Die Staatsverbrecher

Seite 2: Ein reines Betrugsmanöver

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Welchen höheren Sinn die Schuldenbremse dann allerdings haben soll, entzieht sich dem nachdenklichen Beobachter. Nur wer mit den Gebräuchen in etablierten Demokratien vertraut ist, erkennt: Die Schuldenbremse nichts als Haushaltskosmetik. Eine Form der politischen Augenwischerei. Die Haushaltswursteler der demokratischen Politik inszenieren sich unter dem ignoranten Applaus der Massenmedien als großartige Sparkünstler. Sie schaffen doch tatsächlich die "Schwarze Null", diese Teufelskerle. Dafür lassen sie sich öffentlich grandios feiern.

Unter dem Strich läuft das alles auf ein weiteres Rettungsprogramm für die Finanzindustrie hinaus, die derzeit händeringend nach Gewinn bringenden Anlagemöglichkeiten mit geringem Risiko sucht.

Obwohl sich der Staat nahezu kostenfrei Geld leihen könnte, hindert er sich durch Schuldenbremse und den Verzicht auf Steuererhöhungen für Betuchte selbst daran, die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur eigenständig zu stemmen. Die Anbetung der "schwarzen Null" bewirkt zudem, dass selbst bei Einhaltung der Schuldenbremse vorhandene Spielräume für eine Nettokreditaufnahme des Staates ungenutzt bleiben.

Es gibt massenhaft schlechte Erfahrungen mit ÖPP (Öffentlich-private Partnerschaften). Bundesrechnungshof und Landesrechnungshöfe dokumentieren: Finanzierungs- und Verwaltungskosten sind höher, die Flexibilität geringer, die Risiken ungleich verteilt.

Der Staat verzichtet darauf, öffentliche Dienstleistungen anzubieten

Die Ausweitung von ÖPP ist eine Gegenstrategie zur Stärkung der öffentlichen Investitionspolitik. Die Planung der Infrastruktur erfolgt nach Renditelogik, nicht nach gesellschaftlichem Bedarf. Transparenz und Kontrolle müssen häufig erst eingeklagt werden.

Der Staat entledigt sich personell und strukturell der Aufgabe, zukünftig öffentliche Dienstleistungen überhaupt anbieten zu können. Personelle Ressourcen und Know-how werden für immer abgebaut; der Staat wird handlungsunfähig.

Vorbild für die geplante Autobahngesellschaft ist die 2008 gegründete "ÖPP Deutschland AG". Um öffentlich-private Vorhaben anzuschieben, gründeten interessierte Kreise 2008 unter der Federführung des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die "ÖPP Deutschland AG", eine Beratungsfirma, an der sich der Staat und Großbanken, Baukonzerne und Berater beteiligen.

Ziel der Bundesregierung war und ist es, ÖPP-Projekte zu fördern. Dazu berät die ÖPP Deutschland AG ausschließlich öffentliche Auftraggeber und gibt Empfehlungen ab, wie Kommunen, Länder oder Bundesbehörden ihre Infrastrukturprojekte finanzieren können.

Die Finanzlobbyorganisation Initiative Finanzstandort Deutschland (IFD) hatte 2007 das Konzept dafür entwickelt. Die IFD beauftragte die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer mit der juristischen Konstruktion der AG, die Gutachten vorlegte, wie die Beratung für die Kommunen de facto obligatorisch wird. Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände unterzeichnen dafür eine "Rahmenvereinbarung" mit der ÖPP Deutschland. Die Kommunen können dann schnell und ohne Ausschreibung auf die Beratung der AG zugreifen.

Das Freshfields-Gutachten beschrieb auch, wie sich die gesetzlich vorgeschriebene Aufsicht über PPP-Projekte aushebeln lässt, nämlich indem man festlegt, dass im Fall einer Beratung "keine weiteren Prüf- und Kontrollerfordernisse mehr erforderlich werden". Und die Rechnungshöfe sollten sich sowieso am besten ganz ‘raushalten: So soll "der Bundesrechnungshof nach seinem Ermessen die Prüfung beschränken und Rechnungen ungeprüft lassen. Entsprechende Vorschriften gibt es auf Länderebene."

Es wiederholt sich dasselbe Ritual, nach dem im Wirtschaftsleben die politischen Voraussetzungen für das reibungslose Funktionieren der VW-Abgas-Schummelei gelegt wurden: Wirtschaft und Politik reichen einander die schmutzigen Hände, um alle Kontrollen aus der Welt zu schaffen und eine mafiöse Struktur zu etablieren, in der die Betrüger aller Ebenen frohen Mutes und ungehemmt miteinander verkehren können.

Das Gutachten regte an, "dass der jeweilige Rechnungshof z.B. auf eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeitsberechnung … verzichten kann, weil er keinen Anlass für die Fehlerhaftigkeit der Berechnung … sieht und von deren Fehlerlosigkeit ausgeht". Ein solches Maß an Unfehlbarkeit beansprucht in der übrigen Welt nur noch der Papst für Erklärungen, die er ex cathedra verkündet … und bezieht dafür von vielen Kritikern heftige verbale Prügel.

Und schließlich:

Die Zertifizierungswirkung gegenüber den Kommunalaufsichten könnte sich dahingehend entfalten, dass die Kommunalaufsicht bei PPP-Projekten … ihren Prüfungsmaßstab verringert oder diesen PPP-Projekten grundsätzlich ohne Prüfung zustimmt." Die Innenministerien der Länder könnten eine Weisung erteilen: "Die Prüfaufsicht könnte also durch Verwaltungsvorschrift beschränkt werden.

Der deutsche Steuerzahler finanzierte die ÖPP Deutschland AG zunächst mit über 10 Millionen Euro. Insgesamt erhielt die ÖPP Deutschland AG für Grundlagenarbeit und Beratungsleistungen noch einmal fast dreieinhalb Millionen Euro vom Staat. Kein Zweifel: Damit hat der Staat sich als Financier für den Lobbyismus der Industrie missbrauchen lassen. Der Staat hat sich zum willigen Helfer der Lobbyisten gemacht.

An der ÖPP Deutschland hält der Staat mit 57 Prozent die Mehrheit. 43 Prozent gehören der privaten Wirtschaft. Die spezielle Konstruktion ist also zugleich privat und öffentlich. So kann die AG bei ihren Kundenberatungen stets ihren staatlichen Charakter betonen. Das Etikett der Staatlichkeit erweist sich als nützlich; denn die Kundschaft sind Gemeinden, Städte, Länder und der Bund.

Die ÖPP Deutschland AG agiert in einem Geschäftsfeld, in dem die Platzhirsche eben jene Konzerne und Banken sind, die sich an ihr beteiligen: rund 70 Firmen von der Deutschen Bank, der Commerzbank, dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband, der Arvato, Bilfinger Berger, Dussmann Service, Hochtief bis zum Hauptverband der Deutschen Bauindustrie - versammelt ist so ziemlich alles, was in der Industrie und Finanzgewerbe Rang und Namen hat.

Die Wirtschaft und die Lobbyisten haben sich im Staat eingenistet

Der Markt mit öffentlich-privaten Partnerschaften wurde so für Banken, Berater und Baukonzerne immer größer. Die ÖPP Deutschland AG ist der lebende Beweis dafür, dass sich die Wirtschaft immer tiefer in den Staat einnistet. Dort leistet sie, gewissermaßen verkleidet als neutrale Beratung, systematische Lobbyarbeit für die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. So nach und nach schafft sich die Demokratie selbst ab. Und die Vertreter des Staates spielen dabei die Rolle der Steigbügelhalter.

Kritische Experten bezeichnen die ÖPP Deutschland AG als "zwielichtig". Dass sich so viele Politiker trotzdem darauf einlassen, hat einen einzigen Grund. Durch die Stückelung der Zahlung über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren lassen sich Haushaltsbeschränkungen umgehen und Lasten in die ferne Zukunft verschieben.

In der Regel versprechen die privaten Unternehmen die Rückgabe des öffentlichen Eigentums nach 15 bis 30 Jahren. Bis es so weit ist, können die privaten Investoren es nach Belieben ausquetschen und unterliegen dabei noch nicht einmal einer demokratischen Kontrolle.

Dabei sind die meisten PPP-Projekte für die öffentliche Hand wesentlich teurer als eine Eigeninvestition. Das haben der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe für die Mehrzahl der Projekte festgestellt.

Dass profitorientierte Wirtschaftsunternehmen teurer sein müssen als kostenorientierte Behörden, hätte man sich eigentlich von Anfang an denken können. Schließlich müssen die gute Gewinne erzielen und bekommen Kredite zu schlechteren Bedingungen als die öffentliche Hand. Aber wie soll man das demokratisch gewählten Volksvertretern auf der verzweifelten Suche nach Geldern und Problemlösungen klarmachen?

Die sind doch heilfroh, wenn sie irgendwo auf Geldquellen stoßen und fragen nicht nach irgendwelchen Spätfolgen. Und die wollen doch gar nicht kostengünstig operieren. Hauptsache der Geldfluss kommt wieder in Gang, und sie selbst sind aus dem Schneider. Das ist der Fluch der Konstruktion, dass die gewählten Repräsentanten nicht mit ihrem eigenen Geld haften, keinerlei Verantwortung tragen und nach Belieben über das Geld fremder Leute verfügen.

Dabei greifen die Politiker auf ihre altbewährten Ganoventricks zurück, mit denen sie schon immer die Bevölkerung hinters Licht geführt haben: Am Anfang jedes PPP-Projekts wird alles kleinklein gerechnet, die richtig gewaltigen Kosten kommen erst nach ein paar Jahren auf die Steuerzahler zu.

Die Repräsentanten bürden also die hohen Kosten künftigen Generationen auf und behaupten auch noch dreist, dass sie genau das mit der Schuldenbremse verhindern. Die Schulden werden langfristig nicht weniger, sondern mehr. Eine "Finanzierungsillusion" nennt das Holger Mühlenkamp, Ökonomie-Professor an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Für ihn steht fest1:

Da ist eine große Koalition aus Politik, Industrie und Bankenwirtschaft auf Kosten des Steuerzahlers am Werk.

Nackte Bürger-Verarschung müsste das ein nicht so professoraler Beobachter nennen. ÖPP liefert kurzfristig einen Ausweg. Allerdings nur kurzfristig. Langfristig bindet man so die Haushalte auf unabsehbare Zeiten.

Alle Rechnungshöfe halten PPP-Projekte für wirtschaftlichen Unfug

ÖPP ist ein Paradebeispiel für erfolgreiche Lobbyarbeit auf Kosten der Steuerzahler und der öffentlichen Haushalte. Dabei treffen kurzfristige Interessen der Lobbyarbeit auf ebenso kurzfristige Interessen der herrschenden Politik. Ohnehin ist der "kurze Atem" das Charakteristikum aller Politik in entwickelten repräsentativen Demokratien.

Der große Vorteil aus Sicht der gegenwärtig regierenden Politik ist es, dass die ihre Projekte jetzt bekommt und die Lasten der Finanzierung erst in der Zukunft eintreten. Nach demselben Muster hat die Politik der demokratisch gewählten Repräsentanten die Bestandsverschuldung des Bundes auf über zwei Billionen Euro hochgetrieben und macht nun unbeirrt weiter wie bisher.

Wiederholt stellte der Bundesrechnungshof fest, dass die öffentlich-privaten Partnerschaften sich für die öffentliche Hand überhaupt nicht rechnen. Bei genauem Hinsehen stellten die Prüfer des Bundesrechnungshofs ernüchtert fest, dass die Zahl der Fehlschläge ungefähr genauso groß ist wie die Zahl der Projekte. Die Mehrkosten für die Bürgerinnen und Bürger gehen in die Milliarden: Fünf von sechs Projekten verursachen Mehrkosten von über 1,9 Milliarden Euro. Das Geld hätte man sparen können, wenn man die Projekte rein öffentlich umgesetzt hätte. Ihre Trickserei lassen sich die politischen Repräsentanten also auch noch teuer von den Steuerzahlern bezahlen.

So war etwa beim Ausbau der A1 die ÖPP-Variante nicht, wie das Bundesverkehrsministerium behauptete, um rund 40 Prozent günstiger als die konventionelle Finanzierung, sondern um 28 Prozent teurer, wie der Bundesrechnungshof konstatierte. Beim Ausbau der A4 an der Landesgrenze von Hessen nach Thüringen sprach man von einem Kostenvorteil von knapp 32 Prozent. Die Prüfer allerdings kamen auf ein Minus von 12,4 Prozent.

Die offiziellen "Berechnungen" der Ministerien und der privaten Investoren sind nichts als besonders eindeutige und schlampige Formen der Schönrechnerei. Tatsächlich berichten der Bundesrechnungshof und die Rechnungshöfe der Länder seit 2006 praktisch jedes Jahr über diese milliardenschwere Verschwendung von Steuergeldern. Doch die Politik ist dagegen völlig erkenntnisresistent. Sie ignoriert die Berichte der Rechnungshöfe. Die Eigendynamik demokratischer Entscheidungs- und Verschleierungsprozesse ist stärker als die Stimme der haushaltspolitischen Vernunft.

Warum Bund, Länder und Gemeinden trotz allem an dem umstrittenen Modell festhalten, lässt sich nur noch mit haushaltstechnischen Fehlanreizen erklären: Im traditionellen Verfahren müssten die Kredite für ein Projekt sofort als Schulden verbucht werden, bei der ÖPP fällt jährlich nur die Rate an den privaten Partner an. Die Schuldenbremse wird so wirksam umschifft.

Darüber hinaus sind die PPP-Projekte unsinnig, weil bei ihnen die Kontrolle durch Kämmerer und Haushaltspolitiker wegfällt. Ihren Job machen ja nun die privaten Investoren. Und die sind wahre Künstler des hohe Gewinne verheißenden kreativen Schönrechnens. Die Projekte helfen so Politikern, sich Infrastruktur-Denkmäler aus Stein und Beton zu errichten, die bei konventioneller Finanzierung am Widerstand der Kämmerer und Haushaltspolitiker gescheitert wären.

PPP stellt eine verdeckte Privatisierung öffentlicher Aufgaben dar, deren höhere Kosten sich auch durch fiskalische Tricks wie Schattenhaushalte auf Dauer nicht verbergen lassen. Sie ist ein Raub am Gemeineigentum, ein Ausverkauf der Zukunft und eine Bankrotterklärung der demokratischen Politik. Den Konzernen und Banken sichern die Partnerschaften zwischen privaten Investoren und der öffentlichen Hand jahrzehntelang üppig fließende Pfründe auf Kosten der Steuerzahler.

Die Lobbyisten locken mit Wirtschaftlichkeitsvergleichen, die Kosteneinsparungen von bis zu 25 Prozent ausweisen. Doch die angeblichen Effizienzvorteile sind reine Luftnummern, in denen lauter Kaiser ohne Kleider umherwandeln.

Die privaten Investoren selbst investieren oft nur zehn Prozent, sind also in Wahrheit gar keine Investoren. Die erhöhten Kreditkosten, der garantierte Gewinn, die Beraterhonorare, der Preis für den Wirtschaftlichkeitsvergleich fließen in die Mietkosten ein. Und die zahlt die öffentliche Hand. Sie bezahlt also Miete auf einen schlechteren Kredit als sie selbst haben könnte. Absurd.