Die USA greifen an - und eine große Chance wurde vertan

Ladin ruft den Heiligen Krieg aus und Bush kennt nur noch Feinde und Freunde

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Nun hat also die "Zivilisation", die angeblich durch die Terroranschläge auf das Pentagon und das WTC angegriffen wurde, erwartungsgemäß zugeschlagen. Natürlich hatte sich Präsident Bush schon mit der Ankündigung, die Terroristen und ihre Helfer auszulöschen, in einen Zugzwang begeben, der dazu führte, dass die Welt nur darauf gewartet hat, wo und wann "es" los gehen wird. Viele Medien habe ihre Bestes getan, die patriotische oder zivilisatorische Stimmung für den "Neuen Krieg" wach zu halten und seine Legitimität gewissermaßen zu unterstellen. Das Warten auf den Krieg, das natürlich gar nicht zu den knappen Aufmerksamkeitsspannen der Multitasking-Generation passt, bezeichnete ein Kommentator in der FAZ gestern gar als "unwirklich".

Doch schon mit den ersten Ankündigungen und mit der permanenten Beschwörung, einen "Krieg" zu führen, wurde die gewaltige Chance vertan, mit dem Rückenwind der weltweiten Ablehnung des Terrorismus schnell den Internationalen Gerichtshof zu etablieren, ihn mit exekutiver Macht auszustatten und als ersten Akt, die Schuldigen und Drahtzieher des Terrorschlags zu fangen und vor Gericht zu stellen. Schnell vor dem Militärschlag noch die Schulden an die UN zu zahlen, ist zwar wichtig, aber kein Schritt auf dem richtigen Weg.

Jetzt hingegen ziehen zunächst die USA und Großbritannien und dann womöglich, wie Bush angekündigt haben, weitere "enge Freunde" wie Kanada, Australien, Deutschland und Frankreich in einen Krieg, der eine internationale Friedensordnung vermutlich auf lange Dauer verhindern dürfte. Die Formel von der "uneingeschränkten Solidarität" von Bundeskanzler Schröder war zwar verständlich unmittelbar nach den Anschlägen, aber sie wird durch Wiederholung nicht vernünftiger. Warum kann man nicht solidarisch sein und auch militärisch bei gerechtfertigten Zielen beistehen, ohne sich deswegen ein Gedankenverbot zu verordnen und auch in aller Offenheit andere Vorgehensweisen zu diskutieren?

Wenn einzelne Staaten, angeblich "unterstützt vom kollektiven Willen der Welt" (George W. Bush), Angriffe, wie gezielt auch immer und auch wenn gleichzeitig Lebensmittel abgeworfen werden, auf mutmaßliche Täter und ihre Unterstützer führen, dann wird nicht nur Terror durch einen zweifelhaften Krieg beantwortet, sondern dann wird auch durch diese obzwar verständliche, gleichwohl eigenmächtige Aktion die Tür für weitere kriegerische Handlungen anderer Staaten geöffnet, die sich dasselbe Recht herausnehmen könnten. Was bislang auch schon als Konsens der Weltgemeinschaft fehlt, wäre eine verbindliche Definition von Terrorismus. Die Gefahr besteht, dass nun jeder Staat sich dem Kampf gegen den Terrorismus anschließen kann, indem Feinde oder auch nur Opponenten als Terroristen bezeichnet werden.

""This is a moment of utmost gravity for the world. None of the leaders involved in this action want war. None of our nations want it. We are peaceful people. But we know that sometimes to safeguard peace, we have to fight. Britain has learnt that lesson many times in our history. We only do it if the cause is just. This cause is just." (Tony Blair)

Präsident Bush hat bei seiner Ansprache zur Eröffnung der Kriegshandlungen unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Angriffe auf Stützpunkte des Taliban-Regimes und al-Qaida nur der Beginn des Kriegs gegen den Terrorismus sein sollen. Und er hatte jeden Staat aufgefordert, Position zu beziehen, weil es nur Freunde oder Feinde, Gut oder Böses gebe:

Jeder Staat muss eine Entscheidung treffen. In diesem Konflikt gibt es keinen neutralen Boden. Wenn eine Regierung die Verbrecher und Mörder von Unschuldigen unterstützt, dann ist sie selbst auch zu Verbrechern und Mördern geworden. Und sie werden diesen einsamen Pfad in ihren eigenen Untergang gehen.

Auch wenn viele Präsident Bush Besonnenheit zugeschrieben haben, weil er nicht gleich zurück geschlagen, sondern erst versucht hat, eine weltweite Allianz zu schmieden, so zeugt diese manichäische Sprache nicht davon, diskussionsbereit zu sein, was einem demokratischen Land vornehmlich dann wichtig sein sollte, wenn es militärisch "die Freiheit der Menschen weltweit" verteidigen will.

Schon allein die vielfach einfach nachgebetete Formel vom Angriff auf die zivilisierte Welt heißt im Umkehrschluss, dass nicht nur die Angreifer, sondern auch mutmaßliche Unterstützer von Terrororganisationen, seien es Staaten oder Einzelne, als Wilde zu gelten haben - gegen die man offensichtlich dann nicht mit gesetzlich legitimierten Mitteln vorgehen muss, sondern sie "vernichten" kann. Verteidigungsminister Rumsfeld wählte eine nicht weniger ungeeignete Ausdrucksweise, als er sagte, dass der Terrorismus "ein Krebs" für die Menschheit sei und dementsprechend bekämpft werden müsse.

Auch wenn Bush versichert, dass der Kampf nicht gegen die arabische Welt geht, so hat er sich bislang mit keinem Wort darüber ausgelassen, wie die amerikanische Regierung denn über die Bekämpfung von Terroristen hinaus gedenkt, die Grundlagen für eine Welt zu schaffen, in der Terrorismus keine Alternative mehr zum politischen Kampf ist oder zu einer solchen werden kann. Mit dem Einsperren oder Ausrotten der Terroristen ist es nicht getan, wie jeder weiß, aber ein weiterer Schritt würde kein Kampf gegen einen Feind mehr sein, sondern eine (Selbst)Veränderung erfordern, wovor die amerikanische Regierung zumindest rhetorisch zurück zu schrecken scheint.

Bin Ladin hingegen hatte offenbar mit einem baldigen Angriff gerechnet und ein Video vorbereitet, in dem er den Jihad gegen die Amerikaner ausruft. Die in Quatar ansässige Fernsehstation al-Jazeera hat zwei Stunden nach den amerikanischen Angriffen das Video gesendet. Ob dies als Verbreitung des Aufrufs zum Jihad, zum Start von Aktionen oder als Verbreitung einer Information zu verstehen ist, wird sicher zu einem Streitpunkt werden, zumal der Sender von vielen Seiten nicht unumstritten ist. Auch die Amerikaner hätten wohl gerne, wenn er geschlossen würde (Sex, Religion und Politik).

Bin Ladin bekennt sich nach der Übersetzung nicht direkt zu den Anschlägen, rechtfertigt sie aber, weil die Amerikaner damit das erhalten sollen, was sie verdient hätten. Gott habe diesen Angriff geschickt, jetzt habe Amerika Angst. Zudem seien die Anschläge geringfügig gegenüber dem gewesen, was die USA seit Jahrzehnten begangen hätten. Niemand würde aufschreien, wenn Araber getötet oder gedemütigt würden. Ladin verweist insbesondere auf Palästina und Irak. Bin Ladin versucht, die Auseinandersetzung auch in die Dimension eines Kreuzzugs einzubinden. Man werde nie dulden, dass sich in Palästina die Tragödie von Andalusien wiederholen werde. Dieser Kampf sei vergleichbar mit den größten Kämpfen des Islam, etwa mit der Eroberung von Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge. Und natürlich versucht er, das Vorgehen der USA gegen Terroristen und ihre Unterstützer als Kampf der Ungläubigen gegen alle Muslime darzustellen: "Sie haben begonnen, den Islam unter dem Deckmantel eines Kampfes gegen den Terrorismus zu bekämpfen." Zuletzt versichert er noch den Amerikanern, dass sie niemals wieder in Sicherheit leben werden, bis dies nicht die Muslime in ihrem Land und in Palästina auch könnten.