Die Stadtluft wird dünner

Wird in Wien/Aspern bis 2018 errichtet. 24 Geschosse; Hybridbauweise aus Beton mit angedockter Holzkonstruktion. Mischnutzung. Bild: OLN OFFICE LE NOMADE, Entwurf: RLP Architekten

Der Hochhausbau verstärkt die Defizite, die er beseitigen soll - Teil 2

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Ging es im ersten Teil um den Ursprung der Wolkenkratzer, deren Geschichte im Wechselspiel von Kapital und Öffentlichkeit begründet ist, wird nun in Anbetracht des zunehmenden Wohnungsmangels die Übertragbarkeit insbesondere auf Europa überprüft. Bietet die nachholende Entwicklung Chancen, oder werden Möglichkeiten der Stadtentwicklung verbaut?

Glas und Grün

Sind Hochhäuser Käfige der Verdichtung? Es gibt Versuche zu entkommen. Über der Maas erhebt sich das von Rem Koolhaas (OMA) entworfene Turmtrio 'De Rotterdam'. Auf einem der Rücksprünge bildet eine große Terrasse eine Piazza aus, welche auch die Öffentlichkeit einlädt zum Verweilen zwischen Fluss und Stadt. Der gemischt genutzte Komplex bietet dazu den Mietern eine zweigeschossige Halle als eine Art kollektives Wohnzimmer. Diese Architektur ist inklusiv, nicht exklusiv.

"De Rotterdam" von Rem Koolhaas / OMA. Bild: Jeroen Komen. Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Peter Handke spricht von der "Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt". Was bei ihm Satzspiele sind, waren bei Mies van der Rohe Lichtspiele. In seinen Entwürfen von 1921/22 für ein Hochhaus an der Friedrichstraße lässt er die gläserne Fassade vor und zurückspringen und -schwingen, um durch den wechselnden Einfall, die Reflexion und die Brechung des Lichts den Raum in eine kinetische Erfahrung zu verwandeln. Walter Gropius umschreibt diese Erfahrung als "fließenden Raum":

Man bevorzugt heute eine Transparenz, die durch große Glasflächen, hervortretende und sich öffnende Teile des Bauwerks erreicht wird. Diese Transparenz sucht die Vorstellung eines fließenden Raumkontinuums zu erzeugen. Das Gebäude scheint zu schweben und der Raum hindurchzuströmen. Die architektonische Raumkomposition (greift) in die Umgebung hinaus. Der Raum selbst scheint sich zu bewegen.

Was an Stelle der nicht realisierten Entwürfe dort 2009 errichtet wurde, ist ein skandalbehaftetes Schrecknis. Immerhin haben sich bereits1965ff. Schüler von Mies mit einem 200 m hohen Wohnturm in Chicago an einem seiner Entwürfe orientiert, wenn auch in megalomanischer Aufblähung.

Der "Lake Point Tower" von J. Heinrich und G. Schipporeit, im Geiste Mies van der Rohes konzipiert. Chicago; Fertigstellung 1968. Bild: Daniel Schwen. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Die Nachhaltigkeitsdebatte hat auch die Hochhäuser erreicht. Neue alte Materialien kommen ins Spiel wie Holz. Die Höhenrekorde überbieten einander. In London werden 80 Stockwerke angepeilt. Empfohlen sind jedoch Verbundsysteme mit Beton und/oder Stahl. Modulare Bauweise ist möglich. - Mit Häusern kann auch das Grün in der Vertikale wachsen. Farmscraper sind Turm-Gewächshäuser, die nach den Vorstellungen von Vincent Callebaut auch von Menschen bewohnt und bewirtschaftet werden könnten. Die Gärten liegen vor der Wohnungstür. Das erinnert an eine mehr als 100 Jahre alte Idee: Ein Gerüst wird bereitgestellt, um Eigenheime übereinander zu stapeln. Die Architektur verzichtet auf Vorgaben. Jeder gestaltet seine Etage selbst. Schon beim "Crystal Palace" von 1851 stand der Gewächshausbau Pate.

Das bekannteste Exempel einer vertikalen Begrünung ist das Wohnhaus Bosco verticale in Mailand. Der Architekt, Stefano Boeri, hat daraus das noch fiktive Modell einer grünen Stadt entwickelt, die im Anflug wie ein lichter Wald aussieht. Bis auf das letzte Beispiel behandeln auch die ökologischen Vorschläge Hochhäuser gleich welcher Bauart stillschweigend als Solitäre und abstrahieren vom städtebaulichen Zusammenhang. Hochhäuser fliehen die Straße und suchen ihr Heil im Himmel. Und genau hierin liegt eine Chance, die beim routinemäßigen Hochhausbau verfehlt wird.

Die neue wilde Architektengruppe Archigram hatte in den 60er Jahren eine Stadt auf Stelzen vorgeschlagen, die sich fortbewegen kann. Oder eine Stadt über der Stadt. Warum nicht die Anregung aufgreifen, um Cluster von Turmbauten durch Auskragungen oder Korridore bzw. Brücken miteinander zu verbinden? Eine neue Urbanität könnte sich durch die Begegnung in den Lüften entwickeln, bis hin zum Dancefloor. Ansatzweise hat das Steven Holl im Ensemble "Linked Hybrid" in Peking realisiert. In kleinerem Maßstab, bis zu 43m Höhe, wird es am legendären Berliner Holzmarkt durchgeführt. Fünf Türme mit Holzfassaden werden auf wechselndem Höhenniveau durch einen Erlebnisweg, den Bergpfad, verbunden, der das Ensemble für Flaneure erschließt und sich zu unterschiedlich gestalteten Räumen aufweitet, die dem Austausch und der Erholung dienen.

Demokratische (Selbst-) Entmachtung der Öffentlichkeit

Als Hochhaus gilt gemeinhin, was die Reichweite von Feuerwehrleitern übersteigt (22m plus). Der Höhenrausch (über 150m) setzte in Europa im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts ein. Zeitgleich jonglierte eine postmoderne Image-Architektur mit kunstgeschichtlichen Zitaten in einer Beliebigkeit, die bis zur Geschichtslosigkeit abstrahiert wurde. Die Tour d'horizon durch die Stile bekam eine Höhendimension. "Tour-de-Force"-Türme überboten einander. Die Entwurfsideen waren so dünn, wie die geborgten Symbole groß waren, schreibt Huxtable.

Einstmals Brache mit alternativem Partytreiben, künftig "Erlebnispfad": das "Eckwerk" am Berliner Holzmarkt. Bild/Rendering: GRAFT GmbH

Wirtschaftspolitisch setzte sich der Neoliberalismus à la Thatcher und Reagan durch. Hochhausbau wurde mehr denn je von der Grundrendite aus betrachtet. Auf möglichst wenig Fläche ist möglichst viel unterzubringen. Vergessen ist seitdem der über 100 Jahre alte Grundsatz von Camillo Sitte: Einzelne Bauten können noch so gelungen sein, aber wenn eine Abstimmung mit der Parzellierung unterbleibt, werden die Städte zerstört.

Die europäischen Städte bringen schlechte (Grund-)Voraussetzungen für dieses "monetäre Design" mit. Die neue Geschichtslosigkeit passt nicht zum gewachsenen Stadtgrundriss. Im Hinblick auf die Berliner Situation sagt David Chipperfield:

Investoren entscheiden sich instinktiv für das Konventionelle, Konservative. Der freie Markt hat die Tendenz, den obersten Stadtplaner zu entmachten.

Es geht alles ganz legal zu. Das neue Frankfurt ist nicht das alte Chicago. Es gibt Hochhausentwicklungspläne, Rahmenpläne und überhaupt das Baurecht. Wie kommt es, dass die Frankfurter Stadtplaner bereits mit den ersten bescheidenen Hochhausbauten in den 50er Jahren beklagten, von den Investoren "überfahren" worden zu sein? Wie kommt es, dass die Richtlinie, wonach kein Bauwerk höher als der Dom mit 95 m sein dürfe, Anfang der 70er Jahre gebrochen wurde und dass der Stadtplanung seitdem bescheinigt wird, nicht mehr "Herr des Gestaltungsgebietes"1zu sein?

"Linked Hybrid", Peking, von Steven Holl. Eröffnet 2009. Bild: Lian Chang. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Es liegt an der Abstraktion der Texte von der Realität. Der Öffentlichkeit werden zur Beruhigung die geschriebenen und beschlossenen Texte vorgehalten. Aber die Rahmenpläne sind eher schöngeistige Literatur und entpuppen sich irgendwann, wenn das öffentliche Interesse abgeflaut ist, als Makulatur, und die konkreteren Bebauungspläne werden im Klein-Klein der Aushandlungsprozesse in eine Kette von Revisionen und Ausnahmegenehmigungen aufgelöst. Hat der eine Investor ein paar Stockwerke mehr bekommen, kann der nächste sich darauf berufen und baut noch höher.

Die Ausnahmen sind die eigentliche Legitimation der Hochhäuser. Hans Kollhoff: "Wenn jeder Investor tun und lassen kann, was er will, braucht man gar keinen Bebauungsplan." Der Berliner Architekt verfolgt jedoch eine eigene Linie. Er bietet Hochhäuser im Dutzend an, gern auch im Retro-Stil.

CCTV-Gebäude (2009) in Peking. Architekt: Ole Scheeren / OMA. Bild: Dmitry Fironov/Castelfranco. Lizenz: CC-BY-SA-4.0

Die scheibchenweisen Genehmigungsvorgänge laufen im Rücken öffentlicher Fokussierung ab. Die Beteiligung der Öffentlichkeit erschöpft sich, wie Huxtable schon für die USA konstatierte, in Ritualen von Aufregung und Einschläferung - durch nebensächliche Zugeständnisse wie "Grün-Pflästerchen".

Nachdenkpause

Angst ist ein schlechter Berater auch beim Städtebau, und Erpressbarkeit macht ängstlich. Der Wanderzirkus der Global Player droht gern damit, dorthin zu ziehen, wo es günstiger ist. Wer sich niedergelassen hat, bricht seine Zelte ebenso schnell wieder ab. Im Hochhausbau geschieht der Wechsel häufig schon vor Inbetriebnahme. Der neue Eigentümer fühlt sich an die Auflagen nicht mehr gebunden und verhandelt neu. Frankfurt ist besonders abhängig von den selbst aufgebauten Monostrukturen. Nach der Wende drohte der Wegzug der Bundesbank. Knapp zehn Jahre später pokerte die Stadt erfolgreich um die Mutter aller Banken, die EZB. Das kostete einen Einsatz zur Pflege der Bankenlandschaft und ihrer Raumbedürfnisse.

Simulation der Skyline von London. Der Bau des "Pinnacle" (Mitte) stockt. Rechts "The Gherkin" (Essiggurke), wie der Volksmund das Werk von Foster and Partners taufte. Linkes Bild: Wjfox. Lizenz: CC-BY-SA-2.5. Rechtes Bild: H005. Lizenz: CC-BY-SA-4.0

"Ausgleichszahlungen" von Investoren setzten bisher manche Vorschrift außer Kraft. Die Auflage, einen Teil des Bauvolumens für Wohnungen bereitzustellen, konnte durch Wohnungsbau an der Peripherie "kompensiert" werden. Eine ernsthafte Abkehr von der funktionsgeteilten Stadt hat bisher nicht stattgefunden. Zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit (Konsum) bleiben die Wege lang. Die Parolen der 70er Jahre: "Urbanität durch Dichte" und "autogerechte Stadt" sind noch in Kraft. Bestenfalls findet eine Umschichtung statt, eine neue sozialräumliche Spreizung.

Apartments in den mittleren Etagen, weiter Büros und öffentliche Nutzungen, z.B. ein Restaurant. Der Bau in Frankfurts Mitte hat begonnen. Urheber: BIG - Bjarke Ingels Group

Denn Wohntürme im Innenstadtbereich sind nicht die Lösung der neuen Wohnungsnot, wie Baudezernenten gerne behaupten. Diese Türme bieten Komfort-Wohnungen für die gehobene Mittelschicht, wenn nicht gar die jetsettende Oberschicht, welche wie in New York Kapitalanlagen in der Übergangszeit zwischen Finanzkrise und neuer Immobilienblase sucht. Da entwickelt sich eine gepflegte Kultur des Leerstandes. Von solchen Immobilien gehen Preissteigerungen in konzentrischen Ringen aus. Wohnungsbauexperten ist schon jetzt klar, dass Wohnhochhäuser, zumal wenn sie im sozialen Wohnungsbau errichtet werden, besser an der Peripherie aufgehoben sind.

Alles wie gehabt? Bernhard Schulz forderte jüngst im Berliner "Tagesspiegel" neue Großwohnsiedlungen Die bestehenden waren bisher als "Platte" gebrandmarkt. Über deren Aktualität nachzudenken, wird erlaubt sein, ebenso wie über die Schließung von Baulücken, die Aktivierung von Brachflächen, die Aufstockung von Häusern und kleinere Wohnflächen. Dazu gehört auch der Umbau von nicht mehr genutzten Bürogebäuden.

Zhengzhou / China. Bild: Qilainik. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Was aber nicht geht, ist Wolkenkratzer als Wundermittel anzupreisen und schnell ein paar hierhin und ein paar dorthin zu streuen, obwohl die Stadtgesellschaft bisher nur emotional und noch nicht reflektiert reagieren konnte. In München führte ein Bürgerentscheid von 2004 dazu, dass der Hochhausbau (über 100 m) zumindest ausgebremst und aus der Innenstadt herausgehalten wurde. Das Mittel des Volksbegehrens könnte auch anderswo helfen, um ein Moratorium herbeizuführen. In Ruhe wäre - auch mit Investoren - zu erörtern: Was wollen wir bauen, wo wollen wir es bauen und wie viel? Das schüfe ein urbanes Selbstbewusstsein, frei von Protz.