Die Riesenaufgabe

Seite 3: Die deutsche Chemieindustrie

Auch die CCS-Technologie wird natürlich wieder hervorgeholt, obwohl seit vielen Jahren bekannt ist, dass das nichts wird, weil man zur Abtrennung und Verflüssigung des CO2 mehr Energie benötigt, als die CO2-Erzeugung einbringt. Und die Lobbyisten streuen die Botschaft: "Die Energiewende ist so nicht zu machen. Viel zu teuer. Dadurch wird die deutsche Industrie konkurrenzunfähig, die Energiewende kostet Arbeitsplätze und Wohlstand."

Als "Beweis" werden dann irgendwelche Studien vorgelegt. Beispielsweise diese, wonach ein Verzicht auf fossile Energieträger in der chemischen Industrie zwar möglich ist, die deutsche Chemieindustrie dann aber Mitte der 2030-iger Jahre einen Strombedarf von 628 TWh hat, also mehr als die gesamte Bundesrepublik heute verbraucht. Und der Strom darf nicht mehr als 4 ct/kWh kosten, sonst ist man nicht konkurrenzfähig.

Schauen wir uns mal an, was die Hauptprodukte der chemischen Industrie heute sind: Die Petrolchemie liefert Treibstoffe und Heizöl sowie Rohstoffe für Plaste. Sie fällt im Zuge der Energiewende fast komplett weg, auch die Plastikproduktion muss aus Umweltschutzgründen stark zurückgefahren werden.

Dazu kommen Dünger und Pflanzenschutzmittel. Der größte Energieverbraucher hier ist die Ammoniakproduktion. Aber auch hier muss stark reduziert werden. Die Landwirtschaft wird in Zukunft schon aus Umweltschutzgründen mit weniger Chemikalien auskommen müssen. Das sollte mittlerweile jedem klar sein. Da hilft es auch nicht, wenn Julia Klöckner bremst, so gut sie kann.

Das sind die großtonnagigen Massenprodukte der chemischen Industrie. Dazu kommen natürlich noch jede Menge Arzneimittel und Feinchemikalien. Und wenn in Zukunft die geplanten Batteriefabriken stehen, kommen evtl. noch die dort benötigten Rohstoffe und Chemikalien hinzu. Aber dafür reichen ein paar dutzend TWh völlig aus, da brauch man die geplanten Strommengen nicht.

Das ist auch gar nicht vorgesehen. Geplant ist, Wasserstoff zu erzeugen und evtl. mit dem Wasserstoff noch Synfuel, also synthetischen Treibstoff, prinzipiell nach dem alten Fischer-Tropsch-Verfahren, wobei man den Wasserstoff für das Synthesegas durch Elektrolyse aus Wasser und das Kohlenmonoxid aus Holz oder Biomasse erzeugen will. Energetischer Irrsinn. Warum wird so etwas geplant?

Aus Sicht der chemischen Industrie ist die Sache klar: Wenn die bisherigen Produkte wegfallen, muss man neue Märkte erschließen bzw schaffen. Statt Petrol- und Agrochemie dann eben Wasserstoff und Synfuel.

Die Gasversorger

Und die Gasversorger sind ebenso mit von der Partie wie die Autoindustrie. Dazu kommen noch Anlagenbauer wie Siemens und Thyssen-Krupp.

Die Gasversorger wittern hier die Chance, mit ihrem Erdgas im Geschäft zu bleiben, weil es auf absehbare Zeit mangels Ökostrom völlig unmöglich ist, den benötigten Wasserstoff durch Elektrolyse zu erzeugen. Die Alternative heißt Erdgas.

Und außerdem ist geplant, für die zukünftige Wasserstofftechnologie die existierende Gasinfrastruktur zu nutzen. Das ist sofort möglich, solange der Wasserstoffanteil des Mischgases unter 20 Prozent liegt. Eine prima Mogelpackung, um Erdgas weiterzuverkaufen und dabei mit 20 Prozent Wasserstoff 80 Prozent Erdgas grün zu waschen.

Der Autoindustrie geht es beim Wasserstoff vor allem um einen Ersatz der derzeitigen Verbrennungsmotoren für die LKW und Nutzfahrzeuge. Dort ist eine Elektromobilität auf der Basis von Akkus nämlich nur schwer sinnvoll machbar. Aber bevor wir nun abgefahrene Pläne für einen Wasserstoffantrieb diskutieren, sollten wir uns zwei Dinge klarmachen.

Vorschläge gegen Monopolstrukturen

Erstens haben wir auf absehbare Zeit sowieso nicht genug Ökostrom, sodass wir nicht alles gleichzeitig umstellen können. Deshalb sollten wir die Umstellung von LKW und Arbeitsmaschinen erst mal zurückstellen und die E-Mobilität bei den PKW vorantreiben, inclusive des Ausbaus des Ladenetzes. Und hier brauchen wir nicht ein wahnsinnig teures Schnellladenetz, sondern ein flächendeckendes Ladenetz für Peakstrom.

Und damit auch wirklich mit Peakstrom getankt wird, müssen die Preise per Gesetz so reguliert werden, dass es sich für den Verbraucher auch wirklich lohnt, Peakstrom zu tanken und er nicht an der Ladesäule abgezockt wird. Auch wenn das gegen die Ideologie von der "Freien Marktwirtschaft" ist. Freie Marktwirtschaft erfordert nämlich einen freien Markt.

Jeder BWL-Student lernt in der ersten Vorlesung, dass der Markt der Ort ist, an dem Anbieter und Kunden zusammenkommen und das Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Und dann kommt die Einschränkung, dass keine marktbeherrschenden Strukturen, also Monopole oder Kartelle, existieren dürfen. Dann funktioniert der Markt nämlich nicht mehr (deshalb haben wir ja auch ein Kartellamt).

Leider haben wir im Energiesektor keinen freien Markt, sondern Monopolstrukturen, da die zur Energieversorgung notwendige Infrastruktur nicht mehrfach vorhanden ist. Damit hat aber der Betreiber dieser Infrastruktur automatisch ein Monopol, da der Kunde nicht zu einem Konkurrenten ausweichen kann. Deshalb kann die "Freie Marktwirtschaft" hier nicht funktionieren und der Gesetzgeber hat die Pflicht, regulierend einzugreifen.

Und zweitens ist es Unfug, den gegenwärtigen Straßenverkehr 1:1 auf erneuerbare Energie umstellen zu wollen. Das wird nicht funktionieren, denn er ist sowieso völlig überdimensioniert und so nicht zukunftsfähig.

Das betrifft sowohl die 47 Millionen zugelassenen PKW, hier wird man die Fahrzeugzahl in Zukunft mindestens halbieren müssen, als auch den Gütertransport auf der Straße. Da müssen sowieso Fehlentwicklungen korrigiert werden und das sollte man im Rahmen der Energiewende gleich mit erledigen.

Der Güterverkehr

Der Güterverkehr ist derzeit total überdimensioniert. Er muss in Zukunft deutlich geringer werden. Nicht nur, dass die Brennstofftransporte wegfallen werden und die Ferntransporte auf die Schiene verlagert werden sollten, wir müssen sowieso von den derzeitigen Lieferketten wegkommen.

Sie sind einerseits ein großes Risiko (Suezkanalblockade, Ausfall Chipproduktion in China für die Autoindustrie usw.) und andererseits bringen sie nicht mehr den Nutzen wie früher, da durch die Automatisierung und Digitalisierung der Vorteil, in Billiglohnländern zu produzieren, immer geringer geworden ist. Auch das Verlagern von Produktion ins Ausland, um hiesige Umweltstandards zu vermeiden, kann nicht länger toleriert werden.

Wenn wir aber hierzulande eine höhere Fertigungstiefe der Industrie schaffen, entfallen sehr viele Transporte. Das heißt natürlich auch, dass wir dann sehr viel weniger LKW brauchen. Und ob die dann mit Wasserstoff betrieben werden, ist auch noch sehr fraglich.

Das eigentliche Problem ist, dass wir den zukünftigen Bedarf nicht wirklich kennen und deshalb bei allen Abschätzungen mit dem gegenwärtigen Bedarf kalkulieren, den wir einfach umrechnen. Das wird aber in vielen Fällen falsche Ergebnisse bringen.

Die Energiewende ist ein langer Prozess und wir müssen nicht heute schon für alle Teilbereiche Patentlösungen anbieten. Da der Klimawandel schnell voranschreitet, sollten wir uns lieber darauf konzentrieren, die Energiewende da voranzutreiben, wo wir einerseits erprobte Technologien verfügbar haben und andererseits die größte CO2-Einsparung mit dem geringsten Aufwand erzielen.

Lobbyisten und Geschäft. Fazit

Da haben wir die nächsten Jahre genug zu tun. Wir müssen nur aufpassen, dass wir uns nicht irgendwelche zukünftigen Möglichkeiten verbauen. Aber die Gefahr ist gering. Viel größer ist die Gefahr, dass alle möglichen Lobbyisten jetzt dafür sorgen, dass nicht die effektivsten Lösungen genutzt, sondern riesige Fehlinvestitionen getätigt werden und so die Energiewende um Jahre verzögert wird.

Und außerdem versuchen natürlich alle Beteiligten, sich jetzt schon ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern, denn aus Sicht der Industrie ist die Energiewende vor allem ein Geschäft. Da wird mit allen Mitteln um Aufträge und Profite gekämpft. Jeder gegen jeden, aber alle gemeinsam, wenn zum Großangriff auf öffentliche Mittel geblasen wird.

Die Energiewende steht und fällt mit der Produktion von ausreichendem Ökostrom, weil wir so lange nicht auf CO2-sparende bzw. -freie Technologien umsteigen können, wie wir nicht genug Ökostrom erzeugen.

Und es reicht nicht, für den Klimaschutz zu sein, man muss auch ganz konkret sagen, wie man sich das dann vorstellt.

Nicht nur "CO2-Sparen, Umstieg auf erneuerbare Energie, Kohleausstieg und Ende des Verbrennungsmotors bis 2030", sondern auch, was statt dessen kommen soll, wie man sich den Weg dorthin vorstellt, was für Technologien in welchem Umfang, welche Gesetze und Vorschriften dazu nötig sind, was das kostet, wie es finanziert werden soll, welche Förderungen geplant sind und wer welche Kosten trägt.

Einen solchen detaillierten Masterplan zur Energiewende hat bisher leider noch keine Partei vorgelegt. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Landwirtschaft und den Verkehr.

Das ist aber Voraussetzung für mich als Wähler, um die Parteien beurteilen und vergleichen zu können. Und erstellt werden müssen diese Pläne ja sowieso.