Die Verdichtung der Landschaft
- Die Verdichtung der Landschaft
- Mikro Makro, ein Prinzip mit Variationen
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Zwei Architekten aus Singapur hauchen Gartenstädten neue Dimensionen ein
"Die Städte sollen ihr eigenes Land umarmen", forderte der Landschaftsarchitekt Leberecht Migge am Ende des Ersten Weltkriegs, als es schon zu spät war. Er verfocht die Kreislaufwirtschaft, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts aufgebaut worden war. Im "Radialsystem" wurden die Abwässer auf Rieselfelder vor der Stadt gepumpt, und im Austausch kamen Stickstoff-liebende Gemüsesorten zu den Städtern zurück. Ende des 20. Jahrhundert hatten die Städte das Umland zerfressen und versiegelt. Nichts kam mehr außer arbeitslosen Menschen. Ihnen war auf dem Land die Lebensgrundlage entzogen worden. Der Prozess der Verstädterung ist heftiger denn je im Gange, ob in wohlhabenden oder in Schwellenländern. Zwei Architekten aus Singapur drehen den Spieß um. Sie holen die Landschaft in die Stadt.
Nur 2% der Erdoberfläche sind urbanisiert. Aber diese 2% verbrauchen 80% der Energie. Auch die asiatischen Städte explodieren bis zur Dysfunktionalität. Sie entziehen sich selbst ihre Versorgungsgrundlage. In Mumbai lebt von 25 Mio Einwohnern die Hälfte in Slums. Will heißen: Auf einen km2 kommen 300.000 Menschen. Die Dichte verschärft die Platznot. Das wilde Wachstum in die Fläche setzt die Planer schachmatt. Die Massen, die in die Städte strömen, segregieren sich in neuen Milieus, die voneinander abgekapselt sind bis zu gegenseitiger Gewalt.
Die Landflucht hat in Südostasien einen historischen Ausgangspunkt. Verlassen wurden die "Kampongs", kleine Dorfgemeinschaften mit aufgeständerten Häusern in Holzkonstruktion. Große Dachüberstände und Bäume spendeten Schatten, und die Bauweise war luftig. Diesen Archetypus griffen Richard Hassell und Wong Mun Somm auf, als sie 1994 ihr Büro WOHA gründeten und mit Urlaubsdomizilen anfingen. Und sie bauten das Modell aus, als sie ab der Jahrtausendwende in den Kernstädten in die Höhe gingen.
Sie nehmen die Idee der Kampongs als Bausteine für Hochhäuser, indem sie die neuen alten Dorfgemeinschaften übereinander stapeln und die Bauten aufreißen, um sie neu zu falten. Die Landschaft wird ins Haus geholt, und das Haus wird zu einer organischen Stadt, noch einmal gegliedert zu Nachbarschaften. Eine Forderung, die der deutsche Landschaftsarchitekt Walter Rossow bereits 1959 aufgestellt hatte, wird hier - mit einer kleinen Abwandlung - lebendig: Landschaft wird zum Gesetz der Stadtentwicklung. Die Belüftung der von WOHA entworfenen Häuser und Wohnungen kommt ohne Maschinen aus. Dagegen wirkt das Konzept einer Smart City, welche die Lebensfunktionen in der isolierten Wohnung zu Schaltkreisverlängerungen von elektronischen Taschenspielertricks macht, schon vorsintflutlich.
Die Verdichtung der Landschaft (9 Bilder)
Das zweidimensionale Grid, das Grundraster, auf welchem Hochhausstädte wie New York errichtet sind, hat die Konsequenz, gleichförmige Stockwerke scheinbar endlos übereinander zu packen. Ein Zusammenhang ist allenfalls technisch, etwa durch Fahrstühle, hergestellt. In den Hochhäusern von WOHA werden hingegen die inkorporierten Landschaften zum Medium von Gemeinschaft verdichtet. In dicht aneinander gerückte Wohntürme oder Riegel sind Zwischendecks eingezogen, Grundebenen der Vergemeinschaftung (Multiple Ground Levels), die sich in mehreren Intervallen in der Höhe wiederholen und die Türme verbinden können. Die Kampongs entstehen im Hochhaus-Urbanismus aufs Neue, in der dritten Dimension.
In einem der Beispiele sind es 80 Wohneinheiten, die zu vertikalen Dorfgemeinschaften auf Basis solcher multiplen Grundebenen zusammengefasst sind. Sie heißen nun Sky Villages. Die Vernetzung oder Infrastruktur dieser Himmelsdörfer wird horizontal durch ein abgestuftes und in vielen Projekten variiertes System aus Sky Gardens, Sky Parks und Sky Streets hergestellt. Es ist eine grüne Infrastruktur, welche den öffentlichen Raum dieser Häuser bildet. Die Nachhaltigkeit der Architektur bietet den Anreiz zur Bildung des Gemeinschaftslebens.