Die Staatsverbrecher
Die Bundesregierung will Autobahnen und andere Infrastruktur an private Investoren verscherbeln
Mit an verbohrter Sturheit grenzender Hartnäckigkeit halten alle Bundesregierungen von Gerhard Schröder bis Angela Merkel an ihrem Ziel fest, große Teile der deutschen Infrastruktur, vor allem aber die Autobahnen, zu privatisieren. Dass selbst der Bundesrechnungshof und alle Landesrechnungshöfe dagegen Sturm laufen, ist ihnen völlig egal.
Man kann das auch deutlicher ausdrücken: Die Bundesregierung betreibt den Ausverkauf der gesamten Infrastruktur und will noch bis Jahresende mit dem gesamten Autobahnnetz anfangen. Die Steuerzahler haben einst Riesensummen dafür aufgebracht, um die Objekte zu finanzieren. Bald sollen sie für’n Appel und’n Ei in die Hände von Wirtschaftsunternehmen fallen. Und selbst wenn aus den Privatisierungsplänen diesmal doch nichts werden sollte, weil sich etwa in Kreisen der SPD zu starker Widerstand regen sollte, so halten alle interessierten Kreise weiterhin an ihren Privatisierungsplänen so lange weiter hartnäckig fest, bis sie am Ende doch durchgesetzt werden können.
Dann können die privaten Investoren den Bürgern noch einmal gewaltige Beträge abknöpfen und in die eigenen Taschen stecken. Man kann es drehen wie man will, in den repräsentativen Demokratien haben die Bürger immer die Arschkarte und müssen zahlen. Sie sind und bleiben die Dukatenesel, die als Einzige immer zur Verfügung stehen, wenn Dukaten gebraucht werden. Und Esel sind sie auch, wenn sie das immer mit sich machen lassen.
Was erstaunt, ist die von parteipolitischen Orientierungen völlig unabhängige Beharrlichkeit aller Bundesregierungen. Ob die nun eher links-grün (na ja, was die so links nennen) oder eher konservativ-liberal oder konservativ-sozialdemokratisch sind: Sie alle betreiben seit den 1970er Jahren und verstärkt wieder seit den 1990er Jahren den Ausverkauf des Staatseigentums mit nachgerade krimineller Energie.
Dahinter könnte man mit Mühe noch Spuren ökonomischer Vernunft entdecken, wenn die Investoren die gesamte Summe bezahlen würden, die auch die Steuerzahler im Verlauf vieler Jahre für die Objekte aufgebracht haben. Das ist aber nicht der Fall. Sie zahlen nur einen minimalen Bruchteil. Schon allein deshalb ist die Rede vom Ausverkauf der deutschen Infrastruktur gerechtfertigt.
Nach den Plänen der Bundesregierung soll das gesamte deutsche Autobahnnetz teilprivatisiert werden. Dazu wird eine Autobahngesellschaft gegründet, an der private Investoren etwas weniger als die Hälfte der Anteile übernehmen können.
Von drei Modellen das teuerste gewählt
Nach der gegenwärtigen Rechtslage bestimmen Bund und Länder noch allein darüber, wer das 13.000 Kilometer lange Autobahnnetz in Stand hält und ausbaut. Mit der Überführung in die Autobahngesellschaft, geht die Entscheidung darüber weitgehend an die privaten Investoren.
Für die Finanzierung der Erhaltung und des Ausbaus der Autobahnen bieten sich drei Modelle an:
- Der Staat gibt Staatsanleihen aus, wie das Staaten nun einmal machen, wenn sie Kredite aufnehmen. Das kostet gar nichts. Im Gegenteil in der gegenwärtigen Phase der Nullzinspolitik bekäme die Bundesregierung sogar noch 0,23 Prozent draufgezahlt. Nicht gerade viel, aber immerhin draufgezahlt.
- Der Staat vergibt den Auftrag an ein privates Konsortium. Das finanziert sich über eine Unternehmensanleihe. Die kostet, und zwar relativ viel. Es wäre also keine gute Lösung, zumal der Staat per Gesetz gehalten ist, eine wirtschaftlich vernünftige Lösung zu suchen, und das ist bei Geldgeschäften nun einmal die billigste Lösung.
- Die Bundesregierung gründet eine "Öffentlich-Private-Partnerschaft (ÖPP)" oder "Public-Private Partnership (PPP)", in der Staat und private Partnerfirmen zusammenarbeiten. Da liegen die Kosten für den Steuerzahler auf jeden Fall am allerhöchsten. Sie bewegen sich sogar in Schwindel erregenden Höhe. Sie liegen in einer Höhe, in der der Schwindel die Steuerzahler in Erregung versetzen sollte…
Bei ÖPP-Projekten, die es ja schon seit vielen Jahren gibt, können die privaten Investoren mit einer Rendite von mindestens 7 Prozent rechnen. Über eine Laufzeit von 30 Jahren sind das Beträge in Milliardenhöhe. Es fragt sich, was der Grund dafür sein könnte, dass die Politik sich ausgerechnet für die Variante stark macht, die für die Bürger bei weitem am allerteuersten sein wird.
Man könnte sich mit der Erklärung zufrieden geben, dass die das aus alter Gewohnheit tun: Schließlich haben sie das schon immer so gemacht. Es ist also nichts Neues. Wenn die Volksvertreter wirklich das Volk verträten, sollte das allerdings schlicht unmöglich sein. Da sich die politische Kaste jedoch längst von der Bevölkerung entfernt hat, entspricht das ihrem "normalen" Verhalten. Aber das reicht als Erklärung nicht aus.
Dass sie sich nicht für die extrem günstige Variante entscheiden mag, zu der sie nach Recht und Gesetz verpflichtet ist, hat seinen wahren Grund in der Misswirtschaft vergangener Jahre. Die Politiker haben in der Vergangenheit die Staatsschulden in eine so atemberaubende Höhe getrieben, dass sogar ihnen selbst das am Ende zu viel wurde und sie sich daher die Schuldenbremse auferlegten.
Sie dürfen keine neuen Kredite aufnehmen und haben sich zu allem Überfluss auch noch die "schwarze Null" verordnet. Das ist in einer Zeit der Null-Zins-Politik ausgesprochen unvernünftig. Hier zeigt sich wieder einmal, wie unklug es ist, Politiker mit der Macht auszustatten, das Geld fremder Leute - der Steuerzahler - in der Gegend zu verschleudern. Das tun die nämlich, mit Hochgenuss und ohne alle Bedenken.
In Zeiten des Lobbyismus missachtet der Staat seine Neutralitätspflicht
Aber auch das taugt als Erklärung noch nicht. Tatsächlich hat sich der Staat in Zeiten des Lobbyismus radikal verändert. Er ist schon lange nicht mehr der neutrale Hüter des gemeinen Wohls aller Bürger, der er sogar zu Zeiten Friedrichs des Großen (1712-1786) vor 300 Jahren wenigstens zu sein versuchte und zum Teil sogar war. Er ist heute ein Gebilde, in dem Lobbyisten, Wirtschaftsunternehmen und die politische Kaste einander brüderlich die Hände reichen und die breite Bevölkerung in Armut halten.
Das Lobbying ist kein wechselseitiger Tausch, von dem beide Seiten profitieren. Es ist eine Einbahnstraße geworden. Die Politik ist vor den Interessenvertretern in die Knie gegangen. Die Pflicht des Staats zur Unabhängigkeit und Neutralität ist jedoch keine belanglose Verpflichtung, bei der man sagen könnte: Es wäre ganz nett, wenn die eingehalten würde. Die Neutralitätspflicht ist eine der Fundamentalpflichten demokratischer und sogar vordemokratischer Staaten. Ein Staat, der nicht neutral gegen jedermann ist, kann noch nicht einmal das Gewaltmonopol für sich in Anspruch nehmen.
Die Lobbyisten und die Vertreter großer Konzerne arbeiten in vielen früher staatlichen Strukturen zusammen und pflegen vielfältige persönliche, wirtschaftliche und fachliche Kontakte. Große Wirtschaftsunternehmen lassen ihre Angestellten in Ministerien arbeiten, wo sie selbstverständlich nicht nur Einblick in Entscheidungsprozesse, sondern auch selbst auf Entscheidungen Einfluss nehmen, die die wirtschaftlichen Interessen ihres eigenen Unternehmens betreffen.
Wenn ein Staat nicht einmal seine Neutralitätspflicht gegenüber jedermann erfüllt, ist er mit Sicherheit kein Rechtsstaat und eigentlich noch nicht einmal ein ordentlicher Staat. Ein Staat darf grundsätzlich nicht Partei ergreifen. Und wenn er doch Partei ist, ist er nicht Staat, und schon gar kein demokratischer Rechtsstaat, sondern ein diffuses Gebilde, das zur Beute von Interessengruppen und Konzernen geworden ist, eine demokratisch nur getarnte mafiöse Struktur - wie die Bundesrepublik Deutschland heute.
Der Staat von heute ist nicht mehr das neutrale Gebilde von einst, das gewissermaßen über allen thront und unabhängig und sine ira et studio für das Gemeinwohl entscheidet. Es ist ein gekauftes und käufliches Gebilde, das sich dem Willen von Interessenten aus Wirtschaft und Unternehmen unterwirft. Das pluralistische Ideal einer ausgewogenen und gleichberechtigten Interessenvertretung, bei der sich das beste Argument durchsetzt, ist eine Illusion.
Längst ist die Trennung von Staat und Wirtschaft völlig aufgeweicht. Politik und Wirtschaft sind untrennbar miteinander verschmolzen. Und immer seltener behalten Staat und Politik die Oberhand, zumal einige internationale Großkonzerne über eine fast genauso große Ausdehnung, über nicht viel weniger finanzielle Mittel und über mehr Macht verfügen als der Staat.
Und in einer Zeit des billigen Geldes übt die Finanzwirtschaft, die personell und institutionell ja längst integraler Teil des Staats ist, immensen Druck auf den Staat aus. Sie drängt den Staat, ihr Investitionsmöglichkeiten zu verschaffen, bei denen sie ordentliche Renditen erzielt. Und die repräsentative Demokratie, diese alte Hure, legt sich sofort hin und macht die Beine breit. Finanzkonzerne wie Allianz oder Deutsche Bank und Bauriesen wie Hochtief und Strabag üben immensen Druck auf den Staat aus, um das gesamte Autobahnnetz unter ihre Kontrolle zu bekommen. Politiker, Lobbyisten, Wirtschaftsunternehmen und Vertreter des Finanzkapitals sind Komplicen bei diesem organisierten Verbrechen.
Auch der Bundestag lässt sich wieder mal austricksen
Die geplante Autobahngesellschaft soll zu etwas über 50 Prozent dem Bund gehören und zu etwas unter 50 Prozent privaten Investoren. Als unabhängige Aktiengesellschaft wäre sie der Kontrolle durch den Bundestag weitgehend entzogen. Man muss sich das schon einmal auf der Zunge zergehen lassen: Das Parlament wird am Ende einer Lösung zustimmen müssen, der zufolge es nichts mehr zu sagen hat. Es verzichtet ohne Not auf seine Kontrollfunktion. Die repräsentative Demokratie zerlegt sich nach und nach ganz von selbst.
Die Verträge, die die Autobahngesellschaft mit den privaten Unternehmen schließt, sind nach dem Muster der bei vielen Investitionen längst praktizierten Vereinbarungen der Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP). Deshalb lohnt es sich, diese Verträge einmal näher zu betrachten; denn nirgendwo tritt der blanke Irrsinn politischer Entscheidungen in den entwickelten repräsentativen Demokratien unverhüllter zutage als beim angeblich so genialen Finanzierungsmodell der Public-Private Partnerships (PPP).
Bei fünf von sechs in ÖPP gebauten Autobahnen sei es zu Mehrkosten von fast zwei Milliarden Euro gekommen, monierte der Bundesrechnungshof (BRH) im Jahr 2013. 2016 legten die Rechnungsprüfer nach - und zwar ausgerechnet in einem Gutachten zur Planung von ÖPP-Projekten, das sie gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium verfassten. Das allerdings ließ sich dadurch nicht schrecken und verlegte sich darauf, alles abzustreiten: "Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVI) bestreitet auch weiterhin die seitens des BRH benannten Mehrkosten."
So seien bei ÖPP-Projekten im Fernstraßenbau bis 2014 nur "rund 4,4 Prozent unvorhersehbare Mehrkosten" aufgetreten. Gegenüber den erteilten "Verpflichtungsermächtigungen" hätten die Ausgaben sogar nur 1,1 Prozent höher gelegen. Und alle bis Oktober 2015 abgeschlossenen ÖPP-Projekte seien schneller fertig geworden als geplant, "im Einzelfall sogar um bis zu 2,5 Monate".
Auf den ersten Blick wirkt das Prinzip der ÖPP geradezu bestechend: Ein privater Investor baut auf eigene Kosten Autobahnen, Bundesstraßen, Ministerien, Gefängnisse, Schulen oder große Pracht- und Protzbauten wie die Elbphilharmonie in Hamburg und sorgt bis zu 30 Jahre lang für den reibungslosen Betrieb.
Die politischen Institutionen brauchen zunächst kein oder wenig Geld dafür bereitzustellen und sind scheinbar fein ‘raus. Bund, Länder oder Kommunen stottern lediglich die laufenden Kosten ab, die sie sonst selbst hätten investieren müssen.
Derzeit gibt es in Deutschland um die 250 solcher Großprojekte. Da die öffentlichen Verwaltungen kein Geld mehr haben oder meinen, nicht effizient genug zu wirtschaften, bieten sich ihnen private Investoren als Partner an. Die öffentlichen Hände versprechen sich von PPPs eine schnellere und kostengünstigere Realisierung wichtiger Projekte.
Die Investoren hingegen haben genug Geld oder können es beschaffen und sind auch in der Lage, betriebswirtschaftlich vernünftig zu operieren. Allerdings müssen sie anders als die öffentlichen Verwaltungen auch gute Gewinne machen. Und die lukrativen Verträge werden ihnen oft auch noch ohne öffentliche Ausschreibung zugeschanzt.
Die öffentlichen Verwaltungen kommen ja wegen der Schuldenbremse an keine neuen Gelder heran, möchten sich in ihrer grenzenlosen Ausgabefreudigkeit aber trotzdem nicht einschränken lassen. Schließlich wollen die nächsten Wahlen gewonnen werden. Die demokratische Politik braucht die permanente öffentliche Selbstdarstellung in spektakulären Projekten und Aktionen. Die lässt sich durch Stagnation und jahrelangen Baustopp kaum schaffen.