Die Sonnenkönigin der EU: Wie Ursula von der Leyen die Fäden in Brüssel neu zieht
26 Kommissare, ein Machtzentrum: Die Strategie der EU-Chefin. Die Macht wird auf die Kommissionspräsidentin verschoben.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, wird neuerdings als "Sonnenkönigin" der EU bezeichnet. So spricht der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky von einer "Kommission des Sonnensystems", in der 26 dunkle Planeten - die neuen, weitgehend unbekannten Kommissare - um die alles beherrschende Sonne kreisen.
Nach dem Brüsseler Korrespondenten Eric Bonse könnte die "Königin Europas" zur Sonnenkönigin werden.
Der Verdacht, der gegen sie laut wird, etwa in einem Artikel des Springer-Mediums Politico, lautet, dass sie die totale Kontrolle über die Politik der Europäischen Union will und dieses Ziel mit einer ausgeklügelten Strategie verfolgt, die nicht sofort ins Auge springt.
Die Machtübernahme
Untermauert wird diese Ansicht mit der Beobachtung, dass die Besetzung der 26 Kommissare und ihre Aufgaben von der neuen und alten EU-Kommissionspräsidentin so gestaltet wird, dass wichtige Themen immer in mehreren Händen liegen und die Kommissare sich abstimmen müssen.
Die endgültige Entscheidung liege jedoch immer bei der Chefin, wie Politico aus den gegenwärtigen Aktionen von der EU-Präsidentin schließt. Dazu wird die Aussage eines namentlich nicht genannten EU-Beamten als Bestätigung herangezogen: "Sie wird noch mehr Kontrolle über alles haben. Wer hätte das für möglich gehalten?"
Die Fälle Thierry Breton und Stéphane Séjourné
Ein Beispiel für von der Leyens Machtausübung ist die Personalie Thierry Breton. Der ehemalige EU-Kommissar für den digitalen Binnenmarkt trat zurück, nachdem Spannungen mit von der Leyen öffentlich wurden. Breton schrieb dazu einen aufrüttelnden Post auf X, der aus seinem Gefühl der Brüskierung durch von der Leyens Machtpolitik keinen Hehl machte.
Von der Leyen hatte die französische Regierung aufgefordert, einen anderen Kandidaten vorzuschlagen, was Breton als Zeichen "fragwürdiger Regierungsführung" wertete und daraufhin seinen sofortigen Rücktritt ankündigte.
Ursprünglich hatte Macron geplant, Breton für weitere fünf Jahre zu unterstützen, da er als wichtig für den französischen Einfluss in Brüssel angesehen wurde, insbesondere nach den turbulenten Europawahlen und der drohenden Auflösung der Nationalversammlung.
Diese Entscheidung wurde jedoch revidiert, nachdem von der Leyen signalisiert hatte, dass sie Bretons Verbleib nicht wünschte und stattdessen einen anderen Kandidaten bevorzugte. Der Präsident entschied sich schließlich für Séjourné, einen engen Vertrauten, der als strategisch und loyal gilt, dem es jedoch an wirtschaftlichem Sachverstand und Englischkenntnissen mangelt.
Thierry Breton hatte sich während seiner Amtszeit oft kritisch über von der Leyen geäußert und sich wiederholt gegen ihre Entscheidungen gestellt, was zu Spannungen führte. Auch die USA und einige europäische Länder, darunter Deutschland, standen der Wiederernennung Bretons skeptisch gegenüber.
Letztendlich einigten sich Macron und von der Leyen darauf, Séjourné einen einflussreichen Posten als Exekutiv-Vizepräsident zu geben, wobei er jedoch nicht alle von Paris gewünschten Zuständigkeiten erhalten würde. Es bleibt abzuwarten, ob diese Entscheidung langfristig die richtige für Frankreich war.
Es zeigt aber auch, dass Macron trotz der Spannungen zwischen Breton und von der Leyen weiterhin bestrebt ist, einen Einfluss auf die europäische Politik auszuüben, weitere Spannungen werden folgen.
Die Kritik und die Herausforderungen
Trotz ihres Machtzuwachses ist von der Leyen auch auf die Unterstützung der anderen EU-Institutionen und der europäischen Staats- und Regierungschefs angewiesen. Sie braucht das Europäische Parlament, um ihrem Team grünes Licht zu geben, und sie muss die europäischen Staats- und Regierungschefs und ihre Botschafter in Brüssel nahe genug an sich binden, um sicherzustellen, dass sie ihre Pläne für die Zukunft Europas unterstützen.
Sie steht auch vor der Herausforderung, dass die einst mächtigen Führer, die die EU geleitet haben, geschwächt sind und ein Machtvakuum hinterlassen haben, das sie zwar ausfüllen kann, das aber auch zu Spannungen führt.
So musste Frankreichs Präsident Macron kürzlich eine schwere Niederlage bei den Europawahlen hinnehmen, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sorgt sich um seine eigene Zukunft und der polnische Premierminister Donald Tusk ist mit der Innenpolitik beschäftigt.
Nimmt man die Momentaufnahmen der Personalpolitik der EU-Chefin als Blaupause für die neue Amtszeit von der Leyens, zeigt sich eine erstaunliche Fähigkeit der Politikerin, ihre Macht zu bündeln und zu nutzen, wie ihr auch die französische Zeitung Le Monde attestiert.
Sie ist nicht ohne Belastungen und Schwierigkeiten in das Rennen um den Chefposten gegangen. Ihre Kandidatur für das Amt des Kommissionspräsidenten war nicht sicher. In der Öffentlichkeit gibt sie kein makelloses Bild ab, nicht zuletzt wegen der nach wie vor ungeklärten Umstände des Impf-Deals mit Pfizer, der nicht nur von den üblichen Kritikern der "Gegenöffentlichkeit" als Skandal herausgestellt wird (siehe: "Wie die Pfizer-Affäre Ursula von der Leyen belastet").
Hinzu kommen die während ihrer Zeit als Verteidigungsministerin bekannt gewordenen Verbindungen zu McKinsey, die den Eindruck verstärken, dass sie dem Lobbyismus nicht gerade abgeneigt ist.
Angesichts der ständigen Kritik an der EU wegen des Lobbyeinflusses ist das kein gutes Aushängeschild für eine EU-Politik, die angesichts der Zerrissenheit der Gemeinschaft viel Unterstützung, Sympathie und Rückhalt in der Bevölkerung braucht.
Ob es ausreicht, dass von der Leyen viel von Machtpolitik versteht und das Machtvakuum zu nutzen weiß, ist eine offene Frage.
Machtpolitik allein macht noch keine Vision.