"Die SPD hätte den Kanzler stellen können"

Seite 2: "Es liegt Mehltau über dem Land"

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Viele SPD-Politiker betonen immer wieder, die Linkspartei müsse ihre Haltung in der Außenpolitik endlich klären, sonst sei eine Annäherung auf Bundesebene ausgeschlossen. Wie stehen Sie dazu?

Dietmar Bartsch: Wir haben klare außen- und friedenspolitische Positionen. Es wäre schlimm und würde DIE LINKE überflüssig machen, verzichteten wir auf den Kampf gegen Rüstungsexporte und gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr. Dass die Europäische Union nicht weitermachen kann wie bisher, ist offensichtlich. Wir im Norden der Erde dürfen nicht länger auf Kosten des Südens leben, müssen endlich ernst damit machen, Fluchtursachen zu beseitigen. Was sollten SPD-Mitglieder wohl gegen diese und ähnliche Ziele haben?!

Herr Bartsch, seit Längerem wird von einer Krise der Volksparteien gesprochen. Woran liegt es, dass die Linke davon nicht profitiert, sondern ebenfalls schwächelt?

Dietmar Bartsch: Wir haben uns nach dem 13. März, an dem wir klare Wahlniederlagen kassiert haben, wieder etwas stabilisiert. Offensichtlich ist, dass die Verluste der einen Partei nicht automatisch zu Gewinnen einer anderen werden. Wir brauchen neue Ansätze für neue Herausforderungen. Als Stichworte nenne ich Digitalisierung und demographische Entwicklung, Fluchtbewegungen, Klimaentwicklung und Ressourcenverknappung.

Ihre Partei liegt in den Umfragen derzeit bei etwa 9 Prozent - das kann nicht Ihr Anspruch sein.

Dietmar Bartsch: Die gesellschaftliche Stimmung ist stark durch Ungewissheit, Ängste, Ärger und Frust bestimmt. Wir haben uns immer als eine "Kümmererpartei" verstanden. Heute heißt das unter anderem, sich um die Sorgen der Menschen zu kümmern, auch um die seelischen. Wenn die Menschen nicht spüren, dass sich die Politik für sie interessiert, werden auch sie sich nicht für Parteien und Programme interessieren. Unser Anspruch muss sein, mit den Menschen zusammen dafür zu sorgen, dass es gerechter, friedlicher, menschlicher zugeht.

Keinerlei Selbstkritik?

Dietmar Bartsch: Hinsichtlich der Ursachen für die geschilderte Lage müssen sich alle Bundestagsparteien an die Nase fassen. Fakt ist, dass auch wir unter unseren Möglichkeiten bleiben. Deswegen ist die Frage, was wir besser machen können, nicht nur zulässig, sondern wichtig. Wir müssen konkreter Probleme der Bürgerinnen und Bürger aufgreifen, anpacken, konkret handeln und noch offensiver in die Auseinandersetzung mit Kräften gehen, die die Würde des Menschen infrage stellen.

Das heißt?

Wir müssen beispielsweise unser Anliegen klar machen, die extrem ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland und Europa endlich anzugehen. Wir brauchen sowohl eine große Rentenreform, die Altersarmut verhindert, als auch eine Steuerreform, die den Namen verdient. Es kann doch nicht sein, dass im Mittelmeer Steuerflüchtlinge auf ihren Yachten fläzen und Flüchtlinge auf Schlauchbooten ersaufen. Weltpolitisch sollte Deutschland nicht militärisch eine größere Rolle spielen, sondern humanistisch. Solche Dinge würden wir anpacken.

Herr Bartsch, gäbe es die AfD nicht, stände die Linkspartei dann bei über 15 Prozent?

Dietmar Bartsch: Mit derartigen Spekulationen kann ich nicht mitgehen. Ich glaube, dass wir Reserven, die wir haben, in den kommenden Wochen und Monaten besser ausschöpfen werden. Und mit Blick auf die Bundestagswahl sage ich ganz deutlich: Ich gehe zuversichtlich in diesen Wahlkampf. Denn eins ist doch offensichtlich: Die Große Koalition löst keinesfalls große Probleme. Es liegt Mehltau über dem Land - große Reformvorhaben: Fehlanzeige. Das ist enttäuschend.