Die Stasi und ihre operative Zusammenarbeit mit westdeutschen Rechtsterroristen und Neonazis

Seite 2: Das Beispiel Odfried Hepp

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Der bekannteste Rechtsterrorist Odfried Hepp war wie zahlreiche andere seiner Mitstreiter für die Stasi spätestens seit 1980 weder nur ein abzuschöpfender Informant oder kleiner Spitzel, der seine Leute aushorchte, noch brachte ihn die Stasi - wie es die Legende in Dokumentarfilm und Buch über sein Leben verbreitet5 - auf den "guten Weg". Vielmehr reihte auch er sich nachweislich als Stasi-Agent aktiv in die operative Destabilisierungsfront ein, mit seinen rechtsradikalen Kameraden zunächst in der von der Stasi geförderten Hepp-Kexel-Gruppe, dann bei den militanten Palästinensern im Nahen Osten.6

Mit dem Film erhielt Hepps ehemaliger Stasi-Führungsoffizier Eberhard Böttcher eine Plattform, auf der er unwidersprochen seine Legende verbreiten konnte: Er hätte mit den besten Absichten den verirrten Hepp (IMB "Friedrich") auf den "richtigen Weg des gerechten Friedenskampfes" bringen wollen. Doch in den Akten findet sich für diese Legende einer behaupteten "Umerziehung" keine Spur. Im Gegenteil. Hepp war und blieb nach Jahren der Zusammenarbeit auch in den Akten ein "Rechtsextremist".7

Die Stasi-Akten zeigen, dass ab Anfang der 80er Jahre Links- und Rechtsextreme nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stärker" einander näher rückten. Odfried Hepp räumte dies in einem Interview aus dem Gefängnis 1983 ein: Im antiimperialistischen Kampf "haben wir nur eine Chance, wenn die Rechtesten und die Linkesten zusammenkommen".8

Der Aktenforscherin in der BStU werden von 15 Ordnern zu Hepp die mit der Nummer 10 und 11 zur Gänze und hunderte von Seiten zwischendurch nicht ausgehändigt. Diese Ausdünnung weist darauf, dass eine vollständige Aufklärung zu Hepp nicht erwünscht ist. Verständlich einerseits, denn Hepp war schließlich Doppelagent, tätig auch für den Verfassungsschutz. Doch ganz deutlich wird, dass auch die klare Realität über das Verhältnis Hepp- Stasi unklar bleiben soll.

Als Hepp sich 1982 vor einer Polizeiverfolgung in die DDR absetzt, kann man in den Akten lesen, dass Führungsoffizier Böttcher eine "qualitativ operative Nutzung" des Hepp gewährleisten will.9 Das ist eine deutliche Aussage: Hepps Dienst wird nicht auf das Schreiben von Spitzelberichten beschränkt sein.

Hepp trifft sich in diesem Jahr mit Böttcher sieben Mal, fast immer für sieben, elf, dreizehn Stunden, alle ausführlich dokumentiert. Nie in Berlin, immer in einem der "konspirativen Objekte" umliegender Kleinstädte. In Zukunft sollten die Treffs im drei-Monats-Abstand ablaufen. Über konkrete Aufträge erfahren wir aus den - ausgedünnten - Akten nichts. Das sind keine bei der Wende vernichteten Akten, das sind vorhandene Akten, über deren brisante Teile nichts bekannt werden soll.

Die "Hepp-Kexel-Gruppe": Bombenanschläge gegen US-Einrichtungen

Von diesen regelmäßigen Treffs bereits im Jahr 1982 zu wissen, ist deshalb sehr wichtig, weil Hepp und sein engster Kamerad Walter Kexel, führender Funktionär der "Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands" (VSBD), aus einem bis dahin nur lockeren Zusammenhalt im März 1982 die sechsköpfige "Hepp-Kexel-Gruppe" bildeten, eine terroristische Vereinigung zu der auch Dieter Sporleder, Ulrich Tillmann, Helge Blasche, Hans-Peter Fraas gehörten. Bis dato standen die Aktivitäten von Hepp und Kexel noch unter einem uneingeschränkten Bekenntnis zum Nationalsozialismus und für den "Boykott israelisch-jüdischer Geschäfte". Doch die Gruppe beginnt nun, just nach dem vertieften Kontakt mit der Stasi, ein anderes politisches Vokabular zu benutzen und gezielt Sprengstoffanschläge auf US-Einrichtungen, US-Soldaten und Raubüberfälle zu verüben.

Am 10. Oktober 1982 fliegen in einer amerikanischen Wohnsiedlung in Frankfurt fünf Autos in die Luft, eine Woche später drei weitere und am Ende des Monats explodiert eine Zeitzünderbombe in einer Militärsiedlung in Gießen, 20 Autos werden zerstört. Nur zufällig kommt kein Mensch zu Schaden.

Im Dezember ereignet sich eine ganze »Serie von Sprengstoffanschlägen gegen amerikanische Militärangehörige und Einrichtungen der US-Armee im Rhein-Main-Gebiet«, mit der die Polizei die Fahndungen nach der Hepp-Kexel-Gruppe verschärft. In fünf bewaffneten Banküberfällen erbeutet die Gruppe 1982 insgesamt 766.905,- DM,10 - notwendige Summen für den kostspieligen Untergrundkampf. Das lief nicht anders wie bei Baader, Mahler und Meinhof.

Der Gruppe stellen sich umgehend erfahrene Sprengstoffexperten zur Seite. Kexel und Hepp werden verdächtigt, am 9.8.1982 an einem antisemitischen Anschlag der Abu Nidal-Gruppe11 in Paris mit 6 Toten und 22 Verletzten teilgenommen zu haben. Ein von Hepp durchgeführter Sprengstoffanschlag trifft am 17.12.1982 das Auto eines US- Armeeangehörigen in Butzbach im Raum Frankfurt. "Auf den guten Weg" gebracht wurden Hepp und seine Leute also kaum.

Auch in Sachen Terrorismus-Logistik ergibt sich im Jahr 1982 Neues: Kexel steuert Anfangskapital für die Anmietung einer konspirativen Wohnung bei. Nach unklarer Aktenlage ist es auch möglich, dass es eher die Stasi war, die mit einem "Anfangskapital" sowohl über Hepp als aber auch über Kexel der Gruppe unter die Arme griff. In den Akten finden sich (nicht geschwärzte) Spesenzahlungen an Hepp von 2400,-- DM bei einem Treff im August 1982, mitten im Terrorismus-aktiven Jahr der Hepp-Kexel-Gruppe. Zweifelsfrei weist diese hohe Summe auf eine enge o p e r a t i v e Zusammenarbeit.12 Die letzte Zahlung im Jahr 1982 beläuft sich auf 10.845,00 Mark und bezieht sich auf eine Verwendung für "Instandhaltung Konspirative Wohnung Obj.76".13 Diese Summe weist ebenfalls auf operativen Einsatz und Vertrauen zwischen der Stasi und ihrem rechtsterroristischen IM/Agenten.

Auch Kexel ist als Stasi-Agent zu vermuten. Doch Akten zu ihm seien nicht auffindbar, wie es heißt. Gleichzeitig legten die Gruppenmitglieder Waffendepots an, vier an der Zahl, alle im Stadtwald Frankfurts. Später finden sich dort rund 800 Schuss Munition, Geld und gefälschte Ausweise. Das ist der Stil paramilitärischer Geheimtruppen und auch die Linie der Linksterroristen.

Nach der "Serie von Sprengstoffanschlägen gegen amerikanische Militärangehörige und Einrichtungen der US-Armee im Rhein-Main-Gebiet"14 im Dezember 1982 verschärft die Polizei die Fahndungen. Es dauert nur einige Wochen und alle Gruppenmitglieder werden am 15. Februar 1983 in Frankfurt und London festgenommen, - bis auf Hepp, der entkommt nach Ostberlin. Die Medien berichten ausführlich und der "Stern" ahnt:

Sie haben Helfer in ganz Europa.

Die Polizei kann sogar eine konspirative Wohnung ausheben, in der sich Materialien zur Herstellung von Sprengstoff finden. Bis dahin waren derartige "Basen" unter Rechtsterroristen nicht bekannt geworden.

Das Auffliegen und Ende der Gruppe bedeutet im Gefecht des Kalten Krieges ein Sieg der geheimen Schachzüge der Verfolgungsbehörden des Westens und eine Niederlage für den Osten, dem die Destabilisierungsfront nun ein wenig geschmälert wurde. Ganz offensichtlich war die Konspiration nicht perfekt genug gewesen. Man witterte einen Verräter, der der Polizei die Aufenthalte der Mitglieder der Hepp-Kexel-Gruppe gesteckt hatte.

Die Hepp-Kexel-Gruppe hat damit nur ein Jahr bestanden. Obwohl die BRD für Hepps Ergreifung 50.000,- DM ausgesetzt hatte und die Fernsehsendung "Aktenzeichen XY" zur Mithilfe aufrief, war er nicht zu fassen. In seinem Jahresbericht 1983 kommentierte das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Gruppe zeige nach dem Vorbild linksextremistischer Terroristen "einen Grad von Konspiration, wie er bisher in der rechtsextremistischen Terrorszene noch nicht festgestellt worden war."

Also lauter wundersame Neuigkeiten im Lager des Rechtsterrorismus, seitdem die Stasi mitmischte. Doch der Aktenleser soll Jahrzehnte später diesem "Mitmischen" nicht wirklich auf die Spur kommen. Die vorgelegten Stasi-Akten verundeutlichen: Seiten fehlen, Absätze sind geschwärzt.

Ein Rechtsextremist als "Quelle" war auch für einen sozialistischen Geheimdienst nicht ehrenrührig. Ganz anders ist es aber, ihn zu Anschlägen zu animieren und als Agent Provocateur zu nutzen. Mit akribischer Konspiration sollte so etwas verborgen gehalten werden: indem man a) auch intern in den Akten konspirativ bleibt und vom Terrorismus nur entschieden ablehnend spricht und b) indem gezielte Desinformationen aus Anlass von Gerichtsprozessen nach 1989 auch in die Akten eingestreut wurden. Die "Terrorismus-Lügen" dokumentieren zahlreiche Beispiele. Zurück zu Hepp.

Reise nach Syrien

Einmal Zuflucht in der DDR gefunden, musste der in der BRD zur Fahndung ausgeschriebene Hepp nun vorerst auch bleiben. Für die Destabilisierungsfront im Operationsgebiet stand der gesuchte Hepp nicht mehr zur Verfügung. Man präparierte ihn über Monate in der ersten Jahreshälfte 1983 für eine neue Identität im Nahen Osten. Ein neuer operativer Platz wurde erarbeitet.

Wie zuvor schon die linksterroristischen DDR-Besucher brachte man auch Hepp zwischen März und Juli 198315 im Forsthaus Briesen, dem südöstlich von Berlin gelegenen konspirativen "Objekt 74", unter und traf weiterhin Einschätzungen:

Gegenüber dem MfS hat er bedingungsloses Vertrauen, er ist bereit, Aufträge, die höchste Belastbarkeit erfordern, zu realisieren. Vom Charakter her ist Hepp anpassungsfähig und kontaktfreudig. Er ist mutig, operativ geschickt und verfügt über ein hohes Allgemeinwissen.16

Am 22.7.1983 reiste Hepp als "Dieter Kersten" nach Syrien. Im Koffer eine Starthilfe über 8.000,00 Mark, eine Notfall-Telefonnummer und die feste Verabredung am 1. November im Hotel Royal in Budapest. Alles war unterzeichnet von Oberst Dahl, Chef der Abteilung XXII, der Abteilung zur sogenannten "Terrorabwehr".

Stasi-Führungsoffizier Böttcher hat mit psychologischem Geschick und mit Fürsorge seinen langjährigen Zögling fit gemacht. Später wurde er für seine hervorragenden Führungsfähigkeiten gegenüber dem Agenten "Friedrich" ausgezeichnet.

1983 werden weitere Summen an den jungen Rechtsradikalen, der nun seinen Kampf unter Stasi-Führung in den arabischen Ländern weiterführt, gezahlt: 4.5. 1.500,00 Mark, 10.6. 4.000,00 Mark, 13.6. 1.800,00, 14.6. 2.000,00, 7.11. 2.500,00, 10.12. 700,00. Nach einer größeren Lücke zwischen Dezember 1983 und dem 14.September 1984 wird "Friedrich" laut ausgedünnter Aktenlage eine letzte Summe über 2.500,00 Mark gezahlt. Ein halbes Jahr danach wird er in Paris verhaftet.