Die Staatsverbrecher

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Die Bundesregierung will Autobahnen und andere Infrastruktur an private Investoren verscherbeln

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Mit an verbohrter Sturheit grenzender Hartnäckigkeit halten alle Bundesregierungen von Gerhard Schröder bis Angela Merkel an ihrem Ziel fest, große Teile der deutschen Infrastruktur, vor allem aber die Autobahnen, zu privatisieren. Dass selbst der Bundesrechnungshof und alle Landesrechnungshöfe dagegen Sturm laufen, ist ihnen völlig egal.

Man kann das auch deutlicher ausdrücken: Die Bundesregierung betreibt den Ausverkauf der gesamten Infrastruktur und will noch bis Jahresende mit dem gesamten Autobahnnetz anfangen. Die Steuerzahler haben einst Riesensummen dafür aufgebracht, um die Objekte zu finanzieren. Bald sollen sie für’n Appel und’n Ei in die Hände von Wirtschaftsunternehmen fallen. Und selbst wenn aus den Privatisierungsplänen diesmal doch nichts werden sollte, weil sich etwa in Kreisen der SPD zu starker Widerstand regen sollte, so halten alle interessierten Kreise weiterhin an ihren Privatisierungsplänen so lange weiter hartnäckig fest, bis sie am Ende doch durchgesetzt werden können.

Dann können die privaten Investoren den Bürgern noch einmal gewaltige Beträge abknöpfen und in die eigenen Taschen stecken. Man kann es drehen wie man will, in den repräsentativen Demokratien haben die Bürger immer die Arschkarte und müssen zahlen. Sie sind und bleiben die Dukatenesel, die als Einzige immer zur Verfügung stehen, wenn Dukaten gebraucht werden. Und Esel sind sie auch, wenn sie das immer mit sich machen lassen.

Was erstaunt, ist die von parteipolitischen Orientierungen völlig unabhängige Beharrlichkeit aller Bundesregierungen. Ob die nun eher links-grün (na ja, was die so links nennen) oder eher konservativ-liberal oder konservativ-sozialdemokratisch sind: Sie alle betreiben seit den 1970er Jahren und verstärkt wieder seit den 1990er Jahren den Ausverkauf des Staatseigentums mit nachgerade krimineller Energie.

Dahinter könnte man mit Mühe noch Spuren ökonomischer Vernunft entdecken, wenn die Investoren die gesamte Summe bezahlen würden, die auch die Steuerzahler im Verlauf vieler Jahre für die Objekte aufgebracht haben. Das ist aber nicht der Fall. Sie zahlen nur einen minimalen Bruchteil. Schon allein deshalb ist die Rede vom Ausverkauf der deutschen Infrastruktur gerechtfertigt.

Nach den Plänen der Bundesregierung soll das gesamte deutsche Autobahnnetz teilprivatisiert werden. Dazu wird eine Autobahngesellschaft gegründet, an der private Investoren etwas weniger als die Hälfte der Anteile übernehmen können.

Von drei Modellen das teuerste gewählt

Nach der gegenwärtigen Rechtslage bestimmen Bund und Länder noch allein darüber, wer das 13.000 Kilometer lange Autobahnnetz in Stand hält und ausbaut. Mit der Überführung in die Autobahngesellschaft, geht die Entscheidung darüber weitgehend an die privaten Investoren.

Für die Finanzierung der Erhaltung und des Ausbaus der Autobahnen bieten sich drei Modelle an:

  1. Der Staat gibt Staatsanleihen aus, wie das Staaten nun einmal machen, wenn sie Kredite aufnehmen. Das kostet gar nichts. Im Gegenteil in der gegenwärtigen Phase der Nullzinspolitik bekäme die Bundesregierung sogar noch 0,23 Prozent draufgezahlt. Nicht gerade viel, aber immerhin draufgezahlt.
  2. Der Staat vergibt den Auftrag an ein privates Konsortium. Das finanziert sich über eine Unternehmensanleihe. Die kostet, und zwar relativ viel. Es wäre also keine gute Lösung, zumal der Staat per Gesetz gehalten ist, eine wirtschaftlich vernünftige Lösung zu suchen, und das ist bei Geldgeschäften nun einmal die billigste Lösung.
  3. Die Bundesregierung gründet eine "Öffentlich-Private-Partnerschaft (ÖPP)" oder "Public-Private Partnership (PPP)", in der Staat und private Partnerfirmen zusammenarbeiten. Da liegen die Kosten für den Steuerzahler auf jeden Fall am allerhöchsten. Sie bewegen sich sogar in Schwindel erregenden Höhe. Sie liegen in einer Höhe, in der der Schwindel die Steuerzahler in Erregung versetzen sollte…

Bei ÖPP-Projekten, die es ja schon seit vielen Jahren gibt, können die privaten Investoren mit einer Rendite von mindestens 7 Prozent rechnen. Über eine Laufzeit von 30 Jahren sind das Beträge in Milliardenhöhe. Es fragt sich, was der Grund dafür sein könnte, dass die Politik sich ausgerechnet für die Variante stark macht, die für die Bürger bei weitem am allerteuersten sein wird.

Man könnte sich mit der Erklärung zufrieden geben, dass die das aus alter Gewohnheit tun: Schließlich haben sie das schon immer so gemacht. Es ist also nichts Neues. Wenn die Volksvertreter wirklich das Volk verträten, sollte das allerdings schlicht unmöglich sein. Da sich die politische Kaste jedoch längst von der Bevölkerung entfernt hat, entspricht das ihrem "normalen" Verhalten. Aber das reicht als Erklärung nicht aus.

Dass sie sich nicht für die extrem günstige Variante entscheiden mag, zu der sie nach Recht und Gesetz verpflichtet ist, hat seinen wahren Grund in der Misswirtschaft vergangener Jahre. Die Politiker haben in der Vergangenheit die Staatsschulden in eine so atemberaubende Höhe getrieben, dass sogar ihnen selbst das am Ende zu viel wurde und sie sich daher die Schuldenbremse auferlegten.

Sie dürfen keine neuen Kredite aufnehmen und haben sich zu allem Überfluss auch noch die "schwarze Null" verordnet. Das ist in einer Zeit der Null-Zins-Politik ausgesprochen unvernünftig. Hier zeigt sich wieder einmal, wie unklug es ist, Politiker mit der Macht auszustatten, das Geld fremder Leute - der Steuerzahler - in der Gegend zu verschleudern. Das tun die nämlich, mit Hochgenuss und ohne alle Bedenken.

In Zeiten des Lobbyismus missachtet der Staat seine Neutralitätspflicht

Aber auch das taugt als Erklärung noch nicht. Tatsächlich hat sich der Staat in Zeiten des Lobbyismus radikal verändert. Er ist schon lange nicht mehr der neutrale Hüter des gemeinen Wohls aller Bürger, der er sogar zu Zeiten Friedrichs des Großen (1712-1786) vor 300 Jahren wenigstens zu sein versuchte und zum Teil sogar war. Er ist heute ein Gebilde, in dem Lobbyisten, Wirtschaftsunternehmen und die politische Kaste einander brüderlich die Hände reichen und die breite Bevölkerung in Armut halten.

Das Lobbying ist kein wechselseitiger Tausch, von dem beide Seiten profitieren. Es ist eine Einbahnstraße geworden. Die Politik ist vor den Interessenvertretern in die Knie gegangen. Die Pflicht des Staats zur Unabhängigkeit und Neutralität ist jedoch keine belanglose Verpflichtung, bei der man sagen könnte: Es wäre ganz nett, wenn die eingehalten würde. Die Neutralitätspflicht ist eine der Fundamentalpflichten demokratischer und sogar vordemokratischer Staaten. Ein Staat, der nicht neutral gegen jedermann ist, kann noch nicht einmal das Gewaltmonopol für sich in Anspruch nehmen.

Die Lobbyisten und die Vertreter großer Konzerne arbeiten in vielen früher staatlichen Strukturen zusammen und pflegen vielfältige persönliche, wirtschaftliche und fachliche Kontakte. Große Wirtschaftsunternehmen lassen ihre Angestellten in Ministerien arbeiten, wo sie selbstverständlich nicht nur Einblick in Entscheidungsprozesse, sondern auch selbst auf Entscheidungen Einfluss nehmen, die die wirtschaftlichen Interessen ihres eigenen Unternehmens betreffen.

Wenn ein Staat nicht einmal seine Neutralitätspflicht gegenüber jedermann erfüllt, ist er mit Sicherheit kein Rechtsstaat und eigentlich noch nicht einmal ein ordentlicher Staat. Ein Staat darf grundsätzlich nicht Partei ergreifen. Und wenn er doch Partei ist, ist er nicht Staat, und schon gar kein demokratischer Rechtsstaat, sondern ein diffuses Gebilde, das zur Beute von Interessengruppen und Konzernen geworden ist, eine demokratisch nur getarnte mafiöse Struktur - wie die Bundesrepublik Deutschland heute.

Der Staat von heute ist nicht mehr das neutrale Gebilde von einst, das gewissermaßen über allen thront und unabhängig und sine ira et studio für das Gemeinwohl entscheidet. Es ist ein gekauftes und käufliches Gebilde, das sich dem Willen von Interessenten aus Wirtschaft und Unternehmen unterwirft. Das pluralistische Ideal einer ausgewogenen und gleichberechtigten Interessenvertretung, bei der sich das beste Argument durchsetzt, ist eine Illusion.

Längst ist die Trennung von Staat und Wirtschaft völlig aufgeweicht. Politik und Wirtschaft sind untrennbar miteinander verschmolzen. Und immer seltener behalten Staat und Politik die Oberhand, zumal einige internationale Großkonzerne über eine fast genauso große Ausdehnung, über nicht viel weniger finanzielle Mittel und über mehr Macht verfügen als der Staat.

Und in einer Zeit des billigen Geldes übt die Finanzwirtschaft, die personell und institutionell ja längst integraler Teil des Staats ist, immensen Druck auf den Staat aus. Sie drängt den Staat, ihr Investitionsmöglichkeiten zu verschaffen, bei denen sie ordentliche Renditen erzielt. Und die repräsentative Demokratie, diese alte Hure, legt sich sofort hin und macht die Beine breit. Finanzkonzerne wie Allianz oder Deutsche Bank und Bauriesen wie Hochtief und Strabag üben immensen Druck auf den Staat aus, um das gesamte Autobahnnetz unter ihre Kontrolle zu bekommen. Politiker, Lobbyisten, Wirtschaftsunternehmen und Vertreter des Finanzkapitals sind Komplicen bei diesem organisierten Verbrechen.

Auch der Bundestag lässt sich wieder mal austricksen

Die geplante Autobahngesellschaft soll zu etwas über 50 Prozent dem Bund gehören und zu etwas unter 50 Prozent privaten Investoren. Als unabhängige Aktiengesellschaft wäre sie der Kontrolle durch den Bundestag weitgehend entzogen. Man muss sich das schon einmal auf der Zunge zergehen lassen: Das Parlament wird am Ende einer Lösung zustimmen müssen, der zufolge es nichts mehr zu sagen hat. Es verzichtet ohne Not auf seine Kontrollfunktion. Die repräsentative Demokratie zerlegt sich nach und nach ganz von selbst.

Die Verträge, die die Autobahngesellschaft mit den privaten Unternehmen schließt, sind nach dem Muster der bei vielen Investitionen längst praktizierten Vereinbarungen der Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP). Deshalb lohnt es sich, diese Verträge einmal näher zu betrachten; denn nirgendwo tritt der blanke Irrsinn politischer Entscheidungen in den entwickelten repräsentativen Demokratien unverhüllter zutage als beim angeblich so genialen Finanzierungsmodell der Public-Private Partnerships (PPP).

Bei fünf von sechs in ÖPP gebauten Autobahnen sei es zu Mehrkosten von fast zwei Milliarden Euro gekommen, monierte der Bundesrechnungshof (BRH) im Jahr 2013. 2016 legten die Rechnungsprüfer nach - und zwar ausgerechnet in einem Gutachten zur Planung von ÖPP-Projekten, das sie gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium verfassten. Das allerdings ließ sich dadurch nicht schrecken und verlegte sich darauf, alles abzustreiten: "Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVI) bestreitet auch weiterhin die seitens des BRH benannten Mehrkosten."

So seien bei ÖPP-Projekten im Fernstraßenbau bis 2014 nur "rund 4,4 Prozent unvorhersehbare Mehrkosten" aufgetreten. Gegenüber den erteilten "Verpflichtungsermächtigungen" hätten die Ausgaben sogar nur 1,1 Prozent höher gelegen. Und alle bis Oktober 2015 abgeschlossenen ÖPP-Projekte seien schneller fertig geworden als geplant, "im Einzelfall sogar um bis zu 2,5 Monate".

Auf den ersten Blick wirkt das Prinzip der ÖPP geradezu bestechend: Ein privater Investor baut auf eigene Kosten Autobahnen, Bundesstraßen, Ministerien, Gefängnisse, Schulen oder große Pracht- und Protzbauten wie die Elbphilharmonie in Hamburg und sorgt bis zu 30 Jahre lang für den reibungslosen Betrieb.

Die politischen Institutionen brauchen zunächst kein oder wenig Geld dafür bereitzustellen und sind scheinbar fein ‘raus. Bund, Länder oder Kommunen stottern lediglich die laufenden Kosten ab, die sie sonst selbst hätten investieren müssen.

Derzeit gibt es in Deutschland um die 250 solcher Großprojekte. Da die öffentlichen Verwaltungen kein Geld mehr haben oder meinen, nicht effizient genug zu wirtschaften, bieten sich ihnen private Investoren als Partner an. Die öffentlichen Hände versprechen sich von PPPs eine schnellere und kostengünstigere Realisierung wichtiger Projekte.

Die Investoren hingegen haben genug Geld oder können es beschaffen und sind auch in der Lage, betriebswirtschaftlich vernünftig zu operieren. Allerdings müssen sie anders als die öffentlichen Verwaltungen auch gute Gewinne machen. Und die lukrativen Verträge werden ihnen oft auch noch ohne öffentliche Ausschreibung zugeschanzt.

Die öffentlichen Verwaltungen kommen ja wegen der Schuldenbremse an keine neuen Gelder heran, möchten sich in ihrer grenzenlosen Ausgabefreudigkeit aber trotzdem nicht einschränken lassen. Schließlich wollen die nächsten Wahlen gewonnen werden. Die demokratische Politik braucht die permanente öffentliche Selbstdarstellung in spektakulären Projekten und Aktionen. Die lässt sich durch Stagnation und jahrelangen Baustopp kaum schaffen.

Ein reines Betrugsmanöver

Welchen höheren Sinn die Schuldenbremse dann allerdings haben soll, entzieht sich dem nachdenklichen Beobachter. Nur wer mit den Gebräuchen in etablierten Demokratien vertraut ist, erkennt: Die Schuldenbremse nichts als Haushaltskosmetik. Eine Form der politischen Augenwischerei. Die Haushaltswursteler der demokratischen Politik inszenieren sich unter dem ignoranten Applaus der Massenmedien als großartige Sparkünstler. Sie schaffen doch tatsächlich die "Schwarze Null", diese Teufelskerle. Dafür lassen sie sich öffentlich grandios feiern.

Unter dem Strich läuft das alles auf ein weiteres Rettungsprogramm für die Finanzindustrie hinaus, die derzeit händeringend nach Gewinn bringenden Anlagemöglichkeiten mit geringem Risiko sucht.

Obwohl sich der Staat nahezu kostenfrei Geld leihen könnte, hindert er sich durch Schuldenbremse und den Verzicht auf Steuererhöhungen für Betuchte selbst daran, die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur eigenständig zu stemmen. Die Anbetung der "schwarzen Null" bewirkt zudem, dass selbst bei Einhaltung der Schuldenbremse vorhandene Spielräume für eine Nettokreditaufnahme des Staates ungenutzt bleiben.

Es gibt massenhaft schlechte Erfahrungen mit ÖPP (Öffentlich-private Partnerschaften). Bundesrechnungshof und Landesrechnungshöfe dokumentieren: Finanzierungs- und Verwaltungskosten sind höher, die Flexibilität geringer, die Risiken ungleich verteilt.

Der Staat verzichtet darauf, öffentliche Dienstleistungen anzubieten

Die Ausweitung von ÖPP ist eine Gegenstrategie zur Stärkung der öffentlichen Investitionspolitik. Die Planung der Infrastruktur erfolgt nach Renditelogik, nicht nach gesellschaftlichem Bedarf. Transparenz und Kontrolle müssen häufig erst eingeklagt werden.

Der Staat entledigt sich personell und strukturell der Aufgabe, zukünftig öffentliche Dienstleistungen überhaupt anbieten zu können. Personelle Ressourcen und Know-how werden für immer abgebaut; der Staat wird handlungsunfähig.

Vorbild für die geplante Autobahngesellschaft ist die 2008 gegründete "ÖPP Deutschland AG". Um öffentlich-private Vorhaben anzuschieben, gründeten interessierte Kreise 2008 unter der Federführung des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die "ÖPP Deutschland AG", eine Beratungsfirma, an der sich der Staat und Großbanken, Baukonzerne und Berater beteiligen.

Ziel der Bundesregierung war und ist es, ÖPP-Projekte zu fördern. Dazu berät die ÖPP Deutschland AG ausschließlich öffentliche Auftraggeber und gibt Empfehlungen ab, wie Kommunen, Länder oder Bundesbehörden ihre Infrastrukturprojekte finanzieren können.

Die Finanzlobbyorganisation Initiative Finanzstandort Deutschland (IFD) hatte 2007 das Konzept dafür entwickelt. Die IFD beauftragte die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer mit der juristischen Konstruktion der AG, die Gutachten vorlegte, wie die Beratung für die Kommunen de facto obligatorisch wird. Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände unterzeichnen dafür eine "Rahmenvereinbarung" mit der ÖPP Deutschland. Die Kommunen können dann schnell und ohne Ausschreibung auf die Beratung der AG zugreifen.

Das Freshfields-Gutachten beschrieb auch, wie sich die gesetzlich vorgeschriebene Aufsicht über PPP-Projekte aushebeln lässt, nämlich indem man festlegt, dass im Fall einer Beratung "keine weiteren Prüf- und Kontrollerfordernisse mehr erforderlich werden". Und die Rechnungshöfe sollten sich sowieso am besten ganz ‘raushalten: So soll "der Bundesrechnungshof nach seinem Ermessen die Prüfung beschränken und Rechnungen ungeprüft lassen. Entsprechende Vorschriften gibt es auf Länderebene."

Es wiederholt sich dasselbe Ritual, nach dem im Wirtschaftsleben die politischen Voraussetzungen für das reibungslose Funktionieren der VW-Abgas-Schummelei gelegt wurden: Wirtschaft und Politik reichen einander die schmutzigen Hände, um alle Kontrollen aus der Welt zu schaffen und eine mafiöse Struktur zu etablieren, in der die Betrüger aller Ebenen frohen Mutes und ungehemmt miteinander verkehren können.

Das Gutachten regte an, "dass der jeweilige Rechnungshof z.B. auf eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeitsberechnung … verzichten kann, weil er keinen Anlass für die Fehlerhaftigkeit der Berechnung … sieht und von deren Fehlerlosigkeit ausgeht". Ein solches Maß an Unfehlbarkeit beansprucht in der übrigen Welt nur noch der Papst für Erklärungen, die er ex cathedra verkündet … und bezieht dafür von vielen Kritikern heftige verbale Prügel.

Und schließlich:

Die Zertifizierungswirkung gegenüber den Kommunalaufsichten könnte sich dahingehend entfalten, dass die Kommunalaufsicht bei PPP-Projekten … ihren Prüfungsmaßstab verringert oder diesen PPP-Projekten grundsätzlich ohne Prüfung zustimmt." Die Innenministerien der Länder könnten eine Weisung erteilen: "Die Prüfaufsicht könnte also durch Verwaltungsvorschrift beschränkt werden.

Der deutsche Steuerzahler finanzierte die ÖPP Deutschland AG zunächst mit über 10 Millionen Euro. Insgesamt erhielt die ÖPP Deutschland AG für Grundlagenarbeit und Beratungsleistungen noch einmal fast dreieinhalb Millionen Euro vom Staat. Kein Zweifel: Damit hat der Staat sich als Financier für den Lobbyismus der Industrie missbrauchen lassen. Der Staat hat sich zum willigen Helfer der Lobbyisten gemacht.

An der ÖPP Deutschland hält der Staat mit 57 Prozent die Mehrheit. 43 Prozent gehören der privaten Wirtschaft. Die spezielle Konstruktion ist also zugleich privat und öffentlich. So kann die AG bei ihren Kundenberatungen stets ihren staatlichen Charakter betonen. Das Etikett der Staatlichkeit erweist sich als nützlich; denn die Kundschaft sind Gemeinden, Städte, Länder und der Bund.

Die ÖPP Deutschland AG agiert in einem Geschäftsfeld, in dem die Platzhirsche eben jene Konzerne und Banken sind, die sich an ihr beteiligen: rund 70 Firmen von der Deutschen Bank, der Commerzbank, dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband, der Arvato, Bilfinger Berger, Dussmann Service, Hochtief bis zum Hauptverband der Deutschen Bauindustrie - versammelt ist so ziemlich alles, was in der Industrie und Finanzgewerbe Rang und Namen hat.

Die Wirtschaft und die Lobbyisten haben sich im Staat eingenistet

Der Markt mit öffentlich-privaten Partnerschaften wurde so für Banken, Berater und Baukonzerne immer größer. Die ÖPP Deutschland AG ist der lebende Beweis dafür, dass sich die Wirtschaft immer tiefer in den Staat einnistet. Dort leistet sie, gewissermaßen verkleidet als neutrale Beratung, systematische Lobbyarbeit für die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. So nach und nach schafft sich die Demokratie selbst ab. Und die Vertreter des Staates spielen dabei die Rolle der Steigbügelhalter.

Kritische Experten bezeichnen die ÖPP Deutschland AG als "zwielichtig". Dass sich so viele Politiker trotzdem darauf einlassen, hat einen einzigen Grund. Durch die Stückelung der Zahlung über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren lassen sich Haushaltsbeschränkungen umgehen und Lasten in die ferne Zukunft verschieben.

In der Regel versprechen die privaten Unternehmen die Rückgabe des öffentlichen Eigentums nach 15 bis 30 Jahren. Bis es so weit ist, können die privaten Investoren es nach Belieben ausquetschen und unterliegen dabei noch nicht einmal einer demokratischen Kontrolle.

Dabei sind die meisten PPP-Projekte für die öffentliche Hand wesentlich teurer als eine Eigeninvestition. Das haben der Bundesrechnungshof und die Landesrechnungshöfe für die Mehrzahl der Projekte festgestellt.

Dass profitorientierte Wirtschaftsunternehmen teurer sein müssen als kostenorientierte Behörden, hätte man sich eigentlich von Anfang an denken können. Schließlich müssen die gute Gewinne erzielen und bekommen Kredite zu schlechteren Bedingungen als die öffentliche Hand. Aber wie soll man das demokratisch gewählten Volksvertretern auf der verzweifelten Suche nach Geldern und Problemlösungen klarmachen?

Die sind doch heilfroh, wenn sie irgendwo auf Geldquellen stoßen und fragen nicht nach irgendwelchen Spätfolgen. Und die wollen doch gar nicht kostengünstig operieren. Hauptsache der Geldfluss kommt wieder in Gang, und sie selbst sind aus dem Schneider. Das ist der Fluch der Konstruktion, dass die gewählten Repräsentanten nicht mit ihrem eigenen Geld haften, keinerlei Verantwortung tragen und nach Belieben über das Geld fremder Leute verfügen.

Dabei greifen die Politiker auf ihre altbewährten Ganoventricks zurück, mit denen sie schon immer die Bevölkerung hinters Licht geführt haben: Am Anfang jedes PPP-Projekts wird alles kleinklein gerechnet, die richtig gewaltigen Kosten kommen erst nach ein paar Jahren auf die Steuerzahler zu.

Die Repräsentanten bürden also die hohen Kosten künftigen Generationen auf und behaupten auch noch dreist, dass sie genau das mit der Schuldenbremse verhindern. Die Schulden werden langfristig nicht weniger, sondern mehr. Eine "Finanzierungsillusion" nennt das Holger Mühlenkamp, Ökonomie-Professor an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Für ihn steht fest1:

Da ist eine große Koalition aus Politik, Industrie und Bankenwirtschaft auf Kosten des Steuerzahlers am Werk.

Nackte Bürger-Verarschung müsste das ein nicht so professoraler Beobachter nennen. ÖPP liefert kurzfristig einen Ausweg. Allerdings nur kurzfristig. Langfristig bindet man so die Haushalte auf unabsehbare Zeiten.

Alle Rechnungshöfe halten PPP-Projekte für wirtschaftlichen Unfug

ÖPP ist ein Paradebeispiel für erfolgreiche Lobbyarbeit auf Kosten der Steuerzahler und der öffentlichen Haushalte. Dabei treffen kurzfristige Interessen der Lobbyarbeit auf ebenso kurzfristige Interessen der herrschenden Politik. Ohnehin ist der "kurze Atem" das Charakteristikum aller Politik in entwickelten repräsentativen Demokratien.

Der große Vorteil aus Sicht der gegenwärtig regierenden Politik ist es, dass die ihre Projekte jetzt bekommt und die Lasten der Finanzierung erst in der Zukunft eintreten. Nach demselben Muster hat die Politik der demokratisch gewählten Repräsentanten die Bestandsverschuldung des Bundes auf über zwei Billionen Euro hochgetrieben und macht nun unbeirrt weiter wie bisher.

Wiederholt stellte der Bundesrechnungshof fest, dass die öffentlich-privaten Partnerschaften sich für die öffentliche Hand überhaupt nicht rechnen. Bei genauem Hinsehen stellten die Prüfer des Bundesrechnungshofs ernüchtert fest, dass die Zahl der Fehlschläge ungefähr genauso groß ist wie die Zahl der Projekte. Die Mehrkosten für die Bürgerinnen und Bürger gehen in die Milliarden: Fünf von sechs Projekten verursachen Mehrkosten von über 1,9 Milliarden Euro. Das Geld hätte man sparen können, wenn man die Projekte rein öffentlich umgesetzt hätte. Ihre Trickserei lassen sich die politischen Repräsentanten also auch noch teuer von den Steuerzahlern bezahlen.

So war etwa beim Ausbau der A1 die ÖPP-Variante nicht, wie das Bundesverkehrsministerium behauptete, um rund 40 Prozent günstiger als die konventionelle Finanzierung, sondern um 28 Prozent teurer, wie der Bundesrechnungshof konstatierte. Beim Ausbau der A4 an der Landesgrenze von Hessen nach Thüringen sprach man von einem Kostenvorteil von knapp 32 Prozent. Die Prüfer allerdings kamen auf ein Minus von 12,4 Prozent.

Die offiziellen "Berechnungen" der Ministerien und der privaten Investoren sind nichts als besonders eindeutige und schlampige Formen der Schönrechnerei. Tatsächlich berichten der Bundesrechnungshof und die Rechnungshöfe der Länder seit 2006 praktisch jedes Jahr über diese milliardenschwere Verschwendung von Steuergeldern. Doch die Politik ist dagegen völlig erkenntnisresistent. Sie ignoriert die Berichte der Rechnungshöfe. Die Eigendynamik demokratischer Entscheidungs- und Verschleierungsprozesse ist stärker als die Stimme der haushaltspolitischen Vernunft.

Warum Bund, Länder und Gemeinden trotz allem an dem umstrittenen Modell festhalten, lässt sich nur noch mit haushaltstechnischen Fehlanreizen erklären: Im traditionellen Verfahren müssten die Kredite für ein Projekt sofort als Schulden verbucht werden, bei der ÖPP fällt jährlich nur die Rate an den privaten Partner an. Die Schuldenbremse wird so wirksam umschifft.

Darüber hinaus sind die PPP-Projekte unsinnig, weil bei ihnen die Kontrolle durch Kämmerer und Haushaltspolitiker wegfällt. Ihren Job machen ja nun die privaten Investoren. Und die sind wahre Künstler des hohe Gewinne verheißenden kreativen Schönrechnens. Die Projekte helfen so Politikern, sich Infrastruktur-Denkmäler aus Stein und Beton zu errichten, die bei konventioneller Finanzierung am Widerstand der Kämmerer und Haushaltspolitiker gescheitert wären.

PPP stellt eine verdeckte Privatisierung öffentlicher Aufgaben dar, deren höhere Kosten sich auch durch fiskalische Tricks wie Schattenhaushalte auf Dauer nicht verbergen lassen. Sie ist ein Raub am Gemeineigentum, ein Ausverkauf der Zukunft und eine Bankrotterklärung der demokratischen Politik. Den Konzernen und Banken sichern die Partnerschaften zwischen privaten Investoren und der öffentlichen Hand jahrzehntelang üppig fließende Pfründe auf Kosten der Steuerzahler.

Die Lobbyisten locken mit Wirtschaftlichkeitsvergleichen, die Kosteneinsparungen von bis zu 25 Prozent ausweisen. Doch die angeblichen Effizienzvorteile sind reine Luftnummern, in denen lauter Kaiser ohne Kleider umherwandeln.

Die privaten Investoren selbst investieren oft nur zehn Prozent, sind also in Wahrheit gar keine Investoren. Die erhöhten Kreditkosten, der garantierte Gewinn, die Beraterhonorare, der Preis für den Wirtschaftlichkeitsvergleich fließen in die Mietkosten ein. Und die zahlt die öffentliche Hand. Sie bezahlt also Miete auf einen schlechteren Kredit als sie selbst haben könnte. Absurd.

Mit Geheimhaltung wird die Demokratie weiter ausgehöhlt

Nebenbei muss die öffentliche Hand noch auf ihr "Reklamationsrecht" verzichten (Einredeverzicht); denn die Banken wollen nichts mit den Mängeln am Bau zu tun haben. Es profitieren wie immer die Großkonzerne, die Berater, die Wirtschaftsprüfer, Anwaltskanzleien und Banken.

Die PPP-Verträge sind zu allem Überfluss auch noch immer geheim. Es gehört zu ihren typischen Merkmalen. Über ihren Inhalt wird stets absolute Geheimhaltung vereinbart. Noch nie wurde ein PPP-Vertrag den Abgeordneten vor einer Abstimmung in vollem Umfang vorgelegt.

Man muss sich die Absurdität der Situation vor Augen führen: Die politischen Repräsentanten müssen über Verträge abstimmen, deren Inhalt sie gar nicht kennen. Das öffentliche Interesse wird dem privaten Geheimhaltungsinteresse untergeordnet. Öffentliche Güter in Privathand sind jeder demokratischen Kontrolle entzogen. Die Demokratie schafft sich selbst ab.

Die demokratisch gewählten Repräsentanten höhlen aktiv und systematisch die Demokratie aus. Sie selbst machen das. Sie sind die größten Feinde der Demokratie. Und allmählich scheinen das große Teile der Bevölkerung auch zu erkennen. Einmal mehr zeigt sich, dass die parlamentarischen Gremien ebenso wie die kommunalen Instanzen nur dazu da sind, längst getroffene Entscheidungen der Regierungen und Verwaltungen abzunicken. Sie sind reine Abnickvereine.

Und sie entmannen sich dabei selbst; denn es geht um knappes öffentliches Geld, und es wäre eine der Kernaufgaben der Parlamente in einer intakten Demokratie zu überprüfen, ob die Exekutive mit den öffentlichen Geldern sinnvoll und ökonomisch effizient umgeht.

Doch wie sollen die Parlamentarier das überprüfen können, wenn sie Verträge abnicken, deren Inhalt auch für sie selbst geheim bleibt? Die parlamentarische Kontrolle wird zu Gunsten der privaten Wirtschaft ausgehebelt. Die Parlamente verzichten klaglos auf die parlamentarische Kontrolle. Sie töten die letzten Überreste an demokratischer Kontrolle. Und sie tun das, ohne auch nur aufzumucken; denn sie haben sich längst daran gewöhnt, dass sie nur zum Abnicken da sind.

Die PPP-Projekte werden ohne jede öffentliche Diskussion initiiert. Die Parlamentarier oder Stadtverordneten entscheiden über das Projekt nur per Grundsatzbeschluss. Wenn sie wenigstens ehrlich wären, müssten sie also sagen: "Wir sind dafür, aber keine Ahnung, worum es überhaupt geht. Unsere Doofheit kennt keine Grenzen." Aber selbst dazu reicht es nicht.

Wenn sie die Verträge doch einsehen dürfen, dann nur mit von den Beratern und Anwälten vorgenommenen Schwärzungen der kritischen Geheimpassagen. Selbst die Kommunalaufsicht, die als Aufsichtsbehörde ein Vertragswerk genehmigt, kann nicht zweifelsfrei sicher sein, ob ihr alle Unterlagen und Informationen zugeleitet werden.

Die Geheimhaltung nützt einzig und allein den privaten Partnern: Nur weil die Öffentlichkeit keine Einsicht bekommt, können die privaten Partner ihre Gewinninteressen in den Verträgen ungehemmt durchsetzen. Die Geheimhaltung ist also der Nährboden, auf dem die negativen Auswirkungen von PPP überhaupt erst gedeihen können.

Ohne Geheimhaltung könnten die Verträge gar nicht zu einem so lukrativen Geschäft werden und würden meistens nicht zu Stande kommen. Geheimhaltung widerspricht jedoch den grundlegenden Prinzipien eines demokratischen Staats.