Die Sommer-Spiele-Diät
Abspecken ist diesen Sommer bei Videospielen angesagt, statt opulenter Hauptmahlzeiten servieren Nintendo, Rockstar und Valve appetitliche Häppchen ohne ein Gramm Renderfett zuviel
Die Publisher fürchten den kommenden Generationswechsel bei den Spielkonsolen. Schon jetzt leiden ihre armen Aktionäre darunter, dass Spieler Titel für aktuelle Plattformen kaum noch kaufen - und dann sollen sie auch noch den explodierenden Produktionskosten von zig Millionen US-Dollar für die kommenden Hits für Playstation 3 und Xbox 360 akzeptieren. Was macht man in solchen Situationen als klug berechnender Manager? Genau, man stellt auf „Lean Production“ um, sprich: Man schneidet allen überflüssigen Ballast vom Produkt weg und packt nur noch das Nötigste in den Spielekarton. Gleich drei Hersteller zeigen im Juni, wie man der Kostenexplosion entgegentritt und neue Zielgruppen mit kleineren Spielehäppchen zu günstigeren Preisen anspricht.
Nintendo haftet noch immer das Image eines Herstellers von Kinderspielen an. Doch dies wird sich in den kommenden Monaten wandeln. Noch bevor am 23. Juni mit dem DS Lite so etwas wie der iPod der Videospiele auch in Deutschland auf den Markt kommt, erscheint jetzt „Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging - Wie fit ist ihr Gehirn?“.
Angeblich hat der japanische Neurologe Dr. Kawashima herausgefunden, bei welchen geistigen Aktivitäten das Gehirn besonders stark durchblutet wird und so bittet er die Grauen Zellen insbesondere älterer Semester auf sein virtuelles Laufband. In Japan verkaufte Nintendo bereits über zwei Millionen Exemplare, zwei Drittel der Kunden waren über 25 Jahre. Das Training umfasst einfache Rechenaufgaben, Gedächtnis- und Konzentrationsübungen. In einem Test müssen die Aufgaben möglichst schnell erledigt werden. Anhand der Zeit ermittelt das Programm das geistige Alter: Demnach sind 20-Jährige top in Form, während 60-Jährige ihren Gehirnzellen noch eine Extra-Runde Nordic Walking gönnen sollten.
Mit dem Gehirn-Jogging will Nintendo nicht nur sein kindliches Image ablegen, sondern auch dem Glauben entgegenwirken, Computerspiele machen dumm. Um den intellektuellen Charakter zu unterstreichen, hält der Spieler den DS hochkant wie ein Buch. Auf der linken Seite erscheinen die Aufgaben und auf der rechten muss er mit dem dünnen Plastik-Stift die Lösungen kritzeln oder in das eingebaute Mikrofon sprechen. Während verbale Aufgaben wie das Nennen richtiger Farben oder das schnelle Zählen von 120 bis 1 noch problemlos klappen, hapert es bei den schriftlichen Aufgaben mit der Handschrifterkennung. Wer die Zeichen nicht in einem Zug malt, kassiert schnell Fehlerpunkte. Statt einer "5" erkennt der DS eine "3", aus "N" wird "II". Während man die richtige Ziffernschreibweise recht schnell erlernt, tut man sich bei den Buchstaben schwer, was viele aus der Zielgruppe der Nichtspieler frustrieren dürfte.
Angeblich muss man pro Tag nur wenige Minuten üben, um seine Gehirnleistung zu verbessern. Und tatsächlich verjüngte sich das Gehirn des 35-jährigen Autors dieses Artikels innerhalb weniger Tage von "46" auf "28" Jahre. Doch dieser scheinbare Jungbrunneneffekt hatte weniger mit den durchblutungsfördernden Aufgaben als mit der Gewöhnung an die Eingabe und Aufgabenstellung zu tun. Und ob es nun erstrebenswert ist, einen Text von E.T.A. Hoffmann möglichst schnell herunterzurattern, statt ihn korrekt betont mit möglichst guter Aussprache vorzulesen, ist arg zu bezweifeln.
Sicherlich kann Nintendo mit seinen leichten Knobelaufgaben auch Menschen zur DS-Konsole locken, die bisher nur Kreuzworträtsel gelöst und Intelligenztestbücher gelesen haben. Es ist offenbar für Leute gedacht, denen Klavierspielen oder das Lesen von Romanen bereits zu anstrengend ist und die trotzdem geistig nicht völlig einrosten wollen. Wer wissen will, ob so etwas Spaß macht, kann ja mal diesen Text ausdrucken, laut vorlesen, danach alle "a" einkreisen und "n" unterstreichen oder die Anzahl der Silben im ersten Absatz zählen und dabei die Zeit stoppen. (5)
Rockstar Games galten bisher eigentlich als die Rüpel der Branche, provozierten sie doch das konservative Establishment mit Gangster-Simulationen wie "Grant Theft Auto" oder den Gamepad-Riots in "State of Emergency". Doch virtuelle Städte wie San Andreas für Konsolen zu errichten, geht anscheinend richtig ins Geld, sonst hätte Rockstar wohl kaum sein Studio in Wien vor kurzem geschlossen. Stattdessen will man nun mit kleineren Produktionen Geld in die Kasse spülen. Das neue Spiel einfach nur Tischtennis zu nennen, war den Marketing-Experten wohl zu bieder, und so nannte man es "Rockstar Games präsentiert Table Tennis". Es ist eines der wenigen exklusiven Spiele für Microsofts Xbox 360. Doch Rockstar nutzt den ganzen Grafikfirlefanz der Next-Gen-Konsole kaum, sondern konzentriert sich ganz aufs Spiel - und das ist gut so.
Table Tennis spielt sich ähnlich wie Tennis-Spiele a la "Top Spin", allerdings sind die Ballwechsel deutlich schneller und dauern meistens länger. An der Platte muss der Spieler zwar nicht soviel laufen wie auf dem Tennisplatz, trotzdem ist eine gute Stellung zum Ball das A und O. Hier gilt es vorausschauend zu spielen, denn nur allzu leicht erwischen einen die Computergegner auf dem falschen Bein.
Leider besitzt das Gamepad der Xbox 360 keine Bewegungssensoren und so muss man mit dem linken Analogstick den Spieler bewegen und mit den vier Daumentasten den Spin wählen. Je frühzeitiger der Spieler in Position ist, desto mehr Druck kann er für den Schlag aufbauen. Das Gamepad vibriert, um vor drohenden Fehlschlägen zu warnen. Das Ganze ist relativ schnell erlernt, bis man dem Gegner die Bälle um die Ohren schlägt heißt es jedoch - wie im richtigen Spiel - üben, üben, üben.
Table Tennis konzentriert sich ganz auf Einzelpartien. Doppel sind nicht möglich, dazu wäre es wohl auch etwas eng an der Platte geworden. Wo andere Spiele mit umfangreichen Liga-Modi und gesichtchirurgischen Editoren voll gestopft werden, findet man hier nur ein knappes Dutzend Computergegner, die mit sehr unterschiedlichen Spielstilen an die Platte treten. Gegen menschliche Gegner tritt man am gleichen Fernseher oder Online an.
Doch dank der akkuraten Ballphysik und geschliffenen Spieleranimation bietet Table Tennis auch ohne überladene Extras eine langfristige Herausforderung die zudem mit 40 Euro deutlich weniger als übliche Neuerscheinungen kostet. (7)
Auch das Genre der Ego-Shooter bleibt vom Rotstift nicht verschont. Valve Software liefert die Fortsetzung des PC-Spiels "Half Life 2" in drei Episoden, die bis Ende 2007 erscheinen sollen. Den Anfang macht "Episode 1", die sowohl im Einzelhandel für 20 Euro auf DVD als auch entmaterialisiert über den Online-Dienst Steam für 20 US-Dollar bezogen werden kann. Die Online-Variante ist nicht nur wegen des günstigen Wechselkurses vorzuziehen, denn auch bei der DVD-Version bleibt man von umfangreichen Updates nicht verschont. Ohne Flatrate geht das ganz schön ins Geld. Zum Spielen zwingend nötig ist eine Internetverbindung indes nicht.
In Episode 1 muss der Spieler aus der zerstörten "City 17" fliehen - zu Fuß und in Begleitung der computergesteuerten Rebellin Alyx, die dem Spieler nur selten von der Seite weicht. Anders als etwa in "Peter Jacksons King Kong" spielt Alyx hier keine passive Opferrolle, sondern rettet den Spieler aus so manch brenzliger Situation. Anfangs noch waffenlos muss dieser mit der Taschenlampe heranstürmende Zombies anleuchten oder Milizen anlocken, damit Alyx sie mit dem Revolver oder Scharfschützengewehr abschießt. Allzu weit wollte Valve die digitale Emanzipation aber doch nicht treiben. Wie man im Kommentarmodus erfährt, war zunächst geplant, dass Alyx dem Spieler immer wieder Anweisungen gibt, doch das mochten die Testspieler nicht. Nun schweigt Alyx die meiste Zeit.
Episode 1 greift viele aktuelle Gesellschaftsdiskurse auf. Der Spieler ist ständig auf der Flucht. Alien-Zombies wollen ihn beißen und mit Gift infizieren, staatliche mit Überwachungskameras und orwellschen Bildschirmen ausgerüstete Militärs den "Freiheitskämpfer" Gordon Freeman (so heißt die Figur des Spielers) vernichten. Was hier in das Szenario eines Science-Fiction-Shooters hinein projiziert wird, ist der Kampf des westlichen Individuums gegen Armutsflüchtlinge (man vergleiche etwa George Romeros "Dawn of the Dead"), die um seinen Job konkurrieren, und den staatlichen Überwachungswahn wie etwa dem Homeland Security Program der USA.
Geradezu absurd wirken die Aufforderungen des Bildschirmarztes, in all dieser Zerstörung und permanenten Bedrohung an die Fortpflanzung zur Erhaltung der menschlichen Rasse zu denken. Wer in Episode 1 überleben will, darf sich keine Kinder ans Bein binden und muss als Paar an allen Fronten kämpfen. Das Idyll der Kleinfamilie hat hier keinen Platz und bietet keinen Rückzugsort. Außer einer knappen freundschaftlichen Umarmung tauschen Gordon und Alyx keinerlei Zärtlichkeiten aus. Sie bilden lediglich eine Zweckgemeinschaft, die ums Überleben kämpft.
Während Half-Life 2 mit seiner abwechslungsreichen Handlung locker einen Spielfilm füllen konnte, dümpelt Episode 1 auf dem Niveau einer Vorabend-Serienfolge. Mit den fünf Spielabschnitten ist man in gut vier Stunden fertig. Valve kombiniert häufig Kampfszenen mit leichten Puzzles, die man unter Beschuss lösen muss. Das alles wirkt souverän und glatt poliert, spielerische Innovation sucht man allerdings vergeblich. Technisch wurde die Source-Engine mit High Dynamik Range (HDR) Rendering aufgewertet, die mit Geforce-Karten ab der 6000er Serie oder ATIs X1000 er Grafikkarten für realistische Lichteffekte sorgt. Allerdings verlängerten sich dadurch die Ladezeiten gegenüber "Half-Life 2" (das übrigens nicht zwingend vorausgesetzt wird) und auf unserem Testsystem (Athlon 64 3200+, 1 GByte RAM, Geforce 6800, Creative X-Fi, RAID 0 Festplattenverbund) stolperten wir über so manchen Sound-Stotterer. (6)
Das Beispiel Valve wird angesichts des immensen Produktionsaufwandes, der den Herstellern mit Spielen für die Playstation 3, Xbox 360 oder Windows Vista ins Haus steht, kein Einzelfall bleiben. Mammutprojekte a la "Oblivion" werden für diese neuen Plattformen ohne inhaltliche Zugeständnisse kaum noch zu realisieren sein. So ist zu befürchten, dass der Grafikpracht immer mehr Inhalte und risikoreiche Spielansätze zum Opfer fallen. Die Titel werden dadurch auch für Spieler mit begrenzten Zeit- und Geldressourcen interessant, wodurch sich Videospiele allgemein dem Mainstream der Massenmedien, den derzeit noch Fernsehen, Filme und Musik bestimmen, immer weiter nähern.