Die Riesenaufgabe
Energiewende und Bundestagswahl: Wie es nicht gehen darf. Einschätzungen und Hintergrund
Ende April fällte das Bundesverfassungsgericht ein extrem wichtiges Urteil Das derzeitige Klimaschutzgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstößt in Teilen gegen die Verfassung und muss verschärft werden. Es fehlten in dem Gesetz Vorgaben, wie der Treibhausgas-Ausstoß zwischen 2031 und 2050 reduziert werden solle. Der Gesetzgeber müsse bis Ende 2022 nachbessern (Kein Recht auf Bummelstreik in Sachen Klimaschutz).
Natürlich hat die Regierung sofort reagiert und ein neues Klimaschutzgesetz verabschiedet, um im Wahlkampf an der Klimafront zu punkten. Dabei haben Union und SPD in der Regierung in den letzten Jahren alles getan, um die Energiewende auszubremsen, sie zu behindern und zu verzögern. Nicht zu vergessen ist allerdings die Binse: Ein Klimaschutzgesetz allein bringt gar nichts, es muss auch umgesetzt werden.
Im September sind Bundestagswahlen. Wenn sich der bisherige Trend fortsetzt, bekommen wir nach den Wahlen eine Regierungskoalition mit Beteiligung der Grünen. Das lässt viele hoffen, dass der Klimaschutz endlich ernst genommen wird.
Worum geht es beim Klimaschutz konkret? In erster Linie um die Vermeidung von CO2-Emissionen. Also geht es um den Ausstieg aus Technologien, die CO2 erzeugen. Das betrifft hauptsächlich die Energieerzeugung.
Unsere gesamte Technologie umstellen
Aber wir können nicht einfach aus den vorhandenen Technologien aussteigen, denn die Energie wird ja gebraucht. Wir müssen deshalb auf CO2-frei erzeugte erneuerbare Energie, in der Hauptsache Solar- und Windenergie, umsteigen.
Kein Problem sagen die Grünen, Sonne und Wind gibt es ja im Überfluss, man muss sie nur nutzen. Und genau da liegt der Haken. Die Energie an sich ist kostenlos und im Überfluss vorhanden (zumindest die Solarenergie), aber ihre Nutzung erfordert aufwändige Anlagen. Und es werden nicht nur zur Erzeugung und Speicherung des Stroms neue, teure Anlagen gebraucht, sondern auch zu seiner Nutzung.
Wir müssen also unsere gesamte Technologie umstellen. Und zwar sowohl in der Industrie wie auch im Verkehr und in der Gebäudeheizung. Wobei das Problem ist, dass das alles gleichzeitig und aufeinander abgestimmt erfolgen muss.
Die bisherige Einführung der E-Autos
Bestes Beispiel dafür, wie es nicht gehen darf, ist die bisherige Einführung der E-Autos. Natürlich brauchen wir die E-Mobilität, um Benzin und Diesel als fossile Brennstoffe abzulösen. Aber wenn wir die E-Autos dann in der Nacht mit Kohlestrom laden, erzeugen wir leider nicht weniger, sondern mehr CO2. Wenn wir hier CO2 sparen wollen, müssen wir die Autos mit Solar- oder Windstrom laden. Und zwar mit überschüssigem Solar- oder Windstrom, denn sonst wird irgendwo anders zusätzlicher Strom aus fossilen Brennstoffen verbraucht und damit CO2 erzeugt. Leider haben wir aber nicht genug überschüssigen grünen Strom.
EON wirbt im Fernsehen damit, dass das umweltfreundliche E-Auto über Nacht zuhause aufgeladen wird. Das ist übelstes Greenwashing, denn der dabei verwendete Kohlestrom ist alles andere als klimafreundlich. Aber EON will natürlich seinen Kohlestrom verkaufen.
Herr Altmaier erzählt immer, dass wir fast 50 Prozent unseres Stroms regenerativ erzeugen und damit gar nicht so schlecht sind. Aber leider wird hier das Problem nur schöngeredet. Wir müssen nämlich den ganzen Energieverbrauch und nicht nur die Stromerzeugung betrachten. Und wenn wir das tun, liegen wir nicht bei 50 Prozent regenerativer Energie, sondern irgendwo zwischen 14 Prozent und 15 Prozent. Daraus folgt, dass wir unsere regenerative Stromerzeugung mindestens versechsfachen müssen.
Was nicht genügt
Und dabei genügt es nicht, einfach nur entsprechende Stromerzeugungsanlagen auf Teufel komm raus aus dem Boden zu stampfen, es müssen auch die entsprechenden Speicherkapazitäten geschaffen werden, um den Strom in Erzeugungspeaks zu speichern und in Verbrauchspeaks einzuspeisen. Und dazu müssen die Netze entsprechende Übertragungskapazität haben, also entsprechend ausgebaut werden. Eine Riesenaufgabe, die sich sicher nicht in einer Legislaturperiode erledigen lässt.
Aber wir müssen sie so schnell wie möglich beginnen. Und so effektiv wie möglich. Verzögerungen können wir uns genau so wenig leisten wie überflüssige Fehlinvestitionen. Deshalb sollten wir nicht die Stromerzeugung, das Netz und die Speicherung separat optimieren, sondern die ganze Energieversorgung als ein System. Nur so lassen sich nämlich Synergieeffekte richtig nutzen.
Ein entscheidendes Thema im anstehenden Bundestagswahlkampf wird jedenfalls der Klimaschutz und die Energiewende sein. Deshalb reden jetzt auch alle Politiker und Parteien über das Thema. Plötzlich sind Union und SPD die großen Vorreiter bei Energiewende und Klimaschutz und verabschieden schnell noch ein neues Klimaschutzgesetz, schließlich waren sie ja schon immer dafür. Komischerweise hat man in der Regierungspolitik nicht viel davon gemerkt.
Wer meint es ernst?
Die FDP warnt vor "Hau-Ruck-Aktionen" beim Klimaschutz. Also im Prinzip ist man bei der FDP natürlich für den Klimaschutz, aber nur solange es nicht konkret wird. Denn eigentlich will man ihn dann ja doch nicht. AfD-Politiker sagen wenigstens offen, dass sie keinen Klimaschutz wollen. Da weiß man wenigstens, woran man ist und dass man sie auch aus diesem Grund nicht wählen darf.
Die einzigen, denen man meiner Einschätzung nach glauben kann, dass sie es mit dem Klimaschutz ernst meinen, sind die Grünen und die Linken. Die Grünen haben es diesmal geschafft, auf interne Querelen und Flügelkämpfe zu verzichten und geschlossen für eine ordentliche Klimaschutzpolitik anzutreten. Und man kann davon ausgehen, dass sie die Absicht haben, an diesem Ziel auch nach der Wahl festzuhalten.
Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz: CO2-Steuer
Auf ihrem Wahlparteitag hat Herr Habeck gleich zu Beginn einiges Grundsätzliches gesagt: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen und es geht um die Freiheit in unserer Gesellschaft. Im Wahlprogramm der Grünen stehen dazu sehr viele, teils richtige, teils sehr schlechte Vorschläge.
Beginnen wir mit dem für die Gesellschaft Wichtigen: soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt. Dazu Überwindung des diskriminierenden Hartz-IV-Systems und Anhebung des Mindestlohns auf ein Niveau, von dem man leben kann sowie ordentliche Tarifverträge und eine Vermögenssteuer für Reiche.
Alles alte Forderungen der Linken, die absolut notwendig sind, wenn wir eine weitere Spaltung der Gesellschaft, die dann irgendwann zur Katastrophe führt, vermeiden wollen. Wenn man das aber zu Ende durchdenkt, erfordert es eine Abkehr vom neoliberalen Kapitalismus. Um diese klare Aussage drückt sich Habeck allerdings. Genauso beim Klimaschutz und CO2-Sparen.
Anfangs richtig: Wir müssen in den nächsten zehn bzw. 20 Jahren die erneuerbare Energieerzeugung maximal ausbauen und dazu alle vorhandenen Möglichkeiten der Gesellschaft nutzen. Und wir dürfen durch die Energiewende die Einkommensschwächeren nicht zusätzlich belasten.
Aber dann kommt die CO2-Steuer als "wichtiges Lenkungsinstrument". Lenkung setzt aber voraus, dass ich die Wahl zwischen mindestens zwei Richtungen habe. Das ist bei der Energie zurzeit nicht der Fall. Wir sind vorerst noch auf die fossilen Brennstoffe angewiesen, denn wir erzeugen nicht genug regenerativen Strom.
Deshalb können wir nicht umsteigen, selbst wenn wir es wollen. Solange nicht genug regenerative Energie im Netz ist, gibt es kein Umsteigen, egal welche "Lenkungsinstrumente" genutzt werden. Im Endeffekt wird die Energie durch die CO2-Steuer nur verteuert und der Verbraucher kann nur entscheiden: Entweder zahlen oder keine Energie. Da hilft auch das "Energiegeld" nichts. Und die Umverteilung der Lasten zugunsten der Einkommensschwächeren durch Zahlung pro Kopf wird durch den größeren Energieverbrauch der größeren Familie auch wieder relativiert.
Der Klimapakt
Dann kommt der "Klimapakt" mit der Industrie. Der Staat soll letztendlich den Umbau der Industrie bezahlen, damit Deutschland auch in Zukunft wettbewerbsfähig ist und keine Arbeitsplätze verloren gehen.
Klingt erst mal gut. Die Frage ist nur, was dabei praktisch herauskommt?
Wir dürfen uns nicht mit irgendwelchen Horrorszenarien ins Bockshorn jagen lassen. Natürlich gibt es bei jedem technologischen Umbruch auch Verlierer. Im gegenwärtigen Fall sind das die EVUs, die Lieferanten von Öl und Gas sowie die Petrolchemie und deren Zulieferer. Dazu kommt noch die Autoindustrie, deren Absatz in Deutschland sich langfristig mindestens halbieren wird, sowie das gesamte Speditionsgewerbe.
Aber das kann kein Grund sein, an veralteten und nicht zukunftsfähigen Strukturen und Technologien festzuhalten. Natürlich werden durch diesen technologischen Wandel auch viele Arbeitsplätze verloren gehen. Das liegt in der Natur der Sache und ist unvermeidlich. Der eigentliche Grund für den Arbeitsplatzverlust ist allerdings nicht die Energiewende, sondern die, durch die technische Entwicklung gestiegene, Arbeitsproduktivität.
Man muss sich mal darüber klar werden, dass die Transformation einer Industrie immer eine vollständige Änderung der Technologie und deshalb einen Neubau der Werke bedeutet. Die neuen Fabriken werden selbstverständlich so modern und effizient ausgelegt, wie zum Bauzeitpunkt möglich. Dadurch steigt ihre Produktivität und der Arbeitskräftebedarf sinkt.
Den Beschäftigten in der Automobilindustrie ist schon lange klar, dass die Transformation zur Elektromobilität mindestens jeden zweiten Arbeitsplatz in der Branche kostet. Und in anderen Branchen sieht es ähnlich aus, es wird nur vielfach verdrängt.
Und es werden ganze Branchen wegfallen. Die Kohle und die Atomkraft sind erst der Anfang. Wobei die dort Beschäftigten noch das Glück haben, dass sie mit der Herstellung ordentlicher Folgelandschaften und der Beseitigung von Altlasten noch auf Jahrzehnte Arbeit haben. In anderen Branchen, z.B. der Petrolchemie, wird das in dem Umfang nicht eintreten. Arbeit ist kein Selbstzweck und Arbeit um der Arbeit willen, unsinnig. Hier muss man auch mal die Frage stellen: Lebt der Mensch, um zu arbeiten oder arbeitet er, um zu leben? Was wollen wir?
Wenn wir schon unsere gesamte Technologie, sowohl in der Industrie wie privat, umbauen müssen, sollten wir die Gelegenheit gleich mit nutzen, um auch einige gesellschaftliche Fehlentwicklungen mit zu korrigieren. Zurück zum Klimapakt mit der Wirtschaft.