimal, sage ich mir. Wenn man einem Urmenschen einen Gasherd in die Höhle gestellt hätte, wäre vielleicht auch die ganze Einrichtung in Flammen aufgegangen. Nicht in jeder Umgebung kann sich Leben entwickeln und existieren.
Also installiere ich einen Feuermelder. Der ruft automatisch die Feuerwehr, wenn es in der Küche brennt. Bei der Gelegenheit installiere ich noch ein zweites Klo und ein paar mehr Betten. Es scheint, als würde das Spiel meinen Versuch ahnen. Beim zweiten Durchlauf fängt die Küche schon nach drei Tagen Feuer. Das kann zwar gelöscht werden, bricht aber daraufhin alle zwei Tage erneut aus.
Das Leben meiner Sims dreht sich nur noch um die Angst vor dem Feuer. Viele sitzen auf dem Boden und plappern wirr vor sich hin. Verursacht mein Test Psychosen? Ich lasse ihn
trotzdem weiterlaufen und beschäftige mich nebenbei noch ein bisschen mit Lebensmerkmalen.
Körper und Zeit
Leben muss eine physische Grundlage haben und kann nicht nur aus Informationen bestehen, lese ich in einem Onlineforum. Wenn man es genau nimmt, sind die Daten auf meiner Festplatte in Form der magnetisierten Oberfläche auch physisch vorhanden. Während sich die Sims in meinem Testhaus entwickeln, ändert sich auch die Oberfläche meiner Festplatte. Man könnte also von einer physischen Basis sprechen, auch wenn sie sich von der zellbasierter Wesen sehr unterscheidet.
Weiter lese ich, dass Zeit eine für Lebewesen nicht steuerbare Konstante sei. Zeit, eine Konstante? Bei den Sims kann man die Zeit stoppen, schneller oder langsamer laufen lassen und speichern, um bei einem Fehler zu diesem Punkt zurückkehren. Allerdings können die Sims das selber nicht. Ihre Lebensrealität beginnt mit dem Laden des gespeicherten Spiels und endet mit dem Verlassen des Programms. Mit meiner Wahrnehmung der Zeit haben sie nichts zu tun. Die Sims merken nicht, dass für mich Tage zwischen zwei Speicherpunkten vergehen können.
Verhungert vor dem Kühlschrank
Zurück zum Experiment. Die Feuerwehr rückt mittlerweile fast täglich aus, um Schlimmeres zu vermeiden. Meine Sims haben echte psychische Probleme. Das scheint es auch zu sein, was ihren Fortpflanzungstrieb behindert. Es haben sich zwar einige Freundschaften aber keine Liebesbeziehungen gebildet. Dazu kommt, dass der Kühlschrank leer ist und die Sims nicht in der Lage waren, ihn selbst wieder aufzufüllen.
Einige wenden sich mir zu, scheinen mich anzublicken
und mich zu bitten: "Tu doch was!" Aber ich bleibe hart. Sie müssen es selbst schaffen. Den ersten Lebensformen auf der Erde wurde der Kühlschrank auch nicht aufgefüllt, sie mussten selbst in der Lage sein, ihre Struktur aufrecht zu erhalten. Das könnten die Sims auch, schließlich habe ich ihnen sogar ein Telefon zu Verfügung gestellt, mit dem man den Pizzaservice anrufen kann. Machen sie aber nicht. Stattdessen gibt es bereits erste Schwächeanfälle und Kreislaufzusammenbrüche.
Es schmerzt - ich beschleunige das Spiel. Als ich wieder auf Normalgeschwindigkeit schalte, holt der Tod bereits den letzten weiblichen Sim ab. Sie ist vor dem Kühlschrank verhungert.
Das Experiment ist gescheitert. Ich lese in einem Interview mit dem Sims-Erfinder Will Wright, dass die künstliche Intelligenz des Spiels während der Entwicklung zu gut gewesen sei. Die Sims wären in der Lage gewesen, völlig selbständig ihr Leben zu bestreiten, Kinder zu bekommen und großzuziehen, so Wright. Damit sich der Spieler (und Käufer) aber gebraucht fühlt, habe man Störungen programmiert, die es den Sims unmöglich machen allein zu überleben.
Ist der Mensch für die Sims ein Gott?
Also ist es nicht meine Schuld. Die Entwickler des Spiels haben das künstliche Leben zuerst geschaffen, um es dann dem Spielspaß zu opfern. Ich bin entsetzt. Dann denke ich an das Experiment zurück und ein ganz anderer Gedanke kommt mir in den Sinn: Ist der Mensch für die Sims Gott? Glauben die Menschen nicht auch an einen Schöpfer, der über alles wacht und die Geschicke der Menschen mal mehr, mal weniger lenkt? Heben sie nicht auch die Hände zum Himmel um sich in schwierigen Situationen Hilfe zu erbitten wie die Sims? Glauben nicht viele, dass ein Gott unsere ganze Lebensgeschichte von Anfang bis Ende vor sich liegen hat, während wir uns nur langsam darin in eine Richtung bewegen? Und hat unser Gott nicht vielleicht auch ein paar Hindernisse erschaffen, die unser Leben zu einem kosmischen PC-Spiel machen? Vielleicht ist das Spiel ja eher eine Gottsimulation als eine Lebenssimulation?
Ich warte auf Sims 3 und hoffe, dass es eine Option "Fehler in der künstlichen Intelligenz abschalten" gibt. Dann gründe ich einen Verein zum Schutz für digitales Leben (SDL e.V.) und schreibe Briefe an die Regierung, dass diese Fehler niemals wieder aktiviert werden dürfen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass keine Versuche mit diesen Wesen gemacht werden. Sobald man das Spiel startet, wird man dann für seine Sims verantwortlich sein wie für ein Haustier. Ein entsprechender Warnhinweis wird bei jedem Start des Spiels eingeblendet. Und ich werde beten, dass mir mein Gott die lebensverachtenden Experimente mit den Sims der zweiten Version vergibt.