Die USA und der Ukraine-Krieg: Europa den Europäern!

Seite 2: Selenskyi in Washington: Europa muss leider draußen bleiben

Vom PR-Standpunkt aus war die Reise des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Washington ein voller Erfolg. Wie hätte sie es auch nicht werden können? Die USA haben die Regierung in Kiew von Beginn an am entschiedensten unterstützt, politisch und militärisch. Der Auftritt Selenskyjs im Washingtoner Senat war daher einen Termin, der eher für die Öffentlichkeitsarbeit Bedeutung hatte als für die Aushandlung politischer Positionen.

Hier nun scheint die politische und mediale Darstellung wichtig. In Deutschland und gleichsam der europäischen Presse wurde die russischen Reaktionen auf den Auftritt Selenskyjs in Washington sowie die Unterstützung der US-Regierung von Präsident Joseph Biden hervorgehoben.

Auch die Gleichsetzung des Krieges in der Ukraine mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin ließ den Eindruck entstehen, Moskau würde wieder einmal zu Verschärfung beitragen. Dabei wies Selenskyj selbst zeitgleich in der US-Kapitale auf den Sieg der US-Armee über die Nazi-Wehrmacht während der Ardennenoffensive um Weihnachten 1944 hin, um für weitere Unterstützung zu werben.

US-Politiker bliesen ins gleiche Horn. Der Leiter der demokratischen Mehrheit im Senat, Chuck Schumer, etwa sagte: "Wo Winston Churchill vor ein paar Generationen stand, dort steht Präsident Selenskyj heute nicht nur als Präsident, sondern auch als Botschafter der Freiheit selbst!" Daher dürfe man nicht nachlassen, die ukrainische Seite militärisch zu unterstützen.

Solche Überhöhungen sind historisch nicht haltbar, erfüllen aber einen anderen Zweck: Je mehr man moralisch in diese eine Waagschale wirft, desto schwieriger wird es für Fürsprecher einer diplomatischen Lösung, Gehör zu finden. Man wäre dann ja gleichsam für die Hitler-Wehrmacht und gegen Churchill. Dunkler könnte die Stunde danach kaum werden.

Die Diskurs-Front ist also befriedet. Zugleich haben die USA realpolitiosch nach wie vor jegliche Gestaltungsmacht in ihrer Hand: Mit der Wahl der Waffen können Sie den Konflikt in Europa steuern. Bisher sind sie noch zurückhaltend, denn es bleibt bei der Lieferung von Defensivsystemen. Und als unlängst eine Rakete sowjetischer Bauart im Osten Polens an der Grenze zur Ukraine einschlug, waren sie es, die eine Eskalation zwischen Russland und der Nato zunächst verhinderten. Das freilich kann sich noch ändern.

Das ist problematisch und weist auf ein grundsätzliches Dilemma hin: Schon im Vorfeld des russischen Angriffs auf die Ukraine waren es die USA, die zumindest dazu beitrugen, dass Verhandlung zwischen Russland und Westeuropa über eine europäische Friedensordnung nicht vorangebracht wurden.

Weder damals noch heute haben die Europäer, geschweige denn die im Kern korrupte und mit sich selbst befasste Europäische Union, einen adäquaten Einfluss auf den politischen und militärischen Konflikt an ihrer Ostflanke. Das gilt es zu ändern und diese Chance birgt dieser Krieg: Dass die Europäer die Geschicke Europas selbst zu bestimmen lernen. Dass es bis dahin noch ein langer Weg ist, zeigt, mit welch einer Devotion es auch Berlin hieß, man würde sich ja auch über einen Besuch Selenskyjs freuen.

Dieser europäische Konflikt kann und muss von Europäern gelöst werden. Diese Erkenntnis wird wachsen müssen, auch über die Erfahrung von Leid und Krieg. Das leider erleben wir nun täglich.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.