Die Top Ten der Telepolis-Artikel 2019

Gehälter bei den Öffentlich-Rechtlichen, Böhmermann, Sonneborn, Urknall, Klimaerwärmung, Fukushima …

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Es gibt vermutlich immer große Unterschiede zwischen dem, was eine Redaktion als wichtig erachtet, und dem, was von den Lesern, die ja keine einheitlich Gruppe sind, am meisten gelesen wird. Für eine Redaktion ist natürlich interessant zu sehen, welche Themen die Leser anziehen, auch wenn natürlich "die Leser" gerade bei Online-Publikationen, die kostenlos besucht werden können, bei einzelnen Artikeln keineswegs mehrheitlich aus der Stammleserschaft stammen müssen. Themen ziehen ihre Kreise über Suchmaschinen, Facebook, Twitter oder andere Seiten, die auf einen Artikel verlinken. Daher ist eine Telepolis-Hitliste für die am meisten aufgerufenen Artikel 2019 nicht notwendig ein Hinweis darauf, was mehr oder weniger regelmäßige Telepolis-Leser goutiert haben. Zudem ist die Statistik dadurch verfälscht, dass ältere Artikel länger online stehen und über die Zeit mehr aufgerufen werden als neuere Artikel.

An erster Stelle liegt, was die Visits, nicht die PIs betrifft, ein Artikel, der auch innerhalb des Verlags für Unruhe gesorgt hat. Ein der AfD nahestehender Autor, ein früherer Mitarbeiter der Deutschen Bank, der Deutsche Apotheker- und Ärztebank und Leiter der Deutschen MBA und DRZW-Moskau, hat, weil dies nicht vom verantwortlichen Redakteur nachgeprüft wurde, eine an sich richtige Analyse der Gehälter der fest angestellten Angestellten der öffentlich-rechtlichen Anstalten mit den Pensionen vorgelegt und konstatiert: "Durchschnittliche Monatsvergütung von 9.400 € höher als bei DAX-Konzernen.

Der Tenor des Artikels ging allerdings, der AfD-Ideologie gemäß, gegen den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, genannt "Staatsfunk", was auch im Politik der AfD ist, die wie andere Rechte diesen zerschlagen und nur private Sender zulassen wollen, als ob dies die Nachrichtenlage verbessern würde. Telepolis will verdeckt keine Parteipolitik der AfD - aber auch keine von anderen Parteien - propagieren, auch wenn die Kritik an den Gehältern durchaus berechtigt ist. Wir haben uns von dem Autor als freien Mitarbeiter getrennt, als klar wurde, dass er, ohne dies uns und den Lesern mitzuteilen, tief in rechten Strukturen der AfD verwurzelt war. Wir sind auch bereit, uns mit der AfD auseinanderzusetzen und haben beispielsweise den frisch gewählten Bundestagsabgeordneten Petr Bystron zum Telepolis-Salon eingeladen. Aber das muss offen geschehen.

Für uns in der Redaktion ist seitdem klar, dass wir seitdem auch aktiv stärker recherchieren, ob Autoren, die uns Artikel vorschlagen, eine verdeckte politische Agenda verfolgen. Klar ist aber auch, dass man durch solche Trojaner durchaus mehr Quote erzeugen kann, aber dass Quote nicht das ausschlaggebende Kriterium für journalistische Arbeit sein kann.

Böhmermann

Mehr PIs, aber weniger Visits hatte nach Webtrekk Peter Nowak mit "Peinlich, peinlicher, Böhmermann" vom 11. Mai. Das war auch ein Kommentar zum "Niedergang der deutschsprachigen Satire". Böhmermann agiert tatsächlich dreist-fröhlich an der Grenze. In Erdogan fand er einen Gegner, der auf ihn uncool reagierte: "Böhmermann hatte auch schon vorher bewiesen, dass er Peinlichkeiten mit Satire verwechselt. Sein Beleidigungsbrief an den autoritären türkischen Herrscher war ja ein einziges Einladungsschreiben, dafür doch bitte angezeigt zu werden. Erdogan tat ihm dann natürlich den Gefallen. Dabei wäre dieser Brief vielleicht noch als Battle-Rap junger Hip-Hopper durchgegangen. Aber was will uns ein Enddreißiger damit sagen? Dass man in dem Alter die Finger von Battle-Rap-Versuchen lassen sollte. Die türkische Kunstszene hingegen hat schon seit Jahren sehr schlaue Methoden, sich mit Erdogan und seinem Regime zu befassen. Die brauchen keine Nachhilfe von Satire-Hospitanten aus Almanya."

Was Böhmermann, Erdogan und Merkel wieder zeigen, ist, dass "Skandale" hoch rangieren. Erregungen sind interessant, vor allem wenn sie ins Persönliche gehen. Statt über Erdogans Kurdenpolitik zu reflektieren oder wie er die Opposition mundtot macht, wird ein unsägliches Gedicht über Erdogan zum Thema bis hinauf zur Bundeskanzlerin - immerhin wurde für mehr Interesse für eine kritische Auseinandersetzung geweckt. Der Kommentar wurde etwas weniger kommentiert als beim Top-Artikel. Die Zahl der Artikelaufrufe hängt oft nicht damit zusammen, wie viele Kommentare ein Artikel provoziert. Der Kommentar dürfte auch davon profitiert haben, dass er lange Zeit von Outbrain wachgehalten wurde.

Sonneborn

An dritter Stelle eine News von Markus Kompa: Sonneborn droht Erdoğan mit Migrationswaffe vom 19. Oktober. Sonneborns Partei hatte nach dem Einmarsch der türkischen Armee und ihrer zumeist dschihadistischen Milizen zu Spenden für den "Kurdischen Roten Halbmond" aufgerufen und kurz danach einen Scheck über 250.000 Euro überreicht.

Nicht das, sondern der Titel und die satirische Umdrehung von Erdogans Drohungen zogen die Aufmerksamkeit auf sich: "Der Drohung Erdoğans, Europa drei Millionen weitere Flüchtlinge zu schicken, kontert der routinierte Populist Sonneborn mit Entsendung von drei Millionen Türken aus Kreuzberg, insbesondere solche, die bei Fußballspielen militärisch grüßen. Falls Erdoğan dennoch nicht einsichtig werde, drohte Sonneborn die strategische Entsendung von drei Millionen deutschen Rentnern an."

Eine Verspätungsdurchsage in der Bahn

Rechter Shitstorm nach Nazi-Durchsage im ICE von Gerrit Wustmann am 11. Juli sorgte selbst für große Aufregung im Forum. Über 2400 Beiträge wurden gepostet, offenbar hat der Vorfall in der Bundesbahn, sowieso ein Aufregerthema, und die Darstellung einen Nerv getroffen. Es ging um den Umgang der Bundesbahn mit einer Beschwerde von Juliette F. über diese Durchsage: "Liebe Fahrgäste, unser Zug hat wegen der Entschärfung einer Bombe, die die Westalliierten auf die unschuldige Bevölkerung Frankfurts abgeworfen haben, zur Zeit fünfundvierzig Minuten Verspätung."

Nachdem die Bundesbahn nicht reagierte, kritisierte F. dies auf der Facebookseite, was bei den Rechten, die die Unschuld der Deutschen verteidigten, zu einem Schwall an Empörung und Angriffen führte. Da die Bundesbahn gelöscht hat, lassen sich solche Reaktionen noch im Telepolis-Forum nachlesen. Besonders verärgert und oft missverstanden wurde dieser Satz: "Ebenfalls mehrfach vorhanden war der Vorwurf des Denunziantentums, den Rechte immer dann gerne erheben, wenn jemand Zivilcourage zeigt und auf ihre Umtriebe öffentlich aufmerksam macht. Wie man jemanden "denunzieren" kann, der vor hunderten Fahrgästen eine öffentliche Aussage tätigt, wissen die Urheber der Beiträge wahrscheinlich ebenso wenig, wie ihnen verständlich ist, dass die alliierten Bomben im Jahr 1945 eine Nation aus Mitläufern und Mittätern, die das Naziregime erst ermöglicht haben, dorthin befördert haben, wo sie hingehört - und bleiben wird."

Fukushima und die Folgen der Atomenergie

An Platz 5 nach den Visits, allerdings bei den Pis alle anderen wegen der Bildstrecke in den Schatten stellend, kommt ein ganz anderer Artikel vom 19. Februar 2019: "Fukushima: Roboter berührt erstmals geschmolzenes Material in Reaktor 2. In der unendlichen Geschichte der Aufarbeitung des Atomunfalls wurde damals ein Durchbruch erzielt, als mit einem Roboter Bilder und Messungen vom Inneren des Reaktors 2, wo sich eine Kernschmelze ereignet hat, gemacht werden konnten.

Der Erfolg zeigte aber auch, dass auch nach 8 Jahren der Zustand der von Kernschmelze betroffenen Reaktoren noch weitgehend unbekannt war - und man, wie auch jetzt noch, weit entfernt von einem Rück- und Abbau geschweige denn der Lagerung des hochradioaktiven Materials ist. Auch wenn das Bauen von AKWs immer länger zu dauern scheint, so ist deren Abbau eine Frage von vielen Jahrzehnten.

Ein bisschen Bewegen

Wir alle sitzen vor allem, meist vor unseren Rechnern und anderen Bildschirmen. Daher ist wenig verwunderlich, wenn ein Artikel mit dem Titel "Senkt Bewegung das Gesundheitsrisiko vom langen Sitzen?" Aufmerksamkeit findet. US-Wissenschaftler wollen jedenfalls herausgefunden haben, dass anstrengende körperliche Aktivität wie Joggen langes Sitzen nicht kompensieren kann, es hilft auch leichte Bewegung, die öfter ausgeführt wird, nur mal öfter Aufstehen bringt aber auch nichts: "Dagegen würde schon alleine eine leicht anstrengende Bewegung nach 30-minütigem Sitzen ausreichen, um das Risiko für einen vorzeitigen Tod um 17 Prozent zu senken. Bewegt man sich mäßig oder sehr anstrengend, dann würde das Todesrisiko sogar um 35 Prozent geringer. Es spielt nach dieser Studie keine Rolle, wie anstrengend die körperliche Bewegung ist, und auch nicht, wie lange man sie ausübt. Schon ein bis zwei Minuten hätten eine positive Wirkung." Also damit könnte man doch leben, wenn es denn stimmt und nicht andere Faktoren hereinspielen.

Der Urknall und die Antimaterie

Physik ist schon auch mal die philosophische Naturwissenschaft, wo gerne spekuliert wird. Das war auch hier der Fall: "Beim Urknall könnte mit dem Universum auch ein Antiuniversum entstanden sein" vom Januar. Was vor dem Urknall war, interessiert uns alle, schließlich widerstrebt uns kognitiv die Idee einer Schöpfung aus dem Nichts. Kanadische Physiker wollten mit ihren Überlegungen vor allem das Paradox lösen, dass Materie und Antimaterie so ungleich im Universum verteilt sind: Nach ihrem Modell sind aus dem Urknall "gleichzeitig das Universum und ein Antiuniversum entstanden, in dem die Zeit in die entgegengesetzte Richtung läuft und in dem spiegelbildlich die Antimaterie überwiegt. Die Wissenschaftler erklären, dass eine solche CPT-Symmetrie mit zwei spiegelbildlichen Universen mit der kosmischen Expansion übereinstimmt. Überdies benötige man für dieses Modell keine neuen Teilchen oder Felder zur Erklärung."

Aber das ist erst nur einmal ein Modell, um bestimmte Phänomene erklären zu können. Monierte wurde im Forum vielfach, dass das Modell nicht experimentell überprüft werden kann. Ein Kommentar dazu: "Theorien bringen die Forschung voran, auch ohne bewiesen zu sein denn sie können als Grundlage weiterer Hypothesen dienen, die zu neuen Erkenntnissen führen. Die Urknall-Theorie, die ja auch nicht experimentell bewiesen ist, macht das besonders deutlich, denn wahrscheinlich sind nur aufgrund dieser Theorie viele Mrd. Dollar in die Forschung geflossen die dazu führten das viele neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten."

Kipppunkte des Klimas

Dieses Jahr wurde durch Greta Thunberg, Fridays for Future und die Klimakonferenz Klimapolitik zu einem der beherrschenden Themen. Eigentlich erstaunlich, dass der erste Artikel erst an achter Stelle kommt, dafür aber mit reger Forumsbeteiligung. Es ist Tomas Konicz vom 3. Juli mit "Weltklima auf der Kippe". Konicz warnt, dass manches darauf hindeutet, dass Kipppunkte bereits überschritten worden sein könnten oder wir kurz davor stehen, so dass dringend eine konsequente Klimapolitik einsetzen müsste. Konicz konstatiert, dass die Politiker den Kopf in den Sand stecken:

"Und nahezu überall, nicht nur in Polen oder Ungarn, ist es die politische Rechte in all ihren Abstufungen von konservativ, über populistisch bis extremistisch, die inzwischen die Avantgarde dieser Politik der Klimazerstörung bildet: Merkels CDU samt den Klimaleugnern der AfD in Deutschland, der Rechtspopulist Trump in den USA - oder der Rechtsextremist Bolsonaro in Brasilien, dessen Regierung inzwischen einen wütenden Generalangriff auf die Biosphäre des größten südamerikanischen entfacht hat. Gerade in Brasilien sind die desaströsen ökologischen Folgen rechter Politik schon jetzt evident." Im Forum wird gestritten, ob es sich um Alarmismus oder berechtigte Sorge oder Angst handelt.

Lasst die Wiesen wachsen

Verwunderlich ist auf den ersten Blick, dass es der Artikel "Kurzgeschorene Rasen müssen peinlich werden" von Timo Rieg vom 14. Juni in die Top Ten geschafft hat. Auch hier geht es um Klima- und Naturschutz, um den Rückgang der Artenvielfalt, was jeder selbst in der Hand hat, der einen Garten besitzt oder in seiner Gemeinde mitreden will.

Rieg weist auf die "Verödung der Landschaft" und die pflegeleichten, toten "Gärten des Grauens" hin und hatte auch einen praktischen Vorschlag: "Zahlreiche Untersuchungen zeigen einen signifikant höheren Artenreichtum auf zweischürigen Wiesen gegenüber ständig kurz gemähten. Auf einer naturnahen Wiese kommen etwa 50 Pflanzenarten auf 25 qm vor, auf intensiv genutzten sind es meist 70% weniger. Für viele Insekten konnte eine direkte Korrelation in der Vielfalt der Pflanzenarten zu den Tierarten nachgewiesen werden. Lässt man einen bisher steril kurz gehaltenen Rasen wieder in die Höhe wachsen, kommen nach und nach über die Samenverbreitung von Wind und Tieren weitere Pflanzenarten hinzu. Eine naturnahe Wiese wird nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht, und zwar am besten stückweise, so dass Flächen verschiedener Wachstumsstufen beieinander liegen ("Mosaikmahd")."

Zwar gab es in den Kommentaren viel Zustimmung, aber es gibt natürlich auch hier die Fraktion, die möglichst nichts verändern will und lieber Angst verbreitet: "Der naturfremde Autor kann sich gerne infizieren ... Wenn der Autor auch nur ein bisschen Bezug zur Natur hätte, so wie es Wanderer, Camper, Jäger und Bauern haben, dann wüsste er, dass ungemähte Wiesen ein Eldorado für Zecken und damit für Borrelien und FSME sind. Nur naturfremde Stadtmenschen glauben, die Natur wäre edel und gut. Die Natur ist aber ein Hexenkessel, und unsere Körper sind für andere Arten auch nur Nahrung und Ökosystem.Wer möchte, dass seine Kinder im Sommer gefahrlos barfuß und in kurzen Hosen im Garten spielen können, der hält seinen Rasen kurz. Wenn eine Gemeinde möchte, dass Ihre Bürger gefahrlos die Rasenflächen der Parks zum picknicken und sonnenbaden nutzen können, hält sie den Rasen kurz."

Und natürlich Greta Thunberg

Diese Auseinandersetzung um Panikmache oder Leugnen greift auch der Artikel vom 13. Februar auf: "Zu schön, um wirklich echt zu sein?" von Jens Mattern mit ebenfalls über 500 Forenkommentaren. Mattern greift auf, dass mit Greta in einem Prospekt des Unternehmens "We don't have time" von Ingmar Rentzhog geworben wurde - angeblich ohne sie zu informieren. Allerdings dürfte Rentzhog Greta mit "entdeckt" haben. Seitdem gilt Greta und ihre Familie Kritikern in der Regel aus dem rechten Spektrum, die eine menschengemachte Klimaerwärmung bezweifeln und überall Verschwörungen sehen, als eine von Kapitalinteressen inthronisierte Jeanne d'Arc für das Klima. Seitdem ist der Streit um Greta eskaliert und hat seitens der in der Regel männlichen Kritiker teils bösartige, menschenverachtende Züge angenommen.

Die nächsten Plätze belegen:

Negativzinsen von mindestens minus 4 Prozent werden kommen
Verrauchte Wut, verlöschtes Leben. Die Popmusik hat resigniert. Eine Brandrede
"Das Gejammer der Umweltverbände ist blanker Unsinn". Der Verkehrsexperte Winfried Wolf über Elektromobilität als neuen Hype, Enteignungen der Autokonzerne und die Alternative einer "umweltverträglichen Stadtmobilität"
Neues von der Kernfusion
Bangladesch: Der Mensch frisst sich weiter auf

Auch aus den Top 15 könnte man kein redaktionelles Programm ableiten. Viele Themen, die uns wichtig sind, Krieg und Frieden, Rüstung, geopolitische Konflikte, Geheimdienste, überhaupt auch Entwicklungen im Ausland kommen nicht vor.

Wie auch immer, die Telepolis-Redaktion wünscht ihren treuen Lesern und den Besuchern ein spannendes, glückliches und erfolgreiches 2020. Und wir würden uns freuen, wenn Sie Telepolis weiter als Informations- und Diskussionsquelle nutzen, die keine Ideologie verbreiten, sondern kritisch hinterfragen will.

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