"Die Verlagsbranche muss ihre Inhalte völlig neu denken"

Seite 2: Anderes kommunikatives Verständnis

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Werden Texte zukünftig in neue Formen gebracht?

Volker Oppman: Das kommt auf das Genre an. Ein Roman oder eine Erzählung lebt vom und durch den Text sowie von tradierten Erzählmustern. Daran wird sich auch in Zukunft wenig ändern. Sprachen und Formen befinden sich aber naturgemäß in einem stetigen Wandlungsprozess, d.h. dass sich im Grunde alles ändert, ständig.

Literatur war und ist Dialog zwischen Autor und Leser, das Internet wiederum ist das mit Abstand kommunikativste Medium. Hier entstehen neue Formen der Kommunikation, die sich selbstverständlich wiederum auf die Art und Weise auswirken, wie Wissen und Erfahrungen vermittelt, wie Texte rezipiert werden - und natürlich wie Literatur produziert wird. Das bislang vielleicht extremste Beispiel ist der Fall Hegemann. Da wächst eine Generation heran, die ein völlig anderes Verständnis von Kommunikation, Autorschaft und Textproduktion hat.

Es ist aber auch eine kulturelle Frage. Nehmen Sie nur den Erfolg von Handyromanen in Japan. Hier ist quasi über Nacht eine völlig neue Textgattung entstanden, die, analog zu Mangas, in dieser Form aber auch nur in Fernost funktioniert.

Wie sieht es aus mit der Sicherung des Urheberrechts, dem Schutz geistigen Eigentums vor seiner unerlaubten Entäußerung?

Volker Oppman: Der Schutz des geistigen Eigentums ist immens wichtig, da das Urheberrecht überhaupt erst das Einkommen schöpferisch tätiger Menschen und Betriebe sichert.

Restriktive Gesetzgebung und harte DRM-Verfahren werden aber sicherlich nicht die Lösung sein. Die Gesellschaft verändert sich und damit auch die Regeln des Zusammenlebens und des Zusammenarbeitens. Sowohl die Gesetzgebung als auch die Wirtschaft denken jedoch rückwärts; hier wird versucht, einen Status Quo zu verteidigen, der längst nicht mehr existiert.

Ebenso wenig wie sich Sprache normieren lässt, lässt sich die Entwicklung der Gesellschaft normieren. Ein gutes Beispiel liefert der DUDEN, der im öffentlichen Bewusstsein zwar als Norm akzeptiert ist, im Kern aber ganz anders funktioniert:

Der DUDEN ist nämlich ein deskriptives und kein normatives Wörterbuch. D.h. die Redaktion des Duden beobachtet die öffentliche Kommunikation, insbesondere in den Medien und stellt statistisch fest, welche Schreibweise sich allgemein durchsetzt und damit als die gültige Form. Neue Wörter werden, sofern sie Relevanz im Sinne von Verbreitung besitzen, mit aufgenommen. Basisdemokratischer geht es nicht.

Auf die Gesetzgebung und die Anpassung von Geschäftsmodellen an das neue Zeitalter übertragen bedeutet dies, dass es viel sinnvoller wäre, sich der aktuellen Situation anzupassen als sich mit allen Mitteln dagegen zu stemmen. Satt einen immer höheren Damm zu bauen, könnte die dazu nötige Energie viel effizienter eingesetzt werden, die Ströme von geistigen Leistungen optimal zu kanalisieren und produktiv umzuleiten.

Ein Hauptproblem liegt darin, dass insbesondere der Leser jahrhundertelang dazu erzogen wurde, dass der Wert eines Buches in dessen Ausstattung, also im physischen Produkt selbst begründet liegt. Er hat gelernt, dass ein Hardcover hochwertiger ist als ein Paperback und dass Taschenbücher auf Billigpapier nur einen Bruchteil der Erstausgabe kosten. In jedem Fall aber hat er stets einen physischen Gegenwert in Form eines Produkts in Händen.

Die Pricingdebatte wurde also stets ausschließlich über das Trägermedium geführt. Im elektronischen Bereich funktioniert dieses Modell nicht mehr. Der obigen Argumentation (der Verlage, wohlgemerkt!) folgend, erwartet der Kunde logischerweise, dass das eBook deutlich günstiger ist, da er nun nicht einmal mehr einen physischen Gegenwert erhält. Schlimmer noch: Er hat nun nicht einmal mehr das Gefühl, dass der Text auch tatsächlich ihm gehört, sondern ihn allenfalls auf unbestimmte Zeit geliehen hat.

Was wir tatsächlich brauchen, sind keine DRM-Verfahren, sondern eine Imagekampagne für den Wert geistigen Eigentums und der dahinter stehenden Leistungen. Verständnis kann man zudem nur dort erwarten, wo die Leute unmittelbar selbst betroffen sind. Wie also sieht die Situation aus, was wissen wir und was lässt sich daraus ableiten?

Leser und Kunden einbinden

Hier einige Fakten:

  • es existiert kein Wertbewusstsein für nicht-physische Produkte
  • der Kunde zahlt nur dann, wenn er einen quantifizierbaren Gegenwert erhält oder ihm das Produkt einen deutlichen Nutzen verspricht
  • der Kunde erwartet, alles immer und überall sofort verfügbar zu haben
  • das klassische Sender-Empfänger-Modell funktioniert im Netz nicht mehr, Empfänger werden selbst zu Sendern
  • klassische Werbung funktioniert ebenfalls nicht mehr, alles läuft über Empfehlungen, wir sind im recommendation age angekommen

Mein vielleicht etwas unkonventioneller Lösungsansatz dazu würde daher lauten: Statt die Leser mit allen Mitteln daran zu hindern versuchen, unsere als Verlage teuer erstellten Inhalte zu verbreiten, sollten wir sie im Gegenteil nach allen Regeln der Kunst dazu animieren und den Kunden aktiv in unsere Vertriebs- und Marketingstrategie einbinden.

Wir alle wissen, dass Erziehung immer noch am besten über den Geldbeutel funktioniert. Was spräche also dagegen, den Kunden über Affiliate-Programme direkt an den Verkäufen zu beteiligen? Ihn wertzuschätzen, indem man ihm eine Verkaufsprovision zugesteht, wenn er schon unsere Produkte bewirbt?

Der Kunde muss die Erfahrung machen, dass sich seine Initiative lohnt. Also belohnen wir ihn doch dafür. Direkt über Affiliate-Provisionen und indirekt über Bonusprogramme z.B. für Rezensionen, Bewertungen oder Posts auf seinen sozialen Netzwerken.

Der Effekt wäre eine Art positives Schneeballsystem: Je mehr Initiative der Einzelne zeigt und je breiter er Informationen streut, desto lukrativer der eigene Einsatz, z.B. in Form von Guthaben auf dem Kundenkonto, der im nächsten Schritt wieder in neue Produkte investiert werden kann.

Hat der Kunde das Konzept einmal begriffen, wird er von sich aus keinerlei Motivation haben, Inhalte bei illegalen Tauschbörsen einzustellen - denn davon hat er nichts - sondern wird Inhalte über kontrollierte Kanäle streuen. Und das mit deutlichem Benefit für alle Seiten. Ein zufriedener Opinion-Leader ist unbezahlbar, noch dazu, wenn er von seiner Sache überzeugt ist.

Dass im Netz Gerechtigkeitsbewusstsein und Zahlungsbereitschaft für gute Inhalte existieren, zeigen Social-Payment-Systeme wir flattr: Man erweist sich gegenseitig Respekt und Achtung, indem man die Leistung anderer honoriert - im wahrsten Sinne des Wortes.